Bullshit ist ein Feature, kein Bug

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„Ein Beispiel dafür wäre etwas, was in der Biologie fast immer hilfreich ist: mehr Energie zu erhalten. „Das erste, was passieren könnte, ist also, dass ein solches System sagt: ‚Wir brauchen mehr Energie. Lasst uns den ganzen Strom zu meinen Prozessoren umleiten.‘ Ein weiteres großes Unterziel wäre dann, mehr Kopien von sich selbst zu machen. Hört sich das für Sie gut an?“ (aus William Hertling: Singularity – via Heise-Forum)

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Ich darf das roboteraffine Publikum auf einen Heise-Artikel über Geoffrey Hinton aufmerksam machen (leider Paywall). „Warnt vor Gefahren“ ist natürlich langweilig, das hat schon Stanislaw Lem getan, vor allem in Ananke, vor mehr als einem halben Jahrhundert. Die „Gefahr“ ist eher, so Lem, dass die Geschöpfe der Robotik uns ähnlicher sind bzw. sein werden als zu wünschen wäre. (Was sagt KI zum Ukraine-Krieg?)

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Geoffrey Hinton, credits: playgroundai.com

Hintons Sicht der Dinge wurde maßgeblich von der neuen Generation großer Sprachmodelle verändert, insbesondere GPT-4 von OpenAI, das im März heraus kam. Es habe ihm klar gemacht, dass Maschinen auf dem Weg sind, viel schlauer zu werden, als er dachte, sagt er. Es beunruhigt ihn, wie sich das entwickeln könnte. „Diese Dinger sind völlig anders als wir“, sagt er.“

Das wage ich aus philosophischer Sicht zu bezweifeln. Der Mensch hätte, wenn KI – in welcher Form auch immer – so anders wäre als er selbst, unbewusst etwas geschaffen, dass er dann auch nicht verstehen könnte. (Darüber muss ich noch nachdenken. Was sagt Hegel?)

Das Ziel sind selbst lernende neuronale Netze. Die sind aber nicht anders als das menschliche Gehirn, nur ausgelagert, wie jedes andere Werkzeug auch.

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„Unsere Gehirne haben 100 Billionen Verbindungen“, sagt Hinton. „Große Sprachmodelle haben bis zu einer halben Billion, höchstens eine Billion.“ Doch GPT-4 wisse Hunderte Male mehr als jeder Mensch.“

„Wissen“ ist aber nur ein technisches Problem. Hätte ein Mensch in einer Nanosekunde alles im Internet vorhandene Wissen zur Hand, wäre er genau so schlau. Das Problem ist doch eher, wie man damit umgeht und wie man es einordnet.

Hal, stelle mir alle verfügbaren Quellen zusammen, die den Übergang von der Sklavenhaltergesellschaft zum Feudalismus ökonomisch erklären, insbesondere die Spezifik, warum ein Zusammenhang bestehen könnte zur Herausbildung des spezifische Kapitalismus in Nordwesteuropa. Oder: Hal, gibt es Klassenkampf im 中国特色社会主义)?

robot

Bullshitting sei ein Feature, kein Bug. „Menschen konfabulieren immer“, sagt er. Halbwahrheiten und falsch erinnerte Details seien Kennzeichen der menschlichen Konversation: „Konfabulation ist ein Merkmal des menschlichen Gedächtnisses.“ Diese Modelle machten damit, sagt Hinton, etwas genauso wie Menschen. Der Unterschied bestehe darin, dass Menschen normalerweise mehr oder weniger korrekt konfabulieren. Das Erfinden sei nicht das Problem. Computer brauchen einfach ein bisschen mehr Übung.

robot

Meine zwei Cents dazu: KI wird den Kapitalismus revolutionieren wie schon das Internet, ihn aber nicht abschaffen. Roboter sind Teil der Produktivkräfte, nicht mehr. Aber vielleicht gibt es ja doch eine Überraschung, wenn der erste Roboter anfängt, Karl Marx zu lesen…

Sex, Krieg und Bodenschätze

puff
Bordellszene, Braunschweiger Monogrammist, 1537; Gemäldegalerie Berlin

– Apropos „Sex geht immer“, also auch käuflicher. In der Hinter-der-Paywall-Qualitätsmedien lese ich: Die Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär, nimmt die Ergebnisse zum Anlass für eine Positionierung für eine andere Rechtslage. „Nach vielen Gesprächen mit Betroffenen und Vor-Ort-Besuchen ist meine Überzeugung: Alles ist besser, als was jetzt ist. Ich persönlich bin für die Einführung des Nordischen Modells in Deutschland“, sagte die CSU-Politikerin.

Das mit dem „vor Ort“ glaube ich sowieso nicht. Die Politikerin „mit Herz“ möchte also Prostituierte in die Illegalität treiben, weil deren Tätigkeit – die Simulation der geschlechtlichen Vermehrung – zwar legal bleibt, aber die Kunden vertrieben werden. Das wird Zuhälter freuen, die dann „geschützte Räume“ anbiete werden, in denen sich nichts nachweisen lässt, es sei denn durch Lockspitzelinnen. Das Thema erinnert mich sehr stark an Drogenpolitik: Man schlägt sich fassungslos die Hände vor’s Gesicht, wenn man hört, was Politiker so absondern und fragt sich, wie bekloppt eine(r) allein sein kann.

bakhmut

– Nun zu uns, Russen. In der bürgerlichen Presse fand ich – wieder hinter der Paywall – ein hervorragendes Interview mit dem in Deutschland lebenden russischen Journalisten Nikita Gerasimov (der hat denselben Beruf wie ich: freier Journalist und „Konfliktbeobachter“. Aber wie verdient man damit Ged, um die Miete zu bezahlen?)

Gerasimov: In Deutschland ist die Vorgeschichte des Krieges seit dem 24. Februar tatsächlich fast komplett verschwunden. In Russland und der Ukraine keinesfalls. In den Kriegsdebatten beider Länder werden die Jahre 2014 bis 2022 und die Kausalitäten derzeit umso ausgiebiger diskutiert. In der Ukraine gibt es beispielsweise eine starke Meinungsströmung, dass der Krieg nicht im Februar 2022 begann, sondern eigentlich schon 2014. Der 24. Februar habe nur die nächste, vermutlich die finale Phase des längeren Krieges eingeläutet.

In Russland wird die Zeit vor 2022 vor allem vor dem Hintergrund diskutiert, ob und was man alles anders hätte machen können. Verbreitet ist etwa die Meinung, dass Moskau gleich im Jahr 2014 in die eine oder andere Richtung „die Sache klarmachen musste“ – also entweder den Donbass ganz lassen oder gleich bis nach Kiew vorrücken. (…)

Nach meinem Empfinden ist die Vorgeschichte des Krieges nur in Deutschland aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. In der Ukraine und Russland ist sie dagegen permanent da, nur natürlich mit umgedrehten Vorzeichen, aber oftmals mit demselben Fazit: Der Krieg sei ab einem bestimmten point of no return unvermeidbar gewesen. Der habe Jahre vor dem 24. Februar 2022 gelegen. (…)

Etwas ketzerisch gefragt: Hatte Russland überhaupt einen Plan oder nur die von Putin in seiner Fernsehansprache vom 21. Februar formulierten Motive?
Gerasimov: Aus meiner Sicht war es vor allem eine massive Unterschätzung des Gegners und eine Fehleinschätzung der Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung. Die Verantwortlichen gingen davon aus, dass es kaum bis gar keinen Widerstand geben würde. Möglicherweise, dass die einrückenden russischen Truppen in manchen ukrainischen Regionen feierlich mit Blumen empfangen werden. Die Kolonnen rückten teilweise in Paradeformation ein. Eine fatale Fehleinschätzung.

Vor allem in der Ukraine und in Polen nehmen Aussagen zu, dass das finale Ziel des Krieges nicht mehr die Verteidigung der ukrainischen Grenzen und Territorien sein solle, sondern langfristig ein Zusammenbruch oder eine Aufteilung Russlands. (…) Mit solchen Aussagen schadet sich Kiew vor allem selbst, denn es heizt in Russland die „Moral an der Heimatfront“, wie Sie es formulieren, erst an und erleichtert es russischen Medien, die Bevölkerung zu mobilisieren. (…)

Mit jedem Monat dürfte die Ukraine größere Schwierigkeiten haben, junge Männer für den Krieg zu mobilisieren. Auf russischer Seite dürfte die Lage ähnlich sein, wobei die Ressourcen dort natürlich um ein Vielfaches größer sind. (…)

ich denke, die Medien sollten vielmehr „nur“ beschreiben, was passiert. Informieren, im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht versuchen, dem Leser – oder Zuschauer – eine vorgefertigte Meinung vorzulegen. Der Leser soll die Chance haben, sich seine Meinung selbst zu bilden. Das versteht man ja unter einem „mündigen Bürger“. Versucht man, eine Meinung vorgefertigt vorzulegen, fühlt sich der Leser schnell bevormundet und weicht auf alternative Quellen aus. Insgesamt führt dies dazu, dass sich viele von den klassischen Medien abwenden und stattdessen Informationen auf Telegram, Twitter und Co. suchen. Diese Tendenz ist natürlich nicht nur in Deutschland zu beobachten, sondern verstärkt insbesondere in Russland und der Ukraine. Gerade die jüngere Generation steigt fast komplett auf alternative Informationsangebote um.

Full ack, Euer Ehren.

chile lithium
Source: Sociedad Quimica Minera de Chile (SQM)

– Die Lautsprecher des Kapitals jaulen auf: „Chile verfügt über die größten Lithium-Reserven der Welt. Staatschef Gabriel Boric will die Bodenschätze staatlich kontrollieren.“ Mal sehen, wann die USA wieder einen Putsch organisieren. Ist hier jemand Aktionär?

– Apropos „Wo kommt die Kohle her?“ Falls jemand gerade keine Geschäftsidee hat: Bei Twitter gibt es einen Thread dazu. Stichworte: „interdisziplinäre Expertise zu Themen wie Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus.“ Ist sowas wie „Völkerrecht“. Man wird war kein Außenminister, aber ohne viel Ausbildung auch als Quereinsteiger CEO einer schwerreichen Stiftung. (Nein, meine ursprüngliche Quelle war eine sehr attraktive junge Dame, von der ich hoffe, dass sie im Kopf nicht allzu klimageschädigt ist.)

Hybride Regime oder: Die verratene Revolution

sowjetunion
survey findingsThe map reflects the findings of Freedom House’s Nations in Transit 2021 survey, which assessed the status of democratic development in 29 countries from Central Europe to Central Asia during 2020. Freedom House introduced a Democracy Score—an average of each country’s ratings on all of the indicators covered by Nations in Transit—beginning with the 2004 edition. The Democracy Score is designed to simplify analysis of the countries’ overall progress or deterioration from year to year. Based on the Democracy Score and its scale of 1 to 7, Freedom House has defined the following regime types: Consolidated Authoritarian Regime (1.00–2.00), Semi-Consolidated Authoritarian Regime (2.01–3.00), Transitional/Hybrid Regime (3.01–4.00), Semi-Consolidated Democracy (4.01–5.00), Consolidated Democracy (5.01–7.00). (Credits: Freedom House)

Wir müssen über die Sowjetunion den russischen Kapitalismus reden. Wie unterscheidet sich dieser vom Kapitalismus „westlicher“ Prägung? Ist er weniger entwickelt? Oder ist er anders, weil er aus dem sowjetischen Staatskapitalimus geboren wurde? Schon die richtigen Fragen zu stellen, ist extrem kompliziert.

Dieter Segert hat das in einem Essay versucht: „Post-sowjetischer Kapitalismus als Gesellschaftsform – Russland und Ukraine im Vergleich.“

Als Ex-Maoist zuckt man natürlich bei Zitaten wie diesem zusammen: „Die Formierung der herrschenden Klasse bzw. der kapitalistischen Klassenfraktionen (…) begann im Zuge der Gorbatschowschen Perestroika“. Erst dann – und nicht schon viel früher? Wir meinten damals, dass die Sowjetunion nur dem Namen nach ein sozialistischer Staat gewesen sei. (Und ich meine heute, dass spätestens seit Stalin von „Sozialismus“ nicht wirklich die Rede sein konnte.) In der an Marx und Engels orientierten Geschichtswissenschaft war ein „Zurückentwickeln“ einer Gesellschaftsform aber nicht vorgesehen: Der Kapitalismus kann zum Beispiel nicht zurück zum Feudalismus. Was soll man also vom Zerfall der „sozialistischen“ Staaten halten? Und wie wird das alles enden?

Die Größe eines Landes ist irrelevant: Ob die Sowjetunion zerbröselt wäre oder nicht, wirkt sich nicht auf den Charakter der Ökonomie aus. Ob Luxemburg, Venezuela oder USA: Analytisch ist das alles der gleiche Kapitalismus. Heute muss man fragen, ob die Ökonomie Russlands prinzipiell anders ist als die in den Anrainerstaaten, die vorher zur Sowjetunion gehörten? Meiner Meinung nach nicht.

Segert schreibt: In Russland und der Ukraine bildete die Umwandlung von Staatsbetrieben durch Privatisierung den Kern des Übergangs zu einer Form des Kapitalismus. Die damit verbundene Entstehung einer Klasse von kapitalistischen Unternehmern und Lohnarbeitern kann auch mit dem Marxschen Begriff als (für diese Gesellschaften historisch zweite) ursprüngliche Akkumulation bezeichnet werden. In diesem Fall diente sie der Auflösung der nur formellen, staatlich-zentralisierten Einheit von Produzenten und Produktionsmitteln.

Obwohl die Entstehung des kapitalistischen Privateigentums in allen post-sozialistischen Staaten gleichermaßen stattfand, trug sie in den beiden betrachteten Staaten, in Russland und der Ukraine, spezifische Züge. Sie erfolgte in großem Umfang als Insiderprivatisierung, einem Direktverkauf an das Management der Unternehmen oder über den Umweg einer Voucherprivatisierung an die Belegschaften, wobei die Voucher später durch deren Besitzer weiterverkauft und in den Händen von Finanz-Industriegruppen konzentriert wurden. Verkäufe an ausländische Investoren spielten nur eine untergeordnete Rolle.

Diese Coupon-Privatisierung war selbstredend ein großer Betrug, der nur als Mäntelchen diente, den ausgebeuteten Klassen die Illusion zu lassen, sie besäßen irgendetwas. Am Ende hatte sich nur das Personal der herrschenden Klasse geändert, nicht aber der Charakter der Klassenherrschaft. Das kann man mit dem Übergang von der römischen Republik zur Kaiserzeit vergleichen: Beide Formen fußten (mehr oder weniger) auf der Arbeit von Sklaven, waren analytisch also identisch, aber die Herrschenden regierten anders: Der Senat als klassische Form, wie sich die Sklavenhalterklasse in der Republik organisierte, gab die Macht mehr und mehr ab an eine einzelne Person und deren Günstlinge. (Alle Vergleiche hinken.)

Der Besitz an Produktionsmitteln gruppierte sich nach der Privatisierung um „Clans“, die miteinander politisch konkurrierten, sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Die beschriebene Transformation der Eigentums- und sozialökonomischen Verhältnisse wurde in Russland noch durch massiven Einsatz politischer Gewalt bewerkstelligt, sowohl durch den misslungenen Putschversuch eines Teils der politischen Klasse im August 1991 als auch durch die Gewalt, die der russische Präsident Jelzin im Oktober 1993 gegen das Parlament anwendete. In der Ukraine spielte Gewalt ebenfalls eine Rolle im Prozess der Entstehung des Kapitalismus, hier besonders in der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Fraktionen der nationalen Bourgeoisie. (…)

Die Entstehung kapitalistischer Wirtschaften in beiden Staaten war mit einem Abbau des in der staatssozialistischen Periode vorhandenen Systems sozialer Absicherung verbunden: einem Schutz vor Entlassungen, einer weitgehend kostenlosen Gesundheitsversorgung und einem entsprechenden Bildungssystem.

Letzeres halte ich ebenfalls für irrelevant: Auch im „westlichen“ Kapitalismus – etwa in den USA – ist es nur eine Frage lokaler Traditionen, ob sich der Staat sich um so etwas kümmert (bei uns wegen Bismarck), oder ob jeder selbst um sich sorgen muss und der öffentliche Schulsektor nur da ist, damit das Proletariat nicht vollkommen verblödet und damit für den Arbeitsmarkt ungeignet wird. Dito Gesundheitsvorsorge.

