Polizeiliche „Ingewahrsamnahme“

Pressemeldung des Bundesverfassungsgerichts: „Zur polizeilichen Ingewahrsamnahme eines Beschuldigten zwecks Feststellung seiner Identität und Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen“

In deutscher Sprache hieße die Überschrift: Wie lange darf die Polizei jemanden vorläufig festnehmen, um herauszufinden, wer diese Person ist?

„Die Beschwerdeführer betraten zusammen mit einer Gruppe von etwa 100 Personen aus dem Umfeld der sogenannten Bauwagenszene ohne Erlaubnis ein Grundstück, um das Gelände als neuen Wohnsitz und Abstellort für mehrere mitgeführte Bauwagen zu nutzen. Nachdem gegen sie seitens der Grundstückseigentümerin Strafantrag gestellt worden war, stellte die Polizei vor Ort die Identität der noch anwesenden Personen fest, umstellte die Gruppe und teilte ihnen mit, dass sie wegen Verdachts des Hausfriedensbruchs vorläufig festgenommen seien. Sowohl vor als auch während der anschließenden polizeilichen Räumung des Platzes wiesen die Beschwerdeführer sich unter Vorlage von gültigen Ausweispapieren aus. Sie wurden sodann zunächst auf die Polizeiwache und später auf das Polizeipräsidium gebracht, wo sie jeweils in einer Zelle eingeschlossen waren. Zur erkennungsdienstlichen Behandlung, die in der Anfertigung von zwei bzw. drei Lichtbildern bestand, befanden sie sich mehr als fünf bzw. mehr als acht Stunden im Polizeigewahrsam.

Die Anträge der Beschwerdeführer auf gerichtliche Feststellung, dass Grund, Dauer und Durchführung der Freiheitsentziehung rechtswidrig waren, hatten im Berufungsverfahren vor dem Landgericht bzw. bereits vor dem Amtsgericht keinen Erfolg. (…)Für eine eindeutige Beweisführung sei es erforderlich gewesen, das tatsächliche damalige Aussehen der Beschwerdeführer zu dokumentieren. Die Dauer der Ingewahrsamnahme sei der Vielzahl der zu erfassenden Personen geschuldet. Eine Freiheitsentziehung sei darin nicht zu sehen.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die fachgerichtlichen Beschlüsse, soweit sie die Maßnahmen der Polizeibehörden auch nach Vorlage und Überprüfung der Ausweispapiere für rechtmäßig erklären, die Beschwerdeführer insbesondere in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzen. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht die angegriffenen Beschlüsse aufgehoben und die Sachen zur erneuten Entscheidung an das Landgericht bzw. Amtsgericht zurückverwiesen.“

„Ingewahrsamnahme“ kommt ins Horrorkabinett direkt neben „friedenserzwingende Maßnahme“, „Durchführungsverordnung“, „Abmahnung“, „andenken“, „Präzisionsluftschlag“, „Nichtanwendungserlass für das Zugangserschwerungsgesetz“, „Sicherungsverwahrung“ und „Ausländerfeindlichkeit“.

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Kommentare

9 Kommentare zu “Polizeiliche „Ingewahrsamnahme“”

  1. der Trittbrettschreiber am April 6th, 2011 12:59 pm

    Gäbe es denn einen adäquaten Ersatz?
    Hinweis: Die polzeilichrechtliche Ingewahrsamnahme ist keine strafprozessrechtliche Festnahme[obwohl da auch kein Fest genommen wird;-)]
    Also, wie hättenses denn gern – in deutscher Sprache wohlgemerkt?

  2. admin am April 6th, 2011 1:04 pm

    Frage: Wie hieße den den Tu-Wowrt (Verb) für das, was die Polizisten tun? Ingewahrsamnehmen??

  3. der Trittbrettschreiber am April 6th, 2011 3:05 pm

    … in Gewahrsam nehmen, Ingewahrsamnehmen ist ein Substantiv.

  4. admin am April 6th, 2011 4:19 pm

    „Nehmen“ ist für mich hier nur ein Hilfsverb, das gilt nicht.

  5. der Trittbrettschreiber am April 6th, 2011 6:17 pm

    …die semantische wie auch grammatische Objekt-Bindung dieses Verbs (auch ein Hilfsverb ist noch ein Verb) an sein Kontextwort, hier der Gewahrsam, macht es zu einem Funktionsverb mit terminativer Aktionsart, denn es kennzeichnet einen bestimmten Verlaufszeitraum. Es könnte auch gegen ein anderes, dann aber ein inchoratives Verb, wie „geben“ ersetzt werden, denn dieses kennzeichnet den Anfang eines Vorganges. Unangenehm ist es allemal: Zum Einen als Geräusch (Handschellen klicken ähnlich wie eine Mouse), zum Anderen als geschriebenes Wort (nach dem Schielen kommt meistens der Wahnsinn) und zum Letzten als Event (ich würde ein Konzert von Alla Pugatschowa vorziehen)
    http://www.google.de/search?q=alla+pugatschowa&hl=de&client=firefox-a&hs=jvq&sa=X&rls=org.mozilla:de:official&channel=s&prmd=ivns&tbm=isch&tbo=u&source=univ&ei=upGcTbG5AYeXOtmv1OsG&ved=0CCcQsAQ

  6. admin am April 6th, 2011 9:21 pm

    es ist trotzdem ein bescheidenes Bürokratendeutsch…

  7. Granado am April 6th, 2011 11:46 pm

    „Nehmen“ ein Hilfsverb? Naja.
    „Andenken“ ist DDR-Sprache: Null-Nummern des Denkens, ehe der vorgesetzte Funktionär gesprochen/entschieden hat. Erinnert sich jemand, mit wieviel Null-Nummern die Taz begonnen hat?
    Interessant: „Abführen“ (West – apagogê/deductio) bzw. „Zuführen“ (Ost – inductio) zeigt die Gewaltsamkeit der Logik, s. Lewis Carroll: Was die Schildkröte Achilles erzählte – er: „dann wird dich die Logik an der Gurgel packen“.

  8. Granado am April 7th, 2011 3:07 pm

    @Trittbrettschreiber
    „Inchorativ“? Meinst du „inchoativ“? Soviel Zeit muss sein!

  9. der Trittbrettschreiber am April 8th, 2011 8:54 am

    !– Korrekt, ganz klar ein Schreibfehler.

    „Schreibfehler sind die Folge von extramuskulären Interferenzen.“, sagt mein persönlicher Online-Masseur. Aber das bekämen wir wieder web.

    Aaah…Autsch…verflixt…ächz, Straße muss sein.

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