Tomyris die Barbarin

Tomyris

Irgendein Algorithmus spülte mir den kasachischen (!) Film Tomiris in meine Amazon-Prime-Timeline. Man weiß nach fünf Minuten beim gelangweilten Zappen, worum es sich handelt. Hier also auf den ersten Blick: Conan die Barbarin, mit besseren Kostümen. (Mongolisch? Hunnisch? Dschingiskhanisch? Kasachisch?) Auch der zu vermutende Plot ließ meinen Finger schon über der Aus-Taste schweben. Vater eines Mädchen wird ermordet. Tochter wird laracroftmäßig Kämpferin (nein, Mönche spielen nicht mit). Die Pöhsen werden massakriert. Heute, dem Mainstream gehorsam folgend, noch schön divers und pseudofeministisch aufgehübscht.

Ich habe mir das Werk dann doch bis zum Schluss angetan. Ein Hinweis zu Beginn ließ mich stutzen: Die Geschichte stammt von Herodot? Ist also keine Fantasy? Fünftes Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung niedergeschrieben – die Herrscherin eines Reitervolkes aus der südrussischen Steppe killt den Perserkönig Kyros II.? Ist das wirklich wahr? Also habe ich mir die Historien auch sofort besorgt. Die nicht zu kennen war ohnehin eine klaffende Bildungslücke.

Es war nun, nachdem ihr Mann gestorben war, seine Frau Königin der Massageten; Tomyris war ihr Name. Zu ihr schickte Kyros und hielt um ihre Hand an, indem er vorgab, die zur Frau haben zu wollen. Tomyros aber begriff, dass er nicht um sie, sondern um die Herrschaft über die Massageten warb, und lehnte seinen Besuch ab.

HistorienHerodot

Iranisches Reitervolk? In meiner Ausgabe schildert Herodot die Region, um die es hier geht. Von diesem Volk aber wird berichtet, dass es sowohl groß als auch wehrhaft ist und gegen Osten und zum Aufgang der Sonne hin wohnt, jenseits des Flusses Araxes gegenüber den Issedonen. Es gibt jedoch Leute, die behaupten, dass dieses Volk auch ein skythisches ist.

Die Namen klingen exotisch und geheimnisvoll – der längste Nebenfluss der Kura. Kaukasus! Wieso sagt mir das alles nichts? Das hätten mir meine Geschichtslehrer vermitteln können, sind doch die Großregionen der Antike nicht so kompliziert zu verstehen: Östlich des Römischen Reiches lag das Sassanidenreich, mit dem die Römer irgendwie immer im Krieg waren wie mit ihren Vorläufern, den Parthern. Ich finde es faszinierend, dass die römischen Legionen am Euphrat standen! Jenseits der Perser kommt dann Indien; nur Alexander der Große schaffte es bis dahin. Und danach liegt „rechts“ davon China, das aber mit Zentraleuropa vermutlich mehr über die nördlicher gelegene Seidenstrasse handelte. So könnte man das Schülern schnell begreiflich machen – das schon damals alles mit allem zusammenhing und – trotz der unendlichen Weiten – Gelehrten wie Herodot bekannt war. Herodot schildert nicht unbedingt validierte Fakten, aber für einen Geschichtsschreiber, der vor zweieinhalbtausend Jahren lebte, ist er großartig informiert und war in Geographie vermutlich besser als die meisten heutigen Bundestagsabgeordneten.

massageten

Ich sehe mich als Jungen über ein dickes Abenteuerbuch gebeugt, dessen Titel ich leider vergessen habe, versunken in Erzählungen von fernen Ländern, die auch auf einem anderen Planeten oder in Mittelerde hätten liegen können. Da war vom Khaiber-Pass die Rede, und ich schwor mir, dass ich den aufsuchen würde, wenn ich erwachsen wäre, wie schon der legendäre Alexander. Den Plan hätte ich noch verwirklichen können, als ich stattdessen nach Südamerika reiste. Heute wäre es mir nicht mehr möglich aus vielen Gründen – ich kann immerhin drüberzoomen. Nur-Sultan wäre vielleicht eine fast so exotische Alternative. (Hat jemand Astana gesagt?)

Es geht also um einen bewaffneten Konflikt zwischen dem persischen Großreich und einem Stammesverbund von Reiternomadenvölkern der eurasischen Steppen, die vermutlich eher unter dem Begriff Skythen bekannt sind. Mehr als ein halbes Jahrtausend später tauchen diese Völker dann unter dem Namen Hunnen im Westen auf.

Tomyris

Der Film „Tomiris“ ist aus meiner Sicht natürlich eher ein Kinderfilm. Die Details sind oft albern. Aber man könnte Mädchen oder jungen Frauen damit zeigen, dass Frauen zu alle dem imstande sind, was auch Männer können. Die geringen körperlichen Unterschiede, was Ausdauer und Physis angehen, sind irrelevant. Das galt eben nicht nur für die Wikinger. (So verschweigt uns zum Beispiel die Populärkultur, dass es auch Frauen gab, die in Rom als Gladiator auftraten.) Mein Urteil fällt daher insgesamt – und für mich selbst überraschend – eher positiv aus.

Ich sah den Film im Original mit Untertiteln – die Darsteller sprechen eine alte Turksprache, was nicht unbedingt historisch korrekt sein muss und die sich so hart anhört wie Althochdeutsch; die Perser modernes Farsi. Über die Hauptdarstellerin Almyra Tursin gibt es kaum aussagekräftige Websites, was mich wundert. Positiv: Sie isst Fleisch. (Gibt es in Kasachstan Vegetarier?)

Tomyris

Da wurde der größte Teil des persischen Heeres dort im Land vernichtet, und auch Kyros selbst kam ums Leben, nachdem er insgesamt neunundzwanzig Jahre lang König gewesen war. Tomyris aber füllte einen Schlauch mit Menschenblut und suchte unter den toten Persern den Leichnam des Kyros; und als sie ihn gefunden hatte, steckte sie seinen Kopf in den Schlauch….

Nachtrag: Produzentin des Films ist Aliya Nazarbayeva, die Tochter des ehemaligen kasachischen Diktators Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Was von Tomyris als Warrior Queen zu halten ist, sollte besser Alice Schwarzer beantworten. „The novel was so successful that Tomyris remains a popular name for newborn girls in Kazakhstan.“

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Kommentare

7 Kommentare zu “Tomