Happy New Year 2022!
Ich wünsche allen, die mich mögen, ein frohes neues Jahr 2022 mit Wein, Weib und Gesang (ich mir auch). Den anderen wünsche ich die Pest an den Hals oder etwas in der Art….
Ostdeutschland
Die Amazon-Algorithmen kennen mich nicht wirklich, oder?
Land of Hope mit strengen Maßnahmen oder: Ich sage nur China
A rendering of a virtual conference venue on Baidu Xirang. (Image credit: TechNode/Qin Chen) Dazu schreibt die SCMP: „The virtual conference centre in Baidu’s metaverse app XiRang can simultaneously accommodate 100,000 people for meetings and other interactions.“
„Ich sage nur China, China, China.“ (Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, NSDAP-Mitgliedsnummer 2.633.930, am 31.08.1969)
Es erstaunt mich immer wieder, wie unverblümt in deutschen Medien, vor allem in Wirtschaftsteil, gegen die Volksrepublik gehetzt wird, so plump, dass man sich fragen muss, wer das glauben soll? Natürlich hat sich das Narrativ „Uiguren“ dank der ständigen Berieselung so in den Köpfen festgesetzt, dass man rational nicht mehr darüber reden kann, sogar mit Freunden. Auch der Begriff „Regime“ fällt wie das Amen in christlichen Kirchen unverweigerlich. So was kennen wir bekanntlich im Kapitalismus gar nicht.
Frank Stocker, der Finanzredakteur der „Welt“, schreibt (Paywall): „Absturz einer Supermacht – Chinas neue Doktrin und ihre Folgen für die Welt“. De facto liest man dann das Gegenteil von „Absturz“, aber auf Inhalte kommt es offenbar wenig an. Wenn der chinesische Immobilienriese Evergrande trotz seiner Schulden nicht pleite geht, ist das auch wieder schlecht: „Mehr denn je befindet sich diese im festen Griff des Regimes.“ So was aber auch… Schlimm, diese Kommunisten.
Tatsächlich ist Chinas Gesellschaft inzwischen höchst ungleich. Der Gini-Koeffizient [Link natürlich von mir, B.S.], der die Ungleichheit in einem Land misst, liegt in China sogar höher als in den USA. Darauf reagierte Xi, der sich nach wie vor für einen Kommunisten hält, nun offenbar.
Wie jetzt? Xi ist gar kein Kommunist? Sondern? Staatskapitalist? Es kommt noch schlimmer:
So wurden im Sommer beispielsweise über Nacht alle privaten Unternehmen des Bildungssektors verboten – in diesem Bereich darf es nur noch gemeinnützige oder staatliche Institutionen geben. Man soll sich bessere Bildung nicht mehr kaufen können.
Das ist doch hervorragend?! Aber nein, es kommt von den pöhsen Chinesen. Dann ist es schlecht. Börsengänge wurden verhindert, Auslands-Listings weitgehend unmöglich gemacht, große Konzerne mussten ihre Daten an den Staat übergeben, und sie sollen mit Sondersteuern zur Kasse gebeten werden.
Das geht ja nun gar nicht. Börsengänge verhindert! Da bricht der Kapitalismus-affine deutsche Journalist in Tränen aus. Und man muss Ethan Harris fragen, „Ökonom bei der Bank of America“, eine Institution, die schon per definitionem unerbittlich neutral ist. Der erklärt gern, wie es läuft mit der Profitrate: „Wenn der Staat die Kapitallenkung übernimmt, bedeute das jedoch letztlich eine weniger effiziente Nutzung des Kapitals, was dann auch aufs Wachstum durchschlage.“
Ach ja? Ist das so? Woher weiß der Kerl denn das? Ich nenne dieses Gefasel schlicht faktenfreie Propaganda vom Feinsten. (Der Rest des Artikel steht weitgehend im Konjunktiv und ist rein spekulativ.)
