Unter Siebenern
Was mir auffiel, als ich spät, aber nicht zu spät die Paddelsaison eröffnete und was das zweite Foto beweist: Auf den Booten der wohlhabenden Berliner Mittelklasse sitzt immer eine attraktive Frau und sonnt sich, der Mann steuert (nicht etwa umgekehrt). Der arme paddelnde Proletarier kann nur die eigenen Zehen bewundern.
Oder sich amüsieren, wenn Azubis Anfänger im Rudern zu fünft durch die engen Kanäle von Klein-Venedig müssen und mit ihren Paddeln an jeder Seite überall hängen- und steckenbleiben dergestalt, dass sie, ihrer eigenen Unfähigkeit eingedenk, mir dann höflich den Vortritt lassen anbieten, an ihnen vorbeizuziehen.
Frage an das bootsaffine Publikum: Da ist ein Ruderboot mit sieben Leuten. Ist das nicht verboten? Ich dachte, es gäbe Achter mit Steuermann, aber Siebener? Ist einer verloren gegangen oder wurde aus Kostengründen eingespart?
Kurz nach Mittag wurde es dann voll und voller und ich paddelte zurück ins Bootshaus, wo seit Neuestem Leckereien aufgetischt werden.
Am 14.08.2022 war ich das letzte Mal aus dem Wasser und das erste Mal seit der Hüft-Op. Das sollte wieder öfter geschehen, aber ich arbeite jetzt in Vollzeit und habe nur die Wochenenden frei. Dank der Klimaerwärmung ist es leider bekanntlich kälter.
במטבח
Die Heidelbeermarmelade blubbert wie in einer Hexenküche.
First Witch When shall we three meet again
In thunder, lightning, or in rain?
Second Witch When the hurlyburly’s done,
When the battle’s lost and won.
Third Witch That will be ere the set of sun.
First Witch Where the place?
Second Witch Upon the heath.
Third Witch There to meet with Macbeth.
First Witch I come, graymalkin!
Second Witch Paddock calls.
Third Witch Anon!
ALL Fair is foul, and foul is fair:
Hover through the fog and filthy air.
Pfirsichtorte mit Sahne (rechts), Heidelbeermarmelade, und hinten wartet Kasseler mit Schalotten und Tomaten im Römertopf. Und die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld. (Hebräisch muss ich heute auch noch lernen: במטבח heißt „in der Küche“. Bitte von rechts nach links lesen.)
Unter unregelmäßigen Flowerwatchern
Zugverkehr unregelmäßig. Immerhin bis zum Bahnhof geschafft…Danke, deutsche Bahn!
Trattoria Toscana: Ich aß Tagliolini con Filetto d’Agnello e Verdurine und danach Banana-Split.
Ich liebe den Blick vor dem Frühstück auf meine Blümlein (die Sansiverie habe ich versehentlich zu viel gegossen, sorry). Fast wie eine Lodge im Urwald, nur eine anderen Geräuschkulisse (aber die erzeugt notfalls Alexa).
Was jetzt? Nur noch morgen arbeiten, dann eine Woche Urlaub bis nach Pfingsten. Aber das Programm ist schon wieder übervoll… Jetzt alles für die neuen Armaturen im Bad vorbereiten, den Krieg gegen die Ameisen, die vom Balkon aus zu oft hier hereinwandern, intensivieren, Hebräisch lernen, mehr als 14 Liegestütze am Stück schaffen und eine halbe Stunde gynastikisieren usw….
Tel-O-Fun
Ha! Guckst du hier!
Erbsensuppe an [bitte selbst ausfüllen]
Welche Lektüre passt am besten zur selbstgemachten Erbsensuppe?
Erziehungsmaßnahmen der Sprachpolizisten
Berliner Zeitung: „Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern entkommt man der Gendersprache nicht, obwohl die meisten Zuschauer sie ablehnen. Unsere Autorin fühlt sich diskriminiert.“
„Kritiker der Gendersprache sind sich einig, denn es geht hier nicht um Meinungen, sondern – Achtung – um Fakten. Sie liegen alle auf dem Tisch, nur Gender-Apologeten ignorieren sie wie Trump sein letztes Wahlergebnis: Es gibt keine haltbaren Gründe für den Gebrauch der Gendersprache. Keine, die nicht widerlegt worden wären. (…) Dafür sollen durch Doppelpunkt oder Stern auch andere Identitätsgruppen mitgemeint sein – das haben sich Gender-Aktivisten ausgedacht. Sie unterstellen der organisch gewachsenen deutschen Sprache, Kollektive von Männern hätten sich über Jahrhunderte zusammengerottet, um Frauen mit dem generischen Maskulinum auch sprachlich zu unterdrücken. Und heute endlich ist die Gesellschaft aufgeklärt genug, diese kranke, reparaturbedürftige deutsche Sprache zu „heilen“?“
Dazu der österreichische Exxpress: „81 % der Österreicher lehnen das Gendern ab!“
Hilft alles nichts, es handelt sich um eine säkulare esoterische Religion wie das Fressen von Globuli.
