Niña Tojolabal
San Christobal [Cristóbal de las Casas], 29.10.81
Ihr Lieben,
Nach 5 Wochen Mexico sind wir jetzt im Süden angelangt, werden aber durch schwere Regenfälle aufgehalten. Dafür haben wir aber auch ein extrem billiges Hotel mit türkischem Bad. Gestern hat es 7 Stunden gegossen, sodaß man nicht mehr über die Straße gehen konnte, weil das Wasser ca. 40cm hoch in Bächen durch die Stadt floß. Aber wir haben auch schon viel Sonne gehabt. In ein paar Tagen werden wir, wenn die Straße noch existiert, wieder auf Meereshöhe sein, wo das Wetter wieder ganz anders ist. Christobal [Cristóbal] liegt über 2000m hoch. Hier im Bundesstaat Chiapas leben über 150000 Indianer, die teilweise noch ihre alten Sprachen sprechen. Herzliche Grüße
Das Foto auf der Postkarte ist von José Ángel Rodríguez, gedruckt von Litográfica Turmex, S.A. de C.V.
„Niña [Mädchen] Tojolabal“
(Die Briefmarke fehlt, weil ich die Postkarte in einem Briefumschlag verschickt hatte.)
Von Belize nach Honduras
La Ceiba, Honduras, 19.11.81 [Dieser Brief gehört zeitlich vor den vom 09.12.1981 aus Managua.]
Liebe Eltern,
Bevor wir wieder in Gebiete ohne sichere Postverbindung fahren, ein kleines Briefchen. Wir sind jetzt an der Nordküste von Honduras, ungefähr in der Mitte, und werden am Samstag mit einem Schiffchen Richtung Osten nach Puerto Lempira fahren. Das liegt nahe and der Grenze zu Nicaragua, und dort gibt es eine Menge Unruhe zwischen den beiden Ländern. Wir wissen nicht, ob es an der Ostküste Nicaraguas Postverbindungen gibt und werden vielleicht erst in 3 Wochen in Managua schreiben.
Wir waren 2 Wochen in Belize, wo es uns bis jetzt am besten gefallen hat. Das ganze Land hat nur 160.000 Einwohner [mittlerweile rund 440.000], so viel wie Kreuzberg, und die Hauptstadt [Belmopan hat heute ca. 27.000 Einwohner] ist kleiner als Holzwickede [heute rund 17.000], die größte Stadt – Belize City [heute rund 63.000 Einwohner] – ist so groß wie Unna [rund 60.000 – aber unklar].
In Belize lebt ein richtiges Völkergemisch, größtenteils Schwarze (frühere Sklaven und Landarbeiter der Engländer), die Geschäfte haben die Chinesen in der Hand, dann gibt es noch Indios (Maya), Inder, die deutsche sprechenden Mennoniten, Spanisch sprechende Mestizen (Einwanderer aus Mexiko), Creolen mit eigener Sprache (Mischlinge aus Schwarzen, Weißen und Indern) und zuletzt Cariben, das sind Neger, die aber vor mehreren hundert Jahren sich mit den indianischen Ureinwohnern (die es jetzt nicht mehr gibt, nur Reste in Guyana) vermischt haben und die auch eine eigene Sprache haben. Wir sind getrampt und haben an einer Straßenkreuzung 4 Sprachen auf einmal gehört. In den Dörfern sieht es aus wie im Wilden Westen vor 150 Jahren, alles zweigeschossige Holzhäuser, unten die Kramläden, oben die Wohnungen – aber ihr werdet die Fotos ja sehen.
Dangriga, Belize
Wir haben eine ziemlich gefährliche Situation hinter uns. Die Grenze zwischen Guatemala und Belize ist geschlossen. Wir waren im äußersten Süden von Belize und standen vor der Alternative, entweder wieder in den Norden zu fahren, um ein direktes Schiff von Belize City nach Honduras (unter Umgehung von Guatemala) zu bekommenm oder zu versuchen, die Grenze trotzdem zu überschreiten – es gibt keine Straße, nur Boote, von Punte Gorda in Belize nach Livingstone in Guatemala.
Wir wohnten in Punta Gorda bei einem Cariben-Eheppar, und der Mann hatte Beziehungen in Guatemala, weil die Schwarzen trotz der geschlossenen Grenze alles Mögliche hin- und herschmuggeln. Wir sind dann nachts um 3 heimlich mit unserem Gepäck und dem Mann in einen Einbaum gestiegen und nach Guatemala rüber.
Dort standen wir morgens am Strand und die Leute sagten uns, wir würden keinen Einreisestempel bekommen wegen der geschlossenen Grenze, zur Polizei dürften wir auch nicht gehen, die würden uns sofort verhaften. Der Mann, der uns rüber gebracht hatte, kannte zum Glück den „Beamten“, der normalerweise die Stempel ausgibt. Wir mußten ihn allerdings mit 30 DM bestechen, zum Glück hatten wir bare Dollar dabei.
Wie das Ganze abgelaufen ist, muß man erzählen, das ist zu kompliziert. Jedenfalls hatten wir endlich am Mittag den Stempel und haben uns beeilt, wieder aus Guatemala herauszukommen, weil das Land praktisch im Bürgerkrieg lebt – zwischen der Regierung und den Guerilleros und einige Gegenden zeimlich gefährlich sind, zum Glück nicht da, wo wir hinmußten. Vorgestern sind wir dann an der Grenze zu Honduras angekommen, wo auch an jeder Ecke eine Militärkontrolle steht, die alle Leute filzt. und gestern in einer 10-stündigen Bus-Gewalttour bis an die Atlantikküste gefahren, wo alles ein wenige entspannter ist.
Hier im Hotel können wir selbst kochen und wir freuen uns jeden Tag mehr, daß wir den kleinen Benzinofen mitgenommen haben, und außerdem ist es billiger, als immer in Restaurants zu essen. Wir haben schon wesentlich mehr Geld ausgegeben als geplant und müssen jetzt sehr sparen. Zum Glück wird es in Nicaragua und Costa Rica billger.
Wir werden unsere Reiseroute ein wenig ändern (nach heißen Diskussionen): Weihnachten feiner wir in San José, Costa Rica, fahren dann nach Panama City, den Kanal nach Norden nach Colon, von wo es Schiffe nach den kolumbianischen San-Andres-Inseln gibt (da war ich das letzte Mal mit Hartmut auch schon), von da aus fliegen wir ca. Neujahr nach Bogotá. Wir haben schon wieder jemanden getroffen, der im Norden von Kolumbien ausgeraubt worden ist, das wollen wir möglichst vermeiden. [Daraus wurde nichts, siehe unten.]
Die Karte zeigt die Reiseroute, die ich 1982 geplant hatte. Meine damalige Lebensabschnittsgefährtin wollte dann aber doch nicht durchs Darien Gap (awesome story!) marschieren. (Ja! Zu Fuß und per Boot und nicht per Jeep! Das geht!) Wir sind (leider) von Panama nach Kolumbien geflogen. Ich weiß nicht, ob ich da jemals noch hinkomme. Allein würde ich das nicht machen, aber eine Lebensabschnittsgefährtin müsste schon sehr tough sein.
Von Europa haben wir seit ca. 4 Wochen keinen Ton mehr gehört, und das wird sich wohl erst in Nicaragua ändern. Es ist schon etwas komisch, wenn man hier nachts den Sternenhimmel betrachtet und die vertrauten Sternbilder, die ich eigentlich nur unbewußt oder ungefähr kenne, fehlen ganz oder stehen auf dem Kopf. Der Mond nimmt auf der anderen Seite zu und die Mondsichel hängt hier nach unten. Dafür kann man die Milchstraße sehr gut sehen.
Überhaupt ist das Wetter seit Mexiko ausnehmend freundlich, fast immer zwischen 25 und 30 Grad, ab und zu mal angenehm bedeckt. Es wäre vielleicht mal ganz nett, statt der ewigen Palmen, die wir mit einer Unterbrechung von ein paar Tagen seit 3 Wochen unentwegt sehen, mal eine anständige deutsche Eiche zu erblicken.
In Belize auf den Inseln sind wir morgens aufgestanden, an den Strand gegangen, haben uns eine nachts heruntergefallene Kokosnuß genommen, sie mit einer Machete geknackt und gegessen – wie im Film. Ein Frau auf der Insel, wo wir waren, sagte uns ganz wehmütig, sie möchte irgendwann in ihrem Leben einen richtigen Apfelbaum sehen, Es gibt in Belize zwar Äpfel, aber die werden aus Mexiko importiert.
Das Essen ist an der Atlantikküste von Mittelamerika im Gegensatz zu Südamerika ziemlich reichhaltig, ziemlich viel Fisch, Kartoffeln, Reis, Kokosnüsse, ananas (eine ganze Staude kostet 20 Pfg.! [Pfennig]), jede Mange Bananen, Gemüse und viele bei uns recht unbekannte Früchte: Chayote, Jiganea [Jackfruchtbaum], Yucca.
Wir werden gerade ein wenig gestört, es ist abends gegen 8 Uhr, wir sitzen im Hof der Herberge und es läuft eine Fußballübertragung Salvador gegen Haiti, und der Reporter spricht wie ein Maschinengewehr gleichzeitig, so schnell und so laut. Honduras hat sich gerade für die nächste Fußballweltmeisterschaft qualifiziert [Spanien 1982], zum ersten Mal überhaupt, und das ganze Land spricht nur noch vom Fußball, und uns Deutsche halten sie natürlich für Spezialisten für das Thema.
Hotel California, La Ceiba, Honduras
Meine billige Uhr, die ich für 15 Mark gekauft hatte, habe ich schon in Mexiko verloren, als ich mich im Dschungel von Palenque ein wenig verlaufen hatte und viel geschwitzt hatte. Zum Glück hatte ich meine Kompaß dabei, man sieht nämlich nichts, weil die Bäume so hoch sind und am Boden alles voller Lianen und Gestrüpp ist, in das man alle naselang reinfällt. Aber wir haben noch den Reisewecker und eine Uhr braucht man sonst eigentlich nicht.
Eigentlich ist es jetzt schon Zeit, dir – Mama – zum Geburtstag zu gratulieren. Es geschehe hiermit also. Leider wird der Brief etwas zu früh ankommen aber später als ist unpassender. Ich hoffe, daß es euch gut geht und das wir bald etwas erfahren. Herzliche Grüße an alle, wir sind beim Kartenschreiben jetzt einmal herum. Grüße auch von Susanne.
Burkhard
Von Honduras nach Nicaragua
Managua, 9.12.1981
Liebe Eltern,
Ich habe heute Euren Brief bekommen, er war schon seit dem 21.11. hier angekommen, wir allerdings erst gestern. Wir haben uns über alle Briefe sehr gefreut, weil wir ja seit September nichts mehr gehört hatten. Jetzt machen wir erst einmal ein paar Tage Pause, schreiben Briefe und quatschen mit den anderen Rucksacktouristen hier in der Herberge (Wir haben seit dem 7.11. keine Deutschen mehr gesehen – das war in Belize) und werden dann die anderen Städte Nicaraguas im Westen aufsuchen.
Die letzten 2 Wochen waren äußerst anstrengend. Wir sind von La Ceiba, Honduras, mit einem kleinen alten Holzschiff die Küste lang gefahren und haben 3 Tage und 2 Nächte (Schlafen nur auf Decksplanken) mit einer fürchterlichen Schaukelei verbracht bei miserablen Essen (die ganze Zeit nur Bohnen und Reis, mit Meerwasser gekocht). Ich war am ersten Tag seekrank, die anderen Passagiere die ganze Zeit – das Schiff war 20 m lang und 5 m breit und über 50 Leute!
Bei jedem Dorf an der Küste, wo nur Schwarze wohnen, hielten wir an – ungefähr 1 km vor der Küste, und die besten Ruderer des Dorfes kamen in einem riesigen Einbaum herangepaddelt, mitten durch die riesigen Wellen der Brandung – das war das Schöne, diese prächtigen Gestalten zu sehen, alle über 1,70 groß, die meisten größer als ich, muskelbepackt und über alle Backen grinsend, ohne Karies. Einer der „Matrosen“, auch einer von den Garifunas (so nennen sie sich), hob ohne sichtbare Anstrengung 50-kg-Säcke voll Salz aus dem Laderaum nach oben.
Die Straße von Puerto Lempira, Honduras, nach Leimus, Nicaragua, bisher unveröffentlicht.
In Puerto Lempira in Honduras, einem Dorf ohne Straßenverbindung und nur mit ein paar tausend Einwohnern, sind wir dann eine Stichstraße (wer die gebaut hat und warum, weiß ich nicht) 6 Std. an den Grenzfluß [Rio Coco] zu Nicaragua. Dort an der anderen Seite war ein kleines Dorf, aber sehr viele Soldaten, alle sehr jung, mit abenteuerlichen Uniformen, teilweise langen Haaren, unterschiedlicher Bewaffnung, aber alle sehr revolutionär aussehend.
Nachdem sie unsere Rucksäcke bis auf die letzte Wäscheklammer auf dem Fußboden ausgebreitet hatten (einige Dinge kannten sie gar nicht, z.B. Tampons, den Benzinofen, die Taschenlampe hielten sie für eine Kamera) und sich überzeugt hatten, daß wir keine amerikanischen Spione waren, bekamen wir erst mal ein ausgezeichneten Gratis-Essen in der „Volkskantine“ (nur eine Holzhütte), und wir hatten die Ehre, mit dem Kommandanten zu speisen (er war jünger als ich und gab sich mit Erfolg Mühe, wie Che Guevara auszusehen), anschließend ein Empfehlungsschreiben an das Einreisebüro in der nächsten Stadt. Leider durften wir keine Fotos machen, aber alles war äußerst freundlich und vor allem neugierig.
