Was macht eigentlich die Arbeiterklasse?

working class

Gibt es Quellen, diese Frage zu beantworten? Ich habe ein paar zusammengesucht, zum Beispiel: Entwicklungstendenzen der Sozialstruktur der BRD 1996-2019 (III) – Abhängig Erwerbstätige nach Beschäftigungsverhältnissen und Qualifikation. Es wäre doch sinnvoll und nützlich, wenn es etwas wie Friedrich Engels‘ Die Lage der arbeitenden Klasse in England (1845) auch heute und periodisch gäbe? Nein, gibt es nicht. Allein schon das Wort „Klasse“ ist in deutschen Medien nicht vorhanden, nur in der Literatur.

Wer oder was ist die „Arbeiterklasse“ in Kategorien der Statistik bürgerlichen Sozialwissenschaften? Lohnabhängige oder „abhängig Beschäftigte“: „ganz unterschiedliche Sozialcharaktere“, „deren Gemeinsamkeit in der arbeitsrechtlichen Stellung als weisungsgebundene Lohn- oder Gehaltsempfänger (Arbeiter, Angestellte, Beamte) besteht.“ Aha. Also die objektive Zugehörigkeit zu einer Klasse, mitnichten aber die subjektive (weil Beamte zum Beispiel naturgemäß weit von sich weisen würden, dass sie Arbeiter seien). „Abhängig Beschäftigte“ sind aber auch Manager des Großkapitals – die Kategorie ist also nichtssagend.

working class

1. Das „normale“ Arbeitsverhältnis* erodiert. Das ist natürlich im Interesse der Kapitalisten. Die wollen am liebsten hire an fire praktizieren, um das variable Kapital zu optimieren. Der Endpunkt wäre ein Roboter, der keinen Urlaub und keine Regeneration braucht, nicht streikt,selten krank wird und notfalls 24 Stunden am Tag rackert und auch keinen Lohn will. Der Mensch stört nur die Profitmaximierung.

An Teilzeitarbeit wäre nichts auszusetzen, wenn der Lohn reichte. Tut er aber nicht, nur bei hochqualifizierten Berufen. In den letzten 25 Jahren ging die unbefristete Vollzeit von vier Fünfteln aller „abhängigen“ Jobs auf zwei Drittel zurück, Teilzeitarbeit wuchs von fünf auf zwölf Prozent; andere „atypische“ Beschäftigungen von 17% auf 22%. Interessant: Teilzeitarbeit ist eher selten umgewandelte Vollzeit, sondern resultiert aus einem neuen Sektor deregulierter Arbeit (bestes Beispiel: Lieferservices wie Lieferando o.ä.). Ein Drittel aller „Neueinsteiger“ und fast zwei Drittel derjenigen, die nach Arbeitslosigkeit oder Familienphase in die Lohnarbeit zurückkehrten, mussten schon 1985 „atypische“ Beschäftigung akzeptieren.Industrielle Reservearmee“ mal ganz anders! Wie nicht anders zu erwarten, sind Frauen in weitaus höherem Maße von „atypischen“ Jobs betroffen.

2. Arbeit wird gleichzeitig teurer und billiger.

Der geschichtlichen Tendenz der kapitalistischen Akkumulation und Produktivkraftentwicklung ist der Widerspruch von wachsendem Bedarf an qualifizierter Arbeitskraft bei gleichzeitig immer gegebenem Druck zur Entwertung der Arbeitskraft durch Arbeitsteilung, Abspaltung unqualifizierter Tätigkeitsinhalte und Dequalifikation eingeschrieben: qualifizierte Arbeitskraft ist teurer als unqualifizierte.

Auf Deutsch heißt das: Das Kapital muss das variabel Kapital um des Profits eigentlich billiger machen, also die Arbeiter unqualifizierter. Gleichzeitig braucht es aber mehr qualifizierte Lohnabhängige. Das wird einem ganz anschaulich zur Zeit in Deutschland vorgeführt: Alle Branchen suchen händeringend Arbeiter und Lehrlinge, gleichzeitig sind rund 2,3 Millionen Menschen arbeitslos.

