Die braune Vergangenheit des Bundesnachrichtendienstes und was wir warum nicht darüber erfahren werden [Update]

„Ein Journalist klagt, weil der Bundesnachrichtendienst (BND) die Frage, wie viele frühere BND-Mitarbeiter eine Nazi-Vergangenheit hatten, nicht beantwortete. Der BND argumentiert nun, die Antwort verlange zu viel Aufwand,“ berichten Spiegel online, Sueddeutsche.de, Welt online, Zeit online und andere – ein schöner Anlass nachzuprüfen, welche Artikel mit welchen Links am informativsten sind und um was es eigentlich geht.

Spiegel online verlinkt nur sich selbst und verzichtet auf eigene Recherche. Das ist einfach grottenschlecht und verhöhnt die Leser. Sueddeutsche.de zum Beispiel ist ehrlicher und verlinkt die eigentliche Quelle, den Berliner Tagesspiegel, der schon am 26. Januar berichtet hatte. Dort steht: „Der BND hatte die Anfrage schleifen lassen und verteidigt sich nun damit, die Antwort verlange zu viel Aufwand. Zur Aufarbeitung der Vergangenheit sei eine Historikerkommission beauftragt.“ Der Tagesspiegel ist die einzige Zeitung, die die Argumente des BND näher erläutert und – wie auch Welt online – den Namen des Anwalts (Christoph Partsch) des Journalisten nennt.

Die Süddeutsche und Zeit online sind beim Inhalt viel besser und erklären und verlinken die Details verständlich: Das Gericht „ließ über seinen Sprecher verlauten, dass es gegen den föderalen Aufbau der Bundesrepublik verstoßen könne, wenn Bundesbehörden gezwungen wären, Landesgesetze zu vollziehen. Was exakt der Auffassung des VBI entspricht.“ (Der Satzbau ist eindeutig Deutsch des Grauens, Süddeutsche! Entweder ist das ein Relativsatz oder es fehlt das Verb. Was zu beweisen war.) Welt online ist das einzige Medium, das die Hintergründe der Recherche ausführlich darlegt:
NS-Verbrecher Adolf Eichmann, der 1960 von israelischen Agenten in Argentinien gefasst wurde, hätte nach offenbar schon viel früher verhaftet werden können. Seit 1952 wusste der BND, der damals noch Organisation Gehlen hieß, wo sich Eichmann versteckte. (…) Die BND-Akte über Eichmann umfasst mehrere tausend mikroverfilmter Seiten. Die Originale wurden fast alle vernichtet.

Der Artikel von Welt online ist vom November 2011! So lange köchelt das Thema schon vor sich hin und wird immer wieder aufgewärmt. Der Tagesspiegel hat darauf hingewiesen, dass der Vertreter des „Bundesinteresses“ sich auf einen Aufsatz des Rechtswissenschaftlers Jan Hecker aus dem Jahr 2006 beruft. Hecker ist jetzt Richter am Bundesverwaltungsgericht und war früher beim Innenministerium. (Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.) Eine Stellungnahme des Rechtsanwalts Michael Rohe (in der Quelle nicht verlinkt, was dämlich ist, weil es mehrere davon gibt) erläutert dieses Gutachten.
… geht der Autor auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG, Urt. v. 16.01.1968, Az.: I A 1.67) ein. Danach müssten Bundesbehörden im Rahmen ihrer Tätigkeit das jeweilige Landesrecht beachten. (…) Hecker bezweifelt schon die Übertragbarkeit der bundesverwaltungsgerichtlichen Judikatur auf den vom OVG entschiedenen Fall. (…) Des Weiteren geht der Verfasser auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Bindung von Bundesbehörden durch Landesrecht ein. Aus der Sperrwirkung der Art. 83 ff GG ergebe sich schon die Unzulässigkeit einer solchen Bindung.

Ich habe mir nach einer halben Stunde eigener Recherche jetzt eine Meinung gebildet.

