Mina Kami und so genannte Kooperativen

mina Kami

Das obige Foto zeigt eine Demonstration bolivianischer Minenarbeiter im Mai 1984. Leider war das Licht „hart“, wie oft auf 3.500 Metern Höhe – so hoch liegt La Paz. Die Gesichter sind daher nicht zu erkennen (ich hatte nur eine kleine Taschenkamera), aber ich konnte einige Wörter auf den Transparenten erkennen: Mina Kami zum Beispiel – daher stammen die Demonstranten.

Interessant ist die aktuelle Situation der Minen. (Vom spanischen Wikipedia-Eintrag übersetzt:) „Die Situation der Minen hat sich seit der Krise geändert. Viele Minen sind jetzt „Kooperativen“ [weil der Staat nicht beteiligt ist], was aber in vielen Fällen nur heisst, dass diese von privaten Unternehmern finanziert werden. Das bedeutet: Hinter den so genannten „Kooperativen“ stehen die privaten Eigentümer, die den gesamten Profit einstreichen, und die Arbeiter werden mit minimalen Löhnen abgefunden.“

Die Minenarbeiter sind seit jeher das Rückgrat der Linken in Bolivien und extrem militant. Leider hat die bolivianische Regierung die staatlichen Minen privatisiert, die meisten wurden ganz geschlossen.

In Llallagua durfte ich eine Mine besichtigen, was ich als eine Ehre empfand und wofür ich heute noch dankbar bin.

Das untere Foto zeigt den privaten und „illegalen“ Abbau von Zinn.

llallagua

Durch die Salzwüste, reloaded

salar

Ich habe noch ein paar Fotos aus Bolivien gefunden und diese in pingeliger Fummelei digitalisiert und restauriert. Ich fasse jetzt meinen „Trip“ von Oruro über Huachacalla nach Chipaya in einem Posting zusammen. Diese „Expedition“ dauerte mehr als eine Woche (April 1984) und war mit das interessanteste und anstrengendste Abenteuer, das ich in mehr als zwei Jahren in Lateinamerika erlebt habe – drei Tage mit dem LKW und anschließend 40 Kilometer zu Fuß, mit Rucksack, und nach drei Tagen wieder zurück. (Vgl. auch „In der Salzwüste – Un poco mas atletismo“ (08.04.2013), „Uru – Chipaya“ (03.07.2015) und „Huachacalla – Durch die Wüste“ (25.03.2018 – dort muss ich noch einige Ortsangaben korrigieren).

Wir starteten von Oruro aus (auf dem oberen Bild bin ich mit Rucksack zu sehen) zum Puente Chusakeri (Foto unten). Da standen damals nur einige Häuser. Der Bus von Oruro hatte uns mitten in der Pampa abgesetzt, und wir mussten das Flussbett, wo der Truck angeblich losfuhr, selbst finden – man trottet in einem solchen Fall den anderen Reisenden hinterher.

Puente Chusakeri

Aus meinem Reisetagebuch, Ende April 1984:
Der LKW ist so voll, dass selbst die Leute bei unserem Einsteigen schon no hay campo! [es ist kein Platz mehr!] schrieen. Aber bei dem Gerüttele auf der Piste, die ihren Namen gar nicht verdiente, wurden alle Passagiere samt Gepäck so durchgemischt, dass letztlich für alle ein Fußbreit übrig blieb.

In der Abenddämmerung düsen wir los. Bei Flussdurchquerungen müssen die Männer aussteigen und den Weg für den LKW präparieren. (Die Ruta Nacional 12, die man heute erkennen kann, existierte damals noch nicht.)

salar

Spät in der Nacht kommt ein riesiges Flussbett (der Fluss, vom dem man uns vorher erzählte, dass er einen Bulldozer, einen Jeep und diverse LKWs verschlungen habe). Dort müssen alle zu Fuß hindurchlaufen. Wir beide probieren zuerst, ohne die Schuhe auszuziehen, einen Weg zu finden. Das Flussbett ist aber so schlammig, dass man bis zu den Knöcheln einsinkt – mitten in der Nacht ziemlich unheimlich. Die anderen pasajeros kann man kaum erkennen. Am Ufer auf der gegenüberliegenden Seite zünden sie mit B.s Feuerzeug das Pampagras an, damit der LKW weiß, wo er hin muss.

In Opoqueri müssen wir in dem örtlichen Kramladen einen Platz zum Schlafen suchen. Die Nacht ist eiskalt und sternenklar. Am Morgen stehen alle zitternd herum und rufen [nach dem Fahrer]: Vamos, maistro!. Einige sammeln Brennmaterial und kochen Kaffee. Sogar ein Stück knochentrockenes pan fällt für uns ab.

salarsalar

Ein kurzes Stück nach Opoqueri kommt ein cortes [vermutlich „Einschnitt“], wo schon ein LKW im Schlamm steckt. Als der raus ist, fährt unser hinein, und zwar so tief, dass das Hinterrad vollständig verschwindet.

Mit Holzlatten und Gasflaschen bauen sie eine Art Hebel, und Zentimeter für Zentimeter werden Sand, Steine und Zweige unter die Räder gestopft. [Bäume gibt es in der Salzwüste nicht.] Zum allgemeinen Erstaunen tritt meine Taschenmessersäge in Aktion, um den durchfeuchteten Hebebaum zu kürzen.

Die Kerle betrachten die Angelegenheit mehr rituell: Es wird endlos gelabert und die Sache unnötig verkompliziert. Weil sie wohl Angst haben, dass es wieder schief geht, zögern sie einen erneuten Startversuch unendlich hinaus. Aber irgendwann klappt es dann.

Beim nächsten Mal steht der LKW total im Wasser, die Räder sind fast nicht mehr zu sehen. Außerdem ist der Chauffeur so „geschickt“ an den Rand gefahren, dass das Gerät fast umkippt. Ich geleite die señoras galant über eine Planke auf’s Trockene, und alle lachen sich erst einmal kaputt.

