Von Caracas nach Santa Ana de Coro

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So ein Blog ist doch etwas Feines – ich kann die Welt mit völlig nichtssagenden Fotos belästigen. Sie bedeuten nur für mich etwas, und wenn ich sie betrachte, erinnern sie mich an Angenehmes oder Aufregendes.

Das oberste Foto zum Beispiel könnte überall gemacht worden sein, über Mallorca, Ports Moresby oder den Osterinseln. Ich aber saß 1998 in einer Maschine der Iberia und sah zum ersten Mal seit 1984 wieder die Küsten Südamerikas – hier Venezuela, das ich noch nicht bereist hatte. Der Abend dämmerte schon. Man hatte mich vor dem angeblich gefährlichen Caracas gewarnt. Das schreckte mich nicht, aber ich plante, nicht dort zu bleiben, sondern mir einen Bus in den Nordwesten zu suchen, nach Santa Ana de Coro (Weltkulturerbe), um mich dort für ein paar Tag in der idyllischen Kleinstadt zu akklimatisieren: Ich recherchierte für meinen Roman Die Konquistadoren„, und Coro war im 16. Jahrhundert des Ausganspunkt der „deutschen“ Eroberungszüge zum „El Dorado“ gewesen.

Das alles schwirrte mir durch den Kopf. Vor acht Jahren bloggte ich hier:

„Land! Nicht anders muss sich Kolumbus gefühlt haben. Gieriger Blick aus dem Fenster: Südamerika, meine zweite Heimat. Wolken huschen über Inseln, man schaut wie ein Vogel auf die türkisblaue Brandung herab. Immer wenn ich das Meer sehe, muss ich an Marquez denken: Un relato de un naufragio. Es zieht in der Brust. Welcher wehmütiger Schmerz ist das? Das Gefühl, wie ein Tropfen Wasser im Meer zu sein, eine winzige weisse Wolke unter vielen – eine sanfte Brise, und sie löst sich auf in nichts. Das Traurige am wahren Reisen ist: Man kann es mit niemandem teilen, die Gefühle, die Sinneseindrücke nicht wiedergeben. Wie kann man eine Reise nach Südamerika erzählen? Vielleicht nur wie Rutger Hauer im Bladerunner: „I’ve seen things you people wouldn’t believe. …All those moments will be lost in time, like tears in the rain.“ Ich mag sehr gern fliegen, ich liebe den Augenblick, wenn der Druck beim Start einen in den Sessel presst. Weg, nach oben, ganz weit weg, auch wenn sieben Stunden Flug unrealistisch kurz sind für die Entfernung, die man tatsächlich zurückliegt. (…)

Die Sonne ist schon dunkelrot. Berge an der Küste, völlig kahl. Endlich gelandet. Immer das komische Gefühl: ich könnte den Boden küssen. Vielleicht haben das auch die deutschen Konquistadoren gemacht, deren Spuren ich verfolgen will und die schuld daran sind, dass ich jetzt in Venezuela bin. Allein, mit vielen Büchern über die Alemanes y los Belzares (Welser) im 16. Jahrhundert im Kopf. Die Hitze lullt mich ein, aber der Geruch! Ich erkenne Südamerika am Geruch. Den schweren Rücksack auf den Rücken werfen, knarrende Riemen. Auch das hört sich vertraut an. Der Druck auf den Schultern. Das Gefühl, ganz da zu sein, mit jeder Faser des Körpers. Das ist das wahre Leben – konzentriert und auf den Punkt gebracht.

Ein Collectivo nach Caracas. Meine erste spanischen Worte seit langem. Kurvenreiche Straße, Slums an die Hügel gekrallt. Die Bilder von draußen dringen noch nicht bis in meinen Kopf. Ich bin restlos glücklich. Das bekannte Gewusel. Bei halb geschlossenen Augen kann ich mir vorstellen, gleichzeitig in Bogota, Medellin, Quito, Lima oder in den Barrios von La Paz zu sein. Endstation. Ein paar hundert Meter zu Fuss. Die schon nächtliche Stadt liegt mir zu Füßen (zweites Foto). Der Verkehr rauscht um mich herum wie Wasser um einen Stein. Ich lasse den Stadtplan in der Hosentasche. Ich will reden, den Rhythmus des espanol in mich aufsaugen, frage Passanten. Ich muss wohl ein paar Kilometer zu Fuss gehen zum zentralen Busbahnhof. Man rät mir zum Taxi. Aber ich will das Gefühl genießen, allein durch die Nacht zu laufen. (…)