Die Ukraine gilt nach dem Nations-in-transit Index von Freedom House“ vom letzten Jahr als Hybrides Regime, also ein Regime, in dem es Elemente sowohl von Demokratie als auch Autokratie gibt, Russland als Konsolidiertes Autoritäres Regime. (siehe oben)

Die Kategorie „Regime“ halte ich für ungeeignet, um die Ökonomie und den Charakter eines Staates zu beschreiben. Aber analytische Tiefenschärfe erwartetet man von einem privaten US-amerikanischen Think Tank wie Freedom House natürlich nicht. Wir haben „ein Regime“ in Nicaragua, Afghanistan, Usbekistan, Brunei, Ägypten – und ist eine Monarchie wie Jordanien ein „Regime“?

Siegert schreibt: Der Kapitalismus, der in den beiden betrachteten Staaten nach 1991 entstanden ist, unterscheidet sich von anderen Typen des globalen Kapitalismus. (…)

Wesentlicher war allerdings der steigende Einfluss eines ethnischen Nationalismus sowohl in Russland (hier besonders ab 2011, als es zu verstärkten Protesten der städtischen Mittelschicht kam) als auch in der Ukraine (v.a. mit der Präsidentschaft von Juschtschenko, 2005-2010). Der ethnische Nationalismus wurde vollends mit dem Krieg von 2022 zur alles beherrschenden Legitimationsideologie der politischen Macht. In Russland ist die nationalistische Ideologie mit einer imperialen Komponente verbunden, die sich in der Konzeption einer „russischen Welt“ äußert. Man kann dieses Konzept verschieden lesen, entweder als Grundlage für den Einfluss Russlands auf Staaten mit russischer Minderheit in der Bevölkerung oder als Formulierung direkter Gebietsansprüche über die Grenzen der heutigen Russländischen Föderation hinaus. Die ukrainische Variante des Nationalismus richtet sich dagegen auf eine ethnische Homogenisierung der Bevölkerung im Rahmen der Staatsgrenzen.

Der neue Kapitalismus in den ex-sowjetischen Ländern sucht sich also eine ideologische Legitimät zusammen und findet sie, wie gewohnt, im Nationalismus, der – auch wie gewohnt – stark rassistische Züge trägt, und irrational ist das sowieso. Russland besteht aus vielen Völkern, genau wie China – der herrschenden Klasse muss anders „argumentieren“ als in der Ukraine (oder auch in Polen), wo alles einfach unterdrückt wird, was nicht der fiktiven Idee des Staatsvolkes entspricht. In Russland wähnt man sich im Kampf gegen den Westen, eine Methode also, die alle arabischen Regime, der Iran und die Warlords der „Palästinenser“ benutzen, um ihre korrupte Herrschaft zu legitimieren – nur ist dort der Feind nicht der Westen, sondern Israel als pars pro toto.

Interessant ist Siegerts Fazit:
1. Die entstehende Unternehmerklasse erwuchs, zumindest in ihrer obersten Schicht, aus den Privatisierungen des vormaligen Staatseigentums. In gewissem Sinne hatte das Trotzki 1936 in seiner Schrift Die verratene Revolution vorhergesagt. Im Unterschied zu Trotzkis Prognose verwandelte sich jedoch nicht die Nomenklatura insgesamt in eine Kapitalistenklasse, sondern es waren Personen aus der Nomenklatura (Jelzin, Krawtschuk, Kutschma u.a.), die einer Gruppe von Managern von Staatsbetrieben oder ausgewählten Personen der intellektuellen Dienstklasse einen Aufstieg in die Klasse kapitalistischer Eigentümer ermöglichten.

Neben dem weltanschaulichen Kitt des Nationalismus spielt die Apathie der „Werktätigen“ eine Rolle:

2. Die im „Konsumsozialismus“ entstandene Lebensweise von Teilen der Bevölkerung unterstützte die Transformation in Richtung auf den Kapitalismus. Zudem wirkte sich ihre passive Orientierung gegenüber der Politik aus, welche aus den autoritären Strukturen des Staatssozialismus und der dadurch geformten politischen Kultur erwuchs. Dadurch erduldete diese Mehrheit der Bevölkerung die sozialen Verwerfungen der Transformationsperiode ohne aktiven Widerstand. So bildete sich der andere Pol des Kapitalverhältnisses, eine eigentumslose arbeitende Bevölkerung, die sich der Produktions- und Lebensweise anpasst.

Langer Rede kurzer Sinn: Der Kapitalismus in der Ukraine und Russland ist vergleichbar, nur die Legitimationsbasis der Herrschenden unterscheidet sich.

Mein Fazit: Die russisch-ukrainische Version des Kapitalismus ist eher eine, die keine Zukunft hat, weil sie vom Verkauf der Rohstoffe lebt, aber nicht flexibel genug ist, sich selbst zu reformieren. Das machen die Chinesen um Klassen besser. Und warum ist zum Beispiel das winzige kapitalistische Israel trotz ungünstigster Ausgangsbedingungen eine Start-Up-Nation? „In gewisser Weise hat Israels Wirtschaftsentwicklung das 20. Jahrhundert übersprungen, wodurch die klassischen Stützpfeiler anderer Industrienationen wie Kfz-Produktion, Maschinenbau, Chemische Industrie und Schwerindustrie fehlen.“

Russland und die Ukraine jedoch leben offenbar noch im 20. Jahrhundert und werden beide ihr Tafelsilber verkaufen müssen. Nur wird Russland länger durchhalten.

Larvatus prodeo oder: Libidinöse Ökonomie

libidinöse ökonomin
Libidinöse Ökonomin (Symboldbild)

„Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit“ ist auch eine sehr bedenkliche Phrase statt: „Aufhebung aller Klassenunterschiede“. (Friedrich Engels an August Bebel, 1875)

Das Marktkorrekturmechanismusdurchführungbestimmungsgesetz Ich fange noch mal an:

Slavoj Žižek ergänzt sehr schön – mit nur wenig Bullshit dazwischen – mein Posting über Propaganda: „Wenn die Kapitalismuskritik von Kapitalisten kommt“ (leider hinter de „Welt“-Paywall). Natürlich tobt das dortige kleinbürgerliche Publikum, das sich sonst eher an Artikeln im Sinne des Couponschneidens ergötzt. Die Kernsätze:

Die kritische Distanz zur sozialen Ordnung ist das Medium, durch das sich diese Ordnung selbst reproduziert. (Nehmt dies, deutsche Medien!)

…verbreitet sich allmählich sogar in unseren Mainstream-Medien eine Version des direkten Antikapitalismus. Es begann vor etwa einem Jahrzehnt mit einem Film wie Avatar, der den Klassenkampf in einen Konflikt zwischen einer außerirdischen, organisch-patriarchalischen Kultur, die in Harmonie mit der Natur lebt, und einem brutalen Konzernkapitalismus, der versucht, sie zu kolonisieren und auszubeuten, umdeutet, und reicht bis hin zu Filmen, in denen die Reichen umgebracht werden (…). In ähnlicher Weise beschränken sich Wirtschaftsdebatten zunächst auf die Kritik an den Superreichen:

Der heutige Kapitalismus kann viel radikalere Eingriffe überleben, als es den Anschein hat. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato wies darauf hin, dasselbe System, das ständig das Mantra wiederhole, dass wir die Steuern nicht erhöhen können, um die globale Erwärmung zu bekämpfen, sei in der Lage gewesen, Billionen zur Bekämpfung der Omikron-Epidemie auszugeben…

Um die anhaltenden Krisen zu bewältigen, von der Bedrohung der Umwelt bis hin zu Kriegen, werden wir Elemente dessen brauchen, was ich provokativ als „Kriegskommunismus“ bezeichnen möchte: Mobilisierungen, die gegen die üblichen Marktregeln verstoßen müssen.

Zweitens müssen wir uns bewusst machen, dass das bestehende parlamentarische Mehrparteiensystem nicht effektiv genug ist, um die Krisen zu bewältigen, die uns bedrängen. (…) Engels warnte davor, dass die „reine Demokratie“ oft zu einer Parole der konterrevolutionären Reaktion wird: „Im Augenblick der Revolution wird die ganze reaktionäre Masse so tun, als ob sie aus Demokraten bestünde … Auf jeden Fall wird sie am entscheidenden Tag und am Tag danach so tun, als ob sie aus Demokraten bestünde.“ Passiert nicht genau das, wenn eine emanzipatorische Bewegung an der Macht zu radikal wird? Wurde nicht – neben vielem anderen – der Putsch gegen Evo Morales in Bolivien im Namen der Demokratie durchgeführt?