Irgendwann geht mir das Gelabere schrecklich auf die Nerven. Der Fahrer hat die unangenehme Angewohnheit, nach einen Loch, in dem der LKW droht steckenzubleiben, mit Karacho durch- und weiterzufahren, dass die abgestiegenen Passagiere endlos lange hinterherlaufen müssen. Bei dem letzten bajan los hombres! [alle Männer absteigen!] machen einige schon nicht mehr mit. Die auf dem LKW entwickeln einen komischen Humor, indem sie die, die hinterher laufen, lauthals verspotten: un poco mas atletismo! [Ein bisschen mehr Athletik!]

Angesichts des Ziels Huachacalla sind alle etwas entspannter, da nichts mehr schief gehen kann. Die Diskussion um den Fahrpreis ist demokratisch: Der Fahrer entwickelt seine Thesen und die Fahrgäste die ihren. Beide Theorien unterscheiden sich, aber man findet einen Kompromiss.

In Huachacallo erwartet uns eine Überraschung: die angeblichen padres [von denen uns die anderen Passagiere erzählen, weil es keine Unterkunft in dem Ort gab] entpuppen sich als belgische Entwicklungshelfer mit zwei Kindern, die in einem netten Häuschen in einheimischen Stil leben und uns mit Spinat und selbst gebackenem Brot bewirten.

huachacalla
Unsere „Herberge“ in Huachacalla, bisher unveröffentlicht. Ich kann leider nicht mehr sagen, ob das Foto nicht vielleicht seitenverkehrt ist.

Einen Tag entspannen wir uns, waschen und inspizieren den Ort, was allerdings nur eine Viertelstunde dauert. Das einzige größere Gebäude ist die Kaserne, die wie aus einem Fremdenlegionärsfilm entsprungen aussieht.

Die Diskussion mit den beiden Entwicklungshelfern hinterlässt bei mir einen seltsamen Nachgeschmack. Man hat sich wenig zu sagen. Der Abschied am nächsten Morgen ist mehr oder weniger desinteressiert. Wir erfahren aber, dass die Urus und die Leute aus Chipaya dieselben sind.

[Anmerkung: Urus gibt es heute weniger als 2.000 – die Bewohner der Inseln des Titicacasees und der umliegenden Region sind meistens Aymara und nicht die Ureinwohner. Die Sprache der Urus, von ihnen selbst Puquina genannt, existiert fast nur noch nur noch in Chipaya. Deshalb ist der Ort außergewöhnlich exotisch und ohnehin nur einigen wenigen Experten bekannt. „Puquina itself is often associated with the culture that built Tiwanaku.“ Die Inkas eroberten die Gebiete der Aymara und Uru-Chipaya unter Huayna Capac (der Sohn des berühmten Túpac Yupanqui).]

Vor der inkaischen Eroberung bevölkerten die Uru-Chipaya die Flusstäler und die Seen – den Titicaca- und den Poopó-See [vermutlich auch die Ufer der Seen südlich von Chipaya, die heute Salzwüste sind]. Irgendwann seien die Seen ausgetrocknet. Die Kenntnisse über Wassertechniken hätten die Uru-Chipaya aber behalten. Die Aymara hingegen stammten – einer These zufolge – aus Ecuador und „würden nie Kanäle bauen“ wie die Leute aus Chipaya. Ein großer Teil der Urus seien heute Pentecostals.

Huachacalla
Huachacalla

Am Morgen verfehlen wir den richtigen Weg und quälen uns erst einmal über die Hügel mit den schweren Rucksäcken. Der Marsch wird zur Strapaze, und B. ist völlig fertig. Unter „Heulen und Zähneklappern“ marschieren wir die 17 Kilometer [nach Escara – die erste Etappe des zweitägigen Marsches].

Einmal erschrecken wir uns zu Tode, als ein Gewehr in unserer Nähe durchgeladen wird. Zwei Soldaten tauchen auf und fragen uns, wohin wir wollten, lassen uns aber laufen.

Escara erscheint uns wie das gelobte Land, obwohl es nur ein winziges staubiges Nest am Fuß der Berge ist. Bei einer taller de bicicletas können wir in der Werkstatt übernachten und kochen uns leckere Süppchen und Tortillas.

Die Diskussion über einen Fahrradverleih gestaltet sich unbefriedigend, und endlich lehnen wir ganz ab. [Anmerkung: Das Weiße auf den Fotos – das Salz – ist bretthart, man kann darauf Fahrrad fahren, allerdings wäre eher ein Mountain-Bike mit guten Stoßdämpfern empfehlenswert, weil die Dellen im Salz einen vom Rad katapultieren würden, führe man nicht sehr langsam.]

Der señor, der Inhaber der Werkstatt, ist ein ganz Linker und fragt uns erst über unsere Meinung über die Malvinas aus. Irgendwie schwanken auch die Auskünfte darüber, wie viele Touristen schon hier waren, beträchtlich. Er kann sich an keine erinnern, jedenfalls sind wir in diesem Jahre die ersten.

Am nächsten Morgen packen wir unsere Rucksäcke um, lassen alles, was überflüssig ist, in der Werkstatt und düsen dann mit einem kleineren Rucksack los – 26 Kilometer Fußmarsch erwarten uns!

salzwüstesalarsalzwüste
Die Fotos sind nach Südwesten aufgenommen worden. Man kann die schneebedeckten Anden von Chile erkennen. Es dürfte sich um den heutigen Parque Nacional Volcán Isluga handeln. Die einzelnen Berge kann ich leider nicht identifizieren. Im „Vordergrund“ ChullpasGrabstätten der Aymara.

The Uru Chipaya is one of the most ancient people of South America, originating from 1500-2000 B.C. In the 16th century, the Uru Chipaya represented a quarter of the Altiplano Andean population. Nowadays, their territory represents a mere 920 km2, and the Uru Chipaya population counts little more than 2 000 individuals. The Uru Chipaya live in the Bolivian Altiplano bordering the salt desert of Coipasa, chipayaat an altitude of 3640 m. Their territory is organized in 4 ayllus (or communities): Unión Barras, Aranzaya, Manazaya and Wistrullani. The traditional habitat consists of a group of circular houses built with mud and straw. One house serves as kitchen, another one as room, and so on and so forth.

