Warm und still (fast) [Update]

san fernando de atabapo

Ein stiller und sehr warmer Sonntagnachmittag in San Fernando de Atabapo am Orinoco (1998). Wait a minute. Still? Ganz hinten ist der Kirchturm der Parroquia San Fernando zu sehen. Ich stand also ungefähr zwei Blocks nördlich davon. Der Ort ist so klein, dass die Straßen keine Namen haben.

Ich wanderte so vor mich hin, als urplötzlich ein infernalisches Getöse über mich hereinbrach, so laut wie drei Techno-Partys gleichzeitig, nur in sehr schlechter Qualität. Der Pfaffe des Ortes hatte irgendwo an der Kirche eine Lautsprecheranlage angebracht, deren Klang vermutlich bis auf die andere Seite des Flusses nach Kolumbien reichte, um seine Schäfchen zum Gottesdienst zu bitten. Jeder wäre ohnehin aus seiner Siesta aufgeweckt worden. Es war grauenvoll und hörte auch für eine Weile nicht auf. Ich weiß gar nicht, ob es Musik war oder irgendwie muezzinmäßig.

Ich sehe gerade, dass Google jetzt einige Hinweise gibt, wo was ist. Ich erkenne meine Herberge von damals wieder – sie heißt Hotel Pendare, ist gestrichen und hat ein gemauertes zweites Stockwerk bekommen. 1998 hieß das Etablissement noch Cafe Orinoco und bot eine grandiose Aussicht auf die Flüsse Rio Atabapo und Rio Guaviare. Vor dem Eingang ist auch eines meiner Lieblingsfotos entstanden. Die Ausstattung der Zimmer war aber nur etwas für extrem hartgesottene Globetrotter. Ich wüsste gern, ob das Mädchen vom Lande sich noch an mich erinnert…

Man braucht nur vier Tage von Berlin bis Puerto Ayacucho, wenn alles gut geht. Aber dann weiter den Orinoco hinauf wird es extrem kompliziert – immer noch. „Verkehrstechnisch ist die Stadt durch einen Flughafen und einen kleinen Hafen angebunden“, behauptet das deutsche Wikipedia. Haha. Die Tide des Orinoco und seiner Nebenflüsse ist bei San Fernando zwar nicht 12 Meter wie des Amazonas bei Manaus, aber Bootstege kann man dort nicht bauen – die würden in der Regenzeit weggeschwemmt oder wären dann nur für U-Boote. Das spanische Wikipedia ist realistischer „El transporte fluvial en Atabapo está compuesto por 4 embarcaciones (llamadas coloquialmente voladoras) que prestan el servicio Samariapo-Atabapo-Samariapo: El Suricato, La Roca, Nautisa y Autana. Actualmente no existe ningún transporte con destino fijo a otro municipio del Estado Amazonas“.

No existe ningun. Kein Transport, nirgends. Also nur vier Boote für die ganze Region, die halb so groß ist wie ganz Deutschland, und von denen garantiert so viele oder so wenige schwimmfähig sind wie die bei der Bundesmarine. Damals gab es nur eins, und ob die Reise damit losging, hing davon ab, ob der Kapitän und Besitzer sich am Abend vorher mit Damen vergnügt und vollgesoffen hatte oder nicht. Das erzählten mir die Mitreisenden.

[Update] Ich habe noch ein Foto gefunden, dass ich bei dieser – oben erwähnten – Reise per Boot gemacht habe – in Samariapo. Dorthin hatte uns ein LKW aus Puerto Ayacucho gebracht und damit die unbefahrbaren Stromschnellen des Orinoco umgangen. Vermutlich habe ich das Foto unweit des Comando Fluvial Puesto Samariapo geschossen.

samariapo

Vendedor ambulante

vendedor

Straßenhändler in Caracas (1998). Das „ambulante“ stimmt nicht, weil jemand, der einen festen Stand hat, schon zur Elite der kleinen Kleinbourgeoisie gehört – im Gegensatz zu denen, die nur mit einem Bauchladen herumlaufen.

Terminal de Pasajeros

Terminal de Pasajeros

Ich war mir nicht sicher und habe deshalb Fotos verglichen. Vermutlich ist es der Busbahnhof von Barquisimeto, Venezuela, fotografiert im Frühjahr 1998. Der Terminal de Pasajeros Nuevo Circo in Caracas sieht anders aus.