Es geht um die formale Frage, ob Behörden des Bundes die Landespressegesetze beachten müssen. Die Frage ist berechtigt, weil Presserecht Landesrecht ist. Wenn nicht, dann können Journalisten von Bundesbehörden nur noch dem Informationsfreiheitsgesetz Auskünfte einfordern, und das ist in Deutschland ein Papiertiger, wie der Tagesspiegel richtig schreibt: „das Gesetz enthält viele Ausnahmen, auch für den BND; Eilverfahren, wie sie bei Recherchen zu aktuellen Themen nötig werden, etwa im Steinbrück-Fall, gehören hier noch nicht zur anerkannten Praxis der Gerichte. Ohnehin ist die Rechtsprechung bisher dürftig. Mitunter gilt es in den Ministerien, etwa im Justizministerium, auch als Affront, wenn Journalisten neben Anfragen auch noch IFG-Anträge stellen.“

Der „Skandal“ ist also nicht das, wovor Bsirkse „warnt“. Das ist nur heiße Luft und eine als „Journalismus“ getarnte Pressemeldung der Gewerkschaft ver.di, die kritiklos (wie viele unabhängige Quellen waren es noch gleich?) von Spiegel online und einigen anderen Medien übernommen wurde. Meine These, dass man nie etwas publisieren sollte, wenn irgendjemand (der Vefassungschutz, Lichterkettenträger, der Zentralrat der Juden oder Muslime, die Kirchen) vor etwas „warnt“, wird wieder einmal bestätigt.

Der Skandal ist, dass das Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG) das Papier nicht wert ist, auf dem es gedruckt wurde. Man muss den „Vertretern des Bundesinteresses“ eher dankbar sein, dass die – vermutlich eher unfreiwillig und aus niedrigen Motiven – das klar gemacht haben. Ich gehe auch davon aus, dass das Bundesverwaltungsgericht deren Argumentation folgt.

Bsirske hat gar nichts kapiert. Es geht nicht darum, wie Zeit online heute suggeriert, ob „die Pressefreiheit eingeschränkt“ wird.

[Update] Ich hatte mit meiner Prognose recht: (http://www.lawblog.de/index.php/archives/2013/02/20/pressegesetze-der-lnder-gelten-nicht-fr-den-bund/) „Die Landespressegesetze sind keine Grundlage, auf der Journalisten Auskunft von Bundesbehörden verlangen können. Das hat das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden.“

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Kommentare

9 Kommentare zu “Die braune Vergangenheit des Bundesnachrichtendienstes und was wir warum nicht darüber erfahren werden [Update]”

  1. Thomas am Februar 17th, 2013 1:05 pm

    Einmal die ersten beiden Absätze korrekturlesen bitte. Ansonsten: ja!

  2. Maxim am Februar 17th, 2013 3:57 pm

    Auch wenn es Landesrecht ist, wurden diese Gesetze auch auf Bundeseben angewand, wie ich las (ich vergaß wo). Wurde so bei den üblichen verdächtigen SZ.de oder Zeit gewesen sein. SPon trau ich das nicht zu. Les ich nurnoch selten.

    Zusatzfrage: Besteht der Unterschied zwischen blö…eh bild.de und spiegel.de nur daraus, dass beim Letzteren mehr Text steht?

  3. unerster am Februar 17th, 2013 4:17 pm

    Er hat die falsche Frage gestellt. Richtig wäre wer der vorzeige Mann gewesen war ohne NSDAP Vergangenheit.

    Gehlen hat von Anfang an weiter geschaut und an ein leben danach gesorgt. Er wollte, durch die USA geschützt, überleben und mir ist es unvorstellbar das jemand ohne NSDAP Abzeichen dort einen Platz fand. Kannte Gehlen überhaupt Leute ohne NSDAP Vergangenheit?

    Im IFG §3 steht:
    wenn das Bekanntwerden der Information die öffentliche Sicherheit gefährden kann

    Also das der BND von Nazis gegründet wurde fällt doch darunter. Wurde im Außenmisterium nicht gerade ein Orden umbenannt? Internationale Verwicklungen sind da nicht ausgeschlossen, §3 IFG.