Erst geht der Weg durch Halbwüste mit hohen Pampagras-Büscheln und schneebedeckten Bergriesen im Hintergrund, die vermutlich schon zu Chile gehören. Überraschend schnell gelangen wir zum ersten Fluss, wo wir zuerst nicht wissen, wie wir ihn überqueren sollen. Hinter uns kommt ein einsamer Radfahrer ohne jegliches Gepäck, der uns die beste Furt zeigt. Das Wasser geht nur bis über die Knie, obwohl es tiefer aussieht. [Es war Trockenzeit.]

Danach wird die Gegend öde, alles flach, mit weißen salzigen Stellen und kaum Bewuchs. In der Ferne Estancias mit runden und spitzen Vorratshäusern und riesigen Schaf- und Llama-Herden.

Einige freundliche Uros überholen uns auf dem Fahrrad, unter anderem auch der alcalde von Chipaya, ein netter Opa. Die Männer tragen alle einen braun-weiß gestreiften Poncho, der von einem Gürtel zusammengehalten wird, dass er wie ein Kleid aussieht, eine bunte Mütze mit Ohrschützern und darüber noch eine helle spitze Mütze.

Die Frauen sehen fantastisch aus: ein dunkelbraunes Baumwollkleid mit vielen Sicherheitsnadeln, die Haare im Afro-Look, hunderte von Knötchen, die in zwei Zöpfe auslaufen, die auch noch einmal zusammengeknotet sind. Einige tragen noch eine Art Kopftuch. (…)

Es gibt zwei ayllus mit je rund 500 Mitgliedern, daher auch zwei Bürgermeister (alcalde) und noch einen corregedor. In einem oficina, gleichzeitig die Schule, können wir übernachten.

Zum Glück erwischen wir gerade die Zeit des Brotbackens, sogar refrescos gibt es. Die Frauen erwarten offenbar, dass wir fotografieren und entspannen sich erst, als sie merken, dass wir das nicht tun. Wir haben noch eine nette Unterhaltung mit einem älteren Mann und der Lehrerin [es gab nur eine].

Am Morgen gibt es nur Wasser, was eklig schmeckt, und unsere eiserne Reserve Müsli. Im ganzen Dorf existiert nur ein Brunnen. Die Häuser am Dorfrand sind rund und ohne Fenster, mit Schilfdach. Die Estancias haben mehrere Rundhäuser, und verstreut über die Pampa sehen wir viele kaputte Plumpsklos. Wir entwickeln die Theorie, dass die runden Häuser einfach ein traditioneller Abklatsch der runden Schilfhäuser der Urus sind.

Der zweite alcalde, der nicht – wie sein „Kollege“ – die traditionelle Kleidung trägt, erwartet wohl, dass wir für das alojamiento bezahlen, was wir aber nicht tun. Der corregedor ist gerade in einer lautstarken Versammlung, und man bedeutet uns, dass er keine Zeit habe [wir wollten ihn um eine Erlaubnis zu fotografieren bitten]. So entschließen uns kurzerhand, das Dorf zu verlassen. Leider werden wir nie erfahren, ob sie sich wegen der verpassten Chance, etwas zu verdienen, geärgert haben.

chipayachipaya

Der Friedhof von Chipaya ist auch via Google Maps noch gut zu erkennen. Am Fuße der Berge im Hintergrund liegt der winzige Ort Escara, vom dem aus wir losmarschiert waren.

Auf dem Weg zurück nach Escara quäle ich mich bis fast zur totalen Erschöpfung. Zum Glück treffen wir kurz hinter einem Fluss einen LKW, der bis nach Oruro fährt. Wir sitzen auf toten Schafen in Säcken. In Escara holen wir unsere Sachen und warten ein paar Stunden. Dann geht es am späten Nachmittag los.

Es soll fast eine wieder Sumbay-Nacht werden. Der Fahrer kennt sich besser aus als der bei der Hinfahrt: Kurz vor dem endgültigen Steckenbleiben schaltet er immer den rettenden Rückwärtsgang ein. Irgendwo in einem winzigen Dorf bleibt er stehen. Ich friere total, selbst der Schlafsack hilft wenig. Außerdem gerate ich bei jeder Bewegung mit B. aneinander, hinten drücken die Schrauben der Seitenwand mir ins Kreuz und unten der Rucksack oder die toten Schafe. Ich kann kaum den Sternenhimmel genießen.

Am Morgen fährt der der LKW bis zu einer kaputten Brücke kurz vor Toledo. Es wird nur sehr langsam warm. Beim Marsch von der Fähre bis nach Toledo knickt B. um, und ich breche fast zusammen. Gegenseitig ermuntern wir uns. Auf der Plaza des Ortes erwarten uns eine köstliche Quinoa-Suppe und ein Bus, weil die Straße nach Oruro wieder halbwegs passierbar ist. Mir wird beim Essen schwindelig, und als ich im Bus sitze, kann ich mich kaum bewegen. Der Busfahrer will nicht losfahren, weil noch mehr pasageros kommen könnten. Wenn ich nicht so kaputt gewesen wäre, hätte ich mich geärgert. So spotten wir nur über ihn (…). Unter totaler Ruckelei kommen wir endlich in Oruro an.

Luftiges Wohnen und Kochen

hütte im Dschungel

Wohnhaus im Pando-Dschungel. Links das Gestell ist die Küche. Fotografiert im Juni 1984.

Formiert marschieren

demonstration

Demonstrierende Arbeiter, aufgenommen 1984 in La Paz, Bolivien – ich kann nicht mehr herausfinden, wann genau und wo. Wir waren zwei Mal in La Paz, und das Foto habe ich wahrscheinlich beim zweiten Mal aufgenommen, weil das nicht in der Nähe des Palacio Quemada war.