Carrao de Palmarito oder: Yahoo in den Llanos, revisited

palmaritopalmaritopalmaritopalmaritopalmarito

Die Fotos eines Reiterspiels habe ich 1998 in dem winzigen Ort Palmarito in den südlichen Llanos von Venezuela gemacht (vgl. 09.10.2012). Am Vortag durften die jüngeren Leute üben, wie man einen Stier einfängt und zu Boden bringt. Am nächsten Tag waren dann die „Profis“ dran. Das Schauspiel war unblutig, und den Tieren geschah nichts.

Ich habe ein wenig herumrecherchiert – vermutlich war es die Carrao de Palmarito. Die typische Musik der Llanos, die überall ununterbrochen gespielt wurde, ist eine Art „Country“ auf venezolanisch, und die Männer sahen auch so aus. Offensichtlich bin ich immer noch der einzige Ausländer, der davon Fotos hat. (Es gibt noch ein anderes Palmarito am Maracaibo-See.)

El chefe oder: Da sprach der alte Häuptling der Indianer

guahibo

Der „Chef“ einer Gruppe von Guahibo in den südlichen Llanos (Ebenen) von Venezuela. Die Guahibo aka Sikuani aka Wayapopihíwi kann man als „nomadisierende Plainsindianer“ bezeichnen. Von ihnen gibt es nur noch weniger als 20.000. Ihr nordamerikanisches Gegenstück wären etwa die Arapaho.

Fotografiert 1998 im Guahibo-Territorium, einige Stunden mit dem Jeep südlich von Elorza nördlich des Rio Capanoparo (ein Nebenfluss des Orinoco).

Vgl. „Durch die Pampa“ (04.03.2021), „Der gottverlassene Landstrich, revisited“ (11.02.2020), „Mythos „Neu entdeckte Indianerstämme“ [Update] (23.07.2016), „Venezuela – eine gute Wahl“ (06.07.2013), „Burks bei den Wayapopihíwi“ (05.01.2011), „Venezuela | wahr und falsch“ (03.03.2008).

Ein schlammiger Fluß: der Rio Capanaparo. Ein alter Mann rudert den Reisenden schweigend an das andere Ufer. Wieder ein garpón. Aller Augen richten sich auf den chefe. Der erklärt in stockendem Spanisch: Das Feuer und die Viehzucht engen den Lebensraum der Guahibos immer mehr ein. Sie litten Hunger, weil sie nicht mehr jagen könnten. Die Regierung lobt sich im Ausland für ihre gut gemeinte, das heißt paternalistische Indianerpolitik. Sie bietet den Nomaden an, gratis in Reihenhaussiedlungen wohnen zu können wie die katholischen und assimilierten Indianer am Orinoco. Dort wären sie geschützt vor Übergriffen sowohl der kolumbianischen Guerilla als auch der Viehzüchter. Doch sie wollen nicht.

„Kein Stamm ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß sie ein kleines Stück Land bebauen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht katechisierten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen…Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, sie seien wie wir.“ (Alexander von Humboldt)

Die ersten Weißen, die die Guahibos kennenlernten, waren Deutsche – im 16. Jahrhundert. Die Konquistadoren Georg Hohermuth von Speyer und Friedrich von Hutten zogen 1535 im Auftrag der Welser von Coro an der Küste nach Süden, bis in das Quellgebiet des Guaviare im heutigen Kolumbien. Mehrere hundert deutsche und spanische Landsknechte durchstreiften monatelang die Savanne, ausgemergelt vor Hunger und vergeblich auf der Suche nach einem Paß in die Anden, in das Land der Muisca, zum legendären El Dorado. Die Muisca zahlten mit Gold für die Kinder der Guahibos, erfuhren sie.

„Fiengent ain Cassicquen oder Obersten, ßo sagt, er wer auff der andern Seitten des Birgs gewest, gab uns groß Zeittung von Reichtumb. Vermochten aber mit den Pfferden nit hynuber…“ berichtet der fränkische Edelmann Philipp von Hutten am 30. Oktober 1538 aus Coro an den kaiserlichen Rat Matthias Zimmermann in einem der ersten Briefe, den ein Deutscher aus Südamerika geschrieben hat.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das Dia nicht seitenverkehrt eingescannt hatte. Leider ist die Schrift mit der venezolanischen Flagge auf seinem Basecap nicht zu erkennen. Ich habe das Logo auch nicht gefunden.

Am Rio Guivare und Atabapo

rio

Zusammenfluss von Rio Guaviare und Rio Atabapo (links), die hier – bei San Fernando de Atabapo – in den Orinoco münden. Auf der anderen Seite liegt Amanaven (Kolumbien). Fotografiert in Venezuela 1998.

