Aber die Gegend ist sehr schön oder: Von Belize nach Ecuador

gringo
Nahe der Grenze zwischen Belize und Guatemala bei Melchor de Mencos, 27.10.1979

Hier ein Brief, der einen Teil meiner erste Reise nach Lateinamerika beschreibt – zwischen Belize und Kolumbien. Die Rechtschreibung habe ich nicht verändert.

reisepass
Mein Reisepass mit den Stempeln von Belize und dem Einreisestempel von Guatemala, Melchor de Mencos

Quito, den 26.11.79
Liebe Eltern,

Nun sind wir mittlerweile in Ecuador, haben soeben den Äquator überschritten und haben seit dem letzten Brief aus Belize, der hoffentlich angekommen ist, schon so viel erlebt, daß ich nur das Wichtigste schreiben kann.

Von Belize aus sind wir nach Guatemala getrampt. Das Gute an Belize ist, daß jeder Anhalter mitnimmt, weil so wenig Busse fahren und es sowieso nur 2 größere Überlandstraßen gibt, von Mexico nach Belize City und von da nach Guatemala. Zuletzt sind wir von englischen Soldaten mitgenommen worden (Belize ist zwar angeblich unabhängig, aber in Wirklichkeit immer noch eine englische Kolonie), die kurz vorher in Hamm stationiert waren – sie kannten auch Unna.

Tikal
Tikal, Guatemala, 29.10.1979

In Guatemala ging es richtig los: für die 200 km nach Tikal – d.i. eine große Ruinenstadt der Mayas – brauchten wir drei Tage. Die einzige Straße ist so schlecht, daß kein PKW fahren kann, nur 1x am Tag ein Bus. Zwischendurch haben wir noch an einem sehr romantischen See übernachtet. Tikal war das Beeindruckendste, was ich bisher gesehen habe. Hier wohnten vor 2000 Jahren mehr als 200000 Mayas! Heute ist überall tiefer Dschungel, nur ein paar kleine Dörfer, und mittendrin ein riesiges Ruinengelände mit Pyramiden, die mit der Spitze aus dem Dschungel gucken, Palastanlagen und Tempeln.

Busfahren in Guatemala geht z.B. so: Nachts um 11 soll der Bus fahren. Um 11 sagt der Busfahrer, der oben auf dem Dach liegt und schläft: Der Bus fährt um 1. Die Passagiere, darunter auch wir, sitzen auf einem schmutzigen Marktplatz, rundum voll Bretterbuden, wo man Kaffee und seltsames Gebäck verkauft, dazwischen streunende Hunde und ein paar Schweine, die im Müll wühlen. Um 1/2 2 kommt der Busfahrer vom Dach, will den „Bus“ starten, aber der springt nicht an. Alle Passagiere klemmen sich hinter den Bus und schieben ihn durch die halbe Stadt unter Höllenlärm, während ich auf dem Platz sitze und das Gepäck bewache und mich halb totlache. Der Bus springt aber nicht an und der Busfahrer legt sich wieder schlafen, Wir beide legen uns samt Rucksack auf einen der Markttische und schlafen bis um 3, bis ein anderer Bus kommt und unseren anzieht.

Dann geht es wie die wilde Jagd los, der Bus schwankt wie ein Schiff im Sturm, kracht in die Schlaglöcher, Hühner gackern, weil ihnen immer wieder auf den Schwanz getreten wird, eine dicke Indiofrau hat gleich 4 Truthähne mit. Der Bus braucht 19 (!) Std. bis Guatemala City, der Hauptstadt. Der Busfahrer fährt natürlich in einem Stück und kurzen Pausen durch und man kommt kaum zum Pinkeln.

Allgemeiner Eindruck von Guatemala: Das Land ist ein absoluter Polizeistaat, überall Militärkontrollen und man sagte uns, daß es hier wohl bald knallt wie in Nicaragua. Aber die Gegend ist sehr schön, vor allem die Indios sehr freundlich.

Wir sind 1 Woche in Antigua geblieben, einer Stadt mit viel spanischer Kolonialarchitektur, die aber durch verschiedenen Erdbeben sehr zerstört worden ist. Rundherum gibt es viele Indiodörfer, sehr arm, aber die Leute sind sehr nett. Die Frauen haben alle unwahrscheinlich bunte Gewänder an. Sie kennen noch kaum Touristen. Ihr müßt euch das so vorstellen, daß in den meisten Staaten Mittel- und Südamerikas die Indios den Hauptanteil der Bevölkerung stellen einschließĺich der Mischlinge, aber kaum in größeren Städten leben, sondern in Dörfern. In den Städten lebt die weiße Oberschicht, d.h. die Nachkommen der Spanier. Die Indios sehen sehr asiatisch aus und manche erinnern sehr an die Steinfiguren der Azteken und Maya, die die Spanier unterworfen haben.

agua
Der Vulkan Agua (3760 m) in der Nähe von Antigua, Guatemala (01.11.1979).

