Agrarisch und revolutionär II

wassermühle
Credits: Stadt Zeven (Wikipedia)

Zweiter Teil von Agrarisch und revolutionär I: Die Ausgangsfragen waren: Warum entstand der Kapitalismus in Europa zuerst, was genau ist der Feudalismus, der ihm vorausging? Bedarf das einer Sklavenhalterwirtschaft – oder ist letztere ein historische Sonderfall, also ein Zufall? Entwickelt sich jede Gesellschaft weltweit (!) nach immer ähnlichen Schemata, bei denen der Feudalismus offenbar nie fehlt, wohl aber oft eine Ökonomie, auf der das römische Weltreich fußte – wie etwa in Japan oder China?

Einer der interessantesten Aspekte, den Mitterauer einführt, ist die ökologische Grenze. Die Arab Agricultural Revolution kam Ende des 12. Jahrhunderts zum Erliegen. Warum? Die Bewässerungsanlagen, die für eine hoch spezialisierte Landwirtschaft braucht, wurden vernachlässigt und verfielen. Die Produktionsverhältnisse, die im Orient wie im Europa „frühfeudal“ waren, ließen auch von der Aristokratie organisierte kollektive Arbeitsformen wie in der Asiatischen Produktionsweise nicht zu.

Die Bauern wurden nicht – wie im mitteleuropäischen Frühfeudalismus – in der Grundherrschaft „organisiert“, sondern von ihrem Land vertrieben. Mitterauer sieht die Ursachen des Niedergangs der islamische Welt in der Ökonomie in den „politischen Verhältnissen“, zum Beispiel in der „Vergabe von Staatsdomänen in Steuerpacht zum Zweck der Besoldung, die zur Überausbeutung“ führte. Das aber ist weder logisch und zwingend, weil „Politik“ als Teil der Überbaus dann mehr oder weniger zufällig und losgelöst von den materiellen Bedingungen agierte.

wassermühle
Credits: Feudale Bockwindmühle, aus einem Alexanderroman, 14. Jh.,Bodleian Libraries

Wenn man Zentral- bzw. Nordeuropa mit dem Orient und China vergleicht, wird die jeweilige ökologische Grenze klarer: Die „grüne Revolution“ zur Zeit der Song Dynastie fußte im Süden Chinas vorwiegend auf dem Reis-Anbau; im Norden dominierte zunächst Hirse, dann Weizen und Gerste. Die Chinesen revolutionierten den Reis-Anbau kontinuierlich. Aber: „Aus der Intensivierung des Nassreisbaus ergab sich für die chinesische Landwirtschaft eine ganz andere Entwicklung als für die europäische durch deren Kulturpflanzen Roggen und Hafer.“ Beim Reis geht es vor allem um Bewässerungstechnik; tiefes Pflügen wie in Nordeuropa mit seinen nassen Böden spielt keine Rolle. Auch wurde kein Zugvieh gebraucht. Großviehhaltung wurde in Landwirtschaft nicht integriert. In Europa schuf der Einsatz von Wagen für schwere Güter – für den man eben Zugvieh brauchte – langfristig bessere Chancen für das Transportwesen als etwa das im Orient dominierende Kamel.

wassermühle
Credits: Chinesisches Dorf mit Reisfeldern, Chinatours.de

Das gilt auch für Wassermühlen: Während im Frankenreich, also im Frühfeudalismus, die Wasserkraft, eine Form, die Gesetze der Mechanik auszunutzen, um Energie zu gewinnen, immer wichtiger wurde, ließen in China zur selben Zeit die Herrscher Wassermühlen, vor allem in buddhistischen Klöstern, zerstören. Die chinesische Agrarrevolution blieb von den Niederschlägen des Sommermonsums abhängig. Der intensiviere Reisanbau kam aber bald an seine Grenze – nach Zerfall der Song_Dynastie stagnierte die Landwirtschaft. „Die Höhe der Zuwachsraten in den einzelnen Großregionen des Kontinents entspricht deutlich den dort jeweils eingeführten landwirtschaftlichen Innovationen. West- und Mitteleuropa liegt hier [ab der Jahrtausendwende] bei weitem an der Spitze.“

Interessant ist, dass sowohl das Kalifenreich als auch China Anfang des Jahrtausend Mitteleuropa technisch haushoch überlegen waren: „In der Langzeitperspektive Industrialisierung betrachtet, kam diesen technischen Innovationen allerdings keine entscheidende Bedeutung bei.“ Die industrielle Revolution im 19.Jahrhundert setzte voraus, dass die Wasserenergie durch andere Energieformen ersetzt wurde. Die ökologische Basis schaffte hier Europa einen entscheidenden Entwicklungsvorsprung.

wagen im Mittelalter
Credits: Schwerer zweirädriger Wagen, Luttrell Psalter, 1325-1340, British Library, London

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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

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Kommentare

13 Kommentare zu “Agrarisch und revolutionär II”

  1. Godwin am Mai 15th, 2021 8:44 pm

    es wäre schön, den Text nochmal korrektur zu lesen und zu optimieren.

    “ sondern von vertrieben“ – fehlt da was?
    oder diese endlosen Schachrel-Sätze…
    schwere Kost

    was ich inhaltich nicht verstehe:
    wieso holte man das Kamel aus dem Orient hervor, wenn man doch China und Europa vergleicht?

    auch erscheint es mir wenig sinnvoll, technische Innovationen brach liegen zu lassen oder gar zu zerstören, wenn deren ökonomischer Nutzen scheinbar offensichtlich war und auch in China umd im Orient eine Affinität zum Geld bestand…
    Zumal mittels Seidenstraße globale Handelsbeziehungen seit mind. der Antike bestanden

    (btw – in einer Doku über die große Mauer wurde erwähnt, dass es den Mongolen gar nicht um Eroberung ging, sonder um den Aufbau von Handelsbeziehungen worauf die Chinesen aber keine Lust hatten… wieso eigentlich nicht?)