Wostok und Pizza
Das Getränk bestellte ich nur wegen des Namens. Gerade fiel mir ein, dass die Nachgeborenen vermutlich gar nicht wissen, was der bedeutet. Russisches ist zur Zeit bekanntlich nicht so angesagt.
Übrigens: Diese Pizza kostete mit dem Getränk knapp zehn Euro. Das können sich Geringverdiener und Reichtumsferne Arme nicht oft leisten. Deswegen heißt der Laden auch passend zum Publikum und hipstermäßig Vier Ecken Rix.Dorf.Pizza und irgendetwas mit „Veggie“. Es ist auch nicht genug Text auf der Website, um Gendersternchen hineinzudröseln. Das kommt bestimmt noch. Ich habe übrigens schon schlechtere Pizzen gegessen. (Hinweis: Wenn man selbst kocht, ist alles halb so teuer.)
Overdressed
Auf dem Hof der Skalitzer Strasse 33 in Kreuzberg, Mitte der 80-er Jahre.
Besser gucken
Ich habe meinen Optiker gewechselt, der mir zu teuer wurde. Also weg von der Kleinbourgeoisie, hin zur Großbourgeoisie. Nur halb so teuer – und ich kriege für rund 500 Euronen noch eine Sonnenbrille mit Gläsern in meiner Stärke dazu. Da kann man nicht meckern. Den Laden kann ich auch empfehlen, weil der junge Mann, der mich sehr kompetent bediente, sich als Gamer outete und wir gleich ins Fachsimpeln kamen, was virtuelles Hauen und Stechen angeht.
Meine Augen werden besser, einer der wenigen Vorteile des Alterns.
What a day!
Via Cirque du Kitsch, Instagram
Brunsviger, karamellig-apfelig
Das erste Gericht wurde hier schon mehrfach lobend erwähnt. Das untere ist neu: Brunsviger oder: Dänischer Karamellkuchen mit Röstapfelpurree.
Stilfragen
Aus der Facebook-Gruppe „Deutsch mich nicht voll“
Der Stoff, aus dem die Träume sind
(aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?“ (1993)
Das «Rauschgift» Opium in der Apotheke? Damit gab es im 19. Jahrhundert keine Probleme. Niemand wußte jedoch, welche Substanz des Mohnsaftes die eigentliche Wirkung ausmachte. Das hatte manchmal fatale Folgen, denn eine exakte Dosierung war unmöglich, das Medikament konnte tödlich wirken.
Heute ist die Situation ähnlich, aber aus völlig anderen Gründen. In jeder Apotheke steht eine Flasche Opiumtinktur herum. Aber kaum ein Arzt traut sich, das Präparat zu verschreiben. Die Mediziner könnten sich informieren, tun es aber in der Regel nicht – aus Angst vor den strengen Auflagen des Betäubungsmittelgesetzes. Während in England ausführliche Forschungen zur pharmakologischen Wirkung der Opiate vorliegen, sind die deutschen Ärzte meistens schon bei simplen Fragen zum Thema völlig überfordert.
Dementsprechend «sachkundig» verlaufen auch die öffentlichen Diskussionen über Drogen, von der Kompetenz der Politiker und «Drogenbeauftragten» ganz zu schweigen. Dabei hat die Beschäftigung mit Papaver somniferum gerade hierzulande eine lange Tradition: Morphium und Heroin sind Erfindungen deutscher Apotheker und Firmen.
Natürlich wußte man im 19. Jahrhundert aus Erfahrung, daß Opium nicht nur alle möglichen Krankheiten kuriert, sondern daß man sich damit auch umbringen kann.