In Antigua haben wir einen Vulkan bestiegen, der über 4000m hoch ist. Aber das ist hier alles anders als in den Alpen, weil alles relativ höher liegt. Z.B. hier in Ecuador liegen die meisten Städte über 2000m hoch, Quito 2800! Dementsprechend hoch sind die Berge, aber in Quito gibt es sogar Palmen! Das liegt daran, daß es tagsüber – wegen der Äquatornähe – meist warm ist, 20° Grad vielleicht und teilweise mehr, aber nachts ist es knapp über 0 Grad!

nicaragua
Das Hochland von Nicaragua, Flug von Guatemala nach Tegucigalpa, Honduras, 04.11.1979

Von Guatemala sind wir geflogen mit einer klapprigen Propellermaschine nach Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras. Dort ging die Maschine kaputt und wir mussten umsteigen. Aber die Fluglinie kann man nur weiterempfehlen: Es gibt gutes Essen an Bord und Alkohol ist frei, dabei gute Aussicht über das Hochland von Nicaragua.

So kamen wir in San Andrés an, einer Karibik-Insel zwischen Nicaragua + Kolumbien, die aber zu Kolumbien gehört. Dort sah es auch wie in Belize (s. Karte): Sandstrand, Palmen, das Meer blau und kristallklar und nie weniger als 30 Grad. An dem Küsten Südamerikas und in der Karibik leben fast nur Schwarze, die Nachkommen der afrikanischen Sklaven.

Medellín
Medellín, Kolumbien, Flug von Tegucigalpa, Honduras, nach Bogotá, 04.11.1979

Nach einer knappen Woche inklusive Sonnenbrand flogen wir über Barranquilla und Medellin nach Bogota, wo wir spät abends mit gemischten Gefühlen ankamen, denn man hatte uns erzählt, daß Bogota eine der gefährlichsten Städte Südamerikas wäre. Wir mußten erst eine Stunde nach dem Gepäck suchen und waren etwas gestresst.

Bogota
Ankunft in Bogotá, Kolumbien, 08.11.1979

In Bogota (5 Millionen Einwohner) ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch und die Leute sehr arm, dementsprechend hoch ist auch die Kriminalität. In bestimmten Stadtvierteln kann man nachts nicht mehr auf die Straße gehen, weil man sonst ausgeraubt wird. Und die Pauschaltouristen, die meistens reich aussehen, sind das selbst schuld. Die Stadt ist häßlich, die Häuser phantasielos, überall liegt Müll herum und ein unwahrscheinlicher Krach und Gestank. Die südamerikanische Autofahrer-Mentalität kann man sich kaum vorstellen: Verkehrszeichen geben nur grobe Anhaltspunkte, rote Ampeln sind uninteressant und jeder hupt, so laut er kann. Dabei sehen die Autos aus, als wenn sie gerade vom Schrottplatz kämen. Wir haben um 4 Uhr nachmittags einen uralten Bus mitten auf einer Kreuzung zur Hauptverkehrszeit gesehen, die Busfahrer lagen darunter und reparierten etwas, die Passagiere schauten interessiert zu, hinter dem Bus lag ein R4 auf der Straße, der gerade ein Rad verloren hatte, alle Autos fuhren kreuz und quer herum und mittendrin stand ein Polizist, der aus Leibeskräften auf einer Trillerpfeife flötete, den aber keiner irgendwie beachtete.

Wir haben in 3 Tagen keinen einzigen Europäer gesehen außer einer deutschen Reisegruppe im Goldmuseum, die aber in einem teuren Hotel wohnten und ziemlich verängstigt waren. Auf der Straße laufen Bettler herum, einer hatte sich einen Tropf organisiert, lag auf der Straße und hielt ihn hoch, bettelte gleichzeitig um Geld.

Es gibt eine ganze Menge interessanter Dinge, aber der Brief wird zu lang.

San Augustin
San Agustín, Kolumbien, 12.11.1979

Von Bogota aus sind wir ins Gebirge, d.h. die Anden, in ein kleines Indiodorf. Die Entfernungen sind hier etwas anders. Kolumbien ist 4 1/2 mal so groß die die BRD [sic], hat aber nur 30 Mio. Einwohner und der Bus braucht durchschnittlich 8-10 Stunden für eine normale Strecke. Eisenbahnen gibt es kaum, weil im Süden fast alles wildes Gebirge ist. Aber die Landschaft ist einfach großartig!

In San Augustin [es heisst San Agustín] sind wir 1 Woche geblieben. Es gibt nur eine Straße und das nächste Dorf ist 1 1/2 Stunden mit dem Bus entfernt. Elektrisches Licht gibt es nur ein paar Stunden am Tag. Wir haben uns Pferde organisiert und sind in der Gegend herumgeritten. Hier stehen überall auf den Bergen und im Dschungel 2000 Jahre alte Steinfiguren herum, die von einem Volk stammen, das sich damals, als die Spanier kamen, in die Berge zurückgezogen hat. Hier gibt es richtige Hünengräber wie in Norddeutschland.

San Augustin [San Agustín] ist relativ sicher, weil die Indios nicht klauen, aber fast alle Touristen, die hier ankamen (es gibt nur 3 oder 4 Übernachtungsmöglichkeiten, sodaß man sich trifft) waren beklaut worden, in einem Bus, der ankam, gleich 7 auf einmal.

tumaco
Tumaco, Kolumbien, 21.11.1979

Von San Augustin [San Agustín] sind wir nach Popayan, Pasto (das liegt auf der Panamericana in Richtung Ecuador), dann mit einem Nachtbus 10 Std. an die pazifische Küste von Kolumbien nach Tumaco. Hier sieht es wieder ganz anders aus: Ein Fischerdorf, nur Holzhütten, nur Schwarze, sehr dreckig und staubig, viele Häuser auf Pfählen und ringsherum nur Mangrovensümpfe. Mangroven sind Bäume, deren Wurzeln alle oberhalb des Wasserspiegels liegen, sodaß man von nirgendwo durchkommt.

Wir haben einen Einheimischen aufgegabelt, der uns für 20 DM nach Ecuador fahren wollte – mit einem hölzernen Einbaum mit Außenborder. So zogen wir, inklusive 6 leeren Ölfässern, Rucksäcken und 2 Mann Besatzung los. Das „Schiff“ blieb im „Hafen“ ein paar Mal stecken, wir mußten ins Wasser und anschieben. Die Fahrt kann ich kaum beschreiben, das war das Abenteuerlichste, was ich je erlebt habe. Wir sind 9 (!) Stunden durch kleine Flußarme, durch Sümpfe, teilweise auf größeren Flüssen gefahren. Die Gegend ist fast menschenleer, nur alle halbe Stunde ein winziges Dorf aus Schilfhütten, in denen ein paar Schwarze wohnen, die fast alle nackt herumlaufen und entweder mit Einbäumen fahren, weil es absolut keine Wege und Straßen gibt, oder auf Flößen mit langen Stangen herumschwimmen und Kokosnüsse und Bananenstauden transportieren. Anders kann es in Afrika nicht aussehen. Dabei ringsherum riesige Urwaldbäume und undurchdringliches Dickicht, aus dem man jeden Augenblick Tarzan erwartet.

Rio Mira
Rio Mira, Pazifikküste Kolumbiens, 21.11.1979

Nach 8 Stunden hatten wir wieder den Pazifik erreicht. Plötzlich knallten ein paar Schüsse, ein anderer Einbaum kam herangeflitzt, in dem ein paar Soldaten aus Ecuador saßen, die unser „Schiff“ enterten, den „Kapitän“ festnahmen und wieder zurücktransportierten und uns im „Polizeieinbaum“ nach San Lorenzo in Ecuador brachten. Unser „Kapitän“ war nämlich ein Schmuggler, der billiges Benzin von Ecuador nach Kolumbien schmuggeln wollte. Aber wir hatten ja damit nichts zu tun und nach kurzer Kontrolle der Rucksäcke ließ man uns laufen.

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San Lorenzo, Ecuador, 22.11.1979

San Lorenzo ist genauso wie Tumaco, nur ein bißchen sauberer und die Leute sind freundlicher. Hier sind wir einem deutschen Juden aus Berlin (!) begegnet, der 1936 aus Deutschland ausgewandert ist und den es nach hier verschlagen hat. Er kannte sogar noch die Knesebeckstraße [da wohnte ich damals]. Doch darüber auch mündlich!