„Mindestens vier mutmaßliche Regelbrecher der strengen Corona-Maßnahmen in China sind in einer Stadt im Süden des Landes öffentlich zur Schau gestellt worden. Wie Staatsmedien am Mittwoch berichteten, wurden die Beschuldigten in weißen Schutzanzügen vor einer großen Menschenmenge in der Stadt Jingxi in der autonomen Region Guangxi vorgeführt. Den Personen wird vorgeworfen, illegale Migranten beim Grenzübertritt aus dem nahe gelegenen Vietnam geholfen zu haben.
Auf sozialen Medien kursierten am Dienstag Kurzvideos, auf denen die Verdächtigen Plakate mit ihren Fotos und Namen tragen, während sie von jeweils zwei Sicherheitskräften durch belebte Straßen geführt werden. Die Parade wird von Dutzenden Polizisten bewacht, einige von ihnen sind bewaffnet. Auf Chinas sozialen Medien erhalten die drastischen Maßnahmen der Behörden teilweise Zuspruch.“ (RND)
Nun, das ist so etwas wie ein Shitstorm old school. China geht mit denen, die gegen Regeln verstoßen, ohnehin anders um. Aber die Todesstrafe gibt es auch in Japan und den USA, und dort sperren sie vorwiegend die afroamerikanische Bevölkerung in die Knäste. Also hört mir auf mit den islamistischen Uiguren. Wenn erst die Güterzüge rollen, freut sich das Kapital.
In China experimentieren sie mit der Zukunft, während Zuckerberg und Co. vielleicht auf das falsche virtuelle Pferd gesetzt haben. Natürlich wird es im chinesischen Metaverse keinen Sex geben, da stößt (!) Secondlife immer noch in eine Marktlücke; HiPiHi stand da a priori auf verlorenem Posten.
Irgendwann wird Europa, insbesondere Deutschland mit seiner Faxerei, aber einfach abgehängt werden. Und dann sehen wir alt aus.
Unter Verweisquellungen
„…unterschiedlichen Häufigkeit von Testungen auf das Vorhandensein von besorgniserregenden Varianten (…) sowie Verzögerungen in der labordiagnostischen Erfassung und Übermittlung“. (RKI laut Tagesspiegel)
Liebe Studenten! Übersetzen Sie dieses Satzfragment ins Deutsche, ohne ein Wort zu benutzen, das mit ung oder keit endet!
Das könnte fast Katja Kipping geschrieben haben. Übersetzt heißt das: „Wir haben keine Ahnung, wie viele Leute infiziert sind.“
Stowaway and The Silent Sea
Ich schau(t)e gerade (Stand: 28.12.) zum Einschlafen abwechselnd zwei Science-Fiction-Filme: Stowaway – Blinder Passagier (Amazon Prime, USA/Deutschland) und „The Silent Sea“ (Netflix, Südkorea).
Da das Stammpublikum meinen Geschmack schon erahnt, zuerst die anderen: Die FAZ rezensiert „Stowaway“ für Oberstudienräte. Featured erklärt das, was die Zuschauer angeblich nicht selbst herauskriegen. Wikipedia bespricht Besprechungen unter dem abschreckenden Motto „Wissenschaftliche Aspekte und Authentizität“.
Zu „The Silent Sea“ habe ich richtig relevante Rezensionen (Stabreim!) bei TVMovie und Popkultur.de gefunden.
Das alles will ich gar nicht lesen. Mich interessierten eher die subtilen kulturellen Unterschiede. Außerdem habe ich, wenn ich ehrlich bin, vermutlich eher einen Filmgeschmack wie Simon Cowell, obwohl polnische Filme mit Untertiteln auch gut sein können. Ich möchte unterhalten und nicht belehrt werden. Will ich Philosophie, dann lese ich Hegel und Marx im Original. Natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn die großen Menschheitsfragen per Entertainment diskutiert und Antworten angeboten würden, wie etwa bei Stanislaw Lem, aber das kriegen deutsche Produktionen sowieso nie hin, weil denen die Leichtigkeit des Seins ab Werk fehlt.
