Speicher meines Gottes

Wakaywillqueollantaytamboollantaytamboollantaytambo

Ccollanan Pachacamac ricuy auccacunac yahuarniy hichascancuta.

Die meisten Touristen antworten auf der Frage, was der interessanteste Ort in Peru sei, Cusco oder – natürlich! – die Ruinenstadt Machu Picchu. Ich sage: Ollantaytambo, das in Quechua „Speicher meines Gottes“ bedeutet.

Ollantaytambo, nordwestlich von Cusco gelegen, ist das einzige verbliebene Beispiel für Stadtplanung aus der Inka-Zeit. Die Gebäude und Inka-Terrassen sowie die engen Gassen der Stadt sind noch so, wie sie erbaut wurden. Die geraden und engen Straßen bilden 15 quadratische Blocks (canchas), die je einen Eingang zum zentralen Innenhof besitzen, der von Häusern umgeben ist. Einige Häuser bestehen aus perfekt gearbeiteten Inka-Mauern aus dunkelrosa Stein.

Auf der dem Berg zugewandten Seite von Ollantaytambo ist ein imposanter Inka-Komplex, der auf Grund seiner außerordentlich starken Mauern fortaleza (dt. Bollwerk oder Festung, vgl. 2. Foto) genannt wird. Dieser Komplex lag strategisch günstig, um das Heilige Tal der Inka zu dominieren. Manco Cápac II. zog sich 1537 nach der gescheiterten Belagerung von Cusco zurück, um seine verbliebenen Krieger im Kampf gegen die spanischen Konquistadoren und deren Hilfstruppen zu sammeln. [Der jüngste Sohn Manco Capac II. war Tupac Amaru, der letzte Herrscher der Inka in Peru, der für einige Guerilla-Bewegungen Namenspatron war, u.a. die Tupamaros in Uruguay.]

Der Inka Pachacútec Yupanqui ließ Ollantaytambo im 15. Jahrhundert erbauen – angeblich auch Machu Picchu. [Die Namen hören sich einfach total spannend an – wie auch die Sprache Quechua.]

ollantaytambo

Aus meinem Reisetagebuch, Juli 1984:
Die Schlucht wird enger, und die ersten Befestigungen tauchen auf, die das Tal gegen Eindringlinge von Cusco aus verteidigen. Den Eingang von Ollantaytambo bilden Terrassen, die quer die ganze Breite des Tales ausfüllen, „successful defeated by Manco Capac’s warriors“ [das ist vermutlich ein Zitat aus dem South America Handbook]. Ollantaytambo ist die positive Überraschung unserer ganzen Reise. Die Leute leben noch in den zu Zeiten der Inkas gebauten Häusern. Die Gassen sind schnurgerade, die Ecken der Straßen aus wuchtigen Quadern, und oft fließt ein kleiner Bach durch einen schmalen Kanal in Richtung des Rio Urubamba, auch auf den Plätzen. Nur scheint das die Leute offenbar nicht viel zu interessieren, weil sie sich nicht darum scheren, wenn das Wasser nicht läuft.

ollantaytamboollantaytambo
Die beiden obigen Fotos waren kaum noch zu restaurieren und viel zu dunkel; das Licht auf fast 4.000 Metern Höhe ist schrecklich für einfache Kameras. Meine damalige Freundin klettert oben auf den Felsen oberhalb des Sonnentempels (templo del sol) herum.

Das Dorf ist vollständig umgeben von Ruinen, die wir ausnahmslos erklettern, angefangen von rechteckigen Gebäuden, die sich übereinander bis hoch auf den Berg ziehen, aber ziemlich verfallen sind. [Heute weiß ich: Es waren PinkullyunaLagerhäuser für Getreide] Der ganze Bergkamm ist im Halbkreis ist terrassiert. Rechts, wo der Hang fast senkrecht abfällt, führt ein halsbrecherischer Pfad hinab. In den Terrassen ganz oben erkennt man viele Nischen für Idölchen. Ganz oben über den Ruinen liegen riesige rosige Steintrümmer, die seltsam bearbeitet sind, wahrscheinlich die Mauern des obersten Turms. Dieselbe Form finden wir später im Haupttempel von Machu Picchu. Richtung selva [nach Norden] wird das Gelände von einer an den steilen Hang gebauten hohen Lehmziegelmauer abgeschlossen, die sich über das ganze Terrain zieht. Ich verbringe mehrere Stunden allein in den Ruinen und bekomme direkt Lust, Architektur zu studieren, so rätselhaft schön ist alles ringsum.

