Die Indianer lassen keinen rein
Bevor wir uns wieder den Weltläuften zuwenden: Ich habe hier einen Brief, den ich im November 1979 aus Belize an meine Eltern geschrieben habe. Ich musste doch sehr schmunzeln, als ich las, wie ich damals dachte und formulierte. Was ich schrieb, fasste meine damalige Reise von New York quer durch die USA und dann durch Mexiko zusammen.
„Kekoko“ ist übrigens lautmalerisch: Wir hatten keine Ahnung, wo das war, auch keinen Reiseführer und natürlich auch kein Internet. Wir mussten uns überall durchfragen. Gemeint ist die Caye Caulker, eine Insel vor der Küste von Belize. 1981 war ich noch einmal dort. Heute ist es dort sehr touristisch.
Man muss sich auch meine Eltern vorstellen, als sie den Brief erhielten. Wo und wie erhielt man damals Informationen über Belize? Zuhause gab es nur das Bertelsmann Volkslexikon und den Diercke Weltatlas. (Vier eng beschriebene dünne Seiten auf Luftpost-Papier. Die Rechtschreibung habe ich nicht verändert.)
Kekoko, 23.10.[1979]
Liebe Eltern!
Stellt Euch folgende Dinge vor: eine winzige Insel (200m breit, 800m lang), 2 Std. mit einem Fischerboot von Belize City entfernt auf einem Riff, 20 Häuser aus Holz, alle auf Pfählen, rundum Sandstrand, die ganze Insel voller Palmen, ab und zu ein Leguan, auf dem Wasser Pelikane, die fischen, ein paar Papageien, ein paar dunkelhäutige Leute, die alle wie Seeräuber aussehen, fast keine Touristen (genau genommen 8 außer uns) und das Wasser ist klar, daß man den Grund sieht und inmitten von Fischen schwimmt, außerdem sehr warm und den ganzen Tag 25-30°! Und dann stellt Euch Hartmut und mich vor, dann habt Ihr die Insel Kekoko [Caye Caulker] in der Karibik!
Im Augenblick ist es schon dunkel – die Sonne geht um 17:30 unter – jeden Tag ein Postkartenmotiv – und wir sitzen in der einzigen Kneipe am Strand, trinken Rum mit Cola (wie es sich gehört) und hören südamerikanische Musik.
Wir haben seit New York Sonnenschein, wenn wir draußen waren, und das sind immerhin schon 5 Wochen her. Ich kann nur über einige Eindrücke berichten, weil wir schon so viel erlebt haben und die Reise immer schöner wird. (Außerdem wird der Brief zu schwer und die Post ist nicht so sicher wie in Deutschland.)
Wir kamen am 18.9. abends in New York an. Schönes Wetter, aber leider streikten die Busfahrer. Wir mußten ein Taxi vom J.F.Kennedy-Flughafen nehmen. Die Leute, von denen ich die Adresse hatte, waren überrascht, weil sie sich nicht an mich erinnerten [eine Frau, die ich Monate zuvor mit dem Taxi in Berlin umherfuhr, hatte mir ihre Adresse in Queens gegeben]. Wir haben aber auf dem Dachboden übernachtet.
New York ist überwältigend groß. aber sehr schmutzig. Ich hatte mit der Kamera Schwierigkeiten; ich hoffe, daß die Bilder etwas geworden sind. Nach ein paar Tagen sind wir mit dem Bus nach New Orleans gefahren. Die Entfernungen in den USA sind etwas anders als in Deutschland: Wir haben 33 Stunden gebraucht! In den USA gibt es fast keine Eisenbahnen, und der Personenverkehr wir mit Bussen befördert.
In New Orleans gibt es ein altes Stadtviertel mit Häusern aus der französischen Kolonialzeit. Wir haben da den berühmten Houston zum Weltraumzentrum. Wir waren auch in dem Kontrollraum, den man im Fernsehen bei Mondfahrten sieht.
Von dort fuhren wir nach Santa Fe. Das ist eine berühmte Stadt des „Wilden Westens“. Die Fahrt dahin führte über 100e Kilometer durch die Prairie, alle 50 km eine Ranch. In Santa Fe gibt es eine ganze Menge Pueblos von Indianern, aber wir haben nur Museen besichtigt, weil die Indianer keinen reinlassen.
Von Santa Fe mit dem Bus genau nach Süden zur mexikanischen Grenze durch ein Gebiet (am Rio Grande), wo man hinter jeder Ecke Indianer vermutet.