Der Trend besteht aber aus mehreren, zum Teil gegenläufigen Variablen: Die einfache Arbeit (für die man keine besondere Ausbildung braucht, wie etwa in der Sicherheitsbranche) geht leicht zurück. Auch die klassischen Arbeitsverhältnisse samt vorangegangener Lehre sind fast konstant. In Gegensatz dazu nimmt die Zahl der abhängig Beschäftigten mit akademischer Ausbildung stark zu. Die Arbeiter der Stirn werden also „proletarisiert“ oder in Verhältnisse gezwungen, die oft schlechter und unsicherer sind als die der klassischen Facharbeiter.

Wer also gut ausgebildet ist, egal in was (nur nicht „was mit Medien“), findet einen Job, aber nicht unbedingt dort, wo es geplant war. (Ich selbst bin auch ein Beispiel.)

Zusammengefasst: Dem relativen Anteilsverlust der Unqualifizierten bei den Beschäftigten entspricht ihr wachsender Anteil an den Arbeitslosen. Mit dem überproportional starken Zuwachs der akademisch qualifizierten Lohnabhängigen steigt trotz des geringen Arbeitslosigkeitsrisikos ihr Anteil an den Arbeitslosen. Die Gruppe der Beschäftigten mit Ausbildung im dualen System oder Fachschulabschluss wächst zwischen 1996 und 2019 absolut, ihr Anteil an den Arbeitslosen geht deutlich zurück.

Das ist interessant: Die Produktion roboterisiert sind und knabbert sowohl am unteren als auch am oberen Segment der Jobs etwas weg: Einfache Arbeit (vgl. Tylorismus) kann langfristig oft schon durch Roboter ersetzt werde, sogar im Dienstleistungssektor und in der Lagerhaltung, und bei der Verpackung ohnehin. Komplizierte und spezielle Arbeiten, für die gut ausgebildete Arbeiter in der Produktion nötig sind, können langfristig durch Roboter billiger werden, wie oben erwähnt: Roboter treten (noch nicht) einer Gewerkschaft bei und zicken nur selten rum.

Auf dem Weg zum Kommunismus Die Ware Arbeitskraft wird also gleichzeitig teurer und preiswerter – eine Tendenz, die Marx schon vor längerer Zeit exakt beschrieben hat. Man könnte auch sagen: Der Kapitalismus, die revolutionärste Gesellschaftsform, die die Welt je sah, hat noch einige Karten im Ärmel, die bei Bedarf ausgespielt werden.

By the way: China führt auch hier. Allerdings ist dort das Proletariat klassenbewusster als hier.

working class

* Bosch definierte das Normalarbeitsverhältnis 1986 als „stabile, sozial abgesicherte, abhängige Vollzeitbeschäftigung, deren Rahmenbedingungen (Arbeitszeit, Löhne Transferleistungen) kollektivvertraglich oder arbeitsbzw. sozialrechtlich auf einem Mindestniveau geregelt sind.“ Ders., Hat das Normalarbeitsverhältnis eine Zukunft? In: WSI-Mitteilungen 1986, H. 3, S. 163176, hier: S. 165. Vgl. auch ders., Das Normalarbeitsverhältnis in der Informationsgesellschaft, in: Jahrbuch des Instituts Arbeit und Technik 2002/2003, Gelsenkirchen 2003, S. 11-24.

image_pdfimage_print

Kommentare

7 Kommentare zu “Was macht eigentlich die Arbeiterklasse?”

  1. Wolf-Dieter Busch am Juli 13th, 2022 2:47 pm

    Die „Arbeiterklasse“ ist – völlig anders als in DDR selig dargestellt – nicht eine Gruppe vom Kerlchen erkennbar an Hammer und Säge, sondern Kategorie einer analytischen Gesellschaftstheorie. Diese Theorie analysiert die Gesellschaft anhand des Widerspruchs von Arbeit und Kapital; die „Arbeiterklasse“ repräsentiert Arbeit und „Kapitalisten“ Kapital.

    Was tun zwei Kategorien? Existieren, kategorisch. Mehr nicht.