In Hessen war, schreibt Hans-Georg Behr, die «Frankfurter Hauptpille» auf dem Markt, ein Gemisch aus Opium und Zucker. Opiumhaltige Medikamente wie «Dr. Zohrers Kinderglück» und «Aachener Schlafhonig» wurden auch Babys zur Beruhigung und zum besseren Schlaf verordnet. Einige der kranken Kinder wachten jedoch nach der Einnahme des «Kinderglücks» nicht mehr auf. Der Arzt Dr. Heinrich Hoffmann sah sich angesichts der Todesfälle veranlaßt, nach einem unschädlicheren Ersatzpräparat zu suchen. Die von ihm entwickelten «Hoffmannstropfen» enthielten aber immer noch fünf Prozent Opium.
In England hieß das beliebteste einschlägige Mittel «Godfrey’s Cordial». «Die erste Untersuchung von Opiatvergiftungen an Kindern wurde 1843 in einer kleinen Stadt in Lancashire vorgenommen», schreibt Hans-Georg Behr. «Von knapp 2500 Familien kauften mehr als 1600 regelmäßig Godfrey’s Cordial. Die Kindersterblichkeit lag über 60 Prozent, und ein abruptes Absetzen der Droge überlebte nur jedes sechste Kind.»
Verschiedene Forscher experimentierten daher mit der Rohsubstanz Opium, um dessen unerwünschten Elemente zu beseitigen, die, wie vermutet wurde, zu den Nebenwirkungen führten. Das chemische Element Stickstoff, dessen Verbindungen – die Alkaloide – in Pflanzen vorkommen und das des Rätsels Lösung gewesen wäre, war noch nicht bekannt.
Im Jahr 1805 bekam eine Leipziger Zeitschrift, das Trommsdorffer «Journal der Pharmacie», merkwürdige Post. Der Paderborner Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner bot einen Artikel an, in dem er behauptete, er habe das «schlafmachende Prinzip des Opiums» entdeckt. Die Herausgeber des «Journals» überflogen den Bericht, schüttelten bedenklich ihre Köpfe, überdachten die Reputation ihres Blattes und lehnten dann Sertür-ners Ausführungen ab, da sie unseriös seien. Der Apotheker ließ nicht locker. Er schrieb einen Leserbrief, in dem er seine Experimente schilderte. Der wurde gedruckt, aber niemand beachtete ihn.
Dabei war der zwanzigjährige Pharmakologe auf dem besten Weg, der berühmteste Sohn der Stadt Paderborn zu werden, bekannter noch als der zu seiner Zeit in der Domstadt residierende Bischof. Sertürners Versuchsanordnung: Man laugt Opium mit destilliertem Wasser aus, bis alle Farbstoffe ausgeschieden sind. Die eingedampfte Lösung wird, wieder mit Wasser, verdünnt, dann mit Ammoniak übersättigt. Flüssiges Ammoniak war schon damals als gutes Lösungsmittel bekannt. Bei diesem Prozeß entsteht eine Substanz, die noch in vielen Hausapotheken als Salmiakgeist zu finden ist.
Spannend wurde es, als sich – als Resultat des Experiments kleine Kristalle bildeten, die irgend etwas mit der Wirkung des Opiums zu tun haben mußten. Sertürner verfütterte sie an einen bedauernswerten Hund, der zufällig an seiner Tür herumschnüffelte. «Nach Zufuhr des Stoffes stellten sich alsbald Schlaf und später Erbrechen ein. Bei erneuter Aufnahme wurde alles erbrochen; doch die Neigung zum Schlafe hielt mehrere Stunden an.» Somit war klar: Wenn die Kristalle die gleichen Symptome wie Opium hervorrufen, sind sie die eigentliche Grundsubstanz. Ein zweiter Tierversuch endete sogar tödlich, das Tier «taumelt schlafsüchtig und stirbt schließlich».
Sertürner, bewandert in griechischer Mythologie, nennt den von ihm entdeckten Stoff nach Morpheus, dem Gott der Träume, Morphium. Neugierig, wie er ist, probiert er ihn selbst aus, zusammen mit drei jugendlichen Freunden. Zunächst beobachtet er Übelkeit und einen betäubenden Schmerz im Kopf, dann, nachdem die Versuchspersonen die Dosis erhöhen – sie nehmen das Pulver zusammen mit Wasser und Alkohol ein -, «Ermattung und starke an Ohnmacht gränzende Betäubung». Sertürner glaubt an eine Vergiftung, schreibt er 1817 in den «Annalen der Physik», die in ihm eine «solche Besorgniß» auslöst, daß «ich halb bewußtlos über eine Viertelbouteille starken Essig zu mir nahm, und auch die übrigen dies thun ließ. Hiernach erfolgte ein so heftiges Erbrechen, daß einige Stunden darauf einer von äußerst zarter Constitution, dessen Magen bereits ausgeleert war, sich fortdauernd in einem höchst schmerzhaften, sehr bedenklichen Würgen befand».
