The map reflects the findings of Freedom House’s Nations in Transit 2021 survey, which assessed the status of democratic development in 29 countries from Central Europe to Central Asia during 2020. Freedom House introduced a Democracy Score—an average of each country’s ratings on all of the indicators covered by Nations in Transit—beginning with the 2004 edition. The Democracy Score is designed to simplify analysis of the countries’ overall progress or deterioration from year to year. Based on the Democracy Score and its scale of 1 to 7, Freedom House has defined the following regime types: Consolidated Authoritarian Regime (1.00–2.00), Semi-Consolidated Authoritarian Regime (2.01–3.00), Transitional/Hybrid Regime (3.01–4.00), Semi-Consolidated Democracy (4.01–5.00), Consolidated Democracy (5.01–7.00). (Credits: Freedom House)
Wir müssen über die Sowjetunion den russischen Kapitalismus reden. Wie unterscheidet sich dieser vom Kapitalismus „westlicher“ Prägung? Ist er weniger entwickelt? Oder ist er anders, weil er aus dem sowjetischen Staatskapitalimus geboren wurde? Schon die richtigen Fragen zu stellen, ist extrem kompliziert.
Dieter Segert hat das in einem Essay versucht: „Post-sowjetischer Kapitalismus als Gesellschaftsform – Russland und Ukraine im Vergleich.“
Als Ex-Maoist zuckt man natürlich bei Zitaten wie diesem zusammen: „Die Formierung der herrschenden Klasse bzw. der kapitalistischen Klassenfraktionen (…) begann im Zuge der Gorbatschowschen Perestroika“. Erst dann – und nicht schon viel früher? Wir meinten damals, dass die Sowjetunion nur dem Namen nach ein sozialistischer Staat gewesen sei. (Und ich meine heute, dass spätestens seit Stalin von „Sozialismus“ nicht wirklich die Rede sein konnte.) In der an Marx und Engels orientierten Geschichtswissenschaft war ein „Zurückentwickeln“ einer Gesellschaftsform aber nicht vorgesehen: Der Kapitalismus kann zum Beispiel nicht zurück zum Feudalismus. Was soll man also vom Zerfall der „sozialistischen“ Staaten halten? Und wie wird das alles enden?
Die Größe eines Landes ist irrelevant: Ob die Sowjetunion zerbröselt wäre oder nicht, wirkt sich nicht auf den Charakter der Ökonomie aus. Ob Luxemburg, Venezuela oder USA: Analytisch ist das alles der gleiche Kapitalismus. Heute muss man fragen, ob die Ökonomie Russlands prinzipiell anders ist als die in den Anrainerstaaten, die vorher zur Sowjetunion gehörten? Meiner Meinung nach nicht.
Segert schreibt: In Russland und der Ukraine bildete die Umwandlung von Staatsbetrieben durch Privatisierung den Kern des Übergangs zu einer Form des Kapitalismus. Die damit verbundene Entstehung einer Klasse von kapitalistischen Unternehmern und Lohnarbeitern kann auch mit dem Marxschen Begriff als (für diese Gesellschaften historisch zweite) ursprüngliche Akkumulation bezeichnet werden. In diesem Fall diente sie der Auflösung der nur formellen, staatlich-zentralisierten Einheit von Produzenten und Produktionsmitteln.
Obwohl die Entstehung des kapitalistischen Privateigentums in allen post-sozialistischen Staaten gleichermaßen stattfand, trug sie in den beiden betrachteten Staaten, in Russland und der Ukraine, spezifische Züge. Sie erfolgte in großem Umfang als Insiderprivatisierung, einem Direktverkauf an das Management der Unternehmen oder über den Umweg einer Voucherprivatisierung an die Belegschaften, wobei die Voucher später durch deren Besitzer weiterverkauft und in den Händen von Finanz-Industriegruppen konzentriert wurden. Verkäufe an ausländische Investoren spielten nur eine untergeordnete Rolle.