Auf der Suche nach einer anderen Form der Demokratie ist man versucht, sich dem heutigen China zuzuwenden. Der australische Philosoph Roland Boer argumentiert, dass China zwar nicht einfach ein globales Modell ist, dem wir alle folgen können, aber nützliche Lektionen liefert, da es zeigt, wie man Wirtschaftswachstum und eine starke Rolle des Marktes mit dem Sozialismus kombinieren kann. (…) eshalb sei die führende Rolle der Kommunistischen Partei notwendig, mein Boer: Sie garantiere, dass die Dynamik des Großkapitals auf das Gemeinwohl der Mehrheit, die Rechte von Frauen und Minderheiten sowie auf die Eindämmung der Bedrohungen für unsere Umwelt ausgerichtet ist.

Was China und Musk gemeinsam haben, ist die intransparente Kontrolle durch Algorithmen.

Der Übergang zum (wie auch immer gearteten) Postkapitalismus wird also nicht nur ein sehr komplexer Prozess auf der Ebene der Ökonomie sein, er wird uns auch mit neuen Problemen der libidinösen Ökonomie konfrontieren. (…) Charakterisiert Marx den Kapitalismus nicht als ein System, das von einem unaufhörlichen Drang (Trieb) zur erweiterten Selbstreproduktion geleitet wird?

cat
Liberal-bourgeoiser Kapitalismus-Kritiker (Symboldbild)

Rausverkauft

Bertelsmann

Eigentlich müsste sich der Medienkonzern umbenennen in „BertelsmännIn/d“. Das kommt bestimmt noch. 2020 gab der Konzern noch ein Buch heraus mit dem schönen Titel: „75 Jahre Bertelsmann: Eine Zukunftsgeschichte.“ Jetzt werden wieder hunderte Stellen abgebaut Journalisten freigesetzt äh… entlassen. Ist das gut oder schlecht?

Die FAZ, gefühlter Lautsprecher des Kapitals, wenn es um Okönomie geht, schreibt: Der Bertelsmann- und RTL-Deutschland-Chef Thomas Rabe streicht beim Verlag Gruner + Jahr 700 von 1900 Stellen. 23 Zeitschriftentitel fallen weg, „Stern“, „Brigitte“, „Capital“ und „Geo“ bleiben.

Vor kurzem hatte RTL noch 230 Millionen Euro hingeblättert: Zeitschriften wie „Gala“, „Geo“ und „Brigitte“ gehören künftig zur RTL-Mediengruppe in Luxemburg“, hieß es noch 2021.

Haben die sich verkalkuliert? Ist das Geld weg oder hat es nur jemand anderes? Dem Kapital an sich geht es gut, obwohl sich die Gesamtauflage deutscher Printmedien seit drei Jahrzehnten halbiert hat.

Bertelsmann ist übrigens ein so genanntes Familienunternehmen – nicht an der Börse und nicht „kapitalmarktorientiert„, das heißt: niemand kriegt was ab vom Profit außer den Eigentümern. Ein Viertel des ehemaligen Nachrichtenmagazins gehört dem Konzern auch. Man sieht dort realistisch in die Zukunft, wie es Kapitalisten oft, aber nicht immer tun: „Hintergrund der Entscheidungen von RTL ist offenbar ein drohendes Abrutschen der Publishing-Geschäfte in die Verlustzone.“ Das variable Kapital ist nur ein Faktor unter vielen, die es bei der Profitmaximierung zu berücksichtigen gilt. Also hau weg den Printmedienscheiß.

Über die wirtschaftliche Lage des Publishing-Geschäfts sagte Rabe: „2022 lag das Ergebnis nach allen Abzügen bei 1 Million Euro. Aufgrund der Marktentwicklung bei Anzeigen und Vertrieb, aber auch durch Kostensteigerungen von Papier und Energie wäre Gruner + Jahr ohne Maßnahmen in diesem Jahr im Ebita zweistellig negativ.“ Der Umsatz in dem Bereich lag 2022 bei etwa 350 Millionen Euro. (Merke: „Mit 145.000 Mitarbeitern erzielte das Unternehmen im Geschäftsjahr 2021 einen Umsatz von 18,7 Mrd. Euro“).

Aus der Sicht des Medienproletariers kann man bedauern, dass noch mehr Menschen aus der Mittelklasse, die was mit Medien machen, zukünftig vielleicht auf die Einkünfte der Lebensabschnittsgefährten angewiesen sind, wenn sie nicht eh auf Erspartes oder Weingüter der Eltern zurückgreifen oder von Mieteinnahmen leben können oder sich das erhofften. Oder, was nervt, aber oft vorkommt: Wer nicht viel mehr zu melden hat in der Branche, sucht sich einen irrelevanten Posten bei einem Journalistenverband und ist dann besonders stolz drauf und streitet sich untereinander um so erbitterter, weil es um nichts mehr geht.

Ich komme ins Plaudern, was den Gebräuchen krass widerspricht. Mich interessiert eher, wo das Kapital investiert: „Beteiligung an Gesundheitsfonds General Catalyst und Rock Health„. Man muss sich natürlich informieren, was es nach der Revolution zu vergesellschaftlichen gilt! „Bringing greater humanitiy to healthcare.“ Ach was. Man verdient Geld an Gesundheit und daran, das Gesundheitswesen zu digitalisieren. (Das rückt auf der To-Do-Liste recht weit nach vorn.)

Man verstehe mich nicht miss (so einen Satz würde ChatGPT nicht hinkriegen): Die Absicht und die Ziele des Konzerns sollte man in dieser Hinsicht begrüßen, auch wenn Unternehmen wie „Rock Health“ – mit Sitz in San Francisco – eher zum Finanzkapital gehören, also selbst keine Werte im Marxschen Sinn schaffen.

As of February it had „graduated“ 49 startups, which have since raised a combined total of $43 million in investment, in addition to the $100,000 each put in by Rock Health.

Yeah. Man schießt die Kohle in „junge“ Firmen, die innovativ zu sein scheinen, auch wenn einige davon später wieder verschwinden. So funktioniert Kapitalismus, bekanntlich die revolutionärste Gesellschaftsform bisher, was die Entwicklung der Produktivkräfte angeht – nur darum geht es!

Aber: Bertelsmann investiert nicht real, sondern in andere Firmen, die das Risiko tragen. Wenn die es zu etwas bringen, kann man die immer noch aufkaufen. Wenn nicht, hat der Investor nur die Kohle verloren, was Teil des Spiels ist. Bertelsmann kauft also keine Fabrik, sondern gibt der Kleinbourgeoisie Geld, dass die neue „Fabriken“ baut und beobachtet, was daraus wird.

Wenn das nicht zu spät kommt! Die Israelis sind schon eher auf die Idee gekommen. Dort schießen einschlägige Startups nur so aus dem Boden.

Ein Wort an unsere Stamokapler: Erstens lagt und liegt ihr komplett daneben, was jeder Blinde mit dem Krückstock sieht, und zweitens ist Verstaatlichung an sich nichts, was automatisch den Fortschritt antreibt, sondern ihn eher hemmt, eingedenk der Tatsache, dass der Homo sapiens eher zum Bequemen und opportunistisch denkt, und nur wenige das Risiko dem Fun vorzieht. Innovativ? Wo kämen wir denn da hin! Ich könnte Fehler machen, also mache ich besser nichts. Nein, ich ziehe das chinesische Modell vor: Der Staat lässt die Leute machen, behält sich aber die Kontrolle vor. Und gegen Korruption kann man ruhig abschreckend vorgehen.

Jetzt bin ich schon wieder vom Hölzken zum Stöcksen gekommen. Ich wollte nur sagen, dass die, die was mit Medien gemacht haben, immer und gern – in Berlin auf jeden Fall – einen Job in der Sicherheitsbranche bekommen werden. Man muss sich also keine Sorgen machen.

Rot(!)chinesen kaufen Hamburg (fast)

chinese navy
Ein Vorauskommando der chinesischen Volksbefreiungsarmee erkundet den Hamburger Hafen.