Mexiko ist ganz anders. Ziemlich ärmliche Häuser (jedenfalls im Norden), aber ein sagenhafter Rummel auf den Straßen. Die Leute sind freundlich und hilfsbereit, wenn sie unser Schild „Alemania“ auf dem Rucksack lesen, weil sie [US-]Amerikaner nicht mögen. Im Bus haben wir jemanden getroffen, der uns erzählte, dass in der Gegend von Chihuahua 60000 deutsche Bauern leben.
Wir sind nach Cuauhtémoc gefahren und von einem deutschen Bauern auch prompt eingeladen worden. Er war 1924 von Rußland nach Mexiko eingewandert, sprach aber Deutsch. Natürlich haben wir Bratkartoffeln gegessen!
Nach 2 Tagen ausruhen sind wir mit dem Zug durch ein wildes Gebirge an den Pazifik gefahren. Noch was: die Bauern laufen noch in den Trachten der Jahrhundertwende herum! Der Gegensatz zu den Mexikanern in Cuauhtémoc, die alle wie Banditen aussehen und zu dem Sheriff, der mit Cowboyhut und Revolver herumläuft, ist recht komisch.
Von Los Mochis haben wir sofort Anschluß nach Guadalajara gehabt. Der Zug braucht 32 Stunden! Die Züge sind natürlich brechend voll, Händler verkaufen alles, vom Papagei bis zum Reibekuchen.
Kurz vor einer Weiche hielt der Zug an, die Leute von der Lok stiegen aus und würfelten erst einmal darum, wer die 10m gehen mußte, um die Weiche umzustellen. Die Strecke ist eingleisig, und ab und zu stoßen die Züge zusammen [erzählte man uns].
Von Guadalajara ging es nach Guanajuato (bei Leon). Die Stadt ist in eine enge Schlucht hineingebaut und hat nicht den Schachbrettgrundriß wie die meisten mexikanischen Städte. Wir sind lange in den kleinen Gäßchen herumspaziert.
Die Leute in Mexiko sind sehr oft arm, aber die Kinder spielen die große Rolle. 65% der Bevölkerung sind unter 24 Jahren alt. Die Schulbildung ist aber sehr ordentlich, wie wir aus Gesprächen mit Schulkindern erfahren haben. Unser Spanisch ist aber noch nicht sehr gut. Von der Silbermine habe ich eine Karte geschrieben.
Von Guanajuato fuhren wir nach Mexiko City = 12 Millionen Einwohner! In Mexiko [Stadt] sind wir tagelang in Museen herumgelaufen, die sehr beeindruckend sind. Die meisten behandeln die alten Indianerkulturen, weil die Mexikaner sehr stolz auf ihre Vergangenheit und ihr Land sind.
Wir haben sehr viel Pyramiden in der Umgebung besichtigt und sind der Meinung, daß die europäische Kultur der Antike dagegen sehr mickrig ist. Ich will darüber aber anhand der Dias ein bißchen erzählen, weil alles schrecklich viel war.
Von Mexiko City sind wir über Pueblo und Oaxaca (an den Vulkanen vorbei) nach Coatzacoalcos an der Karibik[küste] (mit mehreren Tagen Aufenthalt in mehreren Städten und Dörfern), von dort nach Merida, wo wir noch ein paar Ruinenstädte der Mayas besichtigt haben. Das war eines der beeindruckendsten Eindrücke der ganzen Reise.
Z.B. Monte Alban: eine Stadt der Zapoteken, die vor 1000 Jahren 150000 (!) Einwohner hatte, bis die Spanier sie zerstörten. 500m über der heutigen Stadt, bei sagenhaftem Fernblick, Dutzende von riesigen Tempeln und Pyramiden, halb vom Urwald überwachsen. Oder Uxmal bei Merida, eine riesige Pyramidenstadt mitten im Urwald.
In Yukatan [sic] (d.i. die Halbinsel, auf der Merida liegt, regnet es ein paar Mal am Tag, aber es bleibt warm. Man schwitzt wahnsinnig, nach dem Duschen ist man 5 Min. später wieder total durchgeschwitzt, obwohl in jedem Hotelzimmer ein Riesenpropeller an der Decke ist.
Mexiko ist für unsere Verhältnisse sehr billig, ein Hotelzimmer für 2 bekommt man für 8 Mark, ein Essen für genausoviel. Wir haben allerdings mehrere Leute getroffen, die sich nicht anpassen konnten, vor allem [US-]Amerikaner, die kein Wort Spanisch konnten und nur im Hotel oder im Cafe herumsaßen. Wir haben mit vielen Mexikanern gesprochen, mit Indianern auf dem Markt, die noch ihre alten Sprachen sprechen – Aztekisch oder Maya. Alle waren sehr nett. Aber in ein paar Jahren werden hier viele Neckermann-Touristen sein, die die Atmosphäre kaputtmachen.