  2. ... der Trittbrettschreiber am Juli 13th, 2022 3:12 pm

    Der letzte Politiker dieses Landes, der das Wort den Begriff „Klasse“ noch authentisch gemeint hat, war Helmut Schmidt in einem seiner Interviews mit Frau Maischberger.
    Seitdem hat nichts mehr Klasse.
    Journalist kan sich auch nennen, wer nicht alle Klassen durchlaufen hat. Deshalb wird dieses Wort ganz einfach professionell verdrängt.
    Die Arbeiterklasse ist aus den Produktionsverhältnissen längst wegverbalisiert worden bis hin zu der Illusion, sich nicht mehr in dümmlicher Heimarbeit verdinglichen zu müssen, wie noch in den 60ern sondern wie jemand, der es geschafft hat und nun wie sein während der Arbeitszeit golfen gehender Chef den Luxus genießen kann, fern der Maloche zuhause im Homeofficce relaxed tätig zu sein. Ich habe diesen gallopierenden Verblödungsprozess von Anfang an beaobachtet, nach anfänglichen Insistenzen aber aufgegeben, ihn in Frage zu stellen. Es ist der gleiche Mechanismus am Werk, der notgeilen Männern im Finanzamtspaternoster die Augen aus dem Kopf treibt, wenn eine endlich mal unbemerkt Pause machende Putzfrau mit Diamantcollier aus Düsseldorf zusteigt und sich mit Kölnisch Wasser Tüchsken schnell die Achseln säubert. Es sind die Hormoooone, Erna. Vattern braucht diese Selbstverarschung – dafür hat er ja jetzt auch sein E-Bike, auf dem er Hannah Arendt in korrigierten Gendertexten lesen kann und zum Grün wählen fahren kann.
    Kann irgenJEMAND das alles ohne Suff ertragen????

  3. nh am Juli 13th, 2022 4:16 pm

    Wenn geistige selbsternannte Sozialökonomen von Beschäftigungsverhältnissen schwafeln, deren Tiefe sie nocht einmal zuoberst verstanden haben :
    Erst das Fressen dann die Moral.Der Herr Marx war ein übelster Schnorrer, was heutzutage HIV-Schwarzarbeiter ausmacht.
    Wo wir gerade dabei sind, Herr Burks.
    Was ist denn mit den 1,5 bis dato 3,xx Mio Goldstücken, die uns als Fachkräfte unterstützen sollten ?
    Aber meckern auf hohem Niveau. Da schau ich mir lieber Emilia Fester auf Dutube an.
    Die ist dermassen hohl, die schwimmt in Milch.
    Hier ist beschäftigungsmässig schon längst der Ami-Standart gang und Gäbe.
    Hat nur keiner mitbekommen.
    Die Regierung und die paar Gewerkschaften wurden schon vor 15-20 Jahren auf Kurs gebracht.
    Links-grün, genderhappy und tralala zum Wohlfühlen.
    Energiekrise ? Warm anziehen !!!
    Dafür wurde ein Sozi plattgemacht(Sarrazin).
    Aber wenn der grüne Guru es uns nahelegt, muss ja was dran sein, Hauptsache das Gewissen ist mit den Bienen.
    Dekadenz und Vollverblödung, wohin man schaut.
    Ich prophezeie :
    Es wird sehr sehr bitter.
    Und die Beteiligten können melden : Mission accomplished.
    Nur dass nicht alle Follower dieser Sekte Fluchtmöglichkeiten haben das wird eine Show.
    „Robääärt nimm mich mit, ich hab doch grün gewählt
    und gegendert bis ins Rektum !!!“
    Malu Dreyer : AHAHAHAHAHA
    Scholz: — GRINS
    Der Rest des sogenannten gewählten Plenars :
    HAUPTSACHE CASH IN DE TÄSCH.
    Wer hinter der ganzen Malaise steckt kann sich jeder selbst ausmalen.
    In meinem Leben habe ich noch nie solch eine menschliche Trümmertruppe erlebt, die meint die Fresse aufreissen zu müssen und auch gewählt wird
    UND DAS TUT WEH. Ich denke da Berlin-mässig an professionelle Wahlmanipulation.
    Anders ist das alles nicht zu erklären.