Copacabana, revisited

copacabana

Fotografiert in Copacabana in Bolivien am Titicacasee. Wikipedia: „Eine faszinierende Aussicht auf die Stadt und auf den See hat man vom nahegelegenen Cerro Calvario, dem 3.966 m hohen Hausberg von Copacabana. Dieser Weg ist auch unter Pilgern beliebt, da er auf 14 Stationen den Leidensweg Jesu bis zur Kreuzigung zeigt.“

Ich war zufällig am Karfreitag 1979 während der Wallfahrt da.

Rasur in Riberalta

cleiton

Im Hafen von Riberalta, dem Ausgangspunkt für den Pando-Dschungel Boliviens (1984). Es gibt auch heute noch keine Straße nach Riberalta, die durchgehend befahrbar ist, man bewegt sich auf Booten fort. Der Rio Madre de Dios ist der größte Fluss.

Ich muss heute noch grinsen, wenn ich darüber nachdenke, dass der Unterschied zwischen dem harmlosen und entspannten Rasur-Foto und der Realität beträchtlich war. Aus meinem Reisetagebuch, Ausgangspunkt Cobija an der Grenze zu Brasilien:

Am Morgen ziehen alle pasajeros mit dem carro [eigentlich „Karre“, in Südamerika auch „Auto“, hier ein Pickup] des mecánicos ab zum Flugplatz, wo es sogar ein Café mit Kaffee und leckeren dulces gibt. Irgendwann, nachdem es schon ausgiebig gepieselt hat, kommen die pilotos und labern dumm rum, das Wetter sei schlecht usw. Aber plötzlich heißt es dann doch vámonos und wir düsen los. (…)

Freitag kommen wir in Riberalta an, wo wir bis zum billigsten Hotel latschen, Alojamiento Comercio, was 8000 kostet, aber gut ist. Der Markt: Milch- oder Bananensuppe, ein halbes Dutzend Weißbrotsorten, Flan, arroz con leche [Milchreis], Schokoladenpudding, Empanadas, pan de arroz [Reisbrot], ein ausgesprochen reichhaltiges Frühstücksangebot.

Wir marschieren oder besser: klettern das Ufer entlang. Es ist nur ein Schiff da, was angeblich am selben Tag auslaufen soll. Es fährt noch ein anderes, nur bis Chivé, und wir gelangen zu keiner Entscheidung, was wir tun sollen. Wir gehen dann doch in eine Art Freiluftkino.

Der nächste Tag wird wieder hektisch. Die Cleiton [Foto oben] ist immer noch da. Wir erfahren beim Schweizer Konsulat, dass ein anderes Schiff Anfang erst nächster Woche kommen soll – angeblich. (…)

Wir versuchen, bei unserem Hotel-dueño 100 US$ zu tauschen, was nach längerer Warterei misslingt. Zwischendurch stellen wir unser Gepäck schon am Ufer auf. Dann tauschen wir Geld im Casa Plattner – das müssen irgendwie deutsche oder österreichische Juden sein: Kuckucksuhr, Bild der Klagemauer, siebenarmiger Leuchter. Wir kriegen ein großes Paket 100-er [Geldscheine der bolivianischen Währung], und unser Dollar-Schein wird eingehend mit einer Maschine geprüft. Einige Einkäufe erledigen wir auch noch. (…)

Die Leute wirken hier schon anders, die Frauen oft schlank und hübsch mit den üblichen Flatterkleidchen. Einige ärmliche Männer sehen aus wie auf den Bildern „unzivilisierter“ Amazonas-Stämme. Auch vielen Leute mit hellen Haaren. (…)

Es kommen viele Schiffe und Boote, mit Bananen, Yucca usw.. Die Stadt hat ganze Straßenzüge mit einfachen Holz- oder Steinarkaden aus den 30-er Jahren. Typisch die rötlichen Straßen, auch die Häuser sind mit rotem Staub beschmutzt. Hunderte von lästig knatternden motocicletas. An einer Ecke gibt es abends zu essen, ca. 15 Tische mit Empanadas, irgendeinem Ekelfleisch und einer Art Steak, das ich am letzten Abend probiere. (…) Die Atmosphäre ist locker, und das Wetter bessert sich mit jedem Tag.

Zwei Nächte schlafen wir auf der Cleiton, arreglieren unsere Moskitonetze, und gewöhnen uns an die Szenerie. Am hohen Ufer stehen ein halbes Dutzend Schiffe aus Stahl, die ziemlich abgewrackt aussehen, und einige sind es wohl auch. Vielleicht sind die vom Kautschukboom übriggeblieben.

Die wenigen Passagiere und die Besatzung sind nett, eine Familie aus Frauen und einem dicklichen Jungen. (…) Die Immigration macht wider Erwarten [wir überquerten zwei Wochen später die Grenze zu Peru] gar keine Schwierigkeiten, es gibt aber keine Ausreisestempel.

riberalta

12. Juni. [An dem Tag wurde das Foto oben gemacht.] Denkste! Wir sind immer noch in Riberalta. Gestern um sechs hieß es noch: „ahorita [von ahora: jetzt, in Südamerika wird an viele Wörter das Diminutiv -ita angehängt] vamos“ – etwa: Jetzt geht es los!], aber ahorita ist wie immer eine Interpretationssache. Die Besatzung schickte mich sogar los, um B. zu holen, weil es angeblich eilte, aber dann ist der Kapitän plötzlich doch zu spät, und er behauptet, man müsse eine Strafe zahlen [wenn man jetzt ablege]. Die Begründung für heute ist schierer Aberglaube: Der dia Martes sei ein schlechter Tag zum Reisen, man heirate auch nicht an einem Martes, und se decha las mujeres usw. [man lässt die Frauen in Frieden]. Also können wir vermutlich den letzten Abend in Riberalta noch öfter zelebrieren.

Danach folgt 13. Juni: Wir schwimmen auf dem Rio Madre de Dios.