Was zuerst auffällt: Die koreanische Serie ist weder woke noch divers (den Unterschied habe ich noch nie verstanden). Die Koreaner finden es völlig in Ordnung, eben nur Koreaner mitspielen zu lassen ganz ohne Quotenneger. Schon beim Filmplakat von „Stokeaway“ erkennt man hingegen, dass dort – mit der rassistischen Präzisionswaage sorgfältig austariert – jede race mitspielen musste. Mit dem Holzhammer wird mir auch noch eingebläut, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind wichtiger sind als Männer, wenn es weniger um Aktion als um protestantische Morallehre geht. Das ist so dermaßen plump inszeniert, dass vermutlich das Gegenteil erreicht wird. Hautfarbe sollte überhaupt keine Rolle spielen, und die aus Wokistan konterkarieren das.
Ich hätte nichts dagegen, mir einen guten Film anzusehen, in dem alle Schauspieler eine dunklerer Hautfarbe haben als ich. Wenn ich mich mit jemandem identifizieren will, dann nicht deshalb, weil er „weiß“ ist. Oder seit wann war Charles Bronson im realen Leben ein Indianer?
Man sollte das doch eher auf die Spitze treiben: Nur schwarze Astronautinnen und ein „Weißer“, der zum Kaffeeholen da ist oder als Sexsklave dient. Oder nur schwarze Astronauten und eine „Weiße“ (har har) – und es kommt kein Sex vor. Oder nur Aboriginals oder Indianerinnen, aber es geht weder um Fantasy noch um Ureinwohner im Rousseauschen Sinn, die immer die Guten sind, sondern etwa um künstliche Intelligenz. Lieber sehe ich die ganze Nacht lang Koreaner als diesen „diversen“ Quatsch.
Man hat ohnehin das Gefühl, dass das Science-Fiction-Ambiente bei beiden Filmen nur ein Vorwand ist. Ein Western (har har) oder ein Whodunnit-Plot hätten auch gereicht, um mich mit der Moral von der Geschicht‘ zu belästigen. Es wundert doch sehr, dass Drehbücher und Regisseure es offenbar völlig aufgegeben haben, soziale Utopien zu thematisieren. Mehr als die Postapokalypse fällt niemandem ein. Auch „The Silent Sea“ bietet nur Kapitalismus auf die Spitze getrieben – Wasser ist knapp (Chor im Hintergrund: Klima! Klima! Klima! Squid Game!), und nur mit einer goldenen Kreditkarte kommt man an genug. Da fällt mir ein: Ich wollte mehr Sci-Fi aus der Volksrepublik lesen, und Die drei Sonnen liegt immer noch unangetastet auf dem Bücherstapel auf meinem Schreibtisch.
Hollywood-Filme, die Gruppendynamik enthalten, leben meistens davon, dass die Darsteller sich völlig bescheuert benehmen und ihr jeweilige Ego auf Kosten der anderen ausleben. Das ist in „asiatischen“ Filmen natürlich anders und wird auch intelligenter gezeigt. In „The Silent Sea“ sagt man sehr oft „알겠습니다“ und stellt die Hierarchie nicht in Frage – Rebellion gegen die Hierachie, wenn nötig, ist hier immer sehr viel subtiler und zerbröselt nicht die Gemeinschaft an sich.
In koreanischen Filmen jedweder Art muss man sich als urbaner Mitteleuropäer auch über Männer wundern, wie diese mit Frauen umgehen. Frauen schlagen mir zu oft die Augen nieder, wenn jemand sie verbal angeht. Ich habe mir noch kein abschließendes Urteil gebildet: Ist der klassische „Machismo“ als Attitude in Asien verbreiteter, oder ist das dort nur anders? In „The Silent Sea“ sind die Frauen den Männern intellektuell überlegen und lassen sich nichts gefallen. Ein doch sehr von sich selbst überzeugter Kerl, der am Steuerknüppel (oder war es kein Knüppel?) des Raumschiffs Platz nimmt, wird von der hinter ihm sitzenden Kollegin angefaucht: „Wenn du keine vernünftige Landung hinkriegst, kotze ich dir den Hinterkopf voll“.