Nach einen 6-stündigen Fahrt mit einem kleinen Lastwagen waren wir dann wieder an der Küste in einer kleinen Stadt – im Frühstücksraum des Hotels Bilder von Lenin und Arafat (!), sehr ungewohnt.
Islas del Maíz, Nicaragua, englisch: Corn Islands, fotografiert in der ersten Dezemberwoche 1981.
Nach ein paar Tagen sind wir dann wieder mit einem Schiffchen die Küste Nicaraguas entlang bis zu einer winzigen Insel, wo wir wegen nicht existierender Verbindung mit dem Festland hängengeblieben sind, dafür aber am Meer unter Palmen und am menschenleeren Sandstrand baden konnten. Dann ging es per Schiff nach Bluefields an der südlichen Küste, wo wir 2 Tage Wäsche gewaschen haben, und gestern endlich von der Küste weg ins Landesinnere hier nach Managua – endlich!
Hier ist auch alles sehr seltsam – die Stadt gibt es eigentlich gar nicht, die meisten Gebäude sind beim Erdbeben 1972 völlig zerstört und dann noch sehr viel im Bürgerkrieg 78/79. Es gibt nur noch riesige Außenbezirke mit einstöckigen Häusern, im Stadtzentrum stehen ein halbes Dutzend großer Häuser, ziemlich verstreut, dazwischen riesige Ruinenfelder oder einfach Wiesen. Wir werden uns mal umsehen in den nächsten Tagen.
Straßenszene in Managua, Nicaragua 1981, kurz nach der sandinistischen Revolution.
Ich weiß nicht, ob ich es schon geschrieben habe: am 22.12. oder einen Tag später fahren wir nach San José, Costa Rica, vor Neujahr nach Panama (vielleicht wird es schwierig mit der Post, weil angeblich alles zurücḱgeschickt wird, wenn nicht „Republic of Panama“ draufstehe). H. hat uns geschrieben, daß er uns Geld nach Bogotá schickt, das beruhigt uns.
Wir schrieben viele Weihnachts- und Neujahrskarten, wenn wir jemanden vergessen, bitte entschuldigt uns – das Porto ist auch nicht gerade billig bei der Menge. Sonst geht es uns gut, wir sind gesund und munter und schon kräftig gebräunt.
Die nächste Post wahrscheinlich aus Panama, deshalb jetzt schon ein fröhliches Weihnachen und vorsorglich einen guten Rutsch – wir werden Weihnachten in großer Hitze erleben, aber sehr gut essen gehen. Grüße von Susanne!
Burkhard
Alfabetización
Postkarte aus Nicaragua an meine Großeltern, abgeschickt am 10.12.1981. Damals war Nicaragua noch fortschrittlich. Heute müsste man die Regierung zum Teufel jagen wie damals Somoza.
Auf der Rückseite steht gedruckt: Serie: Postales Educativas. Diseño gráfico de la collectión de afiches de las Cruzada Nacional d Alfabetización. Ministerio de Ecucación – Nicaragua libre. 1980. Año de la Alfabetización.
Belize in Natural Colour
Postkarte an meine Eltern von meiner 2. Reise nach Lateinamerika aus Belize.
Die Garifuna (Garifuna-Sprache „Yamsesser“, Plural Garinagu) sind ein Volk mit über 100.000 Angehörigen in Zentralamerika und den USA. Sie ging aus der Vereinigung ehemaliger Sklaven aus Westafrika und indigenen Kariben hervor, die ab dem 17. Jahrhundert auf der Karibikinsel St. Vincent stattfand.
Die Garifuna Drummer hatte ich schon 1979 live in Belize gesehen und gehört. dieses Foto („by Jack Wood“) wurde in Dangriga aka Stann Creek aufgenommen. Cubola Productions gibt es immer noch.
Guadalajara, revisitado
Postkarte aus Guadalajara, Mexiko, an meine Großeltern (mein Opa hatte nach dem Tod meiner Oma noch einmal geheiratet), 08.10.1981. Das Foto zeigt das Teatro Degollado am Plaza de la Liberación gegenüber der Kathedrale.
Aus meinem Reisetagebuch, 09.10.1981:
Die Busfahrt ist wegen der Gegend sehr reizvoll. Die Ortschaften liegen sehr weit auseinander, und man bekommt eine Vorstellung von der Größe des Landes. Die Straßen winden sich um jede Ecke, und der Vorteil ist, daß sie das Landschaftsbild nicht zu sehr zerstören. Kurz nach Tepic sehen wir noch die Slums.
In Guadalajara sind wir zunächst einmal vom gigantischen Busbahnhof beeindruckt. Durch Zufall landen wir im Hotel León. Am ersten Abend suchen wir verzweifelt im Stadtzentrum ein nicht-mexikanisches Restaurant [weil wir noch an der Rache Montezumas litten], so daß wir schließlich bei Denny’s landen, wo wir für rund 25 DM einen Gummiadler – der auch so schmeckt – und Salat und Bier verzehren. Anscheinend richten sich die Manager dieser Ketten (unbewußt?) auf den Geschmack des jeweiligen Landes ein. Die Bestuhlung ist aus einem schrecklichen Rot, das in Rosa übergeht. Es scheint aber schick zu sein, dort zu essen (Tussy mit Latzhose).
Markt: „funktional“ sagt eigentlich alles über den Baustil aus. Verkauft werden vor allem Obst, Gemüse, Taschen, Schuhe, Papierblumen und Lederklamotten. Nach einigem Hin und Her kauft Susanne sich Sandalen. Der Preise (100) scheint mir reichlich überhöht, aber der Typ macht nicht den Eindruck, als ob er mit sich handeln ließe. Wir sehen auch drei [US]Amerikanerinnen, eine davon stilvoll in Hot Pants.
Das Essen kostet um die 2 DM, meistens Nudeln (fideos) oder Suppen mit Fleisch oder Fisch. Seltsamerweise gibt es bei den Essensständen keinem jugos. Tortillamaschinen. Krimskrams. Gute tortas, vor dem Markt, aber selbst beim zweiten Kauf versucht der Händler, mich um 10$ zu betrügen. Jede Menge Schuhmacher + seltsam kitschige Kutschen vor dem Platz.
Überhaupt wundert mich, mit was die Leute alles Geld verdienen. Ein weißhaariger Opa, zerlumpt, spielt Gitarre, hält seine blinde (?) singende Frau am Arm, die gleichzeitig den Klingelbeutel hinhält, vor ihnen läuft ein kleiner Junge, der mit einem Stock eine Gitarre simuliert.
Ich konnte mich genau daran erinnern, dass ich die Blinden fotografiert hatte und fand auch das Foto. Offenbar habe ich das aber bisher nicht veröffentlicht.
Eine Frau singt einfach, eine andere singt und trompetet abwechselnd auf einer Papiertüte. Ein blinder Mann spielt Harfe. Marimba-Kapellen bieten sich für ein Stück an, die in der Stadt spielen umsonst, scheinen bezahlt zu werden. Eine Frau verkauft ganz junge Hunde, ein Mann Erdhörnchen u. ähnliche Tiere. In den Zoohandlungen werden kleine Hunde in Käfigen gehalten, ebenso Vögel von fliegenden Händlern. Die üblichen [unleserlich]. Einer verkauft Schmuck mit irgendwelchen Amuletten zusammen. Jede Menge Uhrenverkäufer. Die Mariachi-Kapellen hingegen scheinen nicht so ausgelastet zu sein, vielleicht ist das auch schon ein Resultat der Radio- und Fernsehsender. Wir sehen sie für Omas spielen. Auf der Plaza und in den Seitenstraßen wir kein Bier verkauft.
Die renovierte Stadt auf der Rückseite der Kathedrale bis zu den Cabañas ist großartig, obwohl man nicht mehr sieht, was alles dafür abgerissen wurde. Großzügige Fußgängerzone, die Häuser mit Arkaden, viele Pflanzen und Wasserspiele, sogar ein richtiger Wasserfall, und – was den [US]Amerikanern am meisten auffällt, alles mit Tiefgaragen unterkellert, und überall absolutes Halteverbot inkl. Einbahnstraßen.
Orozco im Palacio del Gobierno etwas unverständlich, vor allem die Vermischung von Hakenkreuzen und Hammer/Sichel, ansonsten nur Männer.
Fiesta abends: die Feuerwerker auf dem Sims der Kirche bekommen nur jeden zweiten Schuss nach oben, der Rest fällt nach unten auf die Leute. Es wird mit Konfetti geworfen, die Kirche ist gerammelt voll, bis fast in den Kirchenraum wird Ramsch verkauft, wir erwerben eine kleine durchsichtige Kugel zum Umhängen, die mit ein wenig Phosphor gefüllt ist, aber abends im Bett ausläuft und Susanne sich über ihre leuchtenden Schuhe erschrecken läßt.
Fast kaum große Kaufhäuser, aber Restaurants gibt’s auch nicht. Das [Restaurant] Alpes ist ein Reinfall, das einzig „Deutsche“ sind Hamburger. Ein anderes Alpes gegenüber hat geschlossen, ebenso die beiden Kirchen, die wir gestern besichtigen wollten (San Felipe). Aber gegen Quito [Ecuador] ist das alles Ramsch.
Wir treffen noch die beiden Hamburger wieder und speisen Pizza. Der Besitzer, ein Italiener (Bernini Juarez), spricht fließend Deutsch, Englisch und Spanisch. Wir hören noch ein paar Schauergeschichten: Wenn eine Frau zum Essen eingeladen wird, erwartet der Typ spätestens beim zweiten Mal, daß sie in Naturalien zahl. Oder wenn der Hotelmensch sagt, daß er woanders anrufen will, aber es nicht tut und auch nicht Bescheid sagt. Abends sehen wir einige Jungen, die in geschlossenen Geschäftseingängen sitzen bzw. schlafen,.
Stadt: Auf der Plaza de Armas macht die Frente Democratico de Lucha Popular Reklame, mehr Fahnen als Leute, und der Typ schreit sich ziemlich monoton die Seele aus dem Leib. Die Fußgängerzone recht nett, aber die Stadt ist so zerstört wie z.B. Siegen. Due Außenbezirke zeigen das, was von der an der Barranca de Oblatos] gelegenen Architekturfakultät herauskommt: eintönige Blocks im Oranienplatz-Altrosa.
Der 45-er Bus fährt bis zur Universität, keiner steht auf, um Frauen mit Babies Platz zu machen. Der Park mit toller Aussicht, die allerdings durch ständige Musikberieselung durch überall angebrachte Lautsprecher getrübt wird. Ebenso läuft in der „Kantine“ mit guter Fernsicht der Fernseher. In der angrenzenden colonia werden wir mit „Heil Hitler“ begrüßt.
Warum repariert niemand die Auspuffe der Busse? Nur am schlechten Benzin kann es nicht liegen. Der Fußgänger ist Freiwild. Die Stadt liegt im Dunst.
Mestizenkultur: Sie haben zwar neumodischen Kram, können aber nicht damit umgehen oder funktionieren ihn um. Einige Dinge wie komplizierte Rechnungen gefallen ihnen, aber sie sind nur Schmuck. Die Fiesta läßt uns kalt. Die kleinen Spezialitäten zum Essen sind alle sehr teuer. Wir treffen zwei deutsche Männer aus Heilbronn, die seit April in Kanada und USA unterwegs waren und lassen uns gemeinsam über die [US]amerikanische Unkultur aus. Seltsam, wie man durch den Kontakt mit dem Land zu genau denselben Erfahrungen kommt.
Bernini [der Besitzer des Restaurants] ist in Mexiko geboren, seine Mutter stammt aus der Ukraine, er schimpft auf den internationalen Weltkommunismus und über die dumme mexikanische Jugend, die nur etwas über MEW weiß und sonst nichts.
Cuauhtemoc, revisited
Cuauhtemoc, Bundesstaat Chihuahua, Mexiko, vgl. 25.05.2013.
Cuauhtemoc, Mexico, 25.9.81
Liebe Eltern!
Da wir in den nächsten zwei Wochen keinen Brief loswerden können, schon mal eine erste Nachricht. Nach 4 Tagen New York und anschließendem sehr mühevollen Tramp-Versuchen haben wir bei Sonnenuntergang mitten auf einem Autobahnkreuz beschlossen, mit dem Bus direkt bis zur mexikanischen Grenze zu fahren. Das dauerte zwar 58 (!) Stunden, aber jetzt sind wir endlich in Mexico bei den Mennoniten und essen fleißig Bratkartoffeln.
Hof von Mennoniten in Cuauhtémoc, im Hintergrund eine ihrer typischen Kutschen. Die orthodoxen Mennoniten benutzen keine Autos. Vgl. 25.08.2020.
Wir haben in den USA schon über 1000,- [DM] ausgegeben und werden vorläufig da nicht wieder hinfahren. Montag fahren wir mit einem Zug ins Gebirge, wo wir zwei Wochen Reit“urlaub“ machen werden. [Daraus wurde nichts.] Danach werden wir ausführlich schreiben, auch noch mal über die bisherigen Erlebnisse. (…)
Adresse: „B. Schröder c/o Redekop, Av. A. Belgar 450, Cuauhtemoc“. Vermutlich war es die Avenida Agustín Melgar – da ist heute nichts mehr von dem Haus (unten) zu sehen, in dem wir damals gastierten.