Cerro Calvario, revisited

copacabana

Copacabana in Bolivien am Titicacasee. Wikipedia: „Eine faszinierende Aussicht auf die Stadt und auf den See hat man vom nahegelegenen Cerro Calvario, dem 3.966 m hohen Hausberg von Copacabana. Dieser Weg ist auch unter Pilgern beliebt, da er auf 14 Stationen den Leidensweg Jesu bis zur Kreuzigung zeigt.“

Ich war zufällig am Karfreitag 1979 während der Wallfahrt da.

Hier nicht parken, Bürger!

Palacio Quemada

La Paz, Bolivien, Plaza Murillo, vor dem Palacio Quemada bzw. der Kathedrale [ungefähr hier fotografiert, 1984].

Auf einem kleinen Hügel oder: Von Potosi nach Tarabuco

Potosi
Potosi, Bolivien – man beachte den Fleischtransport per Schubkarre

Aus meinem Reisetagebuch, Mai 1984 – wir waren schon mehr als fünf Monate unterwegs, und in den Einträgen des Tagebuchs finden sich immer mehr spanische Wörter:

[Potosi] Der Abgang wird wieder südamerikanisch. Wir haben zwar boletos, aber im oficina erscheint einfach niemand. Nach einer netten Unterhaltung mit dem Chef einer anderen empresa können wir unsere Rucksäcke da abstellen. Der Chef scheint auch einen anderen Bus organisiert zu haben, der mit einiger Verspätung sogar kommt.

In Betanzos [3327 m, zwischen Potosi und Sucre], wo gerade sonnige, lärmende, staubige und besoffene Sonntagnachtmittagstimmung ist, legen sich die drei Fahrer unter den Bus und erklären eine Stunde später, dass er nicht mehr weiterfahre.

Zum Glück wird gerade ein anderer LKW arregliert, den wir und alle anderen besteigen. Der übliche Kampf um jeden Quadratzentimeter Sitzplatz beginnt. Mit den üblichen Reparaturen und atemberaubenden Serpentinen erreichen wir kurz vor Mitternacht Sucre. Alles dicht, kein Hotel macht auf oder no hay. Bei einer einsamen Oma auf der Plaza können wir noch zwei Sandwiches kaufen.

Aus Verzweiflung nehmen wir ein superteures Hotel für neun Mark pro Person. Am nächsten Tag erfahren wir, dass die Hotelpreise reglementiert sind und handeln deshalb den Besitzer des Avaroa [es gibt eine gleichnamige Straße in Sucre; das Hotel habe ich nicht mehr gefunden] auf 8000 Pesos für zwei runter [ungefähr die Hälfte des ursprünglichen Preises].

Sucre ist der Ort des guten Marktes, haben wir beschlossen: Es gibt abóndigas und eine reichhaltige Jugo-Auswahl. (…) Wir lustwandeln und futtern reihenweise Salteñas. Das Goethe-Institut ist überraschenderweise geschlossen.

Der Nachmittag ist ruhig; wir sitzen in einem Cafe auf der sehr schönen Plaza und unterhalten uns über den Bauernkrieg, Revolution und die Welt im allgemeinen. (…) … also werden wir uns – gebildet durch die ethnologischen Artikel in der Wochenendausgabe der Los Tiempos – in Riberalta einen angenehmen Urwaldaufenthalt gönnen.

Der Generalstreik scheint den Camionverkehr nach Tarabuco nicht unterbrochen zu haben. Wir werden uns die Maifeierlichkeiten hier ansehen und dann weiterschauen.

SucreSucreSucreSucre
1. Mai 1984 in Sucre, der Hauptstadt Boliviens

[Cochabamba, 10 Mai] Zehn Tag im Nachhinein zu beschreiben ist wirklich zu viel. Zu Sucre fällt mir doch noch viel ein, obwohl wir wegen der feinen, reichen und dekadenten Atmosphäre nicht das allerbeste Gefühl haben.

Der 1. Mai wird doch recht farbenfroh und kämpferisch. Beim genauen Hinsehen wird aber klar, dass es damit nicht weit her ist. Gerade in Sucre ist es wohl eine Mischung aus Traditionsbewusstein und Neugier, die die Leute auf die Straße bringt. Die Opas stehen da mit ihren stolz erhobenen Gewerkschaftsfahnen und die Redner brüllen, am meisten die Lehrer und Studenten.

Wir gehen auf den Markt, der einzige Platz, wo „normale“ Leute sind. (…) Wir kriegen an der Plaza sogar Buttercremetorte. Von Sucre wird die Plaza mit ihren Cafés und Eisspezialitäten am meisten in Erinnerung bleiben, dazu das Kino. Andere Ausländer treffen wir wieder nicht.

Wir fahren nach Tarabuco [vgl. Nimm besser den Bus (07.07.2018, Behelmt (22.07.2012, Behelmt, revisited (02.05.2019, Burks unter Indianern (25.08.2012). Der Bus wartet einen halben Tag, bis er endlich brechend voll ist. Seltsamerweise ist die Eisenbahnstrecke stillgelegt.

tarabuco
Der Hinterhof unserer Pension in Tarabuco – ich wasche Wäsche. Warum da so viele Knochen waren und was man mit denen machen kann, weiß ich nicht.

In Tarabuco finden wir ein schönes und billiges Alojamiento mit einer knittrigen Oma, die sich wohl darüber ärgert, dass wir nicht ihre Suppe, sondern auf der Straße essen. Ihr comida ist ein wenig poor, außer der Suppe gibt es nur Nudeln, morgens keine Eier. Alles wartet auf den Sonntag, wenn die campesinos kommen.

An einem der Tage latschen wir in Richtung Sucre, aber B. kann wegen ihrer Füße nicht weiter. Zufällig kommen der Padre und seine Schwester mit einem Auto vorbei, und wir fahren nochmal zum Pass zurück, um die Aussicht zu genießen. Der Padre rät uns ab, von Presto aus zu versuchen weiterzukommen. Er habe zwölf Jahre da gewohnt, der camino casi no hay.