Auf der winzigen Insel mit Bäumen, die man links sieht, saß ein kleiner Trupp kolumbianischer Soldaten, die manchmal in der Nacht ein wenig herumschossen, um Schmuggler und Leute abzuschrecken, die bei Dunkelheit den Fluss bzw. die Flüsse überqueren wollten. Merkwürdigerweise kam man aber tagsüber nach Amanaven auf der anderen Seite völlig ohne Kontrolle – wie ich auch.

Im Vordergrund in der Mitte sieht man noch ein wenig braunes Wasser des Rio Atabapo (der von links kommt), das sich noch nicht mit dem des Rio Guaviare vermischt hat. Ich werde also ziemlich genau dort gestanden haben, wo man per Google Boote ausmachen kann und wo ich das Selfie gemacht habe. Der Wasserstand war aber zum Zeitpunkt meiner Aufnahmen erheblich niedriger als als Google die Aufnahmen machte. Das kann man an den Stromschnellen des Orinoco sehen, die bei Google Maps klar, hingegen auf meinem Foto (1998) kaum zu erkennen sind.

(Vgl. „An der Grenze zur grünen Hölle“, 25.01.2012, „Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents“ (28.08.2012), „Am Strand“, 20.02.2013), „Selfie am Atabapo“ (07.10.2016), „Der gottverlassene Landstrich, revisited“ (11.02.2020), „Am Rio Atabapo“ (29.03.2023, „Am Rio Atabapo, revisited (01.04.2023).

Am Rio Arauca

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Die Hauptstraße (Avenida Bolivar) von Elorza im Süden Venezuelas am Rio Arauca, fotografiert 1998.

Comercio oder: Die andere Grenze

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Puerto Ayacucho am Orinoco, Venezuela, 1998. Ich bin von dort aus nach Süden nach Samariapo gereist, an die Grenze der „Zivilisation“, und von dort aus weiter bis zum Rio Atabapo.

Einheimische Quellen sehen das ähnlich: „Capital comercial de indígenas e inmigrantes“ (ökonomisches Zentrum von Indigenen aka „Indios“ und Immigranten). Ich fand den Ort zwar nicht schön, vor allem wegen der hässlichen Neubauten, aber sehr interessant. Man sah dort viele Leute, vor allem auf dem Mercado Indigena, die phänotypisch nichts ins Bild „passten“, also so aussahen wie Leute, die eigentlich im Urwald leben. Wikipedia liegt da ganz richtig: „Die Einwohner von Puerto Ayacucho sind zum Großteil Kreolen, daneben lebt in der Stadt eine Vielzahl von Indigenen, wie Yanomami, Baré, Piaroa (Vorsicht, Anarchisten!) und Guajibo“ aka Wayapopihíwi.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich stundenlang herumgelaufen bin, weil niemand meine Travellerschecks eintauschen wollte, auch nicht die Banken. In einem Reisebüro hatte ich endlich Erfolg. (Ein Foto, das offenbar in der Nähe des obigen gemacht wurde, hatte ich am 03.03.2008 veröffentlicht.)

Puerto Ayacucho

puerto ayacucho

Puerto Ayacucho am Orinoco, Venezuela, 1998. (Da „puerto“ schon Hafen heißt, wäre „der Hafen von Puerto Ayacucho“ doppelt gemoppelt.) Ich habe auf der Avenida Paseo gestanden. Auf der anderen Seite ist Kolumbien.

Ich kann mich übrigens erinnern, dass ich da zur Mittagszeit herumgelaufen bin, obwohl mich die Leute gewarnt hatten. Die Hitze machte mir nichts aus, aber plötzlich wurde ich von Myriaden winziger Fliegen überfallen, deren Stiche weh taten und sogar kleine Blutflecke hinterließen. Die waren kleiner als die gewöhnlichen Moskitos. Vermutlich waren es Sandmücken, mit denen ich schon in Belize 1979 heftig zu kämpfen hatte und die sogar durch die Maschen eines Moskitonetzes schlüpfen.

Plaza Bolivar

barquisimeto plaza bolivar

Barquisimeto, Venezuela, Plaza Bolivar, Frühjahr 1998. Vermutlich stand ich auf der Calle 25.