Apropos Redekop: Dazu habe ich ein interessantes Video gefunden: „Evangelische Abendversammlungen mit Ältester Peter Redekop in der Mennoniten Gemeinde zu Rosenthal in Cuauhtemoc, Chihuahua, Mexico“. Man hört auch das etwas merkwürdige Deutsch, das die dort sprechen. Und erst der Chor! Ob das einer der Knaben ist, die ich damals in Belize fotografiert habe? Die Familie ist später nach Cuauhtemoc zurückgekehrt. Von den Videos gibt es noch mehr, bist jetzt eine einstellige Zahl von Aufrufen. Die werden sich wundern, woher jetzt die Zugriffe kommen….
Frau Redekop vor ihrem Haus – ich habe das Foto (ehem. Dia) in dem ramponierten Zustand belassen, weil es außer mir eh niemanden interessieren wird.
Über die Vorgeschichte – warum die Mennoniten aus Russland nach Mexiko auswanderten – berichtet das Magazin Mennonite Historian – auchj dort wird der Familienname Redekop genannt.
„The David Redekop family left the Irapuato area in 1927 and settled in Cuauhtemoc (then
called San Antonio de las Arenales). Here he started peddling goods among the Old Colony Mennonites. In 1928 he started a retail store in town, and soon expanded his enterprise with a creamery, cheese factory and elevator. When other Russian Mennonites made this town their abode and came looking for a job, he would hire them. His son, William, wanted his children to have a better education, so in 1945 they emigrated to Canada. David passed away in 1953, and son Aron took over the business.“
Der Mann, der mir 1979 anbot, bei ihnen zu wohnen und den ich 1982 noch einmal besucht habe, hieß auch Aaron. Vom Alter her würde das hinkommen.
O wie schön ist Panama, revisited
Indios Chocoes de la Provincia de Darién pintadas y luciendo collares en un dia de fiesta. – choco Indians of Darien, painted and showing off their silver necklaces on a holiday. Prov. de Darièn, Rep. de Panama. Reprocuccion y Distribution Foto Flateau – Apartado 391 – Panama R.R.
Postkarte aus Panama an Verwandte, geschrieben am 30.12.81. Aus meinem Reisetagebuch 27.12.1981:
In David, einem recht angenehmen Ort (aber vermutlich uninteressant), ein Bus für 10.00 S (!) [Ich weiß nicht, ob ich die Währung Costa Ricas meine oder schon die Panamas oder ob der Strich fehlt und US-Dollar gemeint sind.] (die Tauscher an der grenze wechseln Colones für denselben Kurs wie in San José), wir kommen um 11 Uhr an. Kurz vorher die Brücke der Amerikas auf dem erleuchteten [Puerto de] Balboa!
Wir fragen uns in Richtung Calle Central durch [vgl. 05.02.2023], ein Engländer und eine Neuseeländerin wissen den Weg zur Calle 6a Oeste. Pension Panamá ist voll. [unleserlich] mit guter Dusche, Aufenthaltsraum und auch sonst.
Panama City ist eine aufregende Stadt in jeder Beziehung. Die Leute eine unwahrscheinliche Mischung, Abkömmlinge der West Indies (Kanalarbeiter), rechts von der Avenida Central, in Calidonia, lange Straßen, lange vergammelte Holzhäuser in engen Gassen, in die wir uns nicht hineinwagen. Schöne dunkelhäutige Frauen, sehr viele Leute mit chinesischem Einschlag, sehr wenige der bekannten Mestizengesichter, irgendwie anders, ähnlich wie in Costa Rica, aber brauner. Nur freundliche Leute, in der Bücherei, bei der efresquería, im Restaurant, (…) das erstaunte Gesicht im Tourismus-Institut im Gebäude der City-Bank, 5. piso [Etage]: „no ingles?“ [Meint: Alle gingen davon aus, dass wir US-Amerikaner waren; andere Ausländer hatten sie selten oder noch nie getroffen.]
Rund um die Kathedrale ein buntes, enges Gewirr von Gassen bis hin zur Plaza de Francia mit Blick auf die Landspitze, auf „Klein Manhattan„, das zentrum mehr im Osten. Verbindung durch avenida Central, gegen die der Kudamm [in Berlin] eine Dorfstraße ist, und der Avenida Norte entlang der Bay. Deutsche Botschaft recht freundlich…
Anmerkung: Ich hatte geplant, von Panama von Yaviza aus zu Fuß durch das Darien Gap zu marschieren und hatte mir Karten vom Ibero-Amerikanischen Institut besorgt, aber meine Begleiterin wollte leider nicht. Interessant: Auf den Karten fand ich damals öfter den Eintrag: „no existan fotografías“. Das machte es besonders spannend. Heute ist es wegen der Drogen- und Menschenschmuggler vermutlich zu gefährlich.
Regenzeit
Trinidad, 22.2.80 [gemeint ist nicht die Insel Trinidad, sondern die Stadt in Bolivien, angekommen in Unna 1.3.]
Liebe Eltern!
Im Augenblick stecken wir in einer kleinen Siedlung im Norden von Bolivien seit 5 Tagen fest. Es gibt keine Straßen nach Norden zur brasilianischen Grenze, wo wir hinwollen, keine Flugzeuge, weil das Flugzeug der Linie, mit der wir fliegen, in La Paz festsitzt, weil die Piste des „Flughafens“ (Graspiste) vorher unter Wasser stand und alle anderen Flugzeuge bis März ausgebucht sind. Schiffe bzw. Lastkähne, mit denen wir heruntergeschaukelt sind bis hierher, gibt’s auch nicht, weil der „Hafen“ (nur 10 Holzhäuser) völlig unter Wasser steht. Jetzt wissen wir, was Regen ist, denn es hat seit drei Tagen und drei Nächten geschüttet wie aus Eimern und alles ist überschwemmt.
Das Dschungelgebiet im Norden Boliviens ist 1/3 so groß wie die BRD, aber es gibt nur drei Siedlungen mit mehr als 1000 Einw., sonst nur Flüsse und Dschungel. Wir wollen mit einer Militärmaschine zu einem Dorf hoch im Norden an der Grenze, von dort gibt’s eine Straße nach Brasilien + weiter nach Manaus am Amazonas. Mit einem Lastkahn dauert es 5 Tage, so viel Zeit haben wir nicht. Ich hoffe, daß das komische Flugzeug in den nächsten Tagen endlich losgeht – wenn es nicht wieder regnet.
Allerdings gab es im Büro der Militärs in den letzten Tagen, wo wir alle 2 Stunden hingerannt sind, sehr unterschiedliche Informationen von denselben Personen: 1. das Flugzeug fliegt nicht, weil es regnet, 2. sie fliegen nicht, weil Karneval ist, 3. das Flugzeug ist mit nur einem Motor gelandet und sie können es nicht reparieren, 4. die Elektronik ist ausgefallen, 5. das Flugzeug ist von La Paz gestartet, aber wir wissen nicht, wo es ist (!!!). Es ist zum Ausflippen.
Unternehmen kann man auch nichts, weil die „Stadt“ nur aus ein paar Straßen besteht und praktisch von der Außenwelt nur per Flugzeug erreichbar ist – und es fliegt eben keines in die richtige Richtung – leider.
Wir sitzen den ganzen Tag am der Plaza, trinken Kaffee oder sonstige leckeren Sachen, gucken uns die nassen Palmen und riesigen Gummibäume an oder spielen Schach oder Rommee oder schreiben Briefe. Und alle 2 1/2 Stunden heißt es im Flugbüro: Wir informieren 3 Stunden später!
Silbermine San Jose in Oruro, Bolivien
Ansonsten ist Bolivien sehr schön, der große Geheimtip in Südamerika. Die Leute sehr freundlich und ausgesprochen höflich, aber mit der üblichen Südamerika-Mentalität, wenn’s heute nicht geht – mañana – morgen. Wir waren zwei Wochen auf dem Altiplano, das ist das Andengebiet, die Städte inkl. La Paz liegen alle über 3000m hoch. In Oruro haben wir eine Silbermine besichtigt nach langem Hin- und Herfragen – sehr interessant, die Mine sieht aus wie eine Mischung aus Korallenriff und Tropfsteinhöhle, überall hängt grünen oxidiertes Kupfer herunter und dazwischen glitzernde Silberadern. Die Arbeit ist sehr anstrengend, wie bei uns vor 50 Jahren. Die mineros waren auch sehr erstaunt über uns, weil normalerweise keiner reinkommt – vielleicht will die Verwaltung nicht, dass die Gringos was über die Arbeitsbedingungen erfahren. Außerdem verdienen die Bergleute umgerechnet 2.30 DM pro Tag, sehr wenig auch bei den Preisen, denn 1 Essen in einem billigen Restaurant kostet schon 2 DM!
Die Städte sind aber wesentlich sauberer und gepflegter als in Peru, die schönsten Plätze mit riesigen Palmen und unwahrscheinlich bunten Blumen (was in Deutschland mühselig gezüchtet wird, wächst hier wie Unkraut – trotz der Höhenlage) gibts hier. Selbst in Potosi, zur Zeit der Spanier wegen seiner Silberminen die größte Stadt ganz Amerikas, das aber 3900 m hoch liegt, wachsen Palmen!
Sucre, die Hauptstadt Boliviens, La plaza 25 de Mayo, Februar 1980
Und obwohl die Busse im Vergleich zu Peru reine Luxusbusse sind, haben wir schon 3 Buszusammenbrüche hinter uns. Beim letzten montierte der Busfahrer abends um 9 beim Schein einer Taschenlampe mitten auf der Straße (ohne Absperrung!) die Hinterachse raus, weil das Hinterrad immer eine andere Richtung wollte als der restliche Bus – und jede 10 Minuten, wenn ein Auto kam, hämmerte er die Achse wieder rein, weil sonst kein Platz auf der Straße gewesen wäre. Wir waren nach 2 Std. bedient und sind getrampt, aber haben es nur geschafft, weil zwei sehr hübsche Bolivianerinnen einen Bus angehalten und uns als ihre Begleiter ausgegeben haben – die ganze Meute aus unserem Bus wollte nämlich auch mit und der andere Busfahrer wollte nur 2 Leute mitnehmen – uff!
Wir sind bis hierher auf einem kleinen Lastkahn einen Urwaldfluß abwärts gefahren, haben den ganzen Tag in der Hängematte gelegen und uns die Dschungelbäume beguckt. Die Ruhe brauchten wir auch, denn es gab nur Flußwasser zu trinken (der Fluß ist eine schmutzig-braune Brühe) und wir hatten leichte Magen- und Darmbeschwerden – aber Hygiene ist ein eigenes Kapitel.
Puerto Villaroel am Rio Mamoré, Boliven 1980.
In 5 Tagen gab es 1 Dorf, wo wir auch angelegt haben, aber in der einzigen Kneipe buw. dem Krämerladen gab es nur eine einzige (!) Flasche Bier, und unser Kapitän war schneller als wir. Ursprünglich wollten wir noch 1 Woche im Norden ganz tief in den Dschungel zu den Kautschukzapfern und uns mal ein paar Krokodile und Affen „live“ ansehen [dazu bin ich erst 1984 gekommen], aber wir sitzen ja hier fest und haben das gestrichen.
Zum Glück ist unser „Hotel“ ganz nett, man kann in einem teilweise überdachten Hof sitzen und auch essen, denn selbst wenn es hier gießt, kühlt es sich kaum ab, es sind immer 25° und mehr, und wenn es trocken ist, sind es über 30. Aber das Nichtstun nervt uns ganz schön. Wir sind auch schon etwas wieder auf Europa eingestellt [wir waren schon fünf Monate unterwegs], weil wir jetzt die 2000 km rauf nach Guyana nur mit einem Stop in Manaus machen, weil wir erst unsere Flugbuchungen in Georgetown bestätigen lassen müssen und dann erst wieder eine Woche Zeit haben, um in Guyana etwas zu unternehmen.
Und außerdem wollen wir ja noch ein paar Tage in Barbados am Strand liegen, daß wir wenigstens knackig braun sind, obwohl wir jetzt auch schon ganz schön braun sind.
Hier gibt’s auch einen ganz kleinen putzigen Papagei im Hotel, der überall herumkrabbelt und alles anknabbert, vor allem Kugelschreiber und Zehen. Wenn man ihn anflötet, piepst er zurück und krabbelt das Hosenbein hoch bis auf die Schulter oder den Kopf. Vielleicht ist es auch ein Kakadu, denn einen großen Papagei haben sie auch und der sieht etwa anders aus, aber sehr würdevoll.
Aus Berlin werden wir ja bis zu unserer Rückkehr nichts mehr erfahren (…). Mein Auto wurde wohl abgemeldet – leider. Sonst geht#s uns gut, auch gesundheitlich, ich hoffe, auch allen auch. Macht euch keine Gedanken, denn gefährlich wird es jetzt nicht mehr besonders – Hauptsache, der Flug mit den Klapperdingern klappt. Wenn ihr den Brief bekommt, bin ich hoffentlich schon tief in Brasilien, wenn nicht schon in Guyana. Bis dann, viele liebe Grüße…
Ein Mädchen auf der Mario Angel, einem „Seelenverkäufer“ auf dem Río Mamoré im Dschungel Boliviens.
Seid unbesorgt, wenn ihr keine Post mehr bekommt
Leider muss ich das Publikum mit einem Luftpostbrief belästigen, den ich vor 45 Jahren aus Südamerika an meine Eltern geschrieben habe, 17 Seiten auf hauchdünnem Papier (um Porto zu sparen: Aerogramm). Ich werde immer noch schamrot, wenn ich lese, was für einen Unsinn ich damals meinte von mir geben zu müssen. Man kann das nicht unkommentiert lassen; manches ist auch schlicht falsch. Die Rechtschreibung habe ich nicht verändert. Einiges ist doppelt (hier schon einmal erwähnt), weil ich damals nicht wusste, ob die Briefe überhaupt ihr Ziel erreichen würden.