Diese Coupon-Privatisierung war selbstredend ein großer Betrug, der nur als Mäntelchen diente, den ausgebeuteten Klassen die Illusion zu lassen, sie besäßen irgendetwas. Am Ende hatte sich nur das Personal der herrschenden Klasse geändert, nicht aber der Charakter der Klassenherrschaft. Das kann man mit dem Übergang von der römischen Republik zur Kaiserzeit vergleichen: Beide Formen fußten (mehr oder weniger) auf der Arbeit von Sklaven, waren analytisch also identisch, aber die Herrschenden regierten anders: Der Senat als klassische Form, wie sich die Sklavenhalterklasse in der Republik organisierte, gab die Macht mehr und mehr ab an eine einzelne Person und deren Günstlinge. (Alle Vergleiche hinken.)
Der Besitz an Produktionsmitteln gruppierte sich nach der Privatisierung um „Clans“, die miteinander politisch konkurrierten, sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Die beschriebene Transformation der Eigentums- und sozialökonomischen Verhältnisse wurde in Russland noch durch massiven Einsatz politischer Gewalt bewerkstelligt, sowohl durch den misslungenen Putschversuch eines Teils der politischen Klasse im August 1991 als auch durch die Gewalt, die der russische Präsident Jelzin im Oktober 1993 gegen das Parlament anwendete. In der Ukraine spielte Gewalt ebenfalls eine Rolle im Prozess der Entstehung des Kapitalismus, hier besonders in der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Fraktionen der nationalen Bourgeoisie. (…)
Die Entstehung kapitalistischer Wirtschaften in beiden Staaten war mit einem Abbau des in der staatssozialistischen Periode vorhandenen Systems sozialer Absicherung verbunden: einem Schutz vor Entlassungen, einer weitgehend kostenlosen Gesundheitsversorgung und einem entsprechenden Bildungssystem.
Letzeres halte ich ebenfalls für irrelevant: Auch im „westlichen“ Kapitalismus – etwa in den USA – ist es nur eine Frage lokaler Traditionen, ob sich der Staat sich um so etwas kümmert (bei uns wegen Bismarck), oder ob jeder selbst um sich sorgen muss und der öffentliche Schulsektor nur da ist, damit das Proletariat nicht vollkommen verblödet und damit für den Arbeitsmarkt ungeignet wird. Dito Gesundheitsvorsorge.
Die Ukraine gilt nach dem Nations-in-transit Index von Freedom House“ vom letzten Jahr als Hybrides Regime, also ein Regime, in dem es Elemente sowohl von Demokratie als auch Autokratie gibt, Russland als Konsolidiertes Autoritäres Regime. (siehe oben)
Die Kategorie „Regime“ halte ich für ungeeignet, um die Ökonomie und den Charakter eines Staates zu beschreiben. Aber analytische Tiefenschärfe erwartetet man von einem privaten US-amerikanischen Think Tank wie Freedom House natürlich nicht. Wir haben „ein Regime“ in Nicaragua, Afghanistan, Usbekistan, Brunei, Ägypten – und ist eine Monarchie wie Jordanien ein „Regime“?
Siegert schreibt: Der Kapitalismus, der in den beiden betrachteten Staaten nach 1991 entstanden ist, unterscheidet sich von anderen Typen des globalen Kapitalismus. (…)
Wesentlicher war allerdings der steigende Einfluss eines ethnischen Nationalismus sowohl in Russland (hier besonders ab 2011, als es zu verstärkten Protesten der städtischen Mittelschicht kam) als auch in der Ukraine (v.a. mit der Präsidentschaft von Juschtschenko, 2005-2010). Der ethnische Nationalismus wurde vollends mit dem Krieg von 2022 zur alles beherrschenden Legitimationsideologie der politischen Macht. In Russland ist die nationalistische Ideologie mit einer imperialen Komponente verbunden, die sich in der Konzeption einer „russischen Welt“ äußert. Man kann dieses Konzept verschieden lesen, entweder als Grundlage für den Einfluss Russlands auf Staaten mit russischer Minderheit in der Bevölkerung oder als Formulierung direkter Gebietsansprüche über die Grenzen der heutigen Russländischen Föderation hinaus. Die ukrainische Variante des Nationalismus richtet sich dagegen auf eine ethnische Homogenisierung der Bevölkerung im Rahmen der Staatsgrenzen.