  4. Bartleby am Juli 13th, 2022 4:36 pm

    Die Arbeiterklasse wurde mit Diversity abgespeist. Immerhin ist es im Hamsterrad jetzt schön bunt!

  5. Godwin am Juli 13th, 2022 7:43 pm

    „Der Kapitalismus, die revolutionärste Gesellschaftsform, die die Welt je sah, hat noch einige Karten im Ärmel, die bei Bedarf ausgespielt werden.“

    sag ich doch die ganze Zeit

    WD Busch hat zudem recht – rein analytische Kategorien sind natürlich nicht in der Lage zu kämpfen.
    Der intelektuelle Wunsch nach einer Klasse für sich hatte im 19. Jahrhundert vielleicht noche eine reale Basis. Aber dann die wurde an die Wände gestellt.

    „Der Endpunkt wäre ein Roboter, der keinen Urlaub und keine Regeneration braucht, nicht streikt,selten krank wird und notfalls 24 Stunden am Tag rackert und auch keinen Lohn will. Der Mensch stört nur die Profitmaximierung.“

    Der Endpunkt wäre dann aber auch das Ende des Kapitalismus. Was käme danach?

  6. . der Trittbrettschreiber am Juli 14th, 2022 4:21 am

    @Godwin

    „Was käme danach?“

    [bitte selbst bestellen] für alle!!

  7. gottfried24 am Juli 14th, 2022 2:46 pm

    Hallo Schröder, zuerst die ganz schlechte Nachricht. Berlin hat eine neue Verdunklungsverordnung. Das Brandenburger Tor wird nachts nicht mehr beleuchtet. Laufen Sie bitte bei Ihren nächtlichen Gehversuchen nicht versehentlich gegen eine der Säulen.

    Jetzt zu anderen Nachrichten:

    Villeroy & Boch schließt sein Stammwerk im saarländischen Mettlach zum Jahresende und wird die gesamte Produktion in die Türkei verlagern.

    Der größte deutsche Aluminiumhersteller Trimet mußte bereits im Herbst 2021 die Produktion im Essener Werk um 50 Prozent herunterfahren und im Hamburger Werk um 75 Prozent. Ohne die Produktionsdrosselung könnte Trimet die Stromkosten nicht mehr begleichen.

    Ford kaputt!

    Stahlindustrie kaputt!

    Keramikindustrie kaputt!

    Kostal Automotive schließt alle deutschen Werke bis Ende 2024. Es kann nicht mehr wirtschaftlich produziert werden. Verlagerung wahrscheinlich nach Ungarn schreibt die Automobilwoche.

    Folgende Autozulieferer schließen ebenfalls ihre Stammwerke in Deutschland:

    Mann und Hummel, Filterwerk
    Ebenspächter, Standheizung, Auspuffanlagen
    Webasto u.a. Standheizungen

    Die Deindustrialisierung – nicht nur im Saarland läuft auf Hochtouren.

    Berichten die vom Free-TV darüber? Nein.

    … und jetzt singen wir gemeinsam:

    Ich hab‘ ’nen Puff und meine Puffmama heißt Layla
    Sie ist schöner, jünger, geiler
    La-la-la-la-la-la-la-Layla
    La-la-la-la
    Die wunderschöne Layla
    Sie ist schöner, jünger, geiler
    La-la-la-la, die wunderschöne Layla
    La-la-la-la-la-la-la-Layla
    La-la-la-la, la-la-la-la-la-la

    Er hat ’nen Puff und seine Puffmama heißt Layla
    Sie ist schöner, jünger, geiler
    La-la-la-la-la-la-la-Layla
    La-la-la-la
    Wir brauchen Fachkräfte das is ’ne große
    Lü-Lü-Lü-Lü-Lü-Lüüüüüüüge

    Ein Motoradfahrer hat in Bayern sein Nummernschild mit einem Aufkleber Söder muss weg! überklebt. Die Polizei konnte den trotz Verfolgungsjagd nicht stellen. Mein Respekt!

Schreibe einen Kommentar