Uru Chipaya

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Eine Ansichtskarte aus Boliven (1984) von Chipaya. Die Dorfbewohner wollten nicht fotografiert werden; diesen Wunsch habe ich respektiert.

Der exotischste und auch abgelegenste Ort, den ich in meinem Leben jemals besucht habe, ist zweifellos Chipaya in der Salzwüste im Westen Bolivens. Nur in diesem kleinen Dorf wohnen die letzten Ureinwohner Boliviens, also diejenigen, die vor der Eroberung Boliviens durch die Inka die Wüste besiedelten. Über die Uro Chipaya findet man im Netz nur wenige Informationen, und das was es gibt, stammt oft von christlichen Missionaren, die bald den letzten Rest dieser ursprünglichen Sprache und Kultur ausgerottet haben werden, wie an so vielen Orten der Welt.

Die Urus am Titicaca-See werden den Touristen oft als „Ureinwohner“ verkauft Das ist aber mitnichten so; sie sind meistens Aymara. „Die ursprüngliche Sprache der Urus (Urukilla bzw. Uruquilla) war mit der Chipaya-Sprache eng verwandt bzw. wird mit dieser als Uru-Chipaya zusammengefasst. Die Urus selbst bezeichneten ihre Sprache bisweilen als ‚Pukina‘; dieses darf jedoch nicht mit dem historischen Puquina (Pukina) derselben Region verwechselt werden, das eine völlig andere Sprache war.“

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Chullpas und Getreidespeicher in der Salzwüste in der Nähe von Sabaya. Im Hintergrund kann man die schneebedeckte chilenische Kordillere erkennen.

The Uru Chipaya is one of the most ancient people of South America, originating from 1500-2000 B.C. In the 16th century, the Uru Chipaya represented a quarter of the Altiplano Andean population. Nowadays, their territory represents a mere 920 km2, and the Uru Chipaya population counts little more than 2 000 individuals. The Uru Chipaya live in the Bolivian Altiplano bordering the salt desert of Coipasa, chipayaat an altitude of 3640 m. Their territory is organized in 4 ayllus (or communities): Unión Barras, Aranzaya, Manazaya and Wistrullani. The traditional habitat consists of a group of circular houses built with mud and straw. One house serves as kitchen, another one as room, and so on and so forth.

Wie ich dort hingekommen bin – von der Bergarbeiterstadt Oruro in die Salzwüste in der Nähe der chilenischen Grenze -, habe ich hier schon am 08.04.2013 („In der Salzwüste: Un poco mas Atletismo“) beschrieben.

Von Escara aus waren es noch knapp 30 Kilometer Fußmarsch. Meine damalige Freundin und ich ließen das schwere Gepäck in Escara und nahmen nur einen leichten Rucksack mit Lebensmitteln für ein paar Tage und das Nötigste mit – wie einen Schlafsack, weil es trotz der brüllenden Hitze tagsüber in der Nacht schneidend kalt sein kann. Immerhin liegt die Salar de Coipasa 3500 Meter hoch. Es gibt weder Bäume noch Büsche.

Wir kamen vollig erschöpft am späten Nachmittag an; man hatte uns den „Weg“ beschrieben, aber die Beschreibung war nicht viel mehr als ein Fingerzeig in die richtige Himmelsrichtung. Wir waren doch froh, dass wir irgendwann am Horizont die Rundhütten sahen. Eine Frau in der Tracht der Chipaya verkaufte uns für einen Pfennigbetrag frisch im Backofen gebackenes Brot – ich denke, das war das leckerste Brot meines Lebens.

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Die traditionellen Rundhäuser der Poquina aka Uro Chipaya sind am besten für die extremen Temperaturunterschiede geeignet. Leider werden sie immer mehr, auch durch den schlechten Einfluss der Missionare, durch Wellblech ersetzt.

Da zwei Clans das Dorf regierten, gab es auch zwei „Bürgermeister“ (Alcalden), die unterschiedlicher Meinung waren, wie wir zu behandeln seien. Der eine begrüßte uns freundlich und wies und den einzigen Raum der winzigen Dorfschule als Schlafplatz. Der andere bedeutete uns mehr oder weniger höflich, das wir unerwünscht seien. Die Fotos habe ich daher auch nur heimlich gemacht.

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Der Friedhof von Chipaya ist auch via Google Maps noch gut zu erkennen. Am Fuße der Berge im Hintergrund liegt der winzige Ort Escara, vom dem aus wir losmarschiert waren.