Räder müssen rollen

puerto ayacucho

Straßenszene in Puerto Ayacucho, Venezuela (Februar 1998)

Von Barinas über Maporal nach Palmarito, revisited

Barinas

Ich kann mein Posting „Llanos“ (26.03.2023) ergänzen. Ich war in einer preiswerten Unterkunft in Barinas abgestiegen, wo genau, kann ich leider nicht mehr nachvollziehen. Ich hatte meinen Coleman Peak 1 Multi-Benzinkocher] dabei, der hier schon oft lobend erwähnt wurde. Heute sieht das Nachfolgemodell natürlich anders aus, aber wenn ich noch einmal einen brauchte, wäre Coleman, auch wegen des Preis-Leistungsverhältnisses, erste Wahl. Ich sage nur: unkaputtbar! Getestet mit (nicht empfohlenen) Normalbenzin bei Minusgraden auf knapp 4.500 Höhenmetern!). Hier kochte ich mir – mit Blick auf den Hof – einen Kaffee. Die Herberge war in der Nähe eines Marktes.

Ich habe noch einmal in meinem Büchlein nachgesehen, in dem ich Notizen für meinen Roman gemacht hatte. Ich fand dort einen Eintrag über den Trip von Barinas nach Süden zum Rio Apure bzw. Palmarito mit der nicht geplanten Zwischenstation auf einer Ranch inmitten der Pampa Llanos.

reisetagebuch

Der Fluss, an dem uns der Fahrer absetzte, war der Rio Caparo Viejo, und das Kaff der Ort hieß Maporal. Bei Google gibt es sogar noch ein Foto der Fähre, mit der ich übersetzte – es scheint sich nicht viel geändert zu haben seit 1998. Die Ranch lag ungefähr auf halbem Weg zwischen Maporal und Palmarito. (Vielleicht hier?) Eine Straße scheint es immer noch nicht zu geben, deswegen war damals der Traktor nicht schlecht als Mitfahrgelegenheit.

Der Papagei wohnte auch in meiner „Pension“ in Palmarito. Ich bekam nur einen Platz für meine Hängematte, wurde aber überaus freundlich behandelt, vermutlich auch wegen der Empfehlung des Ranchers, mit dessen Leuten ich dort angekommen war. Auch in Palmarito war ich der einzige Ausländer…

papagei palmarito

Santa Cruz de Bucaral

Santa Cruz de Bucaral

Santa Cruz de Bucaral, Venezuela 1998. Mehr dazu: „Am Rio Tocuyo“ (10.08.2020). Der Ort war klein, es gab nichts zu sehen, die typische relaxte Atmosphäre einer Kleinstadt, in die sich nie Touristen verirren. Ich habe auch keine Fotos im Internet gefunden, nur einen Kurzfilm mit Musik. Ich erinnere mich, dass es mir dort gefallen hat und ich Kraft schöpfen konnte für den Gewaltmarsch mit Rucksack am nächsten Tag.

Am Rio Atabapo, revisited

rio atabapo

Zusammenfluss von Rio Guaviare und Rio Atabapo (links), die hier – bei San Fernando de Atabapo – in den Orinoco münden. Auf der anderen Seite liegt Amanaven (Kolumbien). Fotografiert in Venezuela 1998. (Vgl. „An der Grenze zur grünen Hölle“, 25.01.2012, „Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents“ (28.08.2012), „Am Strand“, 20.02.2013), „Der gottverlassene Landstrich, revisited“ (11.02.2020) sowie „Am Rio Atabapo“ (29.03.2023).

Tapiceria

caracas

Straßenszene in Caracas, März 1998. Tapiceria kann Polsterei heissen, „Auto Tapiceria“ ist auch eine Autowerkstatt.

Ich mochte das, wenn kurz nach Sonnenaufgang die Stadt erwacht und mit ihr die geschäftige Kleinbourgeoisie, und man ein Café sucht, in dem es Kaffee und Empanadas gibt, und überall die eisernen Rolladen rappelnd nach oben gezogen werden.

Vamos a bailar, revisited

coro dancers

Tänzerinnen in Coro, Venezuela (1998) Vgl. „Vamos a bailar“ (24.04.2017) sowie „Momente der Vollkommenheit“ (08.01.2011) Ich schrieb damals:

Warum Momente der Vollkommenheit? Weil ich beim Anblick dieser tanzenden Mädchen heimlich geweint habe. Zum Glück war es dunkel, und das Publikum achtete nicht auf mich. Ich sah für einen Moment vollkommene Schönheit.