1817 wird das Morphin in ein Arzneibuch eingetragen. Erst nach einer Würdigung durch den französischen Physiker Louis-Joseph Gay-Lussac erringt der junge Apotheker Anerkennung, die sich aber in Deutschland in Grenzen hält. Der neue Forschungszweig, zu dem er die Tür weit aufgestoßen hat – die Alkaloidchemie -, zeigt erst viel später seine Früchte.
1826 beginnt der Apotheker Emanuel Merck im Laboratorium der Engel-Apotheke in Darmstadt mit der kommerziellen Herstellung des Morphiums als Schmerz- und Schlafmittel. Es ist bekannt, daß Morphin euphorisierend wirkt. Die Mediziner und Forscher diskutieren aber mehr darüber, wie sich die Nebenwirkung der oralen Einnahme – der obligatorische Brechreiz – vermeiden läßt. Man sucht eine Möglichkeit, den Weg durch den Magen zu umgehen.
Morphium wird, um eine Überdosierung zu vermeiden, auch als Salbe oder Öl verschrieben. Damit das Medikament schneller und intensiver wirken kann, empfehlen einige Mediziner das Katharindenpflaster, das eine Hautblase erzeugt. Die schützende Haut ist somit «ausgetrickst»: Auf die verdünnte Stelle, die Blase, kann die morphiumhaltige Salbe oder das Puder aufgetragen werden.
Die «hypodermatische Inokulation» kommt dem Spritzen schon ein wenig näher: Mit einer Nadel schiebt der Arzt kleine Mengen des Medikaments unter die Haut. Als Charles Gabriel Pravaz 1853 die Injektionsspritze erfindet – sein Kollege Alexander Wood hat zwei Jahre später die gleiche Idee -, nimmt die Sache ihren Lauf. Ein Badearzt in Schlangenbad spritzt einer Frau, die an «hysterischen Krämpfen» leidet, Morphium unter die Bauchdecke – mit dem Erfolg, daß ihre Beschwerden schlagartig verschwinden.
Das spricht sich herum. In wenigen Jahrzehnten entwickelt sich Morphium – heute: Morphin – zum Heilmittel für alles und jedes: gegen Husten und Schmerzen, gegen Schnupfen, Krämpfe und Augenleiden. Wer sich nur glücklich fühlt, gilt als geheilt. Im Krimkrieg, in den Kriegen zwischen Preußen und Dänemark bzw. Österreich, im deutsch-französischen Krieg, im amerikanischen Bürgerkrieg: Überall wird Morphin gespritzt, was das Zeug hält.
Nur gibt es eine neue, ebenfalls unerwünschte Wirkung des Wundermittels: Wenn man es dem Patienten plötzlich vorenthält, läuft er Amok oder verfällt in tiefe Depressionen – was die Kampfmoral nicht gerade hebt. Militärärzte nennen die Symptome des Morphin-Entzuges die «Armee-» oder «Soldatenkrankheit».
Wer oder was an den Problemen der Morphin-Konsumenten schuld ist, bleibt unklar. Patienten, die an eine bestimmte Dosis gewöhnt sind, neigen zur Selbstmedikation und – das wird beobachtet – zur Dosissteigerung. Ärzte konstatieren eine «Zerrüttung des Nervensystems» – obwohl niemand genau weiß, inwieweit «die Nerven» von Morphin in Mitleidenschaft gezogen werden – und «schwere psychische Störungen» – Ursache oder Folge des vermehrten Konsums oder nur des zeitweiligen Absetzens? Auch das ist nicht erforscht. 1874 erklärt der erste Arzt den überhöhten
Morphingebrauch zur Krankheit sui generis.
Schon 1856 vermutet die Polizei, die staatliche Ordnung im allgemeinen und besonderen sei durch den Drogenmissbrauch in Gefahr. Der Polizeipräsident von Berlin erläßt eine Verfügung, daß Ärzte Morphium nur wiederholt abgeben dürften, wenn darüber ein schriftlicher Vermerk angefertigt würde. Von «Drogensucht» ist aber noch nicht die Rede.