Wie ich hier schon schrieb: Die Adressaten wussten fast gar nichts über die Länder Südamerikas oder auf dem Niveau des Bertelsmann Volkslexikons. Für mich wird es interessant, wenn ich meine heutige Sicht mit der von damals vergleiche oder mit den Briefen, die ich 1984 bei meiner dritten halbjährigen Reise schrieb – die waren ganz anders, aber auch nicht so, wie ich heute schreiben würde.
Vermutlich werden sich die Nachgeborenen auch nicht mehr vorstellen können, dass man überhaupt Briefe schrieb. Heute steht man von überallher ständig in Kontakt und schreibt zudem die sozialen Medien voll. Beim Verfassen des Briefes war ich drei Monate unterwegs gewesen und hatte die USA, Mexiko, Belize, Guatemala, Honduras, Kolumbien und Ecuador gesehen und war quer durch Peru gereist. Ich hatte keinen Reiseführer, und meine Kenntnisse über die Länder beschränkten sich auf Allgemeinbildung und Karl May. Schon witzig, dass ich mich damals – nach der Hälfte der Reise – als „erfahren“ fühlte. „Erfahren“ hätte ich mich vielleicht am Ende der 2. Reise 1980, die zum Teil viel abenteuerlicher und auch gefährlicher war, fühlen können.
Cuzco, [richtig: Cusco] 21.1.1980 (angekommen 2.2.80)
Liebe Eltern!
Leider weiß ich nicht, ob meine Briefe bisher angekommen sind, weil ich seit Kolumbien keine Post mehr bekommen habe (Anf. Nov.). Der letzte Brief ist in Quito, Ecuador, losgegangen, und seitdem ist sehr viel passiert und wir haben sehr viel erlebt. Zunächst einmal: Uns geht es ausgezeichnet, gesundheitlich wie stimmungsmäßig, finanziell wie üblich knapp.
Heute sitzen wir in einem kleinen Café in Cuzco im Süden von Peru und hören zum 2. Mal seit 4 Monaten Klassik – Tschaikowsky, und sind ganz glücklich nach den ewigen Schnulzen hier. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie begeistert wir über kleine Dinge sein können – ein bisschen europäische Musik, eine funktionierende Dusche (seit Quito habe ich nicht richtig heiß geduscht!) oder eine deutsche Zeitung. Seit Berlin gab es kein Schwarzbrot mehr, an Fleischsalat kaum zu denken – aber das sind Kleinigkeiten.
Von Quito sind wir eine Woche im Urwald von Ecuador gewesen – in einem kleinen Dorf gab es eine Anakonda als Haustier im „Hotel“. Bootsfahrten über Dschungelflüsse, schreiend bunte Papageien + Schmetterlinge + Stromschnellen, die uns manchmal Angst einjagten.
Stellt euch z.B. vor, man fährt 8 Std. mit einem urtümlichen Gerät von Bus zwischen Hühnern, Schweinen und viel zu viel Passagieren über Schotterpisten durch die Anden, durch Pässe von 5000m Höhe (!), und plötzlich reißen die Wolken auf und 1000m weiter unten dunkelgrüner Dschungel bis zum Horizont – und der Bus braucht 3 weitere Stunden über endlose Serpentinen nach unten. Ab und zu sind die Brücken über die Flüsse eingestürzt und man muß Stunden warten, bis die Fähre kommt. Nach einer Nacht Regen führen die Flüsse so viel Wasser und sind so reißend, daß sogar Stahlbrücken einstürzen – wir haben eine gesehen!
Im Süden von Ecuador waren wir in einem kleinen Ort – Banos (d.h. „Bäder“), der direkt unter einem noch tätigen Vulkan, d. Tungurahua, liegt und wo es heiße Schwefelquellen gibt, in denen wir gebadet haben. Wir hatten nichts besseres zu tun, als den Vulkan zu besteigen– eine 3-Tage-Tour mit leichtem Gepäck. Zuerst ging es zu einer Hütte auf 3600m Höhe – eine unbeschreiblich schöne Pflanzenwelt gibt’s dort oben – Heidekraut, Krüppelkiefern mit Moosen und Flechten bewachsen, die bis auf den Boden hängen, unzählige bunte Blumen und dazwischen Nebelschwaden.
Das Schönste war der Sonnenaufgang mit Fernsicht über 150 km und Blick auf mehrere schneebedeckte 6000er Vulkane, u.a. den Chimborazo, den höchsten Vulkan der Welt. Ich bin dann noch weitere 5 Std. hoch über Geröll, Felsen und Gletscher bis zum Vulkankrater auf 4800m (der Gipfel liegt etwas über 5000 und ist nur für Bergsteiger mit Ausrüstung begehbar). Sehr komische Gefühle bekommt man, wenn überall aus den Ritzen und Spalten heiße Dämpfe aufsteigen!
Wenn ich alles schreibe, was wir erlebt haben, wird der Brief zu lang, also nur einige Episoden.
Das Foto habe ich 1979 an der Bahnstrecke zwischen Guayaquil (eigentlich Durán) und Quito gemacht. Zuerst veröffentlicht 15.03.2023.
– Eisenbahnfahren in Ecuador ist lustig – auf der Strecke von Riobamba nach Guayaquil an der Küste fährt ein Pullman-Zug aus der Jahrhundertwende, mit knallrot angestrichenen Holzwaggons und einer ebenso putzigen Dampflok, die keuchend die Anden rauf und runter schnauft, wie im Wilden Westen! Der Zug hält in den Dörfern wie eine Straßenbahn mitten auf der Straße, und ringsum Holzhäuser mit Saloon, ein wahnwitziges Getümmel von Leute und Pferden. Ihr braucht euch nur mal einen Wildwest-Film anzusehen – es staubt sogar genauso.
Dann ging unser Geld fast aus und wir mußten nach Lima, Peru. Wir sind die ganze Strecke von von Guayaquil, Ecuador, bis Lima, Peru, an einem Stück gefahren, 57 Stunden Transport auf Zementlastwagen und Busfahren mit Reifenpannen.
Der Küstenstreifen von Peru (über 1300km!) ist eine Sandwüste wie in der Sahara – bis zum Horizont nur Sand, Sand und noch mehr Sand mit riesigen Wanderdünen und Oasen mit Palmen [Die Strecke habe ich 1984 fotografiert]. Wir lagen nachts hinten auf der Ladefläche eines Lasters, sahen einen unbeschreiblich schönen Sternenhimmel, ringsum Sandwüste, und der Wagen rauscht mit einer Staubwolke die Straße entlang. Wir sahen allerdings aus wie die Räuber, ein Tuch vor dem Gesicht, Bartstoppeln – ich hatte leider Durchfall und mußte in den Oasen mitten auf dem „Bürgersteig“ (morgens um 1/2 5 war zum Glück keiner auf der Straße – nur die Dorfhunde guckten ganz interessiert). Die letzten 24 Stunden hatte wir die Nase voll und sind mit dem Bus gefahren.
Lima, die Hauptstadt von Peru, hat wenig Sehenswürdigkeiten zu bieten, wenn man in die Außenbezirke fährt, sieht es aus wie nach einem Bombenangriff, alles total zerfallen, Slums, bettelnde Kinder, alles total verdreckt – vielleicht kann ich durch Fotos einen Eindruck verschaffen. Peru ist ein sehr armes Land. Ich glaube, 4 oder 5x so groß wie Deutschland, nur 20 Mio. Einwohner [heute 34,4 Mio.], allein 6 Mio. in Lima, also ziemlich „leer“. Die gutgestellten Bauern verdienen ca 100 DM im Monat!
Wir brauchten inklusive Hotels, Restaurants + Andenken jeder 400 DM in 5 Wochen, so billig ist es hier! Ein Essen mit Suppe und Getränk kostet 1.20 DM, allerdings ist die Qualität nicht mit Europa zu vergleichen, aber hier gibt es eben nichts! Die Bauern ziehen alle in die Stadt, weil sie glauben, mehr verdienen zu können – dabei stimmt das überhaupt nicht. Ganz Lima ist voll vom fliegenden Händlern, die buchstäblich alles verkaufen – unbeschreiblich – vor Weihnachten war die Hölle los.
Nach Lima sind wir mit der höchsten Eisenbahn der Welt (über 4.800m!) [heute nur noch die höchste Eisenbahn in Amerika] zu einer Landkooperative gefahren, d.h. eine ehemalige amerikanische Hazienda, die enteignet wurde und von den Bauern kollektiv bewirtschaftet wird. Die Leute sind unglaublich gastfreundlich – Touristen aber auch so gut wie unbekannt. Wir wurden bei einer Familie zum Essen eingeladen – der Mann ein sonnengebräunter Indio, der uns zur Begrüßung umarmte, seine Frau ganz dick mit 4 oder 5 Röcken, langen schwarzen Zöpfen und einem großen weißen Hut (d.i. hier die Tracht und auch oder gerade die alten Frauen sehen alle sehr hübsch aus) und zum Essen gab es —drei Meerschweinchen! Wenn man nicht daran denkt, schmeckt es gut, nur wenig Fleisch, aber bei der Armut verständlich, daß die Leute zu Tieren ein anderes Verhältnis haben als wir. [Es existierte ein Fotos dieses Mahls, aber ich habe es weder veröffentlicht noch gefunden.]
Rente oder Versicherung gibt es nicht, die alten Leute leben von ihren Kindern – und ihr könnt euch vielleicht denken, mit welchen Gefühlen wir uns verabschiedet haben. Sie entschuldigten sich dafür, daß sie so „schlecht“ vorbereitet gewesen waren – dabei hatten sie selbst kaum etwas zu essen.
Wir haben hier (die Kooperative nennt sich SAIS Tupac Amaru, das heißt so viel wie „landwirtschaftliche Interessengemeinschaft“ – Tupac Amaru ist ein Indio, der vor 200 Jahren den Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier angeführt hat und dafür gevierteilt worden ist) vieles über die Verhältnisse in Peru erfahren.
Nach 4 Tagen sind wir dann langsam weiter in den Süden Perus, haben malerische Indiomärkte besucht, einen 45-Std.-Horror-Trip mit dem Bus von Ayacucho nach hier über 5000er Pässe, Fernsicht aus dem Bus wie von einem Schweizer Alpengipfel, Lamaherden auf kahlen Hochebenen, bitterarmen Hirtenkindern und 8stündigem Steckenbleiben des Busses im Schlamm (hier ist Regenzeit, d.h. aber, es regnet nur nachts oder nur ein paar Stunden täglich, sonst scheint die Sonne.)
Unser Bus, links ein liegengebliebenes Auto (in einer Kurve!), rechts 700m Schlucht. Oben ca. 20 Hühner, ein Schwein, hinten in einer Klappe ein Schäferhund, ca. 70 Gepäckstücke auch noch auf dem Dach – und alle Passagiere mussten beim Überholmanöver aussteigen, damit es im Falle eines Absturzes nur 1 Toten gegeben hätte!!! Die „Straße“ nur Schotter und Schlamm. Mir wurde es recht mulmig.
Jetzt mal was über die letzten 2 Wochen. Cuzco im Süden ist die alte Hauptstadt der Inkas, deren Reich von den Spaniern im 16. Jahrhundert zerstört wurde. Ihr müsst wissen, daß ca. 3/4 der Bevölkerung Perus Indos sind, d.h. Nachfahren der Inkas, die kaum Spanisch sprechen, sondern Quechua, eine uralte Sprache, die eigentlich gar nicht in schriftlicher Form existiert. [Der Unterschied zwischen dem Quechua der Inka-Zeit und dem von heute ist so groß wie der zwischen Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch.] Ich habe mal ein bisschen gelernt, es ist aber so schwer wie Chinesisch. Z.B. heißt „Feind“ in Quechua „auca“. Die Aucas [sie heißen Huaorani – nur die Inka nannten sie Auca – im Sinne von „Barbaren“] sind ein Indiostamm im Dschungel von Ecuador. Das Inkareich erstreckte sich im 16. Jh. von Quito, Ecuador bis nach Chile! Die Inkas kannten das Rad nicht, haben aber 6m breite Straßen gebaut von Cuzco nach Quito, über 5000km lang! Alle paar Kilometer gab es kleine „Raststätten“ für die Läufer (Pferde gab es nicht) mit Bädern.
Die Inkas hatte nur einen Fehler – sie waren friedfertig [das ist natürlich totaler Unsinn!] und besaßen haufenweise Gold – und die Spanier mit ihrer europäischen „Kultur“ haben alles kurz und klein geschlagen. Die Landwirtschaft heute ist auf einem niedrigeren Stand als damals, weil die Inkas Terrassenanbau bis auf 4500m Höhe betrieben haben, heute ist alles verfallen. So, das zur Einführung für das Folgende.
Die Häuser von Cuzco sind noch auf den alten Inkamauern gebaut – d. sind teilweise Felsbrocken bis 30 Tonnen (wie haben die die ohne Maschinen bewegt?), die so miteinander verfugt sind, daß man an einigen Stellen kein Messer dazwischen stecken kann – und ohne Mörtel! Obendrauf stehen viele spanische Kolonialkirchen, die aber bei den verschiedenen Erdbeben wegen der „fortschrittlichen“ europäischen Bauweise fast alle zusammengefallen sind, während die Inkabauwerke noch alle stehen.