Die Chinesen können bekanntlich Hafen. Die üblichen Verdächtigen aka Qualitätsmedien regen sich jetzt künstlich auf, weil Teile des Hamburger Hafens an den chinesischen Staatskonzern Cosco verkauft werden sollen.

Textbausteine: Feind der freien demokratischen Welt. Autokratisches Regime. Kommunistische Macht. Was war noch einmal die „freie Welt“? Gehören Ungarn und die Türkei dazu? Und was sind die Kriterien für „frei“? Mit „autokratischen Regimes“ hat Deutschland bekanntlich nichts am Hut, außer mit Saudi-Arabien sowie (die Liste wäre zu lang und passte nicht auf mein Blog). China ist im übrigen noch nicht einmal nach eigenem Selbstverständnis „kommunistisch“.

Was soll also diese Propaganda? Und warum werden die Uiguren nicht erwähnt? Die gehören doch zur deutschen Berichterstattung über China wie die behaarte Brust Charlton Hestons zu einem christlichen Sandalenfilm und das Echo zur Eiger Nordwand!

shanghai harbour
Kommunistische Schiffe treffen im Hamburger Hafen ein (Symbolbild).

Die anti-chinesische Propaganda wird schon seit längerem von Georg Kiesinger US-amerikanischen „Experten“ ventiliert; hierzulande plappern sie nur nach. Aus völkerkundlicher Sicht ist es immer wieder interessant zu beobachten, wie zusätzlich uralte antikommunistische Reflexe wiederbelebt werden und in die „Argumentation“ einfließen. Wen kann man mit „kommunistisch“ eigentlich noch erschrecken? Vermutlich nur die hiesige „Linke“.

shanghai harbour

By the way: Können die hier mitlesenden IT-Experten mir erklären, was diese komische Meldung auf https://en.portshanghai.com.cn bedeutet?

Die Abendlage im Klartext [Update]

abendlage
Abendlage (Symboldbild), credits: Cristy Ren/Instagram. Mit dem Mädel habe ich ein bisschen Mitleid. Wer so aussieht, hat bestimmt ununterbrochen Ärger. [Update] Das Mädel ist Russin.

Was haben wir:

– Der Gerichtshof der EU hat entschieden: „Eine interne Regel eines Unternehmens, die das sichtbare Tragen
religiöser, weltanschaulicher oder spiritueller Zeichen verbietet, stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf alle Arbeitnehmer angewandt wird.“ Umkehrschluss: „Firmen dürfen Mitarbeiterinnen das Tragen eines Kopftuchs verbieten“. Dann sollen sie es tun, Vivantes! (Werden sie aber nicht.)

– Interessant, was Demonstranten in Leipzig den Bandera-Verstehern zuriefen: „Nazis raus!“ „Die Polizei sieht hingegen (sic!) keine strafrechtliche Relevanz.“ Das wäre ja noch schöner.

– Russen und US-Amerikaner fraternisieren temporär in Syrien.

Halina Wawzyniak „Über autoritäre Selbstgerechte“.
… erzählen gutverdienende und materiell abgesicherte Personen was angeblich getan werden müsste. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier Menschen mit geringem oder keinem Einkommen sowie Transferleistungsempfangende für den eigenen Ego-Tripp (sic) und den Kampf zum Erhalt der eigenen Privilegien benutzt werden. Im Kern nämlich wissen die autoritären Selbstgerechten meist nichts von deren Leben und wollen es auch nicht wissen. Sie müssten dann nämlich zum Beispiel früh aufstehen und sich in den ÖPNV quetschen, um an einen Arbeitsplatz zu kommen bei dem selbst jede Pinkelpause genau notiert wird. Sie müssten zum Beispiel mit Leuten reden und nicht nur für Fotos posieren, die nicht wissen, ob sie Morgen noch ihre Miete oder ihren Strom bezahlen können und die keine Rücklagen haben. Sie müssen zum Beispiel in Kneipen und nicht in Edelrestaurants gehen, möglicherweise sogar ziemlich verrauchte Kneipen mit Alkohol. Sie müssten auf einem Campingplatz Urlaub machen und nicht im 5-Sterne-Hotel.

abendlage

– Das Finanzkapital beurteilt die Lage der russischen Wirtschaft nicht so schlecht.

– Der ukrainische Außenminister redet Klartext: „Wenn Sie mich fragen, wer auf der Krim oder in Belgorod etwas in die Luft sprengt, dann sage ich Ihnen im Privaten, ja das waren wir.“

Наше дело правое. Победа будет за нами! Schon klar.

It’s the stupid Economy

Fefe sagt alles Nötige über die „Nobelpreisträger“ für Wirtschaft. Dann brauche ich mir keine Gedanken zu machen, wie ich die zu würdigen hätte.

Chinese grinning

happy chinese

Business Insider: „China’s top energy firms are sending natural gas to European nations struggling with Russia’s supply cuts“.

Das Gas ist gar nicht weg, es hat nur jemand anderes, der ein bisschen den Preis erhöht – wegen des großen Umwegs nach Europa.

Ach so.

Hier ist nicht Sparta

class struggle greece

Hat hier jemand die FDP gewählt?
– „Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat die Reformpolitik Griechenlands nach der Schuldenkrise als „sehr beeindruckend“ bezeichnet und sie auch Deutschland als Vorbild empfohlen.(…) „Für uns ist dabei ein Orientierungspunkt die beeindruckende und erfolgreiche Politik der griechischen Regierung“, hob er hervor.“ (07.12.2021)

– „Griechische Staatsverschuldung steigt auf über 357 Milliarden Euro. (…) Dazu kommt, dass die Inflationsrate in Griechenland im Juni 11,6 Prozent betrug, gegenüber 10,5 Prozent im Mai 2022, was eine der höchsten Raten in der Eurozone darstellt.“ Die Gesamtverschuldung Griechenlands liegt bei 193 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Keine weitere Fragen, Eurer Ehren.

Was macht eigentlich die Arbeiterklasse?

working class

Gibt es Quellen, diese Frage zu beantworten? Ich habe ein paar zusammengesucht, zum Beispiel: Entwicklungstendenzen der Sozialstruktur der BRD 1996-2019 (III) – Abhängig Erwerbstätige nach Beschäftigungsverhältnissen und Qualifikation. Es wäre doch sinnvoll und nützlich, wenn es etwas wie Friedrich Engels‘ Die Lage der arbeitenden Klasse in England (1845) auch heute und periodisch gäbe? Nein, gibt es nicht. Allein schon das Wort „Klasse“ ist in deutschen Medien nicht vorhanden, nur in der Literatur.

Wer oder was ist die „Arbeiterklasse“ in Kategorien der Statistik bürgerlichen Sozialwissenschaften? Lohnabhängige oder „abhängig Beschäftigte“: „ganz unterschiedliche Sozialcharaktere“, „deren Gemeinsamkeit in der arbeitsrechtlichen Stellung als weisungsgebundene Lohn- oder Gehaltsempfänger (Arbeiter, Angestellte, Beamte) besteht.“ Aha. Also die objektive Zugehörigkeit zu einer Klasse, mitnichten aber die subjektive (weil Beamte zum Beispiel naturgemäß weit von sich weisen würden, dass sie Arbeiter seien). „Abhängig Beschäftigte“ sind aber auch Manager des Großkapitals – die Kategorie ist also nichtssagend.

working class

1. Das „normale“ Arbeitsverhältnis* erodiert. Das ist natürlich im Interesse der Kapitalisten. Die wollen am liebsten hire an fire praktizieren, um das variable Kapital zu optimieren. Der Endpunkt wäre ein Roboter, der keinen Urlaub und keine Regeneration braucht, nicht streikt,selten krank wird und notfalls 24 Stunden am Tag rackert und auch keinen Lohn will. Der Mensch stört nur die Profitmaximierung.

An Teilzeitarbeit wäre nichts auszusetzen, wenn der Lohn reichte. Tut er aber nicht, nur bei hochqualifizierten Berufen. In den letzten 25 Jahren ging die unbefristete Vollzeit von vier Fünfteln aller „abhängigen“ Jobs auf zwei Drittel zurück, Teilzeitarbeit wuchs von fünf auf zwölf Prozent; andere „atypische“ Beschäftigungen von 17% auf 22%. Interessant: Teilzeitarbeit ist eher selten umgewandelte Vollzeit, sondern resultiert aus einem neuen Sektor deregulierter Arbeit (bestes Beispiel: Lieferservices wie Lieferando o.ä.). Ein Drittel aller „Neueinsteiger“ und fast zwei Drittel derjenigen, die nach Arbeitslosigkeit oder Familienphase in die Lohnarbeit zurückkehrten, mussten schon 1985 „atypische“ Beschäftigung akzeptieren.Industrielle Reservearmee“ mal ganz anders! Wie nicht anders zu erwarten, sind Frauen in weitaus höherem Maße von „atypischen“ Jobs betroffen.