Nachdem ich mir fahrlässig den Plot von „Stowaway“ schon vorab durchgelesen hatte, werde ich den wohl nicht weitergucken. Bei „The Silent Sea“ bin ich mir noch nicht sicher, zumal die Hauptdarstellerin Bae Donna auch nicht mein Typ ist. Andererseits kann man auch nicht immer so ein ästhetisches Vergnügen wie bei Ho-Yeon Jung verlangen, das einen vom Plot ablenkt, weil man ständig versucht ist, von der Kleidung zu abstrahieren.
Capitulare de villis
Nur eine Vorschau für das Stammpublikum, was Euch im nächsten Jahr blüht. Manchmal ist es einfach schön, die Quelle für dieses und jenes – hier „Die Landgüterordnung Kaiser Karls des Grossen: (Capitulare de Villis Vel Curtis Imperii.)“ – im Original zu überfliegen, zumal wenn sie bezahlbar ist. Vielleicht sollte ich mal einen eintägigen Bildungsurlaub in Wolfenbüttel oder online machen.
Nicht nur Grün
Dschungel im Landesinneren von Grenada (Kleine Antillen), fotografiert während der leider fast vergessenen Revolution 1982.
Moralpaniken oder: Verkontraktualisierung der Lust
Credits: Sharon Ehman/Toxic Vision
Interessanter Artikel auf Telepolis: „Sexualität und Strafe im modernen Kapitalismus“ (und unterhaltsame Kommentare).
… dass ein veränderter Diskurs auch dafür sorgt, dass Menschen Situationen im Nachhinein als sexuelle Gewalt oder Gewaltigkeit erlebten, die sie vorher als gleichberechtigte Beziehung betrachteten – womöglich, weil sie sie aufgrund ihres Selbstbildes oder aufgrund von Erwartungshaltungen Dritter so betrachten wollten.
Überwachen und Strafen
Aus den Qualitätsmedien erfahre ich: „Der neue Landwirtschaftsminister will gegen Billigfleisch kämpfen, die Arbeit in Schlachthöfen per Video überwachen und höhere Strafen für Tierquälerei durchsetzen“. – „Deutschland ernährt sich insgesamt zu ungesund“. – „“Aus Sicht von Özdemir müssen zudem die Preise für Lebensmittel und Agrarprodukte steigen.“
Ach? Plant da jemand, den Markt im Kapitalismus zu regulieren – womöglich im Namen der Volksgesundheit oder Turnvaters Jahn? Sinkt die Profitrate tendenziell, wenn die Arbeiterklasse zu fett wird?
Ich lasse mir doch von einem Vegetarier nicht vorschreiben, was ich essen soll.
„Ein Theil der Bourgeoisie wünscht den socialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern. Es gehören hierher, Oekonomisten, Philantropen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohlthätigkeits-Organisirer, Abschaffer der Thierquälerei, Mäßigkeits-Vereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art.“
Das ist lustig. Erst ein paar Tage im Amt, und schon fällt die Maske ab. Nehmt den Armen das billige Essen weg! Schnitzel gehört geächtet oder so. Man merkt die belehrende Attitude, hinter der Surveiller et punir lauert. Ich aber sage Euch: Es wird die Zeit kommen, in der der Verzehr einer Currwurst ein Symbol der Rebellion gegen das Spießertum sein wird.
Fünfte Welle
„Grundsätzlich hoffe ich, dass sich die vierte Delta-Welle zunächst zurückziehen wird und dann nach einer Ruhephase die fünfte Omikron-Welle zuschlägt.“ (Prof. Dr. Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) e.V.)