Unangenehmes gibt es auch: hier [Caye Caulker] sind sehr viele Mücken und Sandfliegen, ich bin z. Zt. völlig zerstochen. Aber man gewöhnt sich daran, genauso wie die Cucarachas. Das sind Käfer [Schaben] mit langen Fühlern, ziemlich eklig, die überall herumkriechen. In Merida hatte wir auch Ameisen im Bett, aber um das zu vermeiden, muss man in Luxushotels übernachten. Aber dann kann man auch an die Ostsee fahren.
Von Merida sind wir nach Belize gefahren, das ist eine ehemalige englische Kolonie zwischen Mexiko und Guatemala an der karibischen Küste. Dort leben fast nur Farbige, Nachkommen der Sklaven aus Afrika, der Indios und der Seeräuber. Dementsprechend sehen sie auch aus.
Aber mir gefällt es hier sehr gut, keine Rassenvorurteile und sehr lustig. Wir hatten eine Adresse von dem deutschen Bauern aus Mexiko. Sein Sohn lebt 70km von der Grenze zu Mexiko in einem kleinen Dorf im Urwald. Dort leben auch die sog. Mennoniten, auch Nachfahren der deutschen Bauern, die noch wie um 1850 leben.
Morgentoilette meines Reisebegleiters, fotografiert am 20. oder 21.10.1979 in Belize in der Nähe des heute offenbar verlassenen Ortes Neustadt. Das Haus gehörte dem Sohn des Mennoniten, der uns in Cuauhtémoc eingeladen hatte (bisher unveröffentlicht).
Als Deutscher ist man eine Attraktion (vorausgesetzt man hat kurze Haare) und wird überall herumgereicht. Wir haben uns für ein paar Tage den Bauch mit deutscher Kost vollgeschlagen. Aber die Ansichten dieser Bauern sind haarsträubend: Wenn die deutsche Regierung Krieg mis Rußland anfangen würde, würden sofort alle kommen.
Hier herrschen auch noch Sitten wie im Wilden Westen, mit Prügelstrafe usw. Einige sind so konservativ, daß sie kein Autofahren, nur mit Pferd und Wagen und Traktoren mit Eisenrädern, weil Gummi zu modern ist.
Von dort sind wir mit LKWs nach Belize City getrampt, in Belize City haben wir Fischer gefragt, wie man zu dieser Insel fährt.
Hier bleiben wir bis Freitag, fahren dann nach Guatemala, bleiben dort 1 Woche und fliegen dann (wahrscheinlich über Nicaragua) nach Kolumbien. Dort werden wir Anfang November sein.
Viele Grüße an alle von Hartmut und Burkhard
P.S: Jetzt müsste ihr euch noch einen Sonnenbrand dazudenken.
Taos Pueblo
Taos Pueblo, New Mexico [USA]. Appearing much the same way as they have for several hundred years, these appartment-like dwellings are constructed of adobe (mud bricks), The igloo shaped structures in the foreground are native ovens, used by indian women flr akk types of baking, especially bread.
Postkarte an meinen Großvater, 26.09.1979.
New Orleans, revisited
Die Postkarte habe ich am 24.09.1979 in New Orleans abgeschickt. Sie kam am 02.10. an.
Ich habe leider die Perspektive nicht wiedergefunden. Auf der Postkarte steht eindeutig „Saint Peter Street“ – die gibt es im Bayou St. John und ist nicht so pittoresk. Sie wird aber durch den Louis Armstrong Park unterbrochen. Vermutlich ist daher der untere Teil gemeint, der bis zum Hafen führt.
Mississippi ist schmutzig. Morgen fahren wir über Houston (NASA-Kontrollzentrum) nach Santa Fe, um uns Indianerpueblos anzusehen.
Darf man das heute noch auf unverschlüsselte Postkarten schreiben, oder wird man wegen Hassrede angezeigt?
Scanlan Fountain
Scanlan Fountain im Sam Houston Park in Houston, erbaut 1891, „surrounded by the skyscrapers and freeways“. Das Gebäude im Hintergrund (Heritage Plaza Tower) liegt an der Bagby Street. Die St. John Church in demselben Park hatte ich hier schon gepostet. Fotografiert am 23.09.1979.
French Quarter
French Quarter in New Orleans, fotografiert am 23.09.1979. Ich bin mir nicht ganz sicher, welches Gebäude das ist – es wird vermutlich die 699 Royal Street sein.