2. Arbeit wird gleichzeitig teurer und billiger.

Der geschichtlichen Tendenz der kapitalistischen Akkumulation und Produktivkraftentwicklung ist der Widerspruch von wachsendem Bedarf an qualifizierter Arbeitskraft bei gleichzeitig immer gegebenem Druck zur Entwertung der Arbeitskraft durch Arbeitsteilung, Abspaltung unqualifizierter Tätigkeitsinhalte und Dequalifikation eingeschrieben: qualifizierte Arbeitskraft ist teurer als unqualifizierte.

Auf Deutsch heißt das: Das Kapital muss das variabel Kapital um des Profits eigentlich billiger machen, also die Arbeiter unqualifizierter. Gleichzeitig braucht es aber mehr qualifizierte Lohnabhängige. Das wird einem ganz anschaulich zur Zeit in Deutschland vorgeführt: Alle Branchen suchen händeringend Arbeiter und Lehrlinge, gleichzeitig sind rund 2,3 Millionen Menschen arbeitslos.

Der Trend besteht aber aus mehreren, zum Teil gegenläufigen Variablen: Die einfache Arbeit (für die man keine besondere Ausbildung braucht, wie etwa in der Sicherheitsbranche) geht leicht zurück. Auch die klassischen Arbeitsverhältnisse samt vorangegangener Lehre sind fast konstant. In Gegensatz dazu nimmt die Zahl der abhängig Beschäftigten mit akademischer Ausbildung stark zu. Die Arbeiter der Stirn werden also „proletarisiert“ oder in Verhältnisse gezwungen, die oft schlechter und unsicherer sind als die der klassischen Facharbeiter.

Wer also gut ausgebildet ist, egal in was (nur nicht „was mit Medien“), findet einen Job, aber nicht unbedingt dort, wo es geplant war. (Ich selbst bin auch ein Beispiel.)

Zusammengefasst: Dem relativen Anteilsverlust der Unqualifizierten bei den Beschäftigten entspricht ihr wachsender Anteil an den Arbeitslosen. Mit dem überproportional starken Zuwachs der akademisch qualifizierten Lohnabhängigen steigt trotz des geringen Arbeitslosigkeitsrisikos ihr Anteil an den Arbeitslosen. Die Gruppe der Beschäftigten mit Ausbildung im dualen System oder Fachschulabschluss wächst zwischen 1996 und 2019 absolut, ihr Anteil an den Arbeitslosen geht deutlich zurück.

Das ist interessant: Die Produktion roboterisiert sind und knabbert sowohl am unteren als auch am oberen Segment der Jobs etwas weg: Einfache Arbeit (vgl. Tylorismus) kann langfristig oft schon durch Roboter ersetzt werde, sogar im Dienstleistungssektor und in der Lagerhaltung, und bei der Verpackung ohnehin. Komplizierte und spezielle Arbeiten, für die gut ausgebildete Arbeiter in der Produktion nötig sind, können langfristig durch Roboter billiger werden, wie oben erwähnt: Roboter treten (noch nicht) einer Gewerkschaft bei und zicken nur selten rum.

Auf dem Weg zum Kommunismus Die Ware Arbeitskraft wird also gleichzeitig teurer und preiswerter – eine Tendenz, die Marx schon vor längerer Zeit exakt beschrieben hat. Man könnte auch sagen: Der Kapitalismus, die revolutionärste Gesellschaftsform, die die Welt je sah, hat noch einige Karten im Ärmel, die bei Bedarf ausgespielt werden.

By the way: China führt auch hier. Allerdings ist dort das Proletariat klassenbewusster als hier.

working class

* Bosch definierte das Normalarbeitsverhältnis 1986 als „stabile, sozial abgesicherte, abhängige Vollzeitbeschäftigung, deren Rahmenbedingungen (Arbeitszeit, Löhne Transferleistungen) kollektivvertraglich oder arbeitsbzw. sozialrechtlich auf einem Mindestniveau geregelt sind.“ Ders., Hat das Normalarbeitsverhältnis eine Zukunft? In: WSI-Mitteilungen 1986, H. 3, S. 163176, hier: S. 165. Vgl. auch ders., Das Normalarbeitsverhältnis in der Informationsgesellschaft, in: Jahrbuch des Instituts Arbeit und Technik 2002/2003, Gelsenkirchen 2003, S. 11-24.

Schwarzöl oder: Nothing to stop this selling

russian soldier
Russischer Soldat beim Lesen motivierender Qualitätsliteratur

Ich darf die geschätzten Leser und die der Ökonomie kundigen Leserinnen auf einen interessanten Artikel auf Bloomberg aufmerksam machen: „How Europe’s Main Diesel Exchange Can Help Russia Keep Exporting“. Das geht so:

Europe’s main commodities futures exchange is offering an anonymized conduit for Russian diesel to be supplied into the continent’s oil trading hub.

Since Russia began its invasion of Ukraine in late February, a swath of companies said they were scaling back purchases from Moscow. In practice though, the nation’s oil and fuel is still flowing to export markets in large volumes.

Europe’s main exchange for diesel, run by ICE Futures Europe Ltd, ultimately allows traders to take physical delivery of the fuel once a contract expires. In keeping with the bloc’s current laws, the exchange allows supplies from anywhere, including Russia, to be delivered.

It’s not known where these supplies are to come from, but there is ultimately nothing to stop those selling from choosing to supply Russian material.

Ach so ist das? Es gibt also eine Hintertür, „that keeps Russian oil flowing into Europe“? Kann das jemand mal Putin sagen, oder weiß der es gar schon? Und unsere Qualitätsmedien? Sollten wir das denen mal stecken? Aber um das zu verstehen hätten die Marxismus-Leninismus irgendwie Volkswirtschaft Ökonomie studieren müssen und nicht internationales Recht.

Wg.: Ukraine

ukraine

Fabian Lehr schreibt auf Fratzenbuch:
Keine andere ehemalige Sowjetrepublik hat durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Bildung kapitalistischer Nationalstaaten einen so extremen gesellschaftlichen Zusammenbruch erlebt wie die Ukraine. Die Ukraine war in der Sowjetunion zusammen mit den baltischen Republiken die wohlhabendste und höchstentwickeltste Sowjetrepublik (wohlhabender als Russland), erlebte im Zuge der kapitalistischen Restauration dann aber einen völligen Zusammenbruch: Ausgedrückt in Dollar mit der Kaufkraft von 2011 ist das ukrainische BIP/Kopf zwischen 1988 und 1995 von etwa 10.000$ auf etwa 4.000$ gesunken und hat bis heute nie wieder das Wohlstandsniveau der 80er Jahre erreicht. Die Lebenserwartung stürzte in den 90er Jahren um etwa 5 Jahre ab und liegt für Männer immer noch leicht unter dem Niveau der späten Sowjetunion in den 80ern.

Diese drastische Verarmung des Landes wurde durch Reste des sowjetischen Sozial- und Subventionssystems ein bisschen abgefedert, aber seit die Ukraine nach dem Umschwung von 2014 ökonomisch de facto zu einer westlichen Kolonie wurde, war damit auch immer mehr Schluss: Als Gegenleistung für die Milliardenkredite, die die Ukraine 2014 ff. bei EU, Weltbank und westlichen Banken aufnehmen musste, um die bisherigen russischen Unterstützungen auszugleichen und den Staatsbankrott abzuwenden, haben Brüssel, Washington und Co ultimativ einen neoliberalen Umbau der ukrainischen Wirtschaft, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und drastische Reduktionen der Sozialleistungen gefordert und erhalten – dasselbe Rezept, das dann auch die Troika in Griechenland anwandte.