Die leidende Arbeiterklasse
„Wir können uns unsere hohen Steuern und Sozialleistungen nicht leisten, wenn jeder, der nach Dänemark kommen will, einfach hier bleiben kann. (…) Als Sozialdemokraten sollten wir uns immer bewusst sein: Die Menschen, die gut verdienen, die in guten Gegenden leben, sind nicht die, die unter unregulierter Migration leiden. Es ist die Arbeiterklasse. (Kaare Dybvad Bek, Socialdemokraterne, Innenminister Dänemarks)
Falsch oder richtig?
„Die regierenden Sozialdemokraten (Socialdemokraterne) unter Ministerpräsidentin Mette Frederiksen haben es geschafft, die verlorenen Stimmen der Arbeiterklasse zurückzugewinnen – auch durch einen strikteren Kurs in der Migrationspolitik“. (Hinter der Welt-Paywall.)
Das könnte hierzulande natürlich nicht passieren. Die so genannten „Linke“ benutzt noch nicht einmal das Wort „Arbeiterklasse“.
Unter Avataren oder auch nicht
Soeben in Kargash… Was will die nur von mir? Oder existiert die gar nicht?
#secondlife #roleplay #gor #kargash #fantasy
Execution of task
An den Feiertagen macht man Backups und so etwas Lästiges. Ich nutze übrigens luckyBackup – das funktioniert immer und zickt nicht rum wie Déjà Dup unter Ubuntu. By the way: Warum ist immer alles voll und kein Platz? Weil externe Festplatten so was von old school sind?
Kein Pimmelbild
Sorry für die reißerische Überschrift, und das zu Weihnachten…. Fotografiert im Landesinneren von Grenada (Kleine Antillen) während der leider fast vergessenen Revolution 1982. Und um das klarzustellen: Das ist eine Bananenblüte.
Früher war mehr Lametta
Das bin ich, Weihnachten 1954
Frohe Festtage!
Ich wünsche allen geneigten Leserinnen und wohlwollenden Lesern frohe Festtage! Und bleibt mir gewogen…
Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V)
Theophanu-Evangeliar, um 1050, Pergamenthandschrift. Im 18. Jahrhundert wurde die Handschrift aus den Deckeln (unten) gelöst und in Leder eingefasst.
Katrinette Bodarwé schreibt in in Gold vor Schwarz: Der Essener Domschatz auf Zollverein: „Der Liber ordinarius schildert insbesondere die Rolle dieser Handschrift, die als Pleonarius bezeichnet wird, in der österlichen Liturgie. Auf der Westempore wurde am Karfreitag ein Zelt als Ostergrab errichtet, in dem das Evangeliar zusammen mit dem: silbernen Kreuz vom Kreuzaltar und wahrscheinlich dem Tafelreliguiar mit dem Kreuznagel Christi und einigen anderen Reliquien bestattet wurde. Am Ostermorgen wurden diese Heiltümer als Zeichen der Auferstehung in einer feierlichen Liturgie unter Beteiligung der Kanonissen wieder erhoben.“
Das Evangeliar war schon damals ungeheuer kostbar und das Beste, was Künstler und Handwerker zu der Zeit aufbieten konnten. Die Äbtissin war aber Enkelin Kaiser Ottos II. und seine berühmten Frau Theophanu aus Byzanz, ihr Bruder Hermann der Erzbischof von Köln. Sie war in ihrer Epoche im Vergleich so wohlhabend wie heute Susanne Klatten.