Bell Gal und ein Spaziergang am Mississippi
Am Mississippi in New Orleans, fotografiert am 23.09.1979. Aus meinem Reisetagebuch:
French Quarter soll kriminell sein, sechs Tote pro Woche. Schwarzer Jazz in der Preservation Hall. St. Peter Street. Sweet Emma Band. Frau im Rollstuhl spielt einhändig. Jim Robinson Thrombonist. Spielen schon seit den 20-ern. Tolle Stimmung, thank you, musik lovers. Aber viele Busse voller deutscher Touristen. Striptease in der Bourbon Street.
[Ich merke erst jetzt, dass diese Band auf der Website der Preservation Hall abgebildet ist. Ich habe also Emma Barrett live erlebt, vier Jahre vor ihrem Tod. Unfassbar. „In 1967, she suffered a stroke that paralyzed her left side, but she continued to work, and occasionally to record. She played music until her death in 1983 at the age of 85″. Schade, dass ich nicht selbst ein Foto gemacht habe. Aber dafür habe ich noch eine Postkarte (siehe unten).]
Nice American gibt uns Informationen über Santa Fe. Kolumbien soll möglich sein [uns wurde immer abgeraten, weil das zu gefährlich sei. Merke: Es gab kein Internet, und wir hatten keinen Reiseführer, mussten uns also selbst umhören.] Wanzen im Zimmer. Banjospieler mit Kautabak. Großer Unterschied zwischen schwarzem und weißen Jazz.
23.09 (…) Interessantes Gespräch über zwei Stunden mit einem schwarzen Banker über alles mögliche. Kennt Karl Marx. Hält Ökonomen für dumm. Spaziergang am Mississippi. Treffen andauernd deutsche Touristengruppen. Verlassen New Orleans gegen 11 Uhr abends….
Ich kann nicht herausfinden, wo wir damals gesessen haben. Dafür gibt das Foto zu wenig her. Außerdem wird das heute anders aussehen.
(Der Mississippi ist übrigens der viertlängste Fluss der Welt. Ich sollte noch den Nil fotografieren und den Jangtsekiang. Den Amazonas habe ich schon oft gesehen… Ruanda lässt sich bereisen, und da entspringt der Nil.)
Postkarte, die ich am 26.09.1979 aus New Orleans nach Berlin geschrieben habe. Am 23.09. war ich in der Preservation Hall bei einem Konzert.
Mobile Homes in Odessa
Das Foto ergänzt meinen Beitrag über Mobile Homes vom 13.09.2023. Irgendwo im Süden der USA, fotografiert Ende September 1979. Das Schild zeigt, wo genau ich war – schon in Texas, in Odessa. „Die Stadt liegt an der Texas and Pacific Railway, der Interstate 20, dem U.S. Highway 80 und dem U.S. Highway 385 im Westen von Texas, ist etwa 80 Kilometer von der südöstlichen Ecke von New Mexico entfernt.“ Ich denke, der Bus fuhr von Fort Worth nach Ciudad Juarez und von da nach Norden nach Santa Fe, unserem Reiseziel. Vom dort aus sind wir dann wieder nach Süden über die mexikanische Grenze.
Mobile Homes oder: American Way of Life
Mobile Homes, sogar ein ganzer Park davon, irgendwo im Süden der USA, fotografiert Ende September 1979. Das Original-Dia hatte einen starken Grünstich, weil durch die getönten Scheiben eines Greyhound-Busses geknipst.
„2018 gab es in Amerika etwa 8,5 Millionen Mobilheime, das entspricht etwa 10 % des Wohnungsbestands. Mobilheime sind ein überwiegend amerikanisches Phänomen…“ Ich sah so etwas zum ersten Mal und staunte. Was muss das für ein Lebensgefühl sein? Mit „Camping“ hat das nichts zu tun. Welche soziale Kompetenz muss man haben? Sich sofort „anfreunden“ zu können? Keinen Wert auf langfristige Loyalität oder Freundschaften zu lesen? Oder ist es aus der Not und Wohnungsnot geboren? Einen Steinway-Flügel kann man so nicht mit sich herumschleppen.
Aus meinem Reisetagebuch, 25.09.1979: Im Busbahnhof [von Houston] zwei Engländer, die sich darüber beschweren, dass niemand ihre Flagge kennt. Abfahrt abends 8:00 in Richtung Roswell – Santa Fe. Busfahrt beginnt ab Fort Stockton interessant zu werden. Stundenlang Prairie und nur wenige Ranches. Graubrauner Acker mit Büschen und Gras. Bis Santa Fe hügeliger und Western-Filmkulisse. Quatsche ältere Frau an, die etwas über Indianer erzählt. US-Government baut Häuser, Indianer aber wohnen weiter in Pueblos.