Am Busbahnhof umringt mich ein Dutzend Männer, die mir die Ziele ihrer Busse entgegenbrüllen. Schön hört sich das an: Maracaimaracaimaracaiboooooo! Maracaibo, die heiße Millionenstadt an der Lagune, die sich zum Golf von Venezeula öffnet, gegründet 1529 durch Ambrosius Dalfinger aus Ulm. Barquisimeto. Acarigua. Tocuyo. Namen, die ich aus den Briefen des deutschen Konquistadors Philipp von Hutten kenne… Noch klingen sie wie ein Geheimnis.

Es ist schon 22 Uhr und immer noch die Hölle los. Viele Tage habe ich in Busbahnhöfen verbracht, in vielen lateinamerikanischen Ländern. Das Leben spielt sich wie unter einem Mikroskop ab, alle Sorten von Menschen werden durchgeschleust. Bahnhöfe sind die interessantesten Orte einer Stadt, zusammen mit den Märkten. Wer die Bahnhöfe und die Märkte kennt, weiß, wie man in dem Land fühlt und lebt. Knapp drei Monate später werde ich mir ein very basic Hotel in einer kleinen nahegelegenen Seitenstrasse nehmen.“

Ich habe an anderer Stelle schon etwas über die Kathedrale von Coro gesagt. (Interessant, dass der deutsche Wikipedia-Eintrag zwar nicht verschweigt, dass Coro für einige Jahrzehnte den Augsburger Welsern gehörte, aber nicht den schwunghaften Sklavenhandel erwähnt, den die Welser betrieben und auch nicht, dass zahlreiche „Expeditionen“ – in Wahrheit Raubzüge – von Coro aus aufbrachen, um das sagenhafte Goldland zu finden – zum Beispiel Nikolaus Federmann, der Mitgründer der kolumbianischen Hautpstadt Bogotá; die deutsche Kolonialgeschichte, die in Venezuela jedes Schulkind kennt, fällt fast komplett unter den Tisch. Der spanische Eintrag ist aufschlussreicher.)

Das vorletzte Bild zeigt das winzige Frühstücks“cafe“, in dem ich eine Woche lang jeden Morgen einkehrte – ich finde es leider nicht mehr auf der Karte wieder.

Auf dem unteren Bild erkennt man die Dünen im Parque Nacional Los Médanos de Coro. Wikipedia: „Der Nationalpark umfasst 91.280 Hektar Wüste, Küste und Salzwiese. Die großen Dünen (‚Médanos‘) erstrecken sich über eine Länge von 5 bis 30 Kilometer und können bis zu 40 Meter hoch werden. Durch starke Winde ändern sie ständig ihre Form. Wegen der sehr seltenen Niederschläge besteht die Flora aus stacheligen Sträuchern. Die Fauna ist ebenso spärlich und besteht hauptsächlich aus Echsen, Hasen, Ameisenbären, Füchsen, Tauben und Falken.“ Ich hatte mir einen Lokalbus genommen und bin ganz allein durch die glühend heisse Einöde gestapft. Auch das werde ich nie vergessen.

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Kommentare

2 Kommentare zu “Von Caracas nach Santa Ana de Coro”

  1. Médanos de Coro : Burks' Blog am August 13th, 2016 1:53 pm

    […] hatte mir einen Lokalbus genommen und bin ganz allein durch die glühend heisse Einöde gestapft. (mehr lesen) Ein Moment der […]

  2. Destinado a nunca llegar : Burks' Blog am April 19th, 2020 8:21 pm

    […] winzigen Fotos in schlechter Qualität (den Beitrag werde ich alsbald löschen), teilweise auch am 20.01.2011. Drei der Fotos habe ich bisher noch nicht […]

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