Der Berliner Arzt Eduard Levinstein ist der erste, der die Begriffe «Sucht» und Morphium verklammert. In einer 1880 erschienenen Monographie unterscheidet er zwischen dem «Morphinismus», der eine Vergiftung sei, und der «Morphinsucht». Er versteht darunter die «Leidenschaft des Individuums, sich des Morphiums als Erregungs- oder Genußmittels zu bedienen, da dasselbe unvermögend ist, von dem Mittel ohne Nachtheil für das subjektive Wohlbefinden zu lassen, und den Krankheitszustand, der sich durch die mißbräuchliche Anwendung des Mittels herausbildet». Männer seien für die «Sucht» anfälliger, da sie im Berufsleben höheren Anforderungen genügen müßten. Morphinsüchtig seien fast ausschließlich Ärzte und Offiziere.
Bereits fünf Jahre zuvor hatte Levinstein über die Morphiumbegeisterung gewisser Kreise berichtet. In der «Berliner Klinischen Wochenschrift» vom 29.11.1875 heißt es dazu: «Aus der ersten Sitzung der inneren Medizin erfahren wir, daß das so alt bewährte Mittel, die Sorgen des Daseins in die Freuden elyseischer Träume zu verwandeln, bei uns von einer Mode bedroht zu werden anfängt, die diesmal nicht von Westen, sondern ausnahmsweise einmal von Osten ihren Einzug hält. Bisher schien es ein erprobtes Vorrecht des Muselmannes zu sein, sich mit Hilfe des Opiums hinüber zu schwingen in das Reich ungetrübter Genüsse. Glieder unserer gebildeten und höheren Stände, theilt uns Herr Sanitätsrath Dr. Levinstein mit, beginnen indes im Anschluß an den medicamentösen Genuß des Narcoticums ebenfalls des vom Koran verpönten Saftes der Rebe überdrüssig zu werden. Auch sie ziehen es vor, ihr Dasein mit Opium zu würzen, das sie zwar nicht wie der Türke mit gekrümmten Beinen dem Tschibuk entnehmen, aber ihrer höheren Kultur entsprechend gleich als reines Alkaloid sich mit oder ohne Zuhilfenahme der Pravazschen Spritze einflößen. Den antiquierten Alkoholrausch überlassen sie dem ‘gemeinen’ Mann, müssen aber mit ihm gewisse Folgen theilen, die dem Alhoholismus nicht ganz unähnlich sind, und von denen leider auch die Morphiumfreunde nicht verschont bleiben.»
Die Zeitschrift bedient sich einer feinen Ironie, die zu wütenden Protesten aufgeregter Drogenpolitiker wegen «Verharmlosung» führen würde, übertrüge man die Aussagen auf heutige Verhältnisse: Die Heroin«freunde» wollen von der etablierten Saufkultur nichts wissen. Sie ziehen es vor, sich mit dem «alt bewährten» Opium zu berauschen. «Ihrer höheren Kultur entsprechend» essen oder rauchen sie es aber nicht – wie viele der «ausländischen Drogendealer» -, sondern injizieren sich das mit modernen chemischen Methoden hergestellte Derivat Heroin. Bedauerlicherweise» leiden auch sie, wie Alkoholiker, an unangenehmen Entzugssymptomen.
Morphin, so zeigt der Bericht Levinsteins, war – nicht als Medikament, sondern als Genussmittel – zunächst eine Modedroge der «besseren Kreise». Eine bestimmte Form des Gebrauchs, die Injektion, setzte die Konsumenten sozial von anderen. Drogenkonsumenten ab: Die intravenöse Applikation war ein Zeichen «höherer Kultur».
Heute gilt das Gegenteil: Wer Drogen spritzt, fällt unter die – abwertend verstandenen – Kategorien «Fixer» oder «Junkie» und muß mit den klischeehaften Vorverurteilungen wie «unzuverlässig», «heruntergekommen» und «kriminell» rechnen. Alkoholiker, die ihr Rauschmittel oral einnehmen und sogar in deutschen Parlamenten zu finden sind, gelten dagegen, solange sie nur ihren eigenen Körper ruinieren, als sozial unschädlich.