Ankunft Santa Fe fünf Uhr nachmittags. Sehr schöne Häuser im Puenlo-Stil. 35.000 inhabitants. Rasenv om Busbahnhof zum nicht vorhandenen Informationszentrum, landen wieder im Busbahnhof. Telefonauskunft weiß weder von einem YMCA noch von irgendeinem Youth Hostel. Versuchen es bei [einem] Popen, der schickt uns zur Heilsarmee, doch die hat geschlossen.
Landen in einer schicken Kneipe mit Freaks. 2 Leute empfehlen De Vargas Hotel [Heute Hotel St. Francis] genau am Busbahnhof. Zimmer für 22 $ mit Bad [kostet heute 400 $ pro Nacht].
By the way. Greyhound wurde von Flixbus aufgekauft. Dazu braucht man nur zwei Informationen. 1) „Greyhound hat wegen der Pandemie im letzten Geschäftsjahr einen Betriebsverlust von umgerechnet zehn Millionen Euro eingefahren.“ 2) „Mit Greyhound übernimmt man allerdings 1200 Busse samt Fahrer. Über die Jahre will Flixmobility aber auch in den USA den Busbetrieb auf externe Partner umstellen.“ Das heißt: Die firmeneigenen Fahrer werden langfristig rausgeworfen, das variable Kapital also outgesourced. American way of Life.
H und Motel
Oben: im Hotel „Earle“, New York, das heute Washington Square Hotel heißt und eben direkt an diesem Platz im berühmten Viertel Greenwich Village liegt.
Unten: Irgendwo in einem Motel in Dutch Pennsylvania, fotografiert im September 1981. Wir hatten den kühnen Plan, von New York quer durch die USA nach Texas zu trampen. Wir sind irgendwie mit Lokalbussen über New Jersey nach Pennsylvania gekommen, was von den Einheimischen Dutch Pennsylvania genannt wurden. Dann standen wir stundenlang an irgendwelchen Highways und wurden nur immer kleine Strecken mitgenommen, meistens von Leuten, die neugierig waren, wer wir waren, weil dort niemand trampt.
Irgendwann setzte uns jemand in einer Kleinstadt ab, dessen Name ich vergessen habe, und wir speisten in einem China-Restaurant, dessen einzig vorhandene Sauce Ketchup in einer Flasche war.
Das war mein erstes Motel überhaupt in den USA: Auf der ersten Reise 1979 bin ich immer in „richtigen“ Hotels oder beim YMCA abgestiegen.
Am nächsten Morgen sind wir dann zu örtlichen Busstation von Trailways und beschlossen, direkt bis El Paso zu fahren.
Unbeschreiblich ist das Gefühl zu wissen, dass man noch ein halbes Jahr Reise vor sich hat…
Museum of Holography
Postkarte aus dem Museum of Holography, New York. Die Ausstellung war damals in der 11 Mercer Street. Ich habe es am 19. oder 20.09.1979 besucht. Wahrscheinlich ist das Projekt im Virtual Museum of Holography aufgegangen.
Artists jumped on the technology in the mid-1960s, and a Museum of Holography was founded on Mercer Street in SoHo in 1976, with a first exhibition that went on to travel around the world…
Brooklyn Bridge
Brooklyn Bridge, New York, USA, fotografiert im September 1981. Heute sieht das da anders aus.
NASA Visitor Program
Space Center der NASA aka Lyndon B. Johnson Space Center in Houston, Texas, USA, fotografiert am 24.09.1979 Das untere Foto hatte ich 2014 schon einmal hier veröffentlicht. Die Broschüre für Besucher habe ich für das interessierte Publikum eingescannt. Ich war auch im Kontrollraum und habe dort ein Foto gemacht – leider ist das Dia verlorengegangen.
Durch die Wüste
September 1981, irgendwo im Südwesten der USA auf dem Weg nach Texas und New Mexico (durch die Scheiben eines Busses fotografiert, daher der Grünstich).
Panorama
Beginnen wir diesen vermutlich sonnigen Spätsommertag mit einem Bilderrätsel: Wo und wann habe ich das Foto gemacht und was zeigt es?