Die berühmteste Sehenswürdigkeit Südamerikas ist die alte Ínkastadt Machu Pichu, ca. 120km von Cuzco in den Bergen – ich glaube, irgendwer in der Verwandtschaft hat eine Postkarte mit Machu Pichu bekommen. Man kann mit einem Zug hinfahren, wir sind nach 88km aufgestiegen (Hartmut + ich + und noch ein Belgier) und haben uns mit Rucksack, Zelt, Gaskocher, Haferflocken, Wasserflasche, Kaffee, Milchpulver, Schlafsack + Kleinigkeiten in die Berge geschlagen. Es gibt die letzten 33km vor Machu Pichu eine alte Inka“straße“, eben weil die Inkas keine Fahrzeuge kannten, haben sie ihre Wege per Luftlinie in die Berge gebaut.
Wir haben für die Strecke 5 Tage gebraucht, der 1. Pass war über 4200, der 2. 3800, der 3. 3500m, aber das war mit mein schönstes Erlebnis in Südamerika, aber auch sehr anstregend. Nachts haben wir meist in halbverfallenden Inkaruinen übernachtet, die alle hoch auf den Gipfeln sind – und jeder Sonnenauf- und -untergang war überwältigend – die 6000er Kordilleren Perus im Hintergrund. Teilweise sind die Wasserleitungen der Inkas noch heute in Betrieb, obwohl sie seit 400 Jahren nicht mehr erneuert wurden, und wir konnten uns mit eiskaltem Gebirgswasser waschen und hatten was zum Kochen.
Aufstieg am Morgen im Nebel, ca. 4.000 Höhenmeter, auf dem so genannten „Inca trail“ oder auch camino de los Incas nach Machu Picchu, Peru. Das Foto zeigt meinen damaligen Reisebegleiter (Januar 1979). Zuerst veröffentlich am 02.04.2021.
Dabei gibt es keine Dörfer, kein Haus, nichts als Gegend! Hier im Gebirge ist außerdem gerade Frühling, leider kann ich die Orchideen, die hier wie Unkraut wachsen, nicht mitbringen!
Leider können die Fotos nicht viel vom Eindruck vermitteln, z.B. die vorletzte Nacht – nur ein Beschreibungsversuch. Wir sitzen alle an einem Lagerfeuer in einer Inkaburg, ein Sternenhimmel wie im Bilderbuch, 750m weiter unten fast senkrecht in einer Schlucht ein reißender Fluß (Rio Urubama), steile Hänge, von tropischer Vegetation überwachsen (auf 3000m Höhe! Schneegrenze bei 4000-4500m), Unten verschwindet die Sonne gerade noch hinter der „Veronica“ (über 6000m!), rechts rauscht ein Wasserfall, das Feuer flackert über dem Gemäuer, wir essen Haferflocken und stellen uns vor, wie alles vor 500 Jahren ausgesehen hat. Überall auf den Ruinen blühen Orchideen, die Fotos müssten ein bißchen von dem Eindruck wiedergeben können.
Am 6. Tag sind wir bei Sonnenaufgang vom „Sonnentor“ (2700m) einen alten Pfad runter nach Machu Pichu, um ein paar Stunden ohne Touristen ruhig alles besehen zu können (die kommen mit dem Zug um 10 und werden mit Bussen über eine halsbrecherische 8km-Serpentinenstrecke nach oben gekarrt). Leider ging ausgerechnet da mein Fotoapparat kaputt (ist schon wieder repariert), aber unser belgischer Freund hat einen besseren und wir werden die Fotos tauschen bzw. ihm abkaufen [was nicht passiert ist, aber ich habe Machu Picchu dann 1984 fotografiert].
Machu Pichu ist von den Spaniern zum Glück nicht entdeckt worden und so noch ziemlich erhalten, hoch über dem Tal, aber zwischen noch höheren Bergen (die Berge sind so steil wie in den Dolomiten, aber mit Regenwald bewachsen). Die Stadt ist sehr geheimnisvoll, man weiß eigentlich nichts über ihre Funktion. Man hat hier über 100 weibliche Mumien [gemeint sind Skelette] gefunden, warum nur Frauen, weiß man auch nicht, vielleicht waren es Priesterinnen, vielleicht waren die Inkas matriarchalisch organisiert, vielleicht waren die Männer im Kampf gegen die Spanier gefallen?
Ich werde alles besser erzählen, jedenfalls als die ersten Touristen kamen und und verwundert anstarrten, waren wir schon wieder auf dem Marsch die Serpentinen runter zur Bahnstation. Eisenbahnfahren in Peru ist noch abenteuerlicher, aber auch etwas unangenehm, weil die Züge fürchterlich überfüllt sind, für europäische Verhältnisse unvorstellbar. 3 Personen auf einem, Sitz, jede Indiofrau hat einen Riesensack dabei, auf dem Gang steht, liegt und sitzt alles, Kinder schreien, fliegende Händler verkaufen Früchte, Schnaps (Chicha aus Mais, schmeckt so wie Alsterwasser, aber ein bißchen besser, ein Glas kostet 10 Soles, 1 DM=145 Soles) und Gebäck und zu allem Überfluß klettert der Schaffner über alles hinweg. Bei jeder Station gibt es ein Drama, Trauben von Leuten hängen draußen an den Türen, die Frauen kreischen und heulen – jeder deutsche Bahnangestellte würde einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen kriegen. Fahrpreise 100km =1 DM!
Aber für Normaltouristen sind solche Touren unmöglich, aber so kriegt man mit, wie die Leute hier wirklich leben. Es gibt einen „Touristenzug“ nach Machu Picchu, der 3000 Soles kostet, der Normalzug kostet 270, 3000 Soles sind ein Wochenverdienst! In Cuzco gibt es genug amerikanische und europäische Touristen mit dem Geld für 3 Wochen, was wir in drei Monaten brauchen und ihr könnt euch sicher denken, was der peruanische Indio für ein Verhältnis zu ihnen hat. Hunderte von bettelnden Kinder und Frauen, Schuhputzjungen von 8-10 Jahren, Kinder von 6,7, und 8 Jahren (wirklich!), die abends in den Restaurants Zigaretten verkaufen, kaum ein Hemd am Körper, total verdreckt und zerfetzt und hungrig. Da vergeht einem das „ach, wie süß“, wenn man wieder mal einen der schwarzäugigen Indiokinder im Wickeltuch auf dem Rücken der Mutter sieht.
Das Foto habe ich in 1979 Huancayo im Hochland von Peru gemacht. Zuerst veröffentlicht am 05.11.2011.
Ich habe sehr viel Geduld aufbringen müssen, um ein paar realistische Fotos zu machen. Ein Bekannter von mir, der recht unbefangen touristisch drauf losknipsen wollte, wurde von Marktfrauen mit heißen Kartoffeln beworfen und mußte wieder abziehen.
Es gibt sogar Leute, die, ohne ein Wort Spanisch zu können, hier hinfahren, was die hier wollen, weiß ich nicht. Ich glaube, ich bekomme langsam ein Gefühl dafür, was eigentlich „Entwicklungshilfe“ bedeutet.
So, morgen machen wir uns auf die Reise nach Bolivien (La Paz). Die politischen Verhältnisse sind ein wenig unsicher, Straßen- und Ausgangssperre – in Bolivien kann jederzeit wieder ein Putsch kommen. Aber macht euch mal keine Sorgen, wir haben uns bisher immer durchgebissen und werden das auch weiter tun. Ich spreche schon fast fließend Spanisch und wir haben ja auch schon eine ganze Menge Südamerika-Erfahrung und können eine Menge verkraften.
(…) Wir ändern die Route. 2 Wochen Anden von Bolivien, dann durch den Dschungel in den Norden (es gibt keine Straßen, aber in der Regenzeit müßte man von Dorf zu Dorf mit dem Boot kommen) an die brasilianische Grenze, dann weiter nach Norden nach Manaus (Brasilien) direkt am Amazonas, weiter nach Norden nach Boa Vista in den Süden von Guyana, von Georgetown je nach Zeit und Geld (ab La Paz haben wir zusammen noch 2000 DM, das müßte reichen) [drei Monate für zwei Personen] nach Surinam [das haben wir später aus Zeit- und Geldmangel weggelassen], Ende März von Guyana nach Barbados (vielleicht bleibe ich noch eine Woche in Trinidad), je nachdem ob ich aus Berlin Post nach La Paz bekomme oder nicht, dann spätestens am 28./29.3. zurück nach Luxemburg. Seid unbesorgt, wenn ihr keine Post mehr bekommt, wir schicken Karten vielleicht von Manaus + Georgetown, aber wer weiß, ob die ankommen! Und wenn ihr die bekommt, sind wir fast wieder da. Wir werden wahrscheinlich abǵeholt und kommen zuerst in Unna vorbei, ich fahre dann weiter nach Berlin, komme aber, sobald die Fotos fertig sind, für längere Zeit nach Unna. (…)
Die ursprünglich geplante Route über Sao Paulo und Rio dauert zu lange, und Rio ist sauteuer und wir wollen nicht hetzen. Die Entfernungen hier sind ja auch ein bisschen anders, allein der Dschungel von Bolivien im Norden, den wir in 14 Tagen „machen“ wollen, ist so groß die die ganze BRD!
Vielleicht noch ein paar allgemeine Sachen. Seit Kolumbien habe ich kein Klavier mehr gesehen. Nur 2x bisher hatte ich „Darmgeschichten“, beide Male in Peru (Hygiene ist hier ein unbekanntes Wort, aber wer denkt daran, die Töpfe vor dem Kochen zu waschen, wenn es kein Trinkwasser gibt, selbst in den Städten?), in Cuzco eine Woche lange mit Erbrechen und Magenkrämpfen, aber das hat hier jeder Europäer, der nicht gerade im Hilton übernachtet. Unsere Mägen haben sich schon abgehärtet, wenn andere Gringos nach einem Essen auf dem Markt oder nach Chicha-Genuß (mit Spucke von den Indiofrauen zubereitet!) den großen Durchfall bekommen, sind wir noch quietschvergnügt – aber bitte: über Schwarzbrot, Fleischsalat und Vanillepudding in Unna wäre ich trotzdem glücklich.
(…) Das Verhältnis zu anderen Rucksack-Reisenden hat sich mittlerweile gewandelt, jetzt sind wir die „alten Hasen“ und geben den anderen Tips. Es ist manchmal lustig zu sehen, wie unerfahrene „Gringos“ (das ist hier der Ausdruck für Ausländer) von den ausgekochten Indiofrauen fürchterlich über’s Ohr gehauen werden, auch wenn es nur um Pfennige – für uns! – geht. Ich habe gestern zum Beispiel 20 Minuten gefeilscht, nur um ein paar Strümpfe um 30 Pfennige billiger zu kriegen und habe Erfolg gehabt. Z.B. auf den Märkten: ein Alpaca-Pulli kostet 10 DM. Der erste Preis liegt bei 20 DM und man braucht eine halbe Stunde, um ihn herunterzuhandeln – was wäre das ohne Spanisch! [US-]Amerikaner zahlen sowieso das Doppelte und Deutsche mit umgehängter Kamera auch. Eine Banane kostet 8-10 Soles (1 DM= 145 Soles), der „Gringopreis“ liegt bei 20, aber nach einem kurzen „Pläuschchen“ kostet sie plötzlich nur noch die Hälfte. Wir haben auf einem Markt für Indios buntbemalte Früchte gekauft, eine für 3-4 DM, die in Europa nicht unter 50 DM zu haben wären [ich habe nicht herausgefunden, ob es die überhaupt außerhalb von Peru oder online zu kaufen gibt] – aber wir können das auch nicht alles transportieren – und jeder bekommt nur eine Kleinigkeit. 1 Schachtel Zigaretten in Peru kostet 23 Pfenning, 1 „Hotel“übernachtung 1,50-2 DM (das letztere schon gut!), Tagesdurchschnitt bei 10-12 DM (dafür kostete die Kamera-Reparatur 20 DM) – wenn ich das mit den Berliner Preisen vergleiche – ich habe wohl ein anderes Verhältnis zu Geld bekommen und die Umstellung wird recht groß sein. Vielleicht muß ich Taxifahren auch wieder lernen.
Hygiene: heute morgen wollten wir duschen – das Wasser floß spärlich und was eiskalt, nach dem Einseifen blieb es dann ganz weg! Klospülung gibt es so gut wie gar nicht in ganz Südamerika, die Leute werfen das Papier daneben und man gewöhnt sich mit der Zeit an den Anblick der Reste vom Vorgänger. Vielleicht ist es schwer zu vermitteln, warum wir das alles überhaupt machen und wieso es uns trotzdem gefällt. Einerseits sind die Leute hier unvorstellbar (für Europa) freundlich und hilfsbereit, wenn man sich nicht wie der „reiche Onkel“ benimmt und das werden wir vermissen. Andererseits lernt man zu begreifen, daß sehr viele Dinge, die man für selbstverständlich hielt, eben nur in Europa vorhanden sind, auch, was die Mentalität angeht. Die Indios sind wie die Kinder, sie freuen sich über Kleinigkeiten und erwachsene Männer sehen mit offenem Mund den Feuerschluckern und Zauberern auf den Märkten zu. Andererseits ist eben alles chaotischer, nichts funktioniert „ordentlich“ – aber wir in Europa haben vielleicht 500 Jahre mehr gebraucht dazu, was will man verlangen?
Burks auf der Mauer des Klosters „la Recoleta“ in Sucre, der Hauptstadt Boliviens. Zuerst veröffentlicht am 25.12.2010.