Punishing Quotas oder: Was macht eigentlich das Großkapital?

alu

Es zittert ein wenig: „Amazon will block and flag employee posts on a planned internal messaging app that contain keywords pertaining to labor unions, according to internal company documents reviewed by The Intercept. An automatic word monitor would also block a variety of terms that could represent potential critiques of Amazon’s working conditions, like “slave labor,” “prison,” and “plantation,” as well as “restrooms” — presumably related to reports of Amazon employees relieving themselves in bottles to meet punishing quotas.“ (via Fefe)

Die müssen ganz schon unter Druck stehen, wenn sie zu so dämlichen Maßnahmen greifen. Die Gewerkschaft ist übrigens unabhängig. „Amazon Labor Union’s Guerrilla“ – sehr schön!

Was macht eigentlich das Proletariat?

class struggle

Kultige Mehlmärkte

mehl

Galbraith: „Wenn man über den Markt spricht, muss man den theologischen Unterton ausschalten, der diesem Begriff üblicherweise eignet, dieses Element der Allwissenheit, der Allmacht. In der Welt, in der wir wirklich leben, wird jedes, aber auch wirklich jedes individuelle ökonomische Handeln von einem Regelwerk eingerahmt, das staatlichem Handeln entspringt. Die Effizienz dieser Regeln macht die Welt überhaupt erst bewohnbar und den Markt möglich. Nur drei Beispiele. Niemand würde ein Flugzeug besteigen, wenn er nicht an die Kompetenz der Fluglotsen glaubte. Niemand würde frisches Gemüse kaufen, wenn er nicht überzeugt wäre, dass die Lebensmittelüberwachung einigermaßen gut funktioniert. Niemand würde sein Geld Banken oder Finanzinstituten anvertrauen, wenn er nicht überzeugt wäre, dass die Finanzaufsicht in der Lage ist, kriminelle Machenschaften zu verhindern. Jeder einzelne Bereich unserer komplexen Wirtschaftsaktivitäten bedarf staatlicher Regulierung. Wenn diese Regeln sabotiert oder außer Kraft gesetzt werden, sind Unternehmen nicht etwa plötzlich frei und können tun, was sie wollen, die Märkte selbst brechen zusammen. Wenn wir das zulassen, kommt es zu einer enormen Verarmung der Gesellschaft, was jetzt ja tatsächlich auch geschieht.“

Variables Kapital

„Viele Unternehmer sehen die Flüchtlinge einfach als billige Arbeitskräfte.“ Ach?! Echt jetzt? #Kapitalismus

Nicht mehr fett und satt und keine Kompromisse

Bei Fefe lese ich: „Putin wird das nun bis zum Ende durchziehen. Die ukrainische Armee ist bereits besiegt, 80% sind zerschlagen, es geht Munition und Treibstoff aus. Und der kampfstarke Teil der ukrainischen Armee steht direkt vor der Einkesselung, und mangels Treibstoff kann er nicht einmal flüchten. Warum sollte Putin sich in dieser Situation auf einen Kompromiss einigen – zumal er den Westen komplett bei den Eiern hat.

Energie ist eine Nebensächlichkeit, aber denke mal an die Hungersnot (Weizen, Düngemittel) und die damit verursachten Migrationsbewegungen – wir blenden das aktuell noch komplett aus, was da auf uns zukommt.

Oder das z.B. Halbleiter und Chips Materialien benötigen, die zu 80% aus Russland kommen und praktisch nicht ersetzt werden können – warum sollte Russland weiter an unfreundliche Staaten liefern, wenn es von dort sanktioniert wird?

Diese ganze Sanktionsnummer ist entweder einfach nur großes Kino, oder wird uns komplett vor die Füße fallen. So wie es aussieht, steuert es gerade auf einen finalen Konflikt zu, der uns -und nicht Russland- in den Abgrund ziehen wird. Sicher, das Leben geht weiter, irgendwie. Aber das fette und satte Europa, das wird Vergangenheit sein. Wohl zurecht.“

Man kann auch noch Düngemittel (Welt Paywall) anführen: „…die Rolle von Russland und der Ukraine bei der weltweiten Versorgung mit Nahrungsmitteln wie Weizen oder Mais. Zusammen stehen sie für rund ein Drittel des weltweit gehandelten Getreides. (…) Denn Russland und Belarus sind wichtige Lieferanten von Düngemitteln. Rund ein Drittel der weltweiten Kali-Produktion stammt von den Unternehmen Uralkali und Belaruskali, die Nummern zwei und drei im Weltmarkt.

Holländische Krankheit und Rom oder: Anmerkungen zur Lage

weltlage

Was will die herrschende Klasse Russlands? Ist sie sich einig? Unterstützt sie Putin? Das alles ist recht zweifelhaft. Die Situation erinnert ein wenig an die Transformation des republikanischen Rom in eine Diktatur unter Kaiser Augustus: Der Nachteil für die traditionelle römische Oligarchie: Ihre Herrschaftsbasis bröckelte, sie war nur noch das Kostüm. In Wahrheit hatten die Cliquen um den jeweiligen Kaiser das Sagen, die nicht mehr aus der alten Oberschicht stammten. Auch wenn die Elite sich gegenseitig militärisch in Bürgerkriegen bekämpfte, funktionierte die Wirtschaft trotzdem: Über Jahrhunderte wurden die Bauern ruiniert und sanken fast unter den Status der Sklaven; Sklavenarbeit erwies sich auf Dauer nicht mehr rentabel.

Auch die traditionellen russischen Oligarchen sind nicht mehr unbedingt die Basis der herrschende Klasse Russlands. Oder vielleicht sollen sie es nicht mehr sein…

handel

Im Tagesspiegel (Paywall) wird das so zusammengefast:
– Der Verkauf von Erdöl macht knapp 50 Prozent der russischen Exporteinnahmen aus
– Der Verkauf von Erdgas macht weitere sechs Prozent der Einnahmen aus
– 70 Prozent der russischen Exporte nach Deutschland entfallen auf die Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle; für Italien liegt der Wert sogar bei 80 Prozent
– Insgesamt gehen die Hälfte aller russischen Warenexporte nach Europa, nur 14 Prozent gehen nach China
– Dagegen gehen nur fünf Prozent der Exporte aus Europa nach Russland
– Die Hälfte seines Erdöls behält Russland für den Eigenverbrauch
– Wegen der hohen Preise für Energierohstoffe nahm Russland 2021 50 Prozent mehr durch deren Export ein, als ursprünglich geplant.

Ich habe mir die Dokumente aus dem Valdai-Club übersetzen lassen, die die Diskussion innerhalb der russischen Elite zeigen (via Fefe).

Westliche Sanktionen werden Russland einen schmerzhaften Schlag versetzen. Aber es wird nicht tödlich sein. Der Nutzen für die militärische Sicherheit ist größer als der wirtschaftliche Schaden. Wirtschaftlicher Schaden führt in Russland nicht zu öffentlichem Protest, er kann unter Kontrolle gehalten werden. Die Autorität der Behörden wird durch die Lösung einer großen historischen Aufgabe wachsen. Sanktionen gegen Russland werden das Vertrauen in das US-zentrierte Finanzsystem weiter untergraben. Russland wird im „Festungs“-Modus bestehen können. Ein Ausstieg aus der Weltwirtschaft ist möglich und sogar wünschenswert. Der Westen selbst ist im Niedergang. Sein baldiger Tod ist unvermeidlich. Der Sieg in der Ukraine wird der Autorität der Vereinigten Staaten und des Westens einen weiteren Schlag versetzen und ihren weltweiten Rückzug beschleunigen.

In diesem Szenario sollten wir einen radikalen Zusammenbruch der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen erwarten, der mit keiner früheren Krise vergleichbar ist. Es wird zu (a) großen menschlichen Opfern führen; (b) eine schwere und langfristige Wirtschaftskrise in Russland als Folge westlicher Sanktionen; (c) erhebliche Militarisierung Osteuropas durch die NATO. Man kann von der Herausbildung einer grundlegend neuen Ordnung in Europa sprechen. Es wird auf einer harten Konfrontation basieren. Das einzige Hindernis für einen großen Krieg werden Atomwaffen sein, obwohl auch die Gefahr einer Eskalation zu einem Konflikt zwischen Russland und der NATO nicht ausgeschlossen werden kann. Russland wird in diesem Szenario zu einer Art europäischem Nordkorea, aber mit viel mehr Möglichkeiten.