Ich helfe euch auch auf die Sprünge. Vietnam vertreibt die Roten Khmer aus Kambodscha. Ruhollah Chomeini kehrt in den Iran zurück. Saddam Hussein kommt an die Macht. Israel schließt Frieden mit Ägypten und zieht sich von der Sinai-Halbinsel zurück. Margaret Thatcher wird Premierminister in Großbritannien. Die sandinistische Revolution vertreibt den Diktator Nicaraguas. Sowjetische Truppen marschieren in Afghanistan ein. Kardinal Antonio Samorè verhindert im Auftrag des Papstes einen Krieg zwischen Chile und Argentinien. Die Volksrepublik China marschiert in Vietnam ein. Dänemark entlässt Grönland in die Selbsterwaltung. Großbitannien zieht aus Malta ab. Tansania gewinnt den Krieg gegen Uganda. Franz Josef Strauß wird Kanzlerkandidat der CDU/CSU. Kiribati wird unabhängig. Die deutsche Großstadt Lahn wird aufgelöst. Die IRA ermordet Louis Mountbatten, den letzten Vizekönig Indiens. Iranische Studenten besetzen die Botschaft der USA in Teheran und nehmen Geiseln. In Mekka wird die Große Moschee von Bewaffneten besetzt. Die amerikanische Raumsonde Voyager 1 fliegt am Jupiter vorbei. Die deutschen Metallarbeiter streiken für die 35-Stunden-Woche. Der österreichische Bundespräsident eröffnet das Islamische Zentrum Wien mit der ersten Moschee in Österreich. Burkhard Schröder macht sein Staatsexamen für das höhere Lehramt.
Was für ein Jahr!
Dog Days
New Orleans, 22. September 1979. Aus meinem Reisetagebuch:
Schlechtes Wetter [bei der Abfahrt von New York] und anstrengende Busfahrt. Washington DC – wir sehen das Capitol [Thomas Jefferson Memorial] von weitem. Nach 33 Stunden Ankunft in New Orleans. Kilometerlanger Sandstrand mit Palmen [Vermutlich bei Gulfport]. YMCA New Orleans kostet 16 Dollar pro Doppelzimmer. Ziemlich mieses Loch.
Treffen Brian, einen Australier [der mit der blauen Jacke im Vordergrund]. Essen zusammen im French Quarter. Tolle Kolonialatmosphäre mit alten französischen Häusern. Dixieland-Kneipe ist zwar Nepp total (3.75$ pro Bier), aber voller wunderschöner Frauen.
Drei Stunden vor New Orleans sieht man noch die Folgen des Hurrikans, umgestürzte Bäume und zerstörte Häuser. Längste Brücke der Welt [falsch] über die Swamps von Luisiana. Bombenwetter. Dog days.
Go Big Red
Mit diesem Bus bin ich 1981 quer durch die USA bis an die Grenze zu Mexiko gereist.
Wir waren von New York nach Pennsylvania getrampt, dort aber irgendwie in der Pampa steckengeblieben. Wenn man stundenlang an US-amerikanischen Straßen wartet und immer nur ein paar Kilometer weiterkommt, will sich das Gefühl von Freiheit und Abenteuer im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht wirklich einstellen. In irgendeinem Ort, dessen Namen ich mir nicht notiert hatte, sahen wir dann eine Busstation von Trailways und beschlossen, direkt bis El Paso zu fahren. „Big Red“ war wohl damals eine ernst zu nehmende Konkurrenz von Greyhound Lines.
Das Foto habe ich im September 1981 irgendwo im Südwesten der USA – vermutlich schon in Texas – aufgenommen.
Texit oder: Remember the Alamo!
Texas spaltet sich vielleicht von den USA ab. Das Thema ist nicht neu. Außerdem gab es schon einmal die Republik Texas.
Texas ist doppelt so groß wie Deutschland. Seine Wirtschaft ist etwa so groß wie die Kanadas oder Brasiliens.
Wie ist das einzuschätzen? Ist der Texit vergleichbar mit Katalonien, Schottland, Kurdistan, den Basken? Sollen wir den Zerfall von Nationalstaaten begrüßen, weil sie mit Amazon dem weltweiten kapitalistischen Markt obsolet geworden sind?
El Chepe oder: Archäologie des Befindens
Cuauhtémoc im Norden Mexikos im Bundesstaat Chihuahua. Über meinen zweiten Aufenthalt in Cuauhtémoc 1981 habe ich am 25.05.2013 schon etwas geschrieben.
Wir könnten heute Sean Connery huldigen oder ihm zum Geburtstag gratulieren. Oder über den Landesparteitag der Link*innen lustig machen, wo man – immerhin! – den Kapitalismus*innen an die Kett*innen legen will – nach der Maxime: Immer die selben Leute treffen sich zu Veranstaltungen, um sich dort gegenseitig zu bestätigen und bejubeln, dass sie auf dem richtigen Weg zur Fünfprozenthürde sind und dass es ganz großartig ist, wenn man halb so viele Stimmen wie weiland die KPD bekommt.