Aber es sieht so aus, als wenn die Leute hier vieles aus Europa unkritisch übernehmen, die Reichen sitzen in teuren Bars und essen amerikanische Hamburger, weil es „schick“ ist, obwohl Gemüse auf den Märkten viel gesunder wäre. Die Indiotracht, handgewebte Wolle, hält vielleicht 10 Jahre, aber die Leute in der Stadt tragen Synthetic-Zeug in den unmöglichsten Farbkombinationen, das hält halb so lange und ist außerdem für die Witterung unpraktisch. [Das ist vermutlich Quatsch.] Viele bewundern die Europäer, die viel Geld haben und weite Reisen machen, wo viele nicht einmal das Geld haben, um den Bus zum nächsten Dort zu bezahlen – und das bei den Preisen! Schulbildung bei den einfachen Leuten ist so gut wie nicht vorhanden, wir wurden gefragt, ob man mit dem Bus nach „Alemania“ fahren könnte.
Selbst Studenten wissen ohne Ausnahme (!) nichts über Berlin – aber wer in Deutschland weiß schon, wo Ecuador liegt? Oder Belize? Wir sind die große Sensation: Im Dschungel von Ecuador waren wir abends in einer Kneipe, wo Arbeiter Billard spielten – wir wurden nach jeder Kleinigkeit in Europa ausgequetscht und mußten selbstverständlich nichts bezahlen – stellt euch vor, 2 Südamerikaner mit Rucksack kämen nach Unna, wer die ansprechen oder gar zu seinen Eltern zum Schweinebraten einladen würde (Meerschweinchen gibt’s ja nicht)?
So, in Cuzco wird es jetzt heiß, 25 Grad und mehr zur Mittagszeit, heute Abend muss man wieder einen Pullover anziehen – [unleserlich] wenn wir – hoffentlich am Freitag – in La Paz angekommen sind, dann geht der Brief ab.
La Paz, 26.1.
Nun sind wir schon in der Hauptstadt Boliviens [die Hauptstadt ist Sucre]! Ankunft gestern nach ein paar schönen Tagen am Titicacasee und Einreise ohne Schwierigkeiten. Wir haben Probleme, unsere Rückflüge zu buchen, ich habe in Berlin angerufen, weil die Briefe an mich immer noch nicht angekommen sind (…) Ich komme Ende März, genau wann, weiß ich noch nicht – wenn es Schwierigkeiten gibt, melde ich mich noch mal. Das ist der letzte Brief. [Ich habe später noch einen geschrieben.]
Tschüß bis Ende März
Was ihr mit dem Schmetterling anfangt, weiß ich nicht, aber mir geht er kaputt. Er ist vom Rio Napo, einem Nebenfluß des Amazonas in Ecuador. [Offenbar hatte ich einen toten Schmetterling in den Brief gelegt. Von dem habe ich aber nie wieder etwas gehört.]
Oh, wie schön ist Panama
Das wird lustig. Aber schon klar: Wenn Putin in die Ukraine einmarschieren darf, darf Trump auch in Panama einmarschieren. Und die nächste Bundesregierung schickt dann Waffen nach Panama.
By the way, Qualitätsmedien: Man kann Links ins weltweite Internet setzen, auch wenn Truth Social Deutsche natürlich sittlich gefährdet.
Indianerfrau aka Mujer Campesina
Postkarte an Verwandte vom 28.01.1980 aus Sucre, der Hauptstadt Boliviens. (In Sucre war ich 1984 noch einmal.)
Auf der Rückseite der Karte steht: Mujer campesina de Tarabuco, con su traje de fiesta. Indianerfrau aus Tarabuco (Sucre) in Festtagskleidung. Tarabuco Indian Woman with typical „fiesta“ dress.
La Paz, Bolivien, 27.1.
Ihr Lieben! Hier gibt es keinen Putsch und wir sind nach 5 Wochen Peru und vielen schönen Erlebnissen hier ohne Schwierigkeiten eingereist. In 2 Wochen kommen wir in den Urwald im Norden und es wird sehr heiß bis Guyana und Barbados bleiben. Von Georgetown fliegen wir am 19.3. nach Barbados und hoffen auf schnellen Anschluß nach Europa.Buchungen sind sehr kompliziert hier. Liebe Grüße an alle.
Schnell auf’s Land
Machu Picchu, Perú, 2,400 m. Vista panoramica. 1977,. Swiss Foto S.A. Apartado 430, Lima
Postkarte vom 21.12.1979 aus Lima, Peru, angekommen am 03.01.1980.
Liebe Eltern! Gestern sind wir nach einem 57 Std. Trip mit Lastwagen und Bus in Lima, Peru, angekommen. Zum umseitigen Foto kommen wir erst in ca. 3-4 Wochen, aber die Post hier ist sicherer. Uns geht es gut, heute haben wir Geld bekommen, und nach Bolivien geht’s auch wieder. Temp. 25°, sehr unweihnachtlich. 1000 km vor Lima bis hier nur Sandwüste mit Oasen wie in de Sahara. Bitte Weihnachts- und Neujahrsgrüße an alle. Demnächst aus La paz ausführlicher Bericht, wir fahren schnell auf’s Land, da ist es schöner. Gruß Burkhard
Die Fahrt vom Süden Ecuadors nach Lima war abenteuerlicher, als ich es geschrieben habe. Wir kamen auf die abwegige Idee, die Panamericana nach Süden zu trampen. Aus meinem Reisetagebuch, 18.12.1979:
Morgens um 8 Aufbruch zum 57-Std. Trip nach Lima [von Duran bei Guayaquil, Ecuador]. Kriegen carro in den nächsten Ort, dann sofort Ölfahrer [Truck] nach Naranjal. Will unbedingt Papierblättchen, um Gras zu rauchen.
Finca = ist im Gegensatz zu Hazienda „vegetarisch“. Von Naranjal leerer Zementsattelschlepper bis Huaquillas. Die Gegend besteht fast nur aus Bananenplantagen. Vor der Grenze die üblichen Polizeikontrollen, wir kommen aber schneller voran als mit dem Bus, weil der Truckfahrer ein Höllentempo drauf hat. Kurz vor Huaquillas wereden wir bei einer Zementfabrik abgeladen. In der Kantine [der Fabrik] essen wir, und ich hole mir einen Bazillus für den Durchfall.
Pick-up bis zum Zollgebäude. Die Geldwechsler spinnen. Zu Fuß quer durchs Dorf und [den] Markt über die Brücke [Puente de la Paz] nach Peru. Für die Einheimischen herrscht freier Grenzverkehr. Bei Vorlage unserer [Flug]Tickets [von Barbados nach Europa] bekommen wir sofort 90 Tage [Visum] und genehmigen uns erst mal jugos.
Wieder Zementtruck bis Tumbes [unleserlich]. Leider legt sich der Fahrer kurz vor Mitternacht mit Frau + Kind schlafen und wir auf der Ladefläche, eingemummt in den Schlafsack, bei eisigem Winde. Die Landschaft ist großartig, Sand und Felsenwüste auch am Meer, dazu Sternenhimmel.
19.12. Morgens geht es weiter bis zu einer Oase (irgendwas mit A…)[vermutlich El Alto] bei Sonnenaufgang. Ziemlich verfallenes Nest. Ich muss wahnsinnig scheißen. Derselbe Fahrer nimmt uns weiter bis Sullana, dann Pick-up nach Piura = 200 km bis um 10. In einem Hof vor der Kneipe können wir uns waschen [wir waren total eingedreckt vom Zementstaub].
Bus kostet = 2800 [Soles], nach einigen Fragen soll er um 12 gehen, fährt aber erst nach Sullana zurück und dann wieder nach Piura. Die Gegend unbeschreiblich, abwechselnd flache Sandwüste, Felsen, meterhohe Dünen und Oasen mit Palmen. Mehrere Pannen, Riefenwechsel, Schaltung klappt nicht, gegen Mitternacht 1 Stunde Reparatur, aber bei 3 Fahrern klappt es. Abends um 17:15 Uhr Ankunft in Lima…
Drei Fenster
Postkarte am meinen Großvater (väterlicherseits) am 05.01.1980 aus Cusco, Pero, wenige bevor ich zu meinem ersten Marsch nach Machu Picchu aufbrach. Das Foto zeigt den Tempel der drei Fenster, den ich natürlich auch fotografiert habe.
Ich werde erst bei dieser Karte wieder daran erinnert, dass ich auf meiner ersten halbjährigen Reise eigentlich von Bolivien nach Brasilien wollte, und von dort aus über Surinam nach Guyana. Aber da ich mich mit meinem Reisebegleiter nicht einig wurde, habe ich letztlich nachgegeben, und wir sind von Bolivien über den Rio Mamoré nach Puerto Velho und von dort nach Manaus am Amazonas.
Machu Picchu, revisitado
Postkarte aus Peru an meinen Großeltern, Januar 1980. Die Karte kam leider eine Woche nach dem Tod meines Großvaters an. Ich erfuhr erst nach meiner Rückkehr nach Deutschland, dass er gestorben war. Liebe Nachgeborene: Man hatte damals kein Handy, konnte also auch nicht telefonieren. Und wenn man das in einer Post in einer Großstadt versuchte, kostete eine Minute so viel wie eine Woche Aufenthalt….
Die Karte zeigt Machu Picchu, El Grupo Real. Ich war 1980 und 1984 dort.
Aber die Gegend ist sehr schön oder: Von Belize nach Ecuador
Nahe der Grenze zwischen Belize und Guatemala bei Melchor de Mencos, 27.10.1979
Hier ein Brief, der einen Teil meiner erste Reise nach Lateinamerika beschreibt – zwischen Belize und Kolumbien. Die Rechtschreibung habe ich nicht verändert.
Mein Reisepass mit den Stempeln von Belize und dem Einreisestempel von Guatemala, Melchor de Mencos
Quito, den 26.11.79
Liebe Eltern,
Nun sind wir mittlerweile in Ecuador, haben soeben den Äquator überschritten und haben seit dem letzten Brief aus Belize, der hoffentlich angekommen ist, schon so viel erlebt, daß ich nur das Wichtigste schreiben kann.
Von Belize aus sind wir nach Guatemala getrampt. Das Gute an Belize ist, daß jeder Anhalter mitnimmt, weil so wenig Busse fahren und es sowieso nur 2 größere Überlandstraßen gibt, von Mexico nach Belize City und von da nach Guatemala. Zuletzt sind wir von englischen Soldaten mitgenommen worden (Belize ist zwar angeblich unabhängig, aber in Wirklichkeit immer noch eine englische Kolonie), die kurz vorher in Hamm stationiert waren – sie kannten auch Unna.
In Guatemala ging es richtig los: für die 200 km nach Tikal – d.i. eine große Ruinenstadt der Mayas – brauchten wir drei Tage. Die einzige Straße ist so schlecht, daß kein PKW fahren kann, nur 1x am Tag ein Bus. Zwischendurch haben wir noch an einem sehr romantischen See übernachtet. Tikal war das Beeindruckendste, was ich bisher gesehen habe. Hier wohnten vor 2000 Jahren mehr als 200000 Mayas! Heute ist überall tiefer Dschungel, nur ein paar kleine Dörfer, und mittendrin ein riesiges Ruinengelände mit Pyramiden, die mit der Spitze aus dem Dschungel gucken, Palastanlagen und Tempeln.
Busfahren in Guatemala geht z.B. so: Nachts um 11 soll der Bus fahren. Um 11 sagt der Busfahrer, der oben auf dem Dach liegt und schläft: Der Bus fährt um 1. Die Passagiere, darunter auch wir, sitzen auf einem schmutzigen Marktplatz, rundum voll Bretterbuden, wo man Kaffee und seltsames Gebäck verkauft, dazwischen streunende Hunde und ein paar Schweine, die im Müll wühlen. Um 1/2 2 kommt der Busfahrer vom Dach, will den „Bus“ starten, aber der springt nicht an. Alle Passagiere klemmen sich hinter den Bus und schieben ihn durch die halbe Stadt unter Höllenlärm, während ich auf dem Platz sitze und das Gepäck bewache und mich halb totlache. Der Bus springt aber nicht an und der Busfahrer legt sich wieder schlafen, Wir beide legen uns samt Rucksack auf einen der Markttische und schlafen bis um 3, bis ein anderer Bus kommt und unseren anzieht.
Dann geht es wie die wilde Jagd los, der Bus schwankt wie ein Schiff im Sturm, kracht in die Schlaglöcher, Hühner gackern, weil ihnen immer wieder auf den Schwanz getreten wird, eine dicke Indiofrau hat gleich 4 Truthähne mit. Der Bus braucht 19 (!) Std. bis Guatemala City, der Hauptstadt. Der Busfahrer fährt natürlich in einem Stück und kurzen Pausen durch und man kommt kaum zum Pinkeln.
Allgemeiner Eindruck von Guatemala: Das Land ist ein absoluter Polizeistaat, überall Militärkontrollen und man sagte uns, daß es hier wohl bald knallt wie in Nicaragua. Aber die Gegend ist sehr schön, vor allem die Indios sehr freundlich.
Wir sind 1 Woche in Antigua geblieben, einer Stadt mit viel spanischer Kolonialarchitektur, die aber durch verschiedenen Erdbeben sehr zerstört worden ist. Rundherum gibt es viele Indiodörfer, sehr arm, aber die Leute sind sehr nett. Die Frauen haben alle unwahrscheinlich bunte Gewänder an. Sie kennen noch kaum Touristen. Ihr müßt euch das so vorstellen, daß in den meisten Staaten Mittel- und Südamerikas die Indios den Hauptanteil der Bevölkerung stellen einschließĺich der Mischlinge, aber kaum in größeren Städten leben, sondern in Dörfern. In den Städten lebt die weiße Oberschicht, d.h. die Nachkommen der Spanier. Die Indios sehen sehr asiatisch aus und manche erinnern sehr an die Steinfiguren der Azteken und Maya, die die Spanier unterworfen haben.