Buchdeckel und Rückseite des Theophanu-Evangeliars. Der vordere Deckel (35,7 x 26 cm) hat einen Kern aus Eichenholz und ist mit Goldblech und einer Platte aus Elfenbein belegt, angefertigt von einem Künstler aus dem Raum Köln-Lüttich. Das untere Feld des Randes zeigt das Stifterbild. In der Mitte Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß. Zu ihren Füßen kniet die Äbtissin Theophanu (Beischrift THEOPHANV ABBA[TISS]A), die das von ihr gestiftete Evangeliar zu Füßen der Thronenden ablegt. Seitlich Pinnosa und die heilige Walburga, in den beiden seitlichen Feldern die Essener Stiftspatrone Petrus und Paulus (oben) sowie Kosmas (auch Cosmas) und Damian (unten) unter Arkaden. Oben halten zwei Engel eine Mandora über dem Pantokrator. Der Deckel ist wie ein spätantikes (!) fünfteiliges Diptychon gegliedert – der Künstler wollte offenbar die damals schon ferne Vergangenheit zitieren.
Aber wieder zum eigentlichen Thema. In Agrarisch und revolutionär I ging es um die „zweigeteilte Grundherrschaft“ (Villikation) als Basis des mitteleuropäischen Feudalismus. Laut Michael Mitterauer Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs finden wir hier die Basis dafür, dass sich der Kapitalismus in Mitteleuropa einschließlich England zuerst entwickelt hat.
Ich schrieb in Agrarisch und revolutionär II: Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert setzte voraus, dass die Wasserenergie durch andere Energieformen ersetzt wurde. Die ökologische Basis schaffte hier Europa einen entscheidenden Entwicklungsvorsprung.
Im Detail ist es natürlich komplizierter. Was genau diese Villikation [der Wikipedia-Eintrag ist noch nicht einmal auf dem Niveau von Proseminaren im 1. Semester] bedeutet, sieht man dann, wenn man diese Form der Klassenherrschaft mit den Gebieten vergleicht, wo das nicht so war. Offenbar sind Ackerbau und Getreidewirtschaft wichtig: In Friesland dominierten eher die Viehzucht und Textilgewerbe (vor allem Schafwolle) – eine „zweigeteilte Grundherrschaft“ hat sich dort nicht ausgebildet. Auch nicht in Irland – aus ähnlichen Gründen wie bei den Friesen – wohl aber in England unter Alfred dem Großen.
Mitterauer schreibt: Viel weiter zurückreichende Strukturübereinstimmungen mussen dafür die Voraussetzungen gebildet haben. Anders als Irland aber ebenso wie das nördliche Gallien war auch Britannien von provinzialrömischen Mustern geprägt* – von der Civitas-Verfassung, von ländlichen «villae rusticae» mit ihrer Latifundienwirtschaft, von den ökonomischen Bedürfnissen der Heeresversorgung in einer gefährdeten Grenzregion. (…) Zum vorgefundenen Bestand gehörten vor allem alle jene Getreidearten, auf die im Frühmittelalter im Frankenreich die entscheidenden agrarischen Innovationen aufbauten. Den Weg der fränkischen Agrarrevolution konnten die Angelsachsen also von vornherein mitgehen, und damit auch die Entwicklung der auf verstärkten Getreidebau basierenden «zweigeteilten Grundherrschaft» mit ihren charakteristischen Pflugfronen.
Vielleicht bin ich jetzt der einzige Mensch auf der Welt, der das spannend findet: Hier haben wir ein starkes Argument, dass die antike Sklavenhaltergesellschaft als Basis die Ökonomie im Frühfeudalismus antrieb. Man kann nicht behaupten, dass Latifundien und das Kolonat die conditio sine qua non waren, aber wenn sie als Grundlage existierten, beschleunigten sie offenbar die Agrarrevolution. Und das war nur im Frankenreich und in England so. In anderen Regionen des ehemalige römischen Reiches stimmte die Ökologie nicht. Die Voraussetzungen in bestimmten Regionen Europas für das „Wettrennen“ zum Kapitalismus waren also durchaus exotisch, so dass Mitterauer mit der These, es habe sich um einen „Sonderweg“ gehandelt, recht haben könnte.