Man kann sich den ganzen Tag auf der Plaza aufhalten. Es herrscht ziemlich reger LKW-Verkehr, zum Beispiel nach Zudáñez und [unleserlich], sogar zwei riesige Trucks zur argentinischen Grenze tauchen auf. Ich lasse mir für 8000 Pesos von einem Dorfschuster Sandalen „spezial“ (gemacht aus Autoreifen) anfertigen.

Die Gegend strotzt vor Landwirtschaft, sanfte Hügel und viel Getreide. Abends kommen die campesinos von den Feldern und treiben Kühe, Schweine und Schafe durch das Dorf. Die Leute und vor allem die Kinder sind nicht scheu und trotz der Gringos, die an den Sonntagen zum Markt kommen, sehr neugierig. Am Samstag abends sitzen schon recht viele auf dem Bürgersteig, in zwei Reihen, und gucken sich gegenseitig an. Ein paar Mädchen verkaufen, mit viel Lärm und Propaganda, Kartoffelklößchen und heißen Wasser mit Crema (Eischnee).

Sonntag morgens ist schon alles voll. Es gibt jede Menge landwirtschaftlicher Produkte, comida und überhaupt alles. Der Markt ist überfüllt mit behelmten Männern, Frauen mit Kappen und Nackenschutz und einem Stoff“pickel“. Andere tragen eine Art dreieckigen Hut. Rot dominiert, auch auch Schwarz. Einige tragen Blau. Die Männer haben zum großen Teil einen Zopf…(…)

Es herrscht eine fröhliche Atmosphäre, gelassen, auch gegenüber den wenigen [damals!] fotografierenden Touristen. Wir kaufen, was das Zeug hält – eine tolle manta für 26.000 Pesos – der Verkäufer fängt bei 35.000 an und rennt uns das ganze Dorf nach, ein Hutband, eine Tasche….

Ein sehr alter Mann tatscht B. in ihrem schwarzen Hemd und ihren kurzen Haaren [vgl. Foto ganz unten, mit Hut] vorsichtig ab, er will wohl wissen, ob sie Männlein oder Weiblein ist. Die Marktfrauen, die ihn vermutlich beauftragt haben, das festzustellen, lachen sich halb tot.

TarabucoTarabucoTarabucoTarabucoTarabucoTarabuco

Ich sitze auf einem kleinen Hügel am Rand des Dorfes, schaue auf die Felder, die von der untergehenden Sonne bestrahl werden und kann mir vorstellen, hier ein Haus zu bauen. Man könnte ein alojamiento aufmachen, und Sucre ist nicht weit. (…)

Wir finden keinen LKW und entscheiden uns spontan, mit „unserem“ bekannten Busfahrer wieder zurück nach Sucre zu fahren und dann weiter…

Huelga oder gendersozialökologischklimatisch?

socabaya la paz

La Paz, Bolivien, während des Generalstreiks 1984. Hier der Blick von unserem Balkon des Hotel Torino auf die Socabaya ganz nah am Palacio Quemada. Der war damals Sitz des Präsidenten Hernán Siles Zuazo. Tag und Nacht demonstrierten damals die Bergarbeiter und Gewerkschaften.

Apropos Streik.

Zwischen Mittwoch, 4. März, und Sonntag, 8. März, wird die DB Regio Bus Nord GmbH durch die Gewerkschaft Ver.di bestreikt. Die Gewerkschaft Verdi hat die Beschäftigten des Post-Tochterunternehmens Deutsche Post Customer Service (DP CSC) zum ganztägigen Streik aufgerufen. Betroffen war der Standort Fürth. Usw.

Telepolis beschreibt Mobilizing und Organizing: „Den Gewerkschaften kommen die Mitglieder abhanden. Die Alten gehen in Rente oder sterben und bei den jungen Arbeitnehmern kommen nicht viele Mitglieder nach. Klassische Industriebetriebe haben ihre Produktion oft verlagert und geblieben sind die Angestellten, auf die die Industrie-Gewerkschaften bislang nicht oder weniger setzten“.

Das Konzept ist banal, aber offenbar für die Funktionäre der Gewerkschaften nicht selbstverständlich – man will die Mitglieder fragen, was ihre Probleme sind. Ach?!

In der aktuellen Konkret schreibt Stefan Dietl über Nazis am Werk – Im Umgang mit der AfD wirken die Gewerkschaften oft hilflos.

In der aktuellen Z – Zeitschrift für Marxistische Erneuerung ist ein Attikel über die aktuelle Situation in Italien. Darin der bemerkenswerte Satz: „So ist es der Lega trotz ihrer früheren Beteiligung an der von Berlusconi betriebenen Privatisierungs- und Arbeitsmarktpolitik und mithilfe einer geschickten Nutzung der Social Media gelungen, sogar Sympathisanten der Linken sowie kommunistischer Organisationen zu gewinnen, die von der Verteidigung der weißen Arbeiterklasse gegen Globalisierung und die vermeintliche Konkurrenz durch ein migrantisches Subproletariat fasziniert sind.“

Offenbar haben die Gewerkschaften keinen Plan, wie man das Proletariat, das nicht so wählt, wie es sich gehört, wie die Linke es sich so denkt, zurückholt. Die Zahl rechter Betriebsräte habe sich verfünffacht. Man beschimpft sie bequemerweise als Nazis. Das führt bekanntlich nicht allzuweit – vgl. Italien. „Aufklärung“ nützt auch nichts -das ist wieder die Attitude, dass die Funktionäre viel schlauer seien als die „verirrten“ Mitglieder.

Mein Vorschlag: Die Linke muss sich auf den Markenkern besinnen und Lifestyle-Fragen wie „Klima“, „Diversity“ (was immer das heißen mag) uns. den Grünen überlassen. Markenkern heißt a) Lobby für die Arbeiterklasse und b) Klassenkampf, der auch so benannt werden muss.