Der Vulkan Agua (3760 m) in der Nähe von Antigua, Guatemala (01.11.1979).
In Antigua haben wir einen Vulkan bestiegen, der über 4000m hoch ist. Aber das ist hier alles anders als in den Alpen, weil alles relativ höher liegt. Z.B. hier in Ecuador liegen die meisten Städte über 2000m hoch, Quito 2800! Dementsprechend hoch sind die Berge, aber in Quito gibt es sogar Palmen! Das liegt daran, daß es tagsüber – wegen der Äquatornähe – meist warm ist, 20° Grad vielleicht und teilweise mehr, aber nachts ist es knapp über 0 Grad!
Das Hochland von Nicaragua, Flug von Guatemala nach Tegucigalpa, Honduras, 04.11.1979
Von Guatemala sind wir geflogen mit einer klapprigen Propellermaschine nach Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras. Dort ging die Maschine kaputt und wir mussten umsteigen. Aber die Fluglinie kann man nur weiterempfehlen: Es gibt gutes Essen an Bord und Alkohol ist frei, dabei gute Aussicht über das Hochland von Nicaragua.
So kamen wir in San Andrés an, einer Karibik-Insel zwischen Nicaragua + Kolumbien, die aber zu Kolumbien gehört. Dort sah es auch wie in Belize (s. Karte): Sandstrand, Palmen, das Meer blau und kristallklar und nie weniger als 30 Grad. An dem Küsten Südamerikas und in der Karibik leben fast nur Schwarze, die Nachkommen der afrikanischen Sklaven.
Medellín, Kolumbien, Flug von Tegucigalpa, Honduras, nach Bogotá, 04.11.1979
Nach einer knappen Woche inklusive Sonnenbrand flogen wir über Barranquilla und Medellin nach Bogota, wo wir spät abends mit gemischten Gefühlen ankamen, denn man hatte uns erzählt, daß Bogota eine der gefährlichsten Städte Südamerikas wäre. Wir mußten erst eine Stunde nach dem Gepäck suchen und waren etwas gestresst.
Ankunft in Bogotá, Kolumbien, 08.11.1979
In Bogota (5 Millionen Einwohner) ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch und die Leute sehr arm, dementsprechend hoch ist auch die Kriminalität. In bestimmten Stadtvierteln kann man nachts nicht mehr auf die Straße gehen, weil man sonst ausgeraubt wird. Und die Pauschaltouristen, die meistens reich aussehen, sind das selbst schuld. Die Stadt ist häßlich, die Häuser phantasielos, überall liegt Müll herum und ein unwahrscheinlicher Krach und Gestank. Die südamerikanische Autofahrer-Mentalität kann man sich kaum vorstellen: Verkehrszeichen geben nur grobe Anhaltspunkte, rote Ampeln sind uninteressant und jeder hupt, so laut er kann. Dabei sehen die Autos aus, als wenn sie gerade vom Schrottplatz kämen. Wir haben um 4 Uhr nachmittags einen uralten Bus mitten auf einer Kreuzung zur Hauptverkehrszeit gesehen, die Busfahrer lagen darunter und reparierten etwas, die Passagiere schauten interessiert zu, hinter dem Bus lag ein R4 auf der Straße, der gerade ein Rad verloren hatte, alle Autos fuhren kreuz und quer herum und mittendrin stand ein Polizist, der aus Leibeskräften auf einer Trillerpfeife flötete, den aber keiner irgendwie beachtete.
Wir haben in 3 Tagen keinen einzigen Europäer gesehen außer einer deutschen Reisegruppe im Goldmuseum, die aber in einem teuren Hotel wohnten und ziemlich verängstigt waren. Auf der Straße laufen Bettler herum, einer hatte sich einen Tropf organisiert, lag auf der Straße und hielt ihn hoch, bettelte gleichzeitig um Geld.
Es gibt eine ganze Menge interessanter Dinge, aber der Brief wird zu lang.
San Agustín, Kolumbien, 12.11.1979
Von Bogota aus sind wir ins Gebirge, d.h. die Anden, in ein kleines Indiodorf. Die Entfernungen sind hier etwas anders. Kolumbien ist 4 1/2 mal so groß die die BRD [sic], hat aber nur 30 Mio. Einwohner und der Bus braucht durchschnittlich 8-10 Stunden für eine normale Strecke. Eisenbahnen gibt es kaum, weil im Süden fast alles wildes Gebirge ist. Aber die Landschaft ist einfach großartig!
In San Augustin [es heisst San Agustín] sind wir 1 Woche geblieben. Es gibt nur eine Straße und das nächste Dorf ist 1 1/2 Stunden mit dem Bus entfernt. Elektrisches Licht gibt es nur ein paar Stunden am Tag. Wir haben uns Pferde organisiert und sind in der Gegend herumgeritten. Hier stehen überall auf den Bergen und im Dschungel 2000 Jahre alte Steinfiguren herum, die von einem Volk stammen, das sich damals, als die Spanier kamen, in die Berge zurückgezogen hat. Hier gibt es richtige Hünengräber wie in Norddeutschland.
San Augustin [San Agustín] ist relativ sicher, weil die Indios nicht klauen, aber fast alle Touristen, die hier ankamen (es gibt nur 3 oder 4 Übernachtungsmöglichkeiten, sodaß man sich trifft) waren beklaut worden, in einem Bus, der ankam, gleich 7 auf einmal.
Von San Augustin [San Agustín] sind wir nach Popayan, Pasto (das liegt auf der Panamericana in Richtung Ecuador), dann mit einem Nachtbus 10 Std. an die pazifische Küste von Kolumbien nach Tumaco. Hier sieht es wieder ganz anders aus: Ein Fischerdorf, nur Holzhütten, nur Schwarze, sehr dreckig und staubig, viele Häuser auf Pfählen und ringsherum nur Mangrovensümpfe. Mangroven sind Bäume, deren Wurzeln alle oberhalb des Wasserspiegels liegen, sodaß man von nirgendwo durchkommt.
Wir haben einen Einheimischen aufgegabelt, der uns für 20 DM nach Ecuador fahren wollte – mit einem hölzernen Einbaum mit Außenborder. So zogen wir, inklusive 6 leeren Ölfässern, Rucksäcken und 2 Mann Besatzung los. Das „Schiff“ blieb im „Hafen“ ein paar Mal stecken, wir mußten ins Wasser und anschieben. Die Fahrt kann ich kaum beschreiben, das war das Abenteuerlichste, was ich je erlebt habe. Wir sind 9 (!) Stunden durch kleine Flußarme, durch Sümpfe, teilweise auf größeren Flüssen gefahren. Die Gegend ist fast menschenleer, nur alle halbe Stunde ein winziges Dorf aus Schilfhütten, in denen ein paar Schwarze wohnen, die fast alle nackt herumlaufen und entweder mit Einbäumen fahren, weil es absolut keine Wege und Straßen gibt, oder auf Flößen mit langen Stangen herumschwimmen und Kokosnüsse und Bananenstauden transportieren. Anders kann es in Afrika nicht aussehen. Dabei ringsherum riesige Urwaldbäume und undurchdringliches Dickicht, aus dem man jeden Augenblick Tarzan erwartet.
Rio Mira, Pazifikküste Kolumbiens, 21.11.1979
Nach 8 Stunden hatten wir wieder den Pazifik erreicht. Plötzlich knallten ein paar Schüsse, ein anderer Einbaum kam herangeflitzt, in dem ein paar Soldaten aus Ecuador saßen, die unser „Schiff“ enterten, den „Kapitän“ festnahmen und wieder zurücktransportierten und uns im „Polizeieinbaum“ nach San Lorenzo in Ecuador brachten. Unser „Kapitän“ war nämlich ein Schmuggler, der billiges Benzin von Ecuador nach Kolumbien schmuggeln wollte. Aber wir hatten ja damit nichts zu tun und nach kurzer Kontrolle der Rucksäcke ließ man uns laufen.
San Lorenzo, Ecuador, 22.11.1979
San Lorenzo ist genauso wie Tumaco, nur ein bißchen sauberer und die Leute sind freundlicher. Hier sind wir einem deutschen Juden aus Berlin (!) begegnet, der 1936 aus Deutschland ausgewandert ist und den es nach hier verschlagen hat. Er kannte sogar noch die Knesebeckstraße [da wohnte ich damals]. Doch darüber auch mündlich!
Kapitel: Eisenbahnfahren in Ecuador! Der Schienenbus (es gibt keine Straße) sollte um 6 Uhr morgens fahren. Wir hatten am Vortag ein Gefährt gesehen, was aus einem Lastwagen bestand, dem man die Räder abmontiert hatte und stattdessen Eisenbahnräder anmontiert hatten und waren recht gespannt. Der Zug kam nicht, obwohl bestimmt 50 Leute herumstanden. Ich weiß nicht, wer mehr gestaunt hat: Wir über die oder sie über uns. Um 1 (!) Uhr kam ein Güterzug mit drei Waggons, alle Leute kletterten auf das Waggondach, auch ein Schwarzer, der Kokospalmenschößlinge von ca. 4m Länge dabei hatte, und wir auch.
Eisenbahnfahrt von San Lorenzo nach Ibarra, 23.11.1979
Dann ging es los, der „Schaffner“ sprang während der Fahrt von Waggondach zu Waggondach und kontrollierte die Tickets. Nach eineinhalb Stunden Fahrt durch tropischen Regenwald kam plötzlich ein uraltes Ding von Schienenbus hinterhergerattert, Plätze für 30, aber wie hier so üblich, mit ca. 50 Leuten besetzt. Bei einer Ausweichstelle, wo der Bus den Güterzug überholen konnte, haben wir uns auch noch reingequetscht. Der „Lokführer“ hatte eine Gangschaltung wie im Auto und sogar ein Lenkrad, an dem er wie wild dreht. Ich weiß aber nicht warum, denn auf Schienen braucht man normalerweise nicht zu lenken. Jedenfalls sind wir einmal entgleist, weil die Schienen fast lose auf den vermoderten Holzbalken liegen. Sie waren wohl für ein kurzes Stück zu weit auseinander, aber irgendwie kam alles wieder ins Lot. Die Bahn schlängelt sich in endlosen Serpentinen an Abgründen vorbei auf 300km von 0 auf 2200m Höhe nach Ibarra und baucht dafür ca. 7. Stunden.
Tulcán, Ecuador, an der Grenze zu Kolumbien, 24.11.1979
Wir haben in Ecuador noch ziemlichen Ärger mit der Polizei gehabt und mußten eine Strafe zahlen, weil seit neuestem die Einreise nur an bestimmten Stellen gestattet ist, nicht aber in San Lorenzo. Die Polizei dort wußte das aber nicht, nur die Polizei in Tulcan. Das ist der Grenzort zu Kolumbien, wo wir wieder hinaufgefahren sind, weil alle Einreisebüros geschlossen hatten und man ohne [Einreise]Stempel nicht nach Quito kann. Dort saßen wir drei Tage fest, weil Wochenende war, und heute morgen nach 3-stündigem Verhandeln und 80 DM Strafe konnten wir endlich nach Quito. Wir werden aber noch den Botschafter einschalten, weil das Ganze nicht unsere Schuld war, denn die Polizei hatte uns ja die Éinreise erlaubt. [Haben wir natürlich nicht gemacht.]
Quito, die schönste Stadt, die ich bisher und überhaupt gesehen habe! Doch davon später und in Fotos, da wir erst gerade angekommen sind. Wir bleiben ca. eine Woche, fahren 1 Woche in den Urwald östlich den Anden zum Rio Napo. brauchen ca. eine Woche über Riobamba u. Guayaquil zur Grenze nach Peru, sind kurz vor Weihnachten in Lima, Peru, und zu Silvester auf eine indianischen Landkooperative, von der wir Adresse und ein Empfehlungsschreiben von einem deutschen Entwicklungshelfer haben. Wir wollen nach ca. 4 Wochen Peru weiter nach La Paz, Bolivien, wissen aber noch nicht, ob das möglich ist, weil die mal gerade wieder einen Putsch hatten. (…)
In einer Vorstadt von Quito, Ecuador, mit Blick auf die Altstadt (November 1979)
Preise hier: Hotel ca 3 DM, Mittagessen 2 DM, 1 Banane 20 Pfg, Schachtel Zigaretten 30 Pfg, 400 km Busfahrt 5 DM! Wir geben ohne Andenken und Sonderausgaben ca. 10-13 DM pro Tag und Person aus. Vorher war es etwas teurer, aber Peru ist noch billiger.
Bis bald und viele Grüße an alle! Ich hoffe, daß ein paar von den vielen Ansichtskarten angekommen sind! (…) Und außerdem herzliche Glückwünsche zum Geburtstag, aber ich habe keine Ahnung, wann der Brief ankommen könnte.
Quito, revisitado
Postkarte vom 27.11.1979 aus Quito, Ecuador, an Verwandte in Deutschland.
„Jetzt sind wir schon über 2 Monate unterwegs und haben die USA, Mexiko, Belize, Guatemala, Kolumbien und jetzt Ecuador gesehen. (…) Karibische Inseln: 30 Grad, palmen, Sandstrand, Korallentauchen, nut Schwarze, Urwaldfahrt mit einem Einbaum an der kolumbianischen Küste, verrückte Eisenbahnfahrten auf dem Waggondach eines Güterzugs in Ecuador, Indiodörfer in Guatemala, riesige Mayapyramiden im Dschungel von Guatemala, gefährliche Städte in Kolumbien (wir sind fast die einzigen, die nicht beklaut worden sind), Entdeckungsreisen zu Pferde im Andengebiet von Kolumbien u.v.m. (…)“
Auf der Vorderseite:
– La Alameda y el Panecilla
– Observatorio Astronómico
– Contraloria general de la nación
– El Santuaria de Guápulo.