Aber das ist noch nicht alles – ein entzückendes kleines Hostal – der dueño ist so ein Typ wie unserer in Cochabamba, und ein Grino-like Restaurant, wo alles amerikanisch ist, sogar Time und Newsweek liegen aus. Hier verbringen wir jeden Abend im Gespräch mit anderen Gringos und lernen zwei New Yorker unseren Alters kennen. Eine interessante Kombination – das gegenseitige Akzeptieren als „Weltstädter“. Man ist aufeinander sehr neugierig. In uns erwacht die Lust, mehr von New York kennenzulernen. Im Café Alcazar [das gibt es wahrhaftig noch!] haben sie Pudding, Spaghetti und andere Leckereien. Frühstück ist besser auf der Plaza, wo wir bei einer dicken und geschäftstüchtigen jungen Frau in einem kleinen Kiosk manches Sandwich mit Honig und Ei verzehren. Sogar das Mittagessen ist ausreichend, der Essraum mit Gemälden von Inkas verziert.

Wir lernen noch zwei Schotten kennen, die im für uns unerschwinglichen Hotel El Albergue residieren: Ein rüstiger 73-jähriger Opa, der sich von uns später mit „gute Fahrt“ auf Deutsch verabschiedet, und sein 37-jähriger Sohn, dem man die Kondition aus zehn Metern Entfernung ansieht. Der Opa hatte auf dem Inca-Trail einen Unfall und konnte sich nicht mehr bewegen, und der Sohn musste den ganzen Weg nach Machu Picchu rennen, um den schon georderten Helikopter zu stoppen, als es dem Vater wieder besser ging.

Am Sonntag gehen wir in einem Seitental spazieren, was sich zu einer richtigen 10-Kilometer-Wanderung auswächst. Das erste Dorf ist schon wieder richtig „andin“, puro quechua, alle in Tracht und bei der gemeinsamen Feldarbeit. Die Häuser innen komplett schwarz verräuchert und weder tienda noch sonst irgendetwas. Die Ruinen, die es dort geben soll, finden wir nicht, und die, die wir sehen, sind zu weit weg. Der Weg ist manchmal kaum zu erkennen, aber die Sicht auf die Berge und Schluchten grandios.

Der Bach wird in mehrere „Stränge“ geleitet, von denen einige wohl die Bäder der Inkas – auch das Bad der Inka-Prinzessin – gespeist haben werden. Letzteres ist elegant und schön, hinterlässt aber ein wehmütiges Gefühl, wenn man mitansehen muss, was die heutigen Peruaner und sogar ihre Archäologen daraus machen. Das ganze Tal war ursprünglich terrassiert, und das Wasser floss von einem Becken in das nächste, so dass alles mehr oder weniger unter Wasser stand, mit Gängen dazwischen. Ein großer Felsblock diente als Bassin für sternförmig angelegte Rinnen, die wiederum in diverse Becken führen. Natürlich läuft heute nirgendwo Wasser, obwohl man das leicht ändern könnte.

Am Berghang sind viele ausgemeißelte Sitzflächen, Nischen für Götter-Statuen, und man kann über sehr steile Stufen noch weiter hinaufklettern, wo neue Rätsel aus Stein warten – zum Beispiel eine Art Knauf, der wie ein Sattelknopf auf einer steinernen Bank herausragt. Vielleicht wurde das nur aus ästhetischen Gründen angelegt? Es muss wunderbar ausgesehen haben, wenn auch nur für die damalige herrschende Klasse. Wir bleiben von jueves bis lunes da und ruhen uns vor dem „Sturm“ auf den Inca-Trail aus.

Am Dienstag morgen brechen wir nach einem ausgiebigen Frühstück am Kiosk zu Fuß nach Kilometer 88 auf [hier hält der Zug von Cusco über Ollantaytambo bis nach Urubamba – der Ausgangspunkt für den Inca-Trail. Damals musste man mit einer kleinen handbetriebenen „Seilbahn“ über den Fluss schweben – eine schwankende Angelegenheit und nur für Schwindelfreie].

Llachtapata
Die Ruinen von Llachtapata – der Anfang des eigentlichen Inca-Trails. Ich sitze da auf der Mauer, bin aber kaum zu erkennen, da alles im Schatten des Berges unterbelichtet ist.