Jetzt erscheint die von mir schon fast verworfene Frage bzw. These marxistischer Theoretiker in einem anderen, sogar vorteilhafteren Licht, ob der Feudalismus sich nur dann zum Kapitalismus entwickele, wenn er auf der Sklavenhaltergesellschaft fuße – oder ob es theoretisch auch ohne ginge. Da kein Paralleluniversum existiert, in dem wir das testen könnten, ist die Antwort einfach: Die These der angeblich zwangsläufig aufeinanderfolgenden Gesellschaftsformationen sagt nur etwas über die Geschwindigkeit aus, mit der letztlich der Kapitalismus in England zuerst entstand. Da die kapitalistischen Staaten Mitteleuropas in kurzer Zeit fast die ganze Welt unterjochten und der ihre Ökonomie aufzwangen (wie auch die Römer den unterworfenen Völkern), bleibt die Frage rein hypothetisch, was etwa aus China geworden wäre, wenn es keine Weltkriege und eine japanische Okkupation, keinen Langen Marsch und keine Revolution gegeben hätte.
Im 12. Jahrhundert löst sich die Villikation allmählich auf. Das, was in der bürgerlichen Geschichtswissenschaft als „Hochmittelalter“ bezeichnet wird, ist nur eine variierte Form der Klassenherrschaft: Es geht immer darum, wie den Bauern und Handwerkern der Mehrwert abgenommen wird, ob durch den Kriegeradel direkt oder die Klöster oder deren Helfershelfer – das spielt keine Rolle.
Steht vor der Jahrtausendwende noch die Mehrarbeit (Fron) der Bauern für den Feudalherrn im Vordergrund, wird dieses System später mehr und mehr verdinglicht in Form von Abgaben – bis hin zur Geldrente. Abhängig bleiben die Bauern immer – bis Anfang des 19. Jahrhunderts. Im 16. Jahrhundert waren neun Zehntel der deutschen und vier Fünftel der europäischen Bevölkerung abhängige Bauern. Um klarzumachen, was das bedeutet: Seit der Zeit Karl des Großen hatte die Feudalklasse es geschafft, sich fast die gesamte arbeitende Bevölkerung untertan zu machen und auf deren „Kosten“ zu leben. Das kann man ultrakurz auf den Punkt bringen: Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?
Der Klassenkampf geht für die Bauern immer darum, sich von Herrschaft und Abgaben zu befreien. Oft kämpften sie zuerst um die Allmende – aber gegen die militärische Übermacht konnten sie langfristig nicht bestehen. Andere wichen der direkten Konfrontation aus, indem sie versuchten auszuwandern, vor allem in den Osten, wo sie mehr Freiheiten bekamen als Gegenleistung für das Roden und Urbarmachen der unwirtlichen Gebiete. Die Zahl der Aufstände gegen die Feudalherrschaft kann man sicher vergleichen mit der Anzahl kleiner und großer Streiks in der Moderne.
Unten: Kleines karolingisches Evangeliar aus der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts, Pergamenthandschrift mit Zierseiten und insgesamt 240 Blättern. (Rainer Teuber)
Fortsetzung folgt.
* Rosamond Faith: The English Peasantry and the Growth of Lordship (Studies in the Early History of Britain)
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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)
Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)
Kinners!
Die Stubengelehrten auf Fratzenbuch streiten sich gerade darüber, ob mein Foto nur einen verunglückten Versuch zeige, sowohl den Singular als auch den Plural mit falschen Mitteln zu schreiben, weil bei „Kinder“, was jeder normale Mensch verstünde, die aus Wokistan offended beleidigt sein könnten, wenn ihr Einzelkind nicht erwähnt wird, oder ob es wieder nur der Gendersprachenwahn sei oder beides.