Der Verlag ist Graficas Feraud aus Guayaquil. Den scheint es nicht mehr zu geben.
Die Indianer lassen keinen rein
Bevor wir uns wieder den Weltläuften zuwenden: Ich habe hier einen Brief, den ich im November 1979 aus Belize an meine Eltern geschrieben habe. Ich musste doch sehr schmunzeln, als ich las, wie ich damals dachte und formulierte. Was ich schrieb, fasste meine damalige Reise von New York quer durch die USA und dann durch Mexiko zusammen.
„Kekoko“ ist übrigens lautmalerisch: Wir hatten keine Ahnung, wo das war, auch keinen Reiseführer und natürlich auch kein Internet. Wir mussten uns überall durchfragen. Gemeint ist die Caye Caulker, eine Insel vor der Küste von Belize. 1981 war ich noch einmal dort. Heute ist es dort sehr touristisch.
Man muss sich auch meine Eltern vorstellen, als sie den Brief erhielten. Wo und wie erhielt man damals Informationen über Belize? Zuhause gab es nur das Bertelsmann Volkslexikon und den Diercke Weltatlas. (Vier eng beschriebene dünne Seiten auf Luftpost-Papier. Die Rechtschreibung habe ich nicht verändert.)
Kekoko, 23.10.[1979]
Liebe Eltern!
Stellt Euch folgende Dinge vor: eine winzige Insel (200m breit, 800m lang), 2 Std. mit einem Fischerboot von Belize City entfernt auf einem Riff, 20 Häuser aus Holz, alle auf Pfählen, rundum Sandstrand, die ganze Insel voller Palmen, ab und zu ein Leguan, auf dem Wasser Pelikane, die fischen, ein paar Papageien, ein paar dunkelhäutige Leute, die alle wie Seeräuber aussehen, fast keine Touristen (genau genommen 8 außer uns) und das Wasser ist klar, daß man den Grund sieht und inmitten von Fischen schwimmt, außerdem sehr warm und den ganzen Tag 25-30°! Und dann stellt Euch Hartmut und mich vor, dann habt Ihr die Insel Kekoko [Caye Caulker] in der Karibik!
Im Augenblick ist es schon dunkel – die Sonne geht um 17:30 unter – jeden Tag ein Postkartenmotiv – und wir sitzen in der einzigen Kneipe am Strand, trinken Rum mit Cola (wie es sich gehört) und hören südamerikanische Musik.
Wir haben seit New York Sonnenschein, wenn wir draußen waren, und das sind immerhin schon 5 Wochen her. Ich kann nur über einige Eindrücke berichten, weil wir schon so viel erlebt haben und die Reise immer schöner wird. (Außerdem wird der Brief zu schwer und die Post ist nicht so sicher wie in Deutschland.)
Wir kamen am 18.9. abends in New York an. Schönes Wetter, aber leider streikten die Busfahrer. Wir mußten ein Taxi vom J.F.Kennedy-Flughafen nehmen. Die Leute, von denen ich die Adresse hatte, waren überrascht, weil sie sich nicht an mich erinnerten [eine Frau, die ich Monate zuvor mit dem Taxi in Berlin umherfuhr, hatte mir ihre Adresse in Queens gegeben]. Wir haben aber auf dem Dachboden übernachtet.
New York ist überwältigend groß. aber sehr schmutzig. Ich hatte mit der Kamera Schwierigkeiten; ich hoffe, daß die Bilder etwas geworden sind. Nach ein paar Tagen sind wir mit dem Bus nach New Orleans gefahren. Die Entfernungen in den USA sind etwas anders als in Deutschland: Wir haben 33 Stunden gebraucht! In den USA gibt es fast keine Eisenbahnen, und der Personenverkehr wir mit Bussen befördert.
In New Orleans gibt es ein altes Stadtviertel mit Häusern aus der französischen Kolonialzeit. Wir haben da den berühmten Houston zum Weltraumzentrum. Wir waren auch in dem Kontrollraum, den man im Fernsehen bei Mondfahrten sieht.
Von dort fuhren wir nach Santa Fe. Das ist eine berühmte Stadt des „Wilden Westens“. Die Fahrt dahin führte über 100e Kilometer durch die Prairie, alle 50 km eine Ranch. In Santa Fe gibt es eine ganze Menge Pueblos von Indianern, aber wir haben nur Museen besichtigt, weil die Indianer keinen reinlassen.
Von Santa Fe mit dem Bus genau nach Süden zur mexikanischen Grenze durch ein Gebiet (am Rio Grande), wo man hinter jeder Ecke Indianer vermutet.
Mexiko ist ganz anders. Ziemlich ärmliche Häuser (jedenfalls im Norden), aber ein sagenhafter Rummel auf den Straßen. Die Leute sind freundlich und hilfsbereit, wenn sie unser Schild „Alemania“ auf dem Rucksack lesen, weil sie [US-]Amerikaner nicht mögen. Im Bus haben wir jemanden getroffen, der uns erzählte, dass in der Gegend von Chihuahua 60000 deutsche Bauern leben.
Wir sind nach Cuauhtémoc gefahren und von einem deutschen Bauern auch prompt eingeladen worden. Er war 1924 von Rußland nach Mexiko eingewandert, sprach aber Deutsch. Natürlich haben wir Bratkartoffeln gegessen!
Nach 2 Tagen ausruhen sind wir mit dem Zug durch ein wildes Gebirge an den Pazifik gefahren. Noch was: die Bauern laufen noch in den Trachten der Jahrhundertwende herum! Der Gegensatz zu den Mexikanern in Cuauhtémoc, die alle wie Banditen aussehen und zu dem Sheriff, der mit Cowboyhut und Revolver herumläuft, ist recht komisch.
Von Los Mochis haben wir sofort Anschluß nach Guadalajara gehabt. Der Zug braucht 32 Stunden! Die Züge sind natürlich brechend voll, Händler verkaufen alles, vom Papagei bis zum Reibekuchen.
Kurz vor einer Weiche hielt der Zug an, die Leute von der Lok stiegen aus und würfelten erst einmal darum, wer die 10m gehen mußte, um die Weiche umzustellen. Die Strecke ist eingleisig, und ab und zu stoßen die Züge zusammen [erzählte man uns].
Von Guadalajara ging es nach Guanajuato (bei Leon). Die Stadt ist in eine enge Schlucht hineingebaut und hat nicht den Schachbrettgrundriß wie die meisten mexikanischen Städte. Wir sind lange in den kleinen Gäßchen herumspaziert.
Die Leute in Mexiko sind sehr oft arm, aber die Kinder spielen die große Rolle. 65% der Bevölkerung sind unter 24 Jahren alt. Die Schulbildung ist aber sehr ordentlich, wie wir aus Gesprächen mit Schulkindern erfahren haben. Unser Spanisch ist aber noch nicht sehr gut. Von der Silbermine habe ich eine Karte geschrieben.
Von Guanajuato fuhren wir nach Mexiko City = 12 Millionen Einwohner! In Mexiko [Stadt] sind wir tagelang in Museen herumgelaufen, die sehr beeindruckend sind. Die meisten behandeln die alten Indianerkulturen, weil die Mexikaner sehr stolz auf ihre Vergangenheit und ihr Land sind.
Wir haben sehr viel Pyramiden in der Umgebung besichtigt und sind der Meinung, daß die europäische Kultur der Antike dagegen sehr mickrig ist. Ich will darüber aber anhand der Dias ein bißchen erzählen, weil alles schrecklich viel war.
Von Mexiko City sind wir über Pueblo und Oaxaca (an den Vulkanen vorbei) nach Coatzacoalcos an der Karibik[küste] (mit mehreren Tagen Aufenthalt in mehreren Städten und Dörfern), von dort nach Merida, wo wir noch ein paar Ruinenstädte der Mayas besichtigt haben. Das war eines der beeindruckendsten Eindrücke der ganzen Reise.
Z.B. Monte Alban: eine Stadt der Zapoteken, die vor 1000 Jahren 150000 (!) Einwohner hatte, bis die Spanier sie zerstörten. 500m über der heutigen Stadt, bei sagenhaftem Fernblick, Dutzende von riesigen Tempeln und Pyramiden, halb vom Urwald überwachsen. Oder Uxmal bei Merida, eine riesige Pyramidenstadt mitten im Urwald.
In Yukatan [sic] (d.i. die Halbinsel, auf der Merida liegt, regnet es ein paar Mal am Tag, aber es bleibt warm. Man schwitzt wahnsinnig, nach dem Duschen ist man 5 Min. später wieder total durchgeschwitzt, obwohl in jedem Hotelzimmer ein Riesenpropeller an der Decke ist.
Mexiko ist für unsere Verhältnisse sehr billig, ein Hotelzimmer für 2 bekommt man für 8 Mark, ein Essen für genausoviel. Wir haben allerdings mehrere Leute getroffen, die sich nicht anpassen konnten, vor allem [US-]Amerikaner, die kein Wort Spanisch konnten und nur im Hotel oder im Cafe herumsaßen. Wir haben mit vielen Mexikanern gesprochen, mit Indianern auf dem Markt, die noch ihre alten Sprachen sprechen – Aztekisch oder Maya. Alle waren sehr nett. Aber in ein paar Jahren werden hier viele Neckermann-Touristen sein, die die Atmosphäre kaputtmachen.
Unangenehmes gibt es auch: hier [Caye Caulker] sind sehr viele Mücken und Sandfliegen, ich bin z. Zt. völlig zerstochen. Aber man gewöhnt sich daran, genauso wie die Cucarachas. Das sind Käfer [Schaben] mit langen Fühlern, ziemlich eklig, die überall herumkriechen. In Merida hatte wir auch Ameisen im Bett, aber um das zu vermeiden, muss man in Luxushotels übernachten. Aber dann kann man auch an die Ostsee fahren.
Von Merida sind wir nach Belize gefahren, das ist eine ehemalige englische Kolonie zwischen Mexiko und Guatemala an der karibischen Küste. Dort leben fast nur Farbige, Nachkommen der Sklaven aus Afrika, der Indios und der Seeräuber. Dementsprechend sehen sie auch aus.
Aber mir gefällt es hier sehr gut, keine Rassenvorurteile und sehr lustig. Wir hatten eine Adresse von dem deutschen Bauern aus Mexiko. Sein Sohn lebt 70km von der Grenze zu Mexiko in einem kleinen Dorf im Urwald. Dort leben auch die sog. Mennoniten, auch Nachfahren der deutschen Bauern, die noch wie um 1850 leben.
Morgentoilette meines Reisebegleiters, fotografiert am 20. oder 21.10.1979 in Belize in der Nähe des heute offenbar verlassenen Ortes Neustadt. Das Haus gehörte dem Sohn des Mennoniten, der uns in Cuauhtémoc eingeladen hatte (bisher unveröffentlicht).
Als Deutscher ist man eine Attraktion (vorausgesetzt man hat kurze Haare) und wird überall herumgereicht. Wir haben uns für ein paar Tage den Bauch mit deutscher Kost vollgeschlagen. Aber die Ansichten dieser Bauern sind haarsträubend: Wenn die deutsche Regierung Krieg mis Rußland anfangen würde, würden sofort alle kommen.
Hier herrschen auch noch Sitten wie im Wilden Westen, mit Prügelstrafe usw. Einige sind so konservativ, daß sie kein Autofahren, nur mit Pferd und Wagen und Traktoren mit Eisenrädern, weil Gummi zu modern ist.
Von dort sind wir mit LKWs nach Belize City getrampt, in Belize City haben wir Fischer gefragt, wie man zu dieser Insel fährt.
Hier bleiben wir bis Freitag, fahren dann nach Guatemala, bleiben dort 1 Woche und fliegen dann (wahrscheinlich über Nicaragua) nach Kolumbien. Dort werden wir Anfang November sein.
Viele Grüße an alle von Hartmut und Burkhard
P.S: Jetzt müsste ihr euch noch einen Sonnenbrand dazudenken.
Islote Sucre, revisited
Ich schrieb am 23.02.2014: „Die Insel San Andrés, Kolumbien (kein deutscher Wikipedia-Eintrag?), liegt auf der Höhe der Küste Nicaraguas, noch nördlich von Bluefields, und war 1979, als ich das Foto gemacht habe, ein verschlafenes Eiland, auf dem nur einige reiche Kolumbianer Urlaub machten. Ich war auch zum Baden auf dem Inselchen, das zwischen den Palmen zu sehen ist.“
Das Inselchen heißt Johnny Cay (auch Islote Sucre) und ist auf der Postkarte im Vordergrund. Am 10.07.2024 habe ich die betreffende Passage aus meinem Reisetagebuch veröffentlicht. Am 25.02.2019 gab es Fotos vom Sonnenuntergang auf San Andrés: „Der 4. November 1979 war mein erster Abend in Südamerika.“
Im Nachhinein ist es schon lustig, dass ich mich damals so vor Kolumbien gefürchtet habe, wie ich meinen Eltern schrieb. Die hat das natürlich nicht beruhigt. Kolumbien ist mittlerweile das Land, in dem ich am häufigsten war in Südamerika.
Teotihuacan, revisited
Teotihuacan, Mexiko, Postkarte zum Geburtstag meines Vaters, Oktober 1979.