    Wenn das deutsch sprechende Volk immer wieder Nazi hört muss es doch zu Unruhen führen. Dazu gehören auch die grauen Wölfe und der Ku-Klux-Klan.
    Beide Organisationen sind in Deutschland aktiv.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Graue_W%C3%B6lfe
    http://de.wikipedia.org/wiki/Ku-Klux-Klan

    Beide stehen unter Beobachtung, von den BND auch oder nur vom Verfassungsschutz. Die tägliche Zeitungsschau vom VS bringt eben nicht viel. Gysi ist ja auch noch da.
    Wo ist denn nur die eigentliche Krise? Sieht es nicht so aus als wenn alles eine Krise ist?

  4. unschland am Februar 17th, 2013 4:47 pm

    Deutsch des Grauens?
    Ich steh auf dem Schlauch:
    Wenn Bundesbehörden gezwungen wären, Landesgesetze zu vollziehen, könne dies gegen den föderalen Aufbau der BRD verstoßen [Punkt], ließ das Gericht über seinen Sprecher verlauten, was…

    Was entgeht mir, also welches Verb sollte man in meine oder die Konstruktion der Süddeutschen reinbasteln?

  5. admin am Februar 17th, 2013 7:29 pm

    „Was exakt der Auffassung des VBI entspricht“ ist kein Satz.

  6. unschland am Februar 18th, 2013 2:41 am

    Jo, Danke! (Meine Schlauchenge war, Konditional- mit Relativsatz zu verwechseln.)

  7. ... der Trittbrettschreiber am Februar 18th, 2013 8:12 pm

    „Es geht um die formale Frage, ob Behörden des Bundes die Landespressegesetze beachten müssen.“

    § 12 Bundesbeauftragter für die Informationsfreiheit. (1) Jeder kann den Bundesbeauftragten für die Informationsfreiheit anrufen, wenn er sein Recht auf Informationszugang nach diesem Gesetz als verletzt ansieht.

    +49 (0)228-997799-0

    Peter Schaar wurde 1954 in Berlin geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
    Der Deutsche Bundestag wählte Peter Schaar auf Vorschlag der Bundesregierung am 17. Dezember 2003 zum Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Mit Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes am 1. Januar 2006 wurde sein Amt ergänzt zum Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. In diesem Amt wurde er am 26. November 2008 vom Deutschen Bundestag für weitere fünf Jahre bestätigt.

    Der diplomierte Volkswirt Schaar arbeitete zunächst in verschiedenen Verwendungen im Verwaltungsdienst der Freien und Hansestadt Hamburg bevor er 1986 die Leitung eines Referats beim Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz übernahm. Bis 2002 bekleidete er dort das Amt des stellvertretenden Dienststellenleiters und engagierte sich zuletzt als Mitglied der Begleitkommission zur Modernisierung des Datenschutzrechts. Am 1. November 2002 wechselte er in die Privatwirtschaft und gründete ein Datenschutzberatungsunternehmen, das er bis Oktober 2003 als Geschäftsführer leitete.

    Für sein Buch Das Ende der Privatsphäre erhielt Schaar 2008 den Preis der Friedrich-Ebert-Stiftung Das politische Buch. Zudem unterrichtet er als Lehrbeauftragter an der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften der Universität Hamburg und engagiert sich in der Humanistischen Union.

  8. Jens am Februar 19th, 2013 10:28 am

    „Es geht um die formale Frage, ob Behörden des Bundes die Landespressegesetze beachten müssen. Die Frage ist berechtigt, weil Presserecht Landesrecht ist. Wenn nicht, dann können Journalisten von Bundesbehörden nur noch dem Informationsfreiheitsgesetz Auskünfte einfordern“

    Oder nach Art. 5 I 2 GG. Ein Rechtsweg dafür muss existieren, Art. 19 IV GG.

  9. René Martens am Februar 20th, 2013 1:45 pm

    In der in dem verlinkten Welt-Online-Artikel von 2011 erwähnten Klage geht es um die Eichmann-Akten des BND, in die der Journalist Saure und sein Anwalt Partsch Einsicht fordern. Das ist ein anderer (immer noch nicht entschiedener) Fall mit einer anderen Rechtsgrundlage (Bundesarchivgesetz). Natürlich gehören dieser und der aktuelle in einen Kontext, aber es sind halt zwei Fälle.

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