Kurz bevor ich in die Berge aufbreche, in die Sierra de San Luis: Kultur am Abend – consejo de la dansa. Der Gouverneur des Bundesstaates Falcón, die herrschende Klasse von Coro. Tanzgruppen aus der Karibik, sogar aus Guyana! Es ist ein komisches Gefühl – wahrscheinlich bin ich der Einzige, der schon einmal in Guyana war – ausser den Guyanern selbst. Ich bin schon wieder restlos glücklich. Die Menge drängt sich in einen Hof, Lachen und Lärmen. Die Band bleibt im Hintergrund, genau wie die ältere, drahtige Frau, die mit knappen und herrischen Händen die Tänzerinnen auf der Bühne dirigiert. Niemand könnte jemals mit Worten beschreiben, wie die jungen Frauen tanzen. Wenn es Engel gäbe, sähen sie so aus wie die Mädchen aus Coro. Sie schweben über dem Boden, nicht so artifiziell wie eine europäische Ballerina, rhythmisch, aber verspielt, nicht zu vergleichen mit dem verkrampften Getue der Boy- and Girlbands bei Viva und MTV. Es ist unirdisch schön. Man spürt pralle Erotik, aber überlagert von einer Unschuld, die rührend ist. Ich muss die Tränen zurückhalten. Vermutlich habe ich mit offenem Mund dagestanden. Die Mädchen lachen und flirten miteinander, während sie umherwirbeln. Ich versuche, die Atmosphäre mit dem Fotoapparat irgendwie einzufangen, werde aber sehr traurig, als ich später die Bilder sehe: zu dunkel und ohne Bewegung. Die Tänzerinnen von Coro: das ist einer der intensivsten Eindrücke, die ich in Venezuela hatte.

Am Rio Atabapo, reloaded

san fernando de atabapo

Das Publikum fragte, ob ich im Rio Atabapo geschwommen sei. Ja, die Fischlein tummelten sich herum, wie man sehen kann, haben mich aber nicht gebissen. (Venezuela 1998)

Am Rio Atabapo

san fernando de atabapo

Zusammenfluss von Rio Guaviare und Rio Atabapo (links), die hier – bei San Fernando de Atabapo – in den Orinoco münden. Auf der anderen Seite liegt Amanaven (Kolumbien). Fotografiert in Venezuela 1998. (Vgl. „An der Grenze zur grünen Hölle“, 25.01.2012 sowie „Am Strand“, 20.02.2013)

Ich schrieb: Hier fließen drei Ströme zusammen: Guaviare, Atabapo und Orinoco. Der Guaviare, breiter als der Rhein, entspringt tausend Kilometer westlich in den kolumbianischen Anden und hat, so schreibt Alexander von Humboldt, weisses Wasser, und der ganze Anblick seiner Ufer, seiner gefiederten Fischfänger, seine Fische, die großen Krokodile, die darin hausen, machen, daß er dem Orinoco weit mehr gleicht. Von Süden ergießt sich der Atabapo in den Guaviare. Wassertemperatur des Rio Atabapo: erstaunliche 37 Grad. Der sonnendurchglühte Granit heizt den Fluss auf. Er ist dunkel wie schwarzer Tee, aber klar bis auf den Grund. Die Färbung rührt von Gerbsäure, die Insekten abhält, ihre Eier zu legen.

Dame un sonrisa, revisited

chica venezuela

Ein Mädchen aus Elorza im Süden Venezuelas, fotografiert 1998. Ich hatte hier im November 2020 schon ein Foto von ihr, zusammen mit ihrem Bruder. Kinder sind immer dankbare und unkomplizierte Fotomotive. Ich wohnte damals für eine Woche in einem Arme-Leute-Viertel in Elorza bei einer Dame, die mir Platz für meine Hängematte in ihrem „Garten“ angeboten hatte. Abends war nichts los außer dem, was man selbst anstellte. Alle Kinder spielten auf den Straßen, und ich war natürlich als einziger Ausländer im ganzen Ort eine Attraktion. Wenn ich morgens in Richtung Plaza ging, musste ich an einer Schule vorbei, und wenn die Kinder nicht in ihren Klassen waren, gab es immer ein großes Geschrei, wenn ich auftauchte, und alle riefen lachend hola, gringo!

Ich habe gestern gemerkt, dass ich viele Fotos aus Venezuela versehentlich in einen Ordner gebeamt hatte, der für Bilder gedacht war, die ich schon veröffentlicht hatte. Bei knapp 3.000 insgesamt aus ganz Lateinamerika von 1979 bis 1998 kann man schon mal die Übersicht verlieren. Das werde ich jetzt abarbeiten….

Una Chica

chica venezuela

Mädchen aus Quibor oder El Tocuyo, Venezuela 1998.

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