Unter Selbstermächtigungssenatorglottisschlaginnen
Ich hatte schon befürchtet, dass die Rekordhalterin im Ungismus-Nominalismus sich auf einen subalternen Parteiposten zurückziehen und der Tag „Mach’s besser, Katja“, sich erledigen würde. Dem ist, irgendwem sei Dank, nicht so; Katja Kipping wird wird versorgt mit Senator (har har) für Integration, Arbeit und Soziales (also Gedöns) in Berlin. Und schon geht es auf ihrer Fratzenbuch-Seite (Screenshot oben) wie gewohnt geschwurbelt zur Sache:
Ich habe deshalb für Reformalternativen wie die Kindergrundsicherung, die Vier-Tage-Woche und die Mindestrente sowie die Überwindung von Hartz-IV gekämpft. Kurz gesagt: für eine Sozialpolitik im Zeichen von Selbstbestimmung und Selbstermächtigung. Mit der Ernennung zur Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin beginnt für mich ein neues Kapitel. Es wird sich vieles ändern: Ich wechsele von der Bundes- in die Landespolitik, von der Opposition in die Regierung, aus meiner Wahlkreis Dresden nach Berlin.
Was sich nicht ändern wird: mein unbedingter Einsatz für und mit jenen, die von schlechten Arbeitsbedingungen, Armut, Ausgrenzung oder Wohnungslosigkeit betroffen sind. Ich bin entschlossen (und auch neugierig) alle möglichen Handlungsspielräume zu finden und zu nutzen, um: Berlin zu einer Vorreiterin für gute Arbeit und Ausbildung sowie einer Stadt mit sozialem Netz und Anlaufstellen für alle in Not zu machen, in der Menschen jeden Alters und Herkunft, mit und ohne Behinderung selbstbestimmt leben und sich entfalten können.
Wir zählen gemeinsam: Neun Mal -ung (Regierung zählt nicht). Bei „im Zeichen von Selbstbestimmung und Selbstermächtigung“ muss ich kapitulieren – ich verstehe nicht, was gemeint ist. Vermutlich geht das geschätzt 87,3 Prozent der BevölkerUNG auch so. Ich setze mich „unbedingt“ dafür ein – halt: Was ist der Unterschied zu „ich setze mich ein“? Das muss ich nicht unbedingt wissen.
Sie habe dafür gekämpft, Hartz-IV zu überwinden (vermutlich wäre „abschaffen“ verständlich). „Alle möglichen Handlungsspielräume“ – auch das ist Bullshit-Sprachbingo. „Alle möglichen“ kann sowohl eine ungefähre Anzahl von Optionen meinen, ohne sich festlegen zu wollen als auch, dass keine ausgelassen wird. Und was war noch ein ein „Handlungsspielraum“ – soweit ein Handballer im Torraum nach Bällen greifen kann? Mein Sprachspielraum ist ziemlich groß, ich verstehe sogar Nominalstil, wenn ich mir Mühe gebe.
Ich bin entschlossen (und auch neugierig), die Zahl der Wörter in Kippings letztem Satz nicht zu zählen, um: (jawoll, wir setzen Doppelpunkte überall hin, wie mit einem Salzstreuer verbreitet) dieses Posting zu beenden.
Unter Leftwingern
Der Guardian meldete es schon: „Gabriel Boric, a leftist former student leader, will become Chile’s youngest president after storming to a resounding victory in a run-off vote against his ultra-conservative far-right opponent, José Antonio Kast.“ [Tagesschau]
Wichtigster Satz: „Er wurde von einem breiten Bündnis unterstützt, zu dem auch die Kommunisten gehören.“ Übrigens: Camila Vallejo unterlag vor zehn Jahren Gabriel Boric: „Wissenschaftler und Journalisten sprechen einstimmig von der drohenden Radikalisierung des Protests. Denn Boric propagiert die Abkehr vom Weg der Verhandlungen mit den Politikern, den die Studentenführer in den letzten Monaten eingeschlagen haben.“
Man sieht, dass Schönheit und Geschlecht keine Kriterien sein sollten, um Leute zu wählen. Boric ist kein Mitglied der KP Chiles, aber noch radikaler als Vallejo, die – unter uns gesprochen – doch eher eine Mittelschichtstussy ist.
Schade, dass es in Deutschland keine ernst zu nehmende Kommunistische Partei gibt.