Die Diskutanten sind sich aber überhaupt nicht einig, ob das so eintreffen wird. Wohin die Richtung geht, zeigen die aktuellen Berichte über die Kooperation mit China. Zum Beispiel die Schlagzeile: „Russia is building a massive, 50 billion cubic meter gas pipeline to China“.

Die Wirtschaft Russlands basiert zu einem großen Teil auf dem Export von Energie. Gazprom liefert, und ich sehe auch noch nicht, dass sich das zeitnah groß ändern wird, auch wenn die Russen natürlich damit drohen, die Hähne zuzudrehen. Das Finanzkapital setzt aber mittlerweile Russland auf das Niveau von Venezuela herab.

Man sollte die Holländische Krankheit bedenken:

Durch den Verkauf von Rohstoffen (z. B. Öl) steigen die Exporterlöse. Es kommen vermehrt ausländische Devisen ins Land, deren Umtausch zu einer realen Aufwertung der inländischen Währung führen kann (Wechselkursmechanismus). Diese Aufwertung hat zur Folge, dass Importe billiger werden, der Import von Gütern infolgedessen anwächst, was zu einer Erodierung der heimischen nicht-Rohstoffproduktion (Industrie, Landwirtschaft) führt Exporte teurer werden, was zu einer Verschlechterung der Internationalen Wettbewerbsfähigkeit führt sich eine Faktorpreiserhöhung ergibt, weil die inländische Produktion von Faktoren (d. h. von Produktionsgütern bzw. die Bezahlung von Arbeitskräften) ebenfalls teurer wird – was, zusammen mit der im ersten Punkt erwähnten Nachfragesteigerung, zu einem möglicherweise beträchtlichen Kostenwachstum führt. Dieses Kostenwachstum betrifft auch den industriellen und landwirtschaftlichen Sektor, dadurch ergeben sich zusätzliche Absatzprobleme. Hinzu kommt, dass durch die Ausbeutung von Rohstoffen oftmals höhere Gewinne möglich sind, so dass viel Kapital in die Rohstoffgewinnung fließt, während der industrielle Sektor vernachlässigt wird.

Die Verteuerung der Faktorpreise begünstigt eine Wanderung von Faktoren aus der Produktion industrieller und landwirtschaftlicher Güter in den Bereich der Rohstoffgewinnung. Falls die Rohstoffgewinnung wenig arbeitsintensiv ist (wie beispielsweise die Öl- oder Gasgewinnung), wird eine Abwanderung in den Bereich der Erstellung nicht-handelbarer Güter (v. a. Dienstleistungen) begünstigt, weil diese nicht so stark vom internationalen Wettbewerbsdruck betroffen sind. Der Grad der Industrialisierung kann infolgedessen – gemessen am Anteil der Industrieproduktion an der gesamten volkswirtschaftlichen Güter- und Leistungsproduktion – stark zurückgehen oder verschwinden.

Das heisst: Wenn die russische Ökonomie so weitermacht, wird das nichts. Auch in den Diskussionen im Valdai-Club hat man Bedenken:

Wie aus der Analyse aller internationalen Indizes hervorgeht, die den Zustand und die Dynamik verschiedener Lebensbereiche in den Ländern der Welt charakterisieren, zeigt Russland vor dem Hintergrund des stagnierenden Westens einen schnelleren Niedergang. (…)

Die Kosten einer militärischen Lösung der Ukraine-Frage sind zu hoch. Selbst im Falle einer schnellen Niederlage der Streitkräfte der Ukraine stellt sich das Problem der Kontrolle des Territoriums. Das Marionettenregime wird erhebliche Finanzspritzen erfordern. Gleichzeitig wird es sicherlich ineffizient und korrupt sein. Angesichts des Schadens durch die Sanktionen wird die Befeuerung des Regimes die Ressourcenknappheit in Russland selbst weiter verschärfen. Selbst die vollständige Kontrolle des Territoriums der Ukraine wird den Westen nicht daran hindern, ukrainische Formationen in angrenzenden Gebieten zu bilden und zu bewaffnen und einen breiten Untergrund in der Ukraine selbst zu finanzieren und bereitzustellen. Der Krieg wird zu einem wirtschaftlichen Niedergang in den besetzten Gebieten führen, was ihre Bevölkerung noch anfälliger für westliche Propaganda machen wird. Wenn ein Teil des Territoriums vom pro-westlichen Regime behalten wird, wird der Konflikt dauerhaft und langwierig.

ukraine

Die Idee, dass die Ukraine militärisch schnell besetzt und unterworfen werden könne, ist ein Irrtum, obwohl das einige Strategen vielleicht anders gedacht haben. Ich glaube auch nicht, dass Putin, der als Geheimdienstler sozialisiert wurde, sich viele Illusionen gemacht hat. Es reicht aber, die Ukraine ökonomisch zu destablisieren, was allein schon durch den Exodus der Flüchtlinge beschleunigt wird.

Im Valdai-Club wird das ähnlich gesehen:

Die Ukraine ist ein Gift für den Westen. Hilfe im großen Stil wird gestohlen, Institutionen bleiben korrupt. Das Land ist kein Lieferant, sondern Verbraucher von Sicherheit. Seine Mitgliedschaft in der NATO ist aufgrund ungelöster Konflikte und zweifelhafter Beiträge zur gemeinsamen Sicherheit für den Block kontraproduktiv. Im Gegenteil, die Ukraine ist eine Quelle zahlreicher Probleme. Es auf Kaution zu nehmen ist mühsam und kostspielig. Wenn der Westen sich darauf einlässt, dann wird die Ukraine die NATO zu einer noch unausgewogeneren Struktur machen, in der die Zahl der „Trittbrettfahrer“ wachsen wird. Da die Ukraine im Westen liegt, ist sie zu einer weiteren Degradation verurteilt. Es wird eine „Moldowisierung der Ukraine“ geben, das heißt, die Abwanderung von Personal in den Westen und die Primitivisierung ihrer Wirtschaft. Der Westen hat keinen Grund, die Ukraine lange mit seiner Hilfe zu unterstützen. Sie wird schrumpfen, ebenso wie der Platz der Ukraine im System westlicher Prioritäten. Ohne jede militärische Intervention wird die Ukraine degradieren, zu einem Randland und zu einer Priorität dritter Ordnung werden.

Der Tagesspiegel (Paywall) schreibt:

Weil Russland und die Ukraine zu den größten Exportländern weltweit für Brot- und Futtergetreide, Mais, Raps und Sonnenblumenöl gehören, betrifft der Krieg auch die Lebensmittelversorgung. Bei Weizen liegt der Anteil der beiden Länder am weltweiten Export bei 30 Prozent. „Wenn die neue Ernte aus der Ukraine nicht kommt, vor allem Raps und Mais, verschlechtert das die Versorgungssituation weltweit“, sagt etwa Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG, eine Münchener Landwirtschaftskonzern.

Der Preis für Weizen ist in den vergangenen Tagen drastisch gestiegen. Die entsprechenden Indizes (Futures) sind inzwischen teilweise 40 Prozent teurer als vor Kriegsausbruch. Zwar bringen sich andere Länder wie Indien bereits in Stellung, um die Lücke zu füllen, doch kurzfristig dürfte das nicht gelingen. China habe sich laut Lutz vor dem Krieg mit Getreide aus Russland eingedeckt, so Lutz. „Wer heute Getreidebestände hat, verdient Geld. Wer von Lieferungen abhängig ist, hat ein Problem.“

Die gegenwärtig Herrschenden in Russland und ihre Helfershelfer runzeln also permanent die Stirn. Besonnene Stimmen hatten eine andere Gangart vorgeschlagen:

Die Marginalisierung des ukrainischen Themas ist durchaus möglich und sogar wünschenswert. Die Rivalität zwischen den USA und China wird in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich das Tempo für das globale Leben bestimmen. Es ist ratsam, eine direkte Beteiligung an diesem Zusammenstoß zu vermeiden und Handlungsspielräume zu wahren.

nazis ukraine

Ich vermute, dass sich Putin verrannt hat. Vermutlich traut sich niemand in seinem engsten Umfeld, ihm zu widersprechen. Das war auch im alten Rom so: Die Imperatoren waren von Opportunisten und Speichelleckern umgeben, die nur den sozialen Aufstieg wünschten und die niemand kontrollierte. Vermutlich haben Putin auch die Generale vorgeschwärmt, wie großartig das russische Militär für die Operation vorbereitet sei. Offenbar waren das Potemkinsche Dörfer.

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