Bernd Riexinger hat in dem unsäglich langweiligen Video auch zu Recht darauf hingewiesen, dass „Klima“ letzlich auf die Klassenfrage hinführt. Es gibt offenbar, wenn man sich die Diskutierenden anseht, viel zu viele Leute, die sich mit ihren privaten Hobbys beschäftigen und die politisch interessierte kleine Öffentlichkeit damit belästigen. Man müsste denen einfach mal rhetorisch über’s Maul fahren (aber ich würde vermutlich, wenn ich die die Partei „Die Linke“ einträte, sehr schnell wieder hinausgeworfen wegen politisch unkorrekter und nicht erwünschter Statements).

Und dann dieses bürokratische Neusprech-Gestammel: „sozioökologischer Umbruch“ – welcher normale Mensch redet denn so? Die merken das gar nicht mehr. „Sozial-ökologisch“ – das ist doch der letzte Quatsch. Dann schon gleich „gendersozialökologischklimatisch“.

La Paz, Panoramic View

la paz

Die Skyline von La Paz, Bolivien, fotografiert 1984. Ich habe versucht, die Perspektive wiederzufinden – das war gar nicht so einfach. Bei Getty Images gibt es ein Foto, auf dem dieselben markanten Hochhäuser zu sehen sind, es sind einige dazugekommen. Ein ähnliches Foto fand ich auf 123RF. Immerhin habe ich die Garantie, dass es nicht seitenverkehrt ist – das ist beim Einscannen der uralten Dias nicht immer sofort zu erkennen.

Ich vermute, dass ich nördlich der Avenida Litoral gestanden habe und nach Süden fotografierte.

Copacabana, aber nicht der Strand

copacabana

Copacabana in Bolivien (1984). Hinter dem Cerro Calvario und der Stadt liegt der Titicaca-See. Auf Aymara heisst Titicaca „grauner Puma“. Der Ort Copacabana war damals ein verschlafenes Nest, nur zu Ostern trafen zahllose Pilger ein.

Ein frohes neues Jahr aus dem Urwald!

chive

Ein Nachtrag zu meinen Postings vom 01.05.2019 „Tag der Arbeit“ und vom 04.04.2011 „Der Kautschuksammler, revisited“: Die Ehefrau des Kautschuksammlers, ihr Kind und ich (fotografiert 1984).

Es ist nicht mehr herauszufinden, wo das genau war – wir sind von Chive ein paar Stunden über einen kleinen Trampelpfad noch Nordwesten gegangen. Auf der Karte ist ein Flusslauf zu erkennen, eine Siedlung gab es damals nicht, nur zwei Hütten. Die werden natürlich nicht mehr da sein, aber der Mann hatte den Urwald ein wenig gerodet. (Es könnte hier gewesen sein.)

Goma

goma

Ein Kautschuk-Sammler im Urwald des Rio Madre de Dios, Bolivien 1984 (vgl. 04.04.2011)

Sale a la calle, companeros!

huelga general

Generalstreik und Demonstration in La Paz vor dem Präsidentenpalast, Bolivien, fotografiert 1984. Leider sehr aktuell.

Un Golpe

huelga general
Generalstreik und Demonstration in La Paz, Bolivien, fotografiert 1984

Natürlich gab es einen Putsch in Bolivien! Harald Neuber hat das auf Telepolis eindrucksvoll an Hand von Fakten belegt. Mehr kann ich gar nicht dazu sagen. (Auch die Leserkommentare sind erhellend.) Der Guardian berichtet von einem Kopfgeld, das auf den Präsidenten ausgesetzt worden war.

Añez, 52, took temporary control of the Senate late on Tuesday. “I will take the measures necessary to pacify the country,” she said, swearing on a bible to loud cheers and applause.“

Schon klar. Wenn die Bibel ins Spiel kommt, kann ja nichts schief gehen. Besonders ekelhaft finde ich die Reaktion der deutschen Medien und natürlich der Grünen, die sich auf die Seite der Putschisten und des Militärs stellen. Das war ja auch schon in Venezuela so.

Tal vez el cóndor volará

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Aufstieg zum Vulkan Tungurahua, Ecuador 1979, bisher unveröffentlicht ( vgl. Aufstieg zum Tungurahua, 08.05.2011)

In Ecuador tobt eine Art Revolution, Generalstreik, Ausnahmezustand, Militäreinsatz – wie man das so kennt. Interessant ist, dass die Revolte nicht nur vom städtischen Bürgertum getragen wird, sondern vor allem von den indianischen indigenen Verbänden wie der Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (CONAIE). Die ersetzen vor allem in den Andenstaaten die klassischen Organisationsformen des Proletariats. (Nur in Bolivien ist beides weitgehend identisch – auch mit traditionell weitaus stärkerer Militanz: Bergarbeiter sind immer extrem gut organisiert und die Speerspitze, wenn es um etwas geht.) Damit ist garantiert, dass auch das „Land“ einbezogen ist. Eine „Revolución Ciudadana“ würde schnell in sich zusammenbrechen.

Ich bin heute froh, dass ich die Reisen durch Lateinamerika damals – vor vierzig Jahren – gemacht habe. Heute wäre das kaum noch so möglich, außer man machte einen großen Bogen um alles, was nach Klassenkampf aussieht. Dazu empfehle ich noch einmal den Film „Und dann der Regen“ von Icíar Bollaín. Besser kann man das Dilemma auch eines politisch interessierten Reisenden nicht beschreiben.

tunguragua
Markt von Otavalo, Ecuador 1979, bisher unveröffentlicht (vgl. Otavaleños, 15.01.2011)

Burning the Rainforest

alto beni
Sonnenaufgang am Rio Beni, Bolivien 1984

Die Washington Post hat einen interessanten Artikel über den Hype „Abfackeln des [bitte selbst ausfüllen]-Urwalds“: „Why Brazilian farmers are burning the rainforest — and why it’s difficult for Bolsonaro to stop them“.

Auch in Bolivien roden Siedler mit Feuer den Urwald. Ich schrieb am 30.08:
Wer fackelt die Regenwälder am schlimmsten ab? Nein, sondern der linke Bolivianische Prasident Morales. Kann man nachsehen in seinem Decreto Supremo 3973.