  2. admin am Mai 15th, 2021 10:35 pm

    Das Kamel, weil es im Orient das wichtigste Tier für den Transport war, es zieht aber keine Karren oder Wagen.

  3. Godwin am Mai 15th, 2021 11:17 pm

    schon klar
    ABER mir fehlt da trotzdem die inner Logik:

    „Wenn man Zentral- bzw. Nordeuropa mit dem Orient und China vergleicht […]
    … tiefes Pflügen […] spielt keine Rolle. […] Großviehhaltung wurde in Landwirtschaft nicht integriert.“
    – Bis hier geht es um China und Europa und nun auf einmal um den Orient (der mit dem Vergleich bisher nix zu tun hatte)

    aber inhaltlich habe ich kurz recherchiert:
    Mitterauer sagt, der tech. Vorsprung von China und Orient habe sich langfristig nicht bezahlt gemacht, weil Wassermühle mit vertikalem Antrieb die Entwicklung der Nockenwelle ermöglicht habe.
    Erinnert etwas an die Technologie-Bäume bei Civilization ;-)
    Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Folge-Gewerbe sind für ihn also das Wesentliche…

    Dann geht er auf die Siedlungsstruktur ein – was m.E. sehr an die Zentrale-Orte-Theorie von Christaller erinnert…

  4. blu_frisbee am Mai 16th, 2021 6:34 am

    Wann wurde das moderne Zaumzeug erfunden, was war vorher?
    Es hat die verfügbare Leistung des Pferdes vermehrfacht.

  5. Godwin am Mai 16th, 2021 10:00 am

    ich konnt es nicht lassen, noch etwas zu recherchieren (obwohl anderes zu tun wäre)

    ein paar kleine – hoffentlich nützliche Literatur-Tipps:

    – Max Weber: „Die Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung“ (Aufsatz)
    (Hier versucht Weber die Frage zu beantworten, warum sich gerade im Okzident und eben nur im Okzident und nicht etwa in früheren Hochkulturen der moderne Kapitalismus entwickeln und entfalten konnte. Im Unterschied zur Protestantischen Ethik rückt Weber hier die materiellen bzw. institutionellen Faktoren, die die Bedingungen für die Entfaltung des modernen okzidentalen Kapitalismus darstellen, in den Mittelpunkt seiner Darstellung.)

    – Wolfgang Schluchter
    – Friedhelm Guttandin: Einführung in die „Protestantische Ethik“ Max Webers

    „In der Protestantischen Ethik beschreibt Weber, wie sich der Geist des Kapitalismus aus dem asketischen Zweig des Protestantismus heraus entwickelt hat, um dann gegen alle Widerstände des ökonomischen Traditionalismus letztlich dem modernen okzidentalen Kapitalismus zum Durchbruch zu verhelfen“

  6. ... der Trittbrettschreiber am Mai 16th, 2021 11:08 am

    @admin
    „…es zieht aber keine Karren oder Wagen.“

    Das Kamel als Kollaborateur_IN d/w/m/x*** des Warenverkehrs:

    https://www.holidaycheck.de/m/kamelkarren/07e125aa-23b6-31a9-bfb5-700eb4ab7698

  7. Roland B. am Mai 18th, 2021 1:03 am

    Weiß jemand, warum das Kamel, egal ob Dromedar oder Trampeltier, keine Karren oder Wagen zieht?
    Gibt es da einen sozusagen biologischen Grund (zu schaukelnder Gang vielleicht?) oder wurde einfach nie versucht, es in diese Richtung zu domestizieren?
    Daß Wagen in Sandwüsten und in Geröllwüsten wenig sinnvoll sind, ist klar, aber es gibt ja im Orient auch ganz andere Landschaften.

  8. Roland B. am Mai 18th, 2021 1:07 am

    Das Bild des Trittbrettschreibers eröffnet eine mögliche Erklärung: die Kamele waren schlau genug, auf die Erfindung des Gummireifens zu warten.

  9. admin am Mai 18th, 2021 6:17 am

    Ich vermute, dass Karren auf Sand auch nicht so gut fahren. Guckst du aber auch hier:
    https://www.anton-paar.com/ch-de/ueber-uns/aktuelles/aktuelles/detail/pferd-oder-kamel/
    Kamele vertragen auch keine Hufeisen.

  10. ... der Trittbrettschreiber am Mai 26th, 2021 12:52 pm

    „Kamele vertragen auch keine Hufeisen.“

    Stimmt – ein Pferd hingegen würde sowas hier niemals anziehen:

    https://tinyurl.com/48snna9r

  11. Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) : Burks' Blog – in dubio pro contra am Oktober 28th, 2021 8:54 pm

    […] Bisher zum Thema Feudalismus erschienen: – Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse – Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg) – Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I) – Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II) – Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III) – Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg) – Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019) – Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019) – Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020) – Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021) – Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021) – Energie, Masse und Kraft (04.04.2021) – Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021) […]

  12. Der lange weltpolitische Atem : Burks' Blog – in dubio pro contra am Dezember 5th, 2021 4:38 pm

    […] angesehen wurde. Im Wettrennen, wer es zuerst bis zum Kapitalismus schaffen würde, geriet China ins Hintertreffen, aber wer zuletzt lacht, bei dem kommt der Kommunismus zuerst. Ich hatte schon Mitterauers […]

  13. Reaktionäre Schichttorte : Burks' Blog – in dubio pro contra am Dezember 24th, 2021 6:19 am

    […] (17.03.2021) – Energie, Masse und Kraft (04.04.2021) – Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021) – Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021) […]

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