Apropos Weg: Ich musste mir gestern wieder die Frage nach der Zahl 42 stellen, dröselte ich doch stundenlang an eingescannten uralten Dias Fotos, rund zweitausend oder mehr an der Zahl, die zu katalogisieren und den Nachgeborenen zu erhalten ich mir zur Aufgabe gemacht habe, trotz deren zum Teil desaströsen, weil im Original verstaubten Zustands. Ich stellte mir vor, jemand schaute die (wie?) in einem halben Jahrhundert an, eingedenk der oral überlieferten Tatsache, dass der besagte Vorfahre damals in Zeiten, bevor es das Internet als Massenmedium gab, in Lateinamerika auf das Abenteuerlichste herumgereist sei. Ist das in irgendeiner Weise relevant? Oder werden diese Nachfahren verständnislos auf diese Fotos starren und mich für bekloppt erachten, weil ich zum Beispiel 1979 es versäumte, gleich Videos zu drehen – anstatt platt und zweidimensional etwas zu dokumentieren, was für andere ohnehin keinen Sinn ergibt? Ich sage nur: Dias! Wie meinen?
Gestern schaute ich Passagen meines ersten Reisetagebuchs (1979/80) an; einige Stellen hatte ich seit dem Notieren nie wieder gelesen. Merkwürdig, was ich damals wichtig fand! Das Geschreibsel klingt irgendwie hilflos und naiv. Es war meine erste Reise außerhalb Europas, und vorher war ich auch nicht viel herumgekommen. Ich plante ursprünglich, ins kalte Wasser zu springen und allein loszuziehen, aber ein Freund wollte unbedingt mit (was ich später bedauerte, weil wir nicht dieselbe Art des Abenteuerns mochten und oft vor der Option standen, getrennt weiterzureisen. Es war wie in der Ehe eine Frage des Abwägens der Vor- und Nachteile.)
Ich versuchte, mir mich selbst vorzustellen: Die paar Wochen in den USA waren exotisch: New York, New Orleans, das Space Center in Houston (leider ist das Foto, was ich im Kontrollraum gemacht hatte, verschollen), Santa Fe. Aber danach wurde es ganz anders: Mexiko?! Eine mir damals noch ziemlich fremde Sprache – was würde mich erwarten? Und danach: Südamerika? In meinem Tagebuch steht am Anfang nur Belangloses. Erst eine Busfahrt entlang des Rio Grande in Richtung El Paso „weckte“ mich auf: Ritten da nicht die Apachen entlang – oder so? Was macht man eigentlich, wenn man reist?
Ich hatte einfach Glück. Oder macht man instinktiv etwas, was zum größtmöglichen Abenteuer führt? Aus meinem Reisetagebuch:
27.9.1979 Fahrt Santa Fe – Albuquerque – El Paso. Western-Kulisse am Rio Grande entlang. In El Paso drei Mal die Grenze [zu Mexiko, kleines Foto] überquert, da uns beim ersten Mal der Grenzer in Mexiko zurückschickt, weil kein Zug mehr fahre. Beim zweiten Mal sagen wir, laut Touristen-Information, dass wir mit dem Bus fahren würden, Er lässt uns durch. Fahrt mit dem ordinario [Lokalbus] durch das nächtliche Ciudad Juarez. Erste Gespräche auf Spanisch. [Ich habe nie Spanisch „ordentlich“ gelernt. Ich hatte Latein und Französisch in der Schule, der Rest war learning by doing.]
Hof von Mennoniten in Cuauhtémoc, im Hintergrund eine ihrer typischen Kutschen. Die orthodoxen Mennoniten benutzen keine Autos.
28.09. Kommen im 1.30 Uhr nachts in Chihuahua an. Suchen ein Hotel, es gibt nur eines mit allem Konfort (damals 250 Pesos pro Nacht). Sind zu müde, um ein anderes zu suchen. Frühstück: Tortillas! Fahren mit dem Bus nach Cuauhtémoc. Der Bus ist gerammelt voll. Cuauhtémoc hat einen komischen Bahnhof. Ein Kerl [ein Mennonite], dem die Getreidesilos gehören, spricht uns an. Nachdem er gehört hat, dass wir aus Alémania federal kommen [und nicht aus der DDR], lädt er uns zu sich ein, Wir verbringen den Nachmittag im Café [Ausblick von dort oberstes Foto], trinken zahllose Cola und spielen Schach. Die Bettler kommen uns bis ins Café hinterher. Viele Schuhputzerjungen. Mennoniten in traditioneller Tracht.
