Noche triste in Sumbay

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Vermutlich kann man heute von den Nachgeborenen nicht mehr verlangen, dass ihnen bei „Noche triste“ spontan etwas einfällt, und schon gar nicht bei „Maria de Estrada„, an der sogar Alice Schwarzer ihre wahre Freunde hätte. Was für eine Romanheldin wäre diese Maria! Absolut grandios. Wer des Spanischen mächtig ist, sollte unbedingt Juan Francisco Maura (pdf, 300 S.) lesen: „Mujeres de armas en las letras y en la historia“. Españolas de Ultramar en la Historia y en la Literatura (siglos XV a XVII), Valencia 2005.

Aber ich wollte eigentlich über die besch…eidenste Nacht berichten, die ich auf meinen vielen Riesen je durchlebt habe. Sumbay ist eine winzige Bahnstation auf der Strecke zwischen Arequipa im Südwesten Perus und Juliaca, das fast am Titicacasee im Osten liegt. In Sumbay ist rein gar nichts, außer ein paar Werkstätten und Häusern für Bahnarbeiter, ein gottverlassenes Nest, das man noch nicht einmal per Google Earth findet, außer man weiß, wo man suchen muss.

Wir kamen (1984) mit einem klapprigen Bus aus Chivay nördlich von Arequipa – am östlichen Ende des Valle de Colca – in den Anden und hatten lange mit dem Busfahrer diskutiert, wo man uns absetzen sollte, damit wir den Zug nach Juliaca abpassten. Es reichte ja nicht, die Bahnstrecke zu finden, sondern der Zug sollte dort auch halten. Man muss wissen, dass die Straße, wenn man sie so nennen will, manchmal über 5000 Meter hoch liegt (vgl. Foto). Der Bus keuchte und spotzte vor sich hin. Dementsprechend kann es dort schweinekalt werden, und man sollte dort überhaupt nur reisen, wenn man die Höhe gewohnt ist und genügend Zeit hatte, um sich zu akklimatisieren. (Das ist eine ernst gemeinte Warnung! Mit der Soroche ist nicht zu spaßen, und es gibt dort auch keinen Rettungshubschauber des ADAC.)

Wenn man auf der Karte ein wenig nach links (nach Westen) schwenkt, erkennt man eine Straße und eine scharfe Kurve: Das war die Stelle, an der man uns aus dem Bus komplimentiert hat, nicht ohne uns zu erklären, dass der „Weg“ nach Sumbay nicht lang und auch leicht zu finden sei. Meine damalige Begleiterin und ich trugen übrigens beide Rücksäcke, die um die 15 bzw. 20 Kilo wogen.

Dummerweise war es grad schweinekalt, aber nicht so kalt, dass es geschneit hätte. Dafür fing es an zu schütten dergestalt, dass wir nicht nur bis auf die Knochen nass wurden, sondern auch rechts und links von uns schlammige Sturzbäche ins Tal strömten, sodass wir knöcheltief durch Wasser, Geröll und Schlamm stapfen mussten. Wer die Regenzeit in den Anden kennt, der weiß, dass das richtig gefährlich werden kann. Der Weg war ohnehin nicht mehr zu sehen, es ging nur steil hinab ins Tal. Vermutlich sahen wir aus wie Höhlenforscher, die in ein Schlammloch gefallen waren, als wir endlich unten ankamen.

Wir hatten gehofft, Sumbay sei eine Ortschaft, womöglich mit einer Art Restaurant. Pustekuchen. Da war rein gar nichts, und die Bahnarbeiter sagten uns, der Zug käme mitten in der Nacht – wir hatten also noch sieben oder acht Stunden Zeit. Und das in unserem Zustand.

Ich habe fast jedes Gebäude in Sumbay betreten. In der Gasse auf dem Foto war ein Haus (links, die blaue Tür) mit einem trockenen Raum, und eine alte Frau versprach uns, eine Suppe zu kochen, die aber nur lauwarm war, so dass sie uns nicht wärmte. Noch nicht mal Kaffee hatten sie. Immerhin durften wir dort bibbernd im Trockenen sitzen.

Traurig war auch, dass ich Durchfall bekam und in der Dunkelheit im Regen alle 15 Minuten einen Platz suchen musste, um das zu verrichten, was bei Durchfall angesagt ist. Eine Toilette oder fließendes Wasser gab es im ganzen Ort nicht. Das war nicht wirklich lustig.

Ich glaube, ich habe mich nie im Leben so auf die Ankunft eines Zuges gefreut wie in Sumbay. Der kam nach Mitternacht und war für peruanische Verhältnisse luxuriös. Man konnte sich sogar waschen und hinlegen. Der Schaffner, der uns freundlich hineinbat, grinste sich eins. Vermutlich dachte er: Wer so bescheuert ist, nach Sumbay zu reisen, der sollte auch nicht jammern.

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Kommentare

3 Kommentare zu “Noche triste in Sumbay”

  1. Tom am Juli 18th, 2013 3:24 pm

    „Wer so bescheuert ist, nach Sumbay zu reisen, der sollte auch nicht jammern.“
    Der freundliche Mensch dachte sich wohl eher: “ Ich will diesen interessanten Typen mal zeigen, dass wir auch anders können!“
    Besonders reizend ist die Höhenlage in Kombination mit Dünnpfiff. Da kann man von Glück reden, wenn bei letzterem und Dauer-Kopfschmerz wenigstens das Wetter gut ist und man nicht im Dunkeln nirgendwo auf den Zug warten muss.
    Hat es Dich wenigstens abgehärtet? – Mich jedenfalls nicht. :))

  2. Durch die Salzwüste, reloaded : Burks' Blog am Juni 25th, 2020 7:39 pm

    […] soll fast eine wieder Sumbay-Nacht werden. Der Fahrer kennt sich besser aus als der bei der Hinfahrt: Kurz vor dem endgültigen […]

  3. Noche triste in Sumbay, reloaded : Burks' Blog – in dubio pro contra am März 27th, 2021 8:33 pm

    […] schrieb hier am 18.07.2013: …die besch…eidenste Nacht (…), die ich auf meinen vielen Riesen je durchlebt […]

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