Wer vertritt die Interessen der bettelarmen Bauern, in Bolivien meistens aus dem Hochland, deren einzige Chance zum Überleben ist, sich in die noch nicht landwirtschaftlich genutzten (Ur-)Wälder aufzumachen? Bestimmt nicht die ökologisch gesinnten städtischen Mittelschichten in Europa, die sich ihre Gesinnung leisten können. Sie haben keine Lobby. Das Problem ist unlösbar. In Brasilien ist ohnehin ein großer Teil der Bevölkerung auf „Wanderschaft“ (Binnenmigration), um Arbeit und Auskommen zu finden.

chica alto beni
Mädchen aus Santa Ana de Alto Beni im Dschungel Boliviens, 1984

Nur für Weiße oder: Powersharing, Empowerment und Quemas controladas

Einreise USA

Ich habe immer noch keine Zeit (sechs 12-Stunden-Schichten in sieben Tagen), aber will dem Publikum dennoch die Weltläufte, die mich interessierten, nicht vorenthalten. Wie leben in eisigen, aber spannenden Zeiten.

Wer plant, in die USA zu reisen, sollte prüfen, was die so genannten Freunde in den so genannten sozialen Medien so von sich geben. Vielleicht solltet Ihr auch die Links zu burks.de vorher löschen.
U.S. officials deported Ajjawi, a 17-year-old Palestinian resident of Tyre, Lebanon, Friday night shortly after he arrived at Boston Logan International Airport. Before canceling Ajjawi’s visa, immigration officers subjected him to hours of questioning — at one point leaving to search his phone and computer — according to a written statement by Ajjawi. (…) The same officer then asked him to unlock his phone and laptop, and left to search them for roughly five hours, Ajjawi alleges. After the search, the officer questioned him about his friends’ social media activity.

And now for something completely different. Ich halte den „Diversity“-Quatsch für reaktionäre Esoterik des vom sozialen Abstieg bedrohten neuen Mittelschichten. Das sagte ich aber schon. Unter Generalverdacht stehen ohnehin Worthülsen in Denglisch oder Ähnlichem, die fast immer davon ablenken wollen, dass man nicht in der Lage ist, irgendetwas präzise auszudrücken.

Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW (sic! Fehlen da nicht noch die, die man nur mit Buchstabensalat kennzeichnen kann? Und wo bleiben die Behinderten disabled persons?) entblödet sich nicht, puren rassisstischen Unfug zu verbreiten und zu protegieren. Ich bin heilfroh, dass ich keine akademische Karriere eingeschlagen habe, sonst müsste ich mich mit solchen Idioten herumschlagen.

empowerment

Damit ich keinen Beifall von der falschen Seite bekomme: Ich habe nichts gegen gendersensible Pädagogik, die die „klassischen“ Geschlechterrollen in Frage stellt. Wenn ich aber Deutsch (?) des Grauens lese, etwa „die reflexive Koedukation als Best Practise?“ oder „Reflexive Koedukation zur Sensibilisierung beim Sexting“, dann weiß ich, was ich kriege.

And now for something completely different. Kurz einmal kalt duschen. Richard Schröder (von dem ich nicht allzuviel halte) sagt etwas Richtiges über „ungerechte Seenotrettung“ in der NZZ:
Das Problem der Seenotrettung war und ist, dass die Boote die europäischen Anrainerstaaten ansteuern und dann verlangen, dass alle Menschen aufgenommen werden. Das Seerecht verlangt aber, den nächstgelegenen sicheren Hafen anzulaufen. Wenn ich mich an der Grenze der libyschen Hoheitsgewässer befinde, liegt der nicht in Italien oder Malta, sondern in Afrika. Und wenn Libyen wegen des Bürgerkriegs unsicher ist, könnte man Tunesien ansteuern. Rettungsboote, die nach Europa fahren, liefern de facto die Dienstleistungen, für die Migranten Schlepper teuer bezahlen: eine sichere Fahrt übers Mittelmeer und illegale Einwanderung.

pando
Vgl. Der Kautschuksammler, revisited, 04.04.2011 – unser Gastgeber hatte das Land, was er für den Anbau brauchte, natürlich vorher abgebrannt.

Und noch eine kalte Dusche: Wer fackelt die Regenwälder am schlimmsten ab? Nein, sondern der linke Bolivianische Prasident Morales. Kann man nachsehen in seinem Decreto Supremo 3973.

Ich habe das durchgelesen, weil ich nur einer Quelle – N-TV – nicht über den Weg traue.
En los departamentos de Santa Cruz y Beni, se autoriza el desmonte para actividades agropecuarias en tierras privadas y comunitarias, que se enmarque en el Manejo Integral y Sustentable de Bosques y Tierra, conforme a los instrumentos de gestión específicos aprobados por la Autoridad de Fiscalización y Control Social de Bosques y Tierra – ABT, y sus Planes de Uso de Suelo vigentes. En ambos departamentos se permite las quemas controladas de acuerdo a reglamentación vigente, en las áreas clasificadas por el PLUS que así lo permitan.

Quemas controladas heißt „kontrollierte Brandrodungen“. Man müsste natürlich prüfen, wie das „kontrolliert“ (im Urwald!) aussehen soll.

And now for something completely different. Ich möchte gern wissen, wie der grüne Kreuzberger Stadtrat Florian Schmidt ein Gendersternchen ausspricht. Hat er nicht? Dann steht der Tagesspiegel bald auch auf meiner Muss-Ich-Nicht-Lesen-Liste.

Was er aber über Authentizität faselt, ist typisch reaktionärer Scheiß Unfug. Wer ausgerechnet am Hermannplatz von „Fremdkörpern“ redet, kann auch gleich in die AfD eintreten.
Die österreichische Immobilienentwickler Signa wollte das Karstadt-Warenhaus am Hermannplatz im alten Glanz erstrahlen lassen. Doch daraus wird wohl nichts, denn der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), sperrt sich gegen eine Rekonstruktion des historischen Gebäudes.

Ich hätte den Neubau gut gefunden.

Revolution usw.

Oruro

Fotografiert in der Bergarbeiterstadt Oruro, Bolivien 1984

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