Wir kreuzen den Fluss bei Chillca, wo wir auch noch die letzte Chicha kaufen können. Dann führt der Weg den unzugänglichen Teil des Flusstales auf und ab, von Tal zu Tal, ab und zu kleine Hütten, und es ist manchmal nicht zu sehen, ob der Pfad wirklich noch weitergeht. Gegen Nachmittag wird es richtig anstrengend, vor allem mit den schweren Rucksäcken. Bei einem wahnsinnigen Abstieg muss B. alle paar Meter pausieren, weil ihr die Beine zittern. Endlich, auf einer Anhöhe – es ziehen schon dunkle Wolken auf – auf der gegenüberliegenden Seite langgezogenen Ruinen, weiter unten ein niedlicher kleiner Turm, umgeben von Mauern – Llachtapata!

Den Turm suchen wir uns sofort von fern als Schlafquartier aus. Aber zunächst müssen wir noch runter zum Fluss und mit letzter Kraft wieder hinauf. Als wir gerade das Zelt aufgestellt haben, fängt es an zu regnen, was uns aber nicht schreckt. Wir genießen die erste heiße Suppe und die erste Schokolade, und wenig später hört auch der Regen auf. Unsere Kerze beleuchtet die Wände der Ruinen, und unsere eigenen Schatten flackern riesengroß darüber. Die Ruinen sehen wir uns gar nicht richtig an, wir sind von „unserem“ Türmchen mit einen behauenen Felsen innen – wie ein Tisch mit rundum eingelassenen steinernen Sitzflächen – begeistert. Trotzdem verbarrikadieren wir die beiden Eingänge mit trockenem Holz. Es passiert aber nichts, wir sind die einzigen Menschen weit und breit…

ollantaytamboollantaytamboNiño
Am Bahnhof von Ollantaytambo

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Kommentare

7 Kommentare zu “Speicher meines Gottes”

  1. Thomas am September 9th, 2020 10:39 am

    Also… ehrlichgesagt finde ich die Touristenmagnete (z. B. Machu Picchu) garnicht (mehr) sooo interessant. Toll gebaut, ja. Beeindruckende Landschaft… aber über die Inka ist eigentlich schon so viel gesagt.
    Viel interessanter finde ich Kuelap und die Theoriern, die sich um die Herkunft seiner Einwohner, der Chachapoya, ranken… :)

  2. Ruedi am September 9th, 2020 11:03 am

    Ollantaytambo habe ich in guter Erinnerung. Ist inzwischen allerdings fast 50 Jahre her.
    Im Norden war ich vor zehn Jahren erstmals.
    Kuelap hat mich begeistert.
    Túcume mit den grössten je gebauten Pyramiden gehört auch in diese Kategorie.

  3. ... der Trittbrettschreiber am September 9th, 2020 12:36 pm

    Wurden die Mauern in Ollantaytambo einst schief gebaut, falls ja, warum oder lehnte der Zahn der Zeit mit all seinem kariösen Gewicht über all die Jahre daran – so wie an den meisten Mauern?

    https://www.youtube.com/watch?v=asKmtwHeqWM

  4. admin am September 9th, 2020 2:20 pm

    Die Inkas haben erdbebensicher gebaut.

  5. flurdab am September 10th, 2020 1:09 pm

    @ Trittbrett und admin

    Die Mauern erinnern an die Empfehlungen für einen guten Heckenschnitt. Trapezförmig, unten breiter als oben. Das sorgt bei Hecken dafür das diese auch unten Blätter nachtreiben weil dort auch die „Sonne“ hinscheint.
    Was will uns der „Vogel“ mitteilen?
    Sonneneinstrahlung = Wärme, ist ja nicht so als ob es in den Anden übermässsig warm ist.
    Abgesehen davon das die schrägen Mauern auch mehr Licht in die Gassen lassen.
    Gibt es eigentlich Ideen wie die Bewohner diese Brocken bewegt haben?
    Das sind ja „Trockenbau- Mauern“ in XXL, nur Stein, kein Mörtel.

  6. ... der Trittbrettschreiber am September 10th, 2020 6:29 pm

    Ich sags immer wieder – nun nochmal:

    https://tinyurl.com/yyo5756x

  7. admin am September 10th, 2020 7:02 pm

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