Das buntscheckige Volk der Panzaleo-sprechenden Rothäute

quechua-Ethnie

Immer und immer wieder nehme ich mir vor, bein sonntäglichen Frühstück keine deutschen Medien zu konsumieren. Und immer, wenn ich rückfällig werden, bestätigt sich mein VorUrteil: Entweder verfassen die Praktikanten Quatsch, oder die Redakteure sind genau so blöd wie jene. Und ich muss mich dann ärgern und blogge über meinen Ärger statt über etwas Interessantes.

Wenn jemand hierzulande etwas Völkischen daherfaselt, wird es um so schlimmer. Zudem zwingt die Mischung aus political correctness, Opportunismus und Feigheit oft zu sprachlichen Volten, die nicht nur im wörtlichen Sinn unaussprechlich, sondern auch unverständlich sind (wie das Wort „Volte“).

Im aktuellen „Spiegel“ (S. 80) haben wir hier eine „Quetschua-Ethnie“. Nun ist Quechua eine Sprache und sonst nichts. Ethnie heißt im Deutschen „Volk“, es sei denn, man plante eine ethnologische Diskussion vom Feinsten, die so ausufert, dass man die letzten 6000 Jahre Weltgeschichte betrachten muss. „Volk“ hat im Deutschen aus Gründen einen Beigeschmack, so dass oft lieber englische Wörter benutzt werden. Redakteure und Praktikanten erheben sich selten bei etwas, was sie nicht wirklich interessiert, über das Wikipedia-Niveau, das sie hier recht haben lässt – auch dort sind die, die Quechua sprechen, eine „Ethnie“.

pielroja

Im Detail wird das natürlich extrem lustig und lächerlich, weil es mittlerweile bei den Mittelklassen der lateinamerikanischen Staaten Mode geworden ist, Quechua und auch Aymara zu sprechen (was zu einer Renaissance der eingeborenen „indigenen“ Musik geführt hat). Man kann das irgendwie vergleichen mit Kanak Attak: Wer rassistisch diskrimiert wurde, dreht den Spieß verbal um.

In Wahrheit geht es immer nur um die Klassenfrage. (Über den „Indianerismus“ in Ecuador hatte ich schon geschrieben.) Jemand wird nicht abschätzend beurteilt, weil er oder sie Quechua spricht, sondern weil das vorwiegend die Bauern und Armen tun, von denen die Mittelklassen sich abgrenzen wollen. Das ist bekanntlich auch die primäre Idee der klassistischen Gendersprache.

Das galt auch für die „Tracht“, die keine ist, sondern der Landbevölkerung von den Spaniern aufgezwungen wurde oder – wie die Cholita auf dem obigen Bild – eine buntscheckige Mischung aus allen möglichen Moden Europas und Lateinamerikas. In Bolivien ist die Chola ein Zeichen für „Tradition“, auch bei Mestizen.

Ich habe das selbst in Bolivien erlebt. Der Fahrer des LKW, mit dem wir unterwegs warn, selbst Aymara-Indio, machte sich über die Dorfbewohner lustig und nannte sie „pielroja“ („Rothäute“), wieder ein Beweis, dass „indianisch“ oder die Sprache nichts mit der Haut oder der Abstammung oder gar einem „Volk“ zu tun haebn, sondern eine Lebensweise im Verhältnis zum Mainstream meint.

quito taxistas catedral

Das Foto habe ich 1979 in Quito, Ecuador, gemacht. Ich kann leider die Perspektive nicht wiederfinden, aber das im Hintergrund sollte die Kathedrale sein.

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Kommentare

5 Kommentare zu “Das buntscheckige Volk der Panzaleo-sprechenden Rothäute”

  1. Die Anmerkung am Oktober 31st, 2021 4:27 pm
  2. ... der Trittbrettschreiber am Oktober 31st, 2021 5:04 pm

    Ahnen hätte man es können. Es war immer latent disangenehm, den Begriff Ethnie, vor allem im Rüpelmodus beim Frühstück zu verwenden. Oft kommt es vor, dass beim Köpfen des mittelweichen Frühstückseis (noch warm!) die gesamte Regatta der X-Worte über den Toaster gleitet. Dabei sind nicht die Herkünfte gemeint, sondern das Nonhabitable, was die beiderseitigen Adaptionsanstrengungen für das zukünftige Zusammenleben begleitet. Nicht die Bayern (als Volk) z.B. sind gemeint, wenn man die Humper-Musik aus dem Nachbarfenster leicht senfig kritisiert, sondern der als eher südlich empfundene Auftritt. Für diesen Perspektivenwechsel, ja diese Horizonte erweiternde Paradigmenwende Burks, danke ich neigenderweise Dir. Kotau. Und dazu eine Cürrywurst(+ Anwartschaftsmarke auf ein JEVER).
    Mein veganer Lederimitats-Janker bleibt aber, bis ich das alles richtig verstanden haben sollte noch im Schrank. Fürti.

  3. admin am Oktober 31st, 2021 7:07 pm

    @Die Anmerkung: gracias ;-)

  4. Die Anmerkung am November 1st, 2021 4:36 pm

    Ich habe noch eine Frage zu dem blinden Praktikanten, der auf dem Foto den Protest einer Indigenen zu wähnen sieht. Was macht der Mann im Bild? Was machen die Jugendlichen im Hintergrund?

    Die Erklärung für die Spiegel-Grütze liefert Bari Weiss.

    How Journalism Abandoned the Working Class
    What explains the media’s obsession with race and power? It has very little to do with social justice and everything to do with class.

    Why is it, for example, that between 2013 and 2019, the frequency of the words “white” and “racial privilege” exploded by 1,200 percent in The New York Times and by 1,500 percent in The Washington Post? Why was the term “white supremacy” used 2,400 times by National Public Radio in 2020?

  5. RuediKehl am November 2nd, 2021 3:35 pm

    Die Anmerkung war schneller als ich .. ich habe aber eine Ausrede. Maximal verlangsamt und unkonzentriert.
    Grüsse in die weite Welt aus der Herzchirurgie des Universitätsspital Basel.
    Nach Ersatz von zwei Klappen und Entfernung eines Engpasses (Septal Myectomy) weiss ich nun endlich, was ein Delirium ist.
    Also der Sauferei ist das noch nie gelungen.
    Morgen geht es in den Schweizer Jura zur REHA.
    Dort stinkt es garantiert nicht mehr alles nach Desinfektionsmittel. Sondern nach viel Wald, Landwirtschaft etc.
    https://goo.gl/maps/DnRureY2WrE311FdA
    Drei bis vier Wochen angepasste Ertüchtigung in einer wunderschönen Landschaft und mit einer hochwertigen Hotellerie.

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