Kapitel: Eisenbahnfahren in Ecuador! Der Schienenbus (es gibt keine Straße) sollte um 6 Uhr morgens fahren. Wir hatten am Vortag ein Gefährt gesehen, was aus einem Lastwagen bestand, dem man die Räder abmontiert hatte und stattdessen Eisenbahnräder anmontiert hatten und waren recht gespannt. Der Zug kam nicht, obwohl bestimmt 50 Leute herumstanden. Ich weiß nicht, wer mehr gestaunt hat: Wir über die oder sie über uns. Um 1 (!) Uhr kam ein Güterzug mit drei Waggons, alle Leute kletterten auf das Waggondach, auch ein Schwarzer, der Kokospalmenschößlinge von ca. 4m Länge dabei hatte, und wir auch.

san lorenzo
Eisenbahnfahrt von San Lorenzo nach Ibarra, 23.11.1979

Dann ging es los, der „Schaffner“ sprang während der Fahrt von Waggondach zu Waggondach und kontrollierte die Tickets. Nach eineinhalb Stunden Fahrt durch tropischen Regenwald kam plötzlich ein uraltes Ding von Schienenbus hinterhergerattert, Plätze für 30, aber wie hier so üblich, mit ca. 50 Leuten besetzt. Bei einer Ausweichstelle, wo der Bus den Güterzug überholen konnte, haben wir uns auch noch reingequetscht. Der „Lokführer“ hatte eine Gangschaltung wie im Auto und sogar ein Lenkrad, an dem er wie wild dreht. Ich weiß aber nicht warum, denn auf Schienen braucht man normalerweise nicht zu lenken. Jedenfalls sind wir einmal entgleist, weil die Schienen fast lose auf den vermoderten Holzbalken liegen. Sie waren wohl für ein kurzes Stück zu weit auseinander, aber irgendwie kam alles wieder ins Lot. Die Bahn schlängelt sich in endlosen Serpentinen an Abgründen vorbei auf 300km von 0 auf 2200m Höhe nach Ibarra und baucht dafür ca. 7. Stunden.

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Tulcán, Ecuador, an der Grenze zu Kolumbien, 24.11.1979

Wir haben in Ecuador noch ziemlichen Ärger mit der Polizei gehabt und mußten eine Strafe zahlen, weil seit neuestem die Einreise nur an bestimmten Stellen gestattet ist, nicht aber in San Lorenzo. Die Polizei dort wußte das aber nicht, nur die Polizei in Tulcan. Das ist der Grenzort zu Kolumbien, wo wir wieder hinaufgefahren sind, weil alle Einreisebüros geschlossen hatten und man ohne [Einreise]Stempel nicht nach Quito kann. Dort saßen wir drei Tage fest, weil Wochenende war, und heute morgen nach 3-stündigem Verhandeln und 80 DM Strafe konnten wir endlich nach Quito. Wir werden aber noch den Botschafter einschalten, weil das Ganze nicht unsere Schuld war, denn die Polizei hatte uns ja die Éinreise erlaubt. [Haben wir natürlich nicht gemacht.]

Quito, die schönste Stadt, die ich bisher und überhaupt gesehen habe! Doch davon später und in Fotos, da wir erst gerade angekommen sind. Wir bleiben ca. eine Woche, fahren 1 Woche in den Urwald östlich den Anden zum Rio Napo. brauchen ca. eine Woche über Riobamba u. Guayaquil zur Grenze nach Peru, sind kurz vor Weihnachten in Lima, Peru, und zu Silvester auf eine indianischen Landkooperative, von der wir Adresse und ein Empfehlungsschreiben von einem deutschen Entwicklungshelfer haben. Wir wollen nach ca. 4 Wochen Peru weiter nach La Paz, Bolivien, wissen aber noch nicht, ob das möglich ist, weil die mal gerade wieder einen Putsch hatten. (…)

Quito
In einer Vorstadt von Quito, Ecuador, mit Blick auf die Altstadt (November 1979)

Preise hier: Hotel ca 3 DM, Mittagessen 2 DM, 1 Banane 20 Pfg, Schachtel Zigaretten 30 Pfg, 400 km Busfahrt 5 DM! Wir geben ohne Andenken und Sonderausgaben ca. 10-13 DM pro Tag und Person aus. Vorher war es etwas teurer, aber Peru ist noch billiger.

Bis bald und viele Grüße an alle! Ich hoffe, daß ein paar von den vielen Ansichtskarten angekommen sind! (…) Und außerdem herzliche Glückwünsche zum Geburtstag, aber ich habe keine Ahnung, wann der Brief ankommen könnte.

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