Alle Formen, die heute diskutiert werden, um Morphinabhängige zu behandeln, waren schon im vergangenen Jahrhundert bekannt. Ärzte schlugen den «kalten Entzug» vor, das abrupte Absetzen, was eine knappe Woche dauerte. Andere empfahlen, während des Entzugs Haschisch oder Marihuana zu rauchen. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud propagierte Kokain: «Freud selbst hatte Kokain seinem Freund Fleischl von Marxow verabreicht, der nach einer Daumenamputation morphinabhängig geworden war.» Beliebt war auch die Substitution durch Codein, die in den neunziger Jahren zum therapeutischen Standard gehörte.
Links und rechts vom Fischladen
Restaurantempfehlung: Der Fischladen im Prenzlauer Berg. Ich habe gegessen: Frischen Hamburger Backfisch nach traditionellem Rezept mit hausgemachtem Kartoffelsalat und Remouladensauce. Ich esse eigentlich nie Fisch außer Sushi, aber dieser Laden könnte mich umstimmen.
Krüllkuchen nationaler Minderheiten
Ich wusste schon, dass es bei Albrecht immer exquisiten Tee nationaler Minderheiten samt dazugehörigem Geschirr und Ritualen geben würde. Auch der friesische Krüllkuchen war mir schon unter den Gaumen gekommen. Aber es ist immer wieder spannend zu sehen, was man aus einfacher Flüssigkeitsaufnahme und Nahrungsmitteln, die nicht primär dem Sättigen dienen, sondern der kulinarischen Freude, machen kann.
Da ist Kandiszucker im Tee. Der muss, so sagt der Experte, ausgehäuft sein und nicht etwas einfach so unordentlich in der Tasse herumliegen. Erst dann darf der Tee ihn ersäufen, Für die Milch benutzt man eine Art zeremoniellen Löffel und säuft den Tee au lait dann nicht einfach weg, sondern betrachtet meditativ die aufquellende weiße Wolke und denkt sich rohrschachtestmäßig etwas dabei.
Die Kunst beim Krüllkuchen ist, den so dünn wie möglich zu machen. Albrecht hat sich das von einer alten Friesin beibringen lassen. Auch das andere Gebäck schmeckte hervorragend; ich hab leider nicht notiert, was es war. Jedenfalls nichts aus dem Supermarkt oder von der Großbourgeoisie.
Wenn ihr also etwas über Tee und gutes Gebäck wissen wollt, fragt einen Friesen.
/Den Hedemann gibt es nicht mehr.)
Unter Visagistinnen
Da fragt man sich, wie Frau Baerbock wohl in Wirklichkeit aussieht, wenn der Visagisten-Lack ab ist. Denn wenn man für Schminke viel mehr ausgibt als Angela Merkel, wird das schon seine Gründe haben. https://t.co/1PW9nAOddp
— Steinhoefel (@Steinhoefel) April 12, 2023
Granatwerfende Durchmarschierer
Ich habe gestern etwas gekocht, was den merkwürdigen Namen Grenadiermarsch trägt. Man könnte dazu auch sagen: Alle noch essbaren Fleisch- und Wurstreste, zusammengematscht mit Nudeln und Kartoffeln. Ich habe von den toten Tieren Thüringer Knackwurst genommen. So ein Gericht wird in der Rubrik Hausmannskost aufgelistet. Ich sage: Irgendetwas zwischen Arme-Leute-Essen und „gutbürgerlicher“ Küche.
Die Österreicher schreiben: Der Grenadiermarsch ist dem Gröstl sehr ähnlich. Er ist auch in Ungarn (mit Paprika) und Tschechien verbreitet. Der Name leitet sich nach Hand Dieter Pohl und Christoph Wagner aus der Soldatensprache des 19. Jahrhunderts ab (Grenadier), ist aber erst ab den 1920er-Jahren nachweisbar. In älteren Kochbüchern wird die Speise als „Durchmarsch“ bezeichnet.
Fliesen, nicht Kacheln
Stand gestern 20.39 Uhr und heute 0.12 Uhr. Die Grundierung ist jetzt auf den Fliesen.
Vom Paradies in die Hölle
Freizeit. Da geht man erst ins Paradies und dann in die eigene Hölle. Jetzt komm zuerst die alte Farbe in der Dusche runter, dann neue auf die Kacheln. Dauert alles viel länger als ich dachte.
Unter noblen Rittersternen
Clivia nobilis und Hippeastrum Reginae – offenbar mögen mich meine Pflanzen gut leiden, weil sie gern blühen. Vielleicht singen sie sogar heimlich.