In der Nähe des Bahnhofs von Cuauhtémoc, im Hintergrund Mennoniten-Jungen mit Cowboy-Hut, den alle Männer tragen.
Bei den Mennoniten abends gibt es Bratkartoffeln mit Bouletten. Lange Gespräche. Der Mann behauptet, die Mexikaner enteigneten alle reichen Bauern. Wir kriegen die Adresse seines Sohnes in Belize!
29.09. Frühstück mit anderen Mennoniten. Fresspakete für uns: Brote mit Schinken. Redekop [der Familienname des Mennoniten] organisiert den Fahrkartenverkauf, so dass wir bevorzugt werden.
Bahnstrecke Cuauhtémoc nach El Sufragio – Ferrocarril Chihuahua al Pacífico
Der Zug nach El Sufragio [Sonora] fährt um 10 Uhr. Keine Schranken an den Gleisen, keine Signaltöne. Kaputte Scheiben, Musik und fliegende Händler. Das Gebirge ist abenteuerlich: 89 Tunnels und 40 Brücken. Zwischenstopp an der Barranca del Cobre [„Kupferschlucht“, Foto ganz unten]. Viele ärmliche Dörfer, die Leute hausen zum Teil ins ausrangierten Waggons. Händler verkaufen Papageien, Tacos, Bananen, Tequila.
Heute weiß ich, dass die Zug „El Chepe“ genannt wird und dass ich auf einer der exotischsten und aufregendsten Eisenbahnrouten der Welt war. Wikipedia zu dieser Strecke: „Von der Hafenstadt Topolobampo an der Pazifikküste führt die Strecke über Los Mochis [dort liegt El Sufragio] nach El Fuerte und schlängelt sich dann durch die zerklüfteten Felsen der Sierra Madre Occidental, vorbei an schwindelerregend tiefen Schluchten und bizarren Felsformationen. Über viele Brücken und durch zahlreiche Tunnel wird ein Höhenunterschied von 2400 m bewältigt. Während der mehrere Stunden dauernden Reise durchfährt der Zug verschiedene Landschafts- und Vegetationsformen: die Pazifikküste mit ihrem subtropischen Klima genauso wie kühle Bergregionen und Kakteensteppen.“
Wir kommen abends um 20 Uhr in Sufragio an und haben sofort Anschluss nach Guadalajara. Eine sehr kesse Mexikanerin, die angeblich in Florida als Diätassistentin gearbeitet hat, gibt uns ihre Adresse und die ihrer Freundin in Lima, Peru.
29.09. Um fünf Uhr am Morgen sind es schon 25 Grad [im Zug]. Sonnenaufgang im Gebirge, dazwischen Palmen im Nebel, davor grünes, wucherndes Gestrüpp. Hinter jedem Tunnel ist ein Postkarten-Motiv. Der Zug braucht 22 1/2 Stunden. Wir sind total verdreckt, aber bekommen zum Glück vom Fraß der fliegenden Händler keinen Durchfall.
War das jetzt wichtig zu erfahren? Wichtiger als die aktuellen Nachrichten? Ich bin ein egoistischer Schreiber und mache, was ich will. Zu meinen Fotos fällt mir oft mehr ein und ich muss mehr recherchieren als etwa bei schlechten Nachrichten zur aktuellen Seuche, Gift oder nicht Gift oder zum gegenwärtigen Vorsitzenden des Ausschusses der herrschenden Klasse in den USA.
Kupferschlucht (Barranca del Cobre)
Palace of the Governors
Palace of the Governors, Santa Fe, USA, fotografiert am 26.9.1979. Ich stand auf der Lincoln Avenue.
Meinem Reisetagebuch entnehme ich, dass wir im De Vargas Hotel waren, das heute Hotel St. Francis heißt. Damals haben wir für ein Doppelzimmer mit Bad 22 Dollar bezahlt. Heute kostet es das Fünffache.
1891 St. John Church
Houston, Texas, USA, 1891 St. John Church, im Sam Houston Park, fotografiert am 23.09.1979.
The 1891 St. John Church was built by German and Swiss immigrant farmers in northwest Harris County for their Evangelical Lutheran congregation. It was either the second or third church building for the congregation, which formed around 1860. Services were held primarily in German until the 1930s.
In meinem Reisetagebuch fand ich noch: „Im Busbahnhof zwei Engländer, die sich darüber beschweren, dass niemand ihre Flagge kennt. Zwei Franzosen sprechen kein Englisch, ich muss beim Fahrkartenkauf übersetzen. Wir werden nach Santa Fe über Fort Stockton fahren.“