Der neue Kapitalismus in den ex-sowjetischen Ländern sucht sich also eine ideologische Legitimät zusammen und findet sie, wie gewohnt, im Nationalismus, der – auch wie gewohnt – stark rassistische Züge trägt, und irrational ist das sowieso. Russland besteht aus vielen Völkern, genau wie China – der herrschenden Klasse muss anders „argumentieren“ als in der Ukraine (oder auch in Polen), wo alles einfach unterdrückt wird, was nicht der fiktiven Idee des Staatsvolkes entspricht. In Russland wähnt man sich im Kampf gegen den Westen, eine Methode also, die alle arabischen Regime, der Iran und die Warlords der „Palästinenser“ benutzen, um ihre korrupte Herrschaft zu legitimieren – nur ist dort der Feind nicht der Westen, sondern Israel als pars pro toto.
Interessant ist Siegerts Fazit:
1. Die entstehende Unternehmerklasse erwuchs, zumindest in ihrer obersten Schicht, aus den Privatisierungen des vormaligen Staatseigentums. In gewissem Sinne hatte das Trotzki 1936 in seiner Schrift Die verratene Revolution vorhergesagt. Im Unterschied zu Trotzkis Prognose verwandelte sich jedoch nicht die Nomenklatura insgesamt in eine Kapitalistenklasse, sondern es waren Personen aus der Nomenklatura (Jelzin, Krawtschuk, Kutschma u.a.), die einer Gruppe von Managern von Staatsbetrieben oder ausgewählten Personen der intellektuellen Dienstklasse einen Aufstieg in die Klasse kapitalistischer Eigentümer ermöglichten.
Neben dem weltanschaulichen Kitt des Nationalismus spielt die Apathie der „Werktätigen“ eine Rolle:
2. Die im „Konsumsozialismus“ entstandene Lebensweise von Teilen der Bevölkerung unterstützte die Transformation in Richtung auf den Kapitalismus. Zudem wirkte sich ihre passive Orientierung gegenüber der Politik aus, welche aus den autoritären Strukturen des Staatssozialismus und der dadurch geformten politischen Kultur erwuchs. Dadurch erduldete diese Mehrheit der Bevölkerung die sozialen Verwerfungen der Transformationsperiode ohne aktiven Widerstand. So bildete sich der andere Pol des Kapitalverhältnisses, eine eigentumslose arbeitende Bevölkerung, die sich der Produktions- und Lebensweise anpasst.
Langer Rede kurzer Sinn: Der Kapitalismus in der Ukraine und Russland ist vergleichbar, nur die Legitimationsbasis der Herrschenden unterscheidet sich.
Mein Fazit: Die russisch-ukrainische Version des Kapitalismus ist eher eine, die keine Zukunft hat, weil sie vom Verkauf der Rohstoffe lebt, aber nicht flexibel genug ist, sich selbst zu reformieren. Das machen die Chinesen um Klassen besser. Und warum ist zum Beispiel das winzige kapitalistische Israel trotz ungünstigster Ausgangsbedingungen eine Start-Up-Nation? „In gewisser Weise hat Israels Wirtschaftsentwicklung das 20. Jahrhundert übersprungen, wodurch die klassischen Stützpfeiler anderer Industrienationen wie Kfz-Produktion, Maschinenbau, Chemische Industrie und Schwerindustrie fehlen.“
Russland und die Ukraine jedoch leben offenbar noch im 20. Jahrhundert und werden beide ihr Tafelsilber verkaufen müssen. Nur wird Russland länger durchhalten.