Ich erinnere mich noch an die Nacht. Ich musste austreten, aber natürlich gab es in ganz Chipaya nichts, was auch nur annähern nach einer Toilette aussah, noch nicht einmal einen „Donnerbalken“. Man geht einfach an den Dorfrand und verrichtet sein Geschäft dort. Es war klirrend kalt und eine sternenklare Nacht, einige Hunde bellten halb im Schlaf. Sonst hörte man rein gar nichts. Das kann sich ein Mensch, der in der Stadt wohnt, nicht vorstellen. Es war unglaublich intensiv.

Wer einmal den südlichen Sternenhimmel gesehen hat, mit dem Kreuz des Südens, das man mit bloßem Auge wandern sieht, der wird das nie vergessen. Der große Wagen, den man hier gut sehen kann, verschwindet in Südamerika fast am Horizont. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie weit man von Europa weg ist.

Wir blieben einen Tag in Chipaya. Man sagte uns, am nächsten Tag käme ein Lastwagen, der wieder nach Norden führe, der würde uns mitnehmen – was auch geschah. Der Fahrer, selbst Aymara-Indio, machte sich über die Dorfbewohner lustig und nannte sie „pielroja“ („Rothäute“), wieder ein Beweis, dass „indianisch“ nichts mit der Haut oder der Abstammung zu tun hat, sondern eine Lebensweise im Verhältnis zum Mainstream meint.

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Kommentare

7 Kommentare zu “Uru Chipaya”

  1. Tom am Juli 3rd, 2014 11:19 am

    Danke, Burks!
    Ich lese Deine Südamerika-Reiseberichte immer wieder gern.

  2. piet am Juli 3rd, 2014 11:39 pm

    Hach ! Das hätte ich dann auch gern noch gesehen.

  3. ...der Trittbrettschreiber am Juli 4th, 2014 9:49 am

    Ja, es ist, als dürfe man sich nach dieser Lektüre als „Kosmopolit“ bezeichnen, ohne jemals physisch auf Reisen gewesen zu sein.
    Man fühlt sich sicher, braucht keine Gefahren zu befürchten und kann sich an den visuellen und verbalen Darbietungen erfreuen, die professionell derart aufgearbeitet sind, dass kaum jemand etwas von dieser Mühe bemerkt. Es ist ein wenig wie der Biss in das mit guter Butter und köstlicher Erdbeermarmelade bestrichene frische Nachmittagsbrötchen, der einen sanft aus dem All-TAG beiseite führt und Parallelwelten offenbart, die zu rezipieren sich lohnt.
    Ist es aber erlaubt, schon jetzt, während des Verzehrs des Retorten-Konsums an die nächste beschwerliche Ernte auf dem Erdebeeracker Frucht für Frucht zu denken, vorn übergebeugt und den Schmerz ertragend, der eine hämische Freude daran zu haben scheint, an das reale Leben im „Hier und Jetzt“ zu erinnern?
    Ist es dann auch erlaubt, den Autor zu ermuntern, seinen Biwack zu schnüren und zu schultern, die Haustür mit befreiendem Schwung hinter sich ins Schloss fallen zu lassen und frohlockend erneut die weite friedliebende Welt zu erkunden, um den vor Hunger nach Ferne Schmachtenden neue Köstlichkeiten zu servieren?
    Ich denke es ist – deshalb, Burks, wann, Burks, wann kommt die erste Reality-Reise-Story ?
    Bedenke, Burks, der Rachen deiner Leserschaft ist immer online.

  4. Sabaya oder: Durch die Wüste : Burks' Blog am März 25th, 2018 9:05 pm

    […] mit den schweren Rucksäcken zu Fuß auf (auf dem Foto ist meine damalige Freundin zu sehen), um Chipaya weiter im Osten zu erreichen (auf Google Maps ganz rechts). Wir sind den ganzen Tag in glühender […]

  5. Aragón, Carrera 3, Calle 12c : Burks' Blog am März 9th, 2020 12:06 pm

    […] dass ein Eintrag von mir aufgenommen worden war, wenn ich mich recht erinnere, über die Gegend um Chipaya in Bolivien: Das bedeutete, dass niemand vorher schon mal da gewesen war, der darüber berichtet […]

  6. Durch die Salzwüste, reloaded : Burks' Blog am Juni 25th, 2020 8:19 pm

    […] Salzwüste – Un poco mas atletismo” (08.04.2013), “Uru – Chipaya” (03.07.2015) und “Huachacalla – Durch die Wüste” (25.03.2018 – dort muss ich noch […]

  7. Das buntscheckige Volk der Panzaleo-sprechenden Rothäute : Burks' Blog – in dubio pro contra am Oktober 31st, 2021 7:11 pm

    […] habe das selbst in Bolivien erlebt. Der Fahrer des LKW, mit dem wir unterwegs warn, selbst Aymara-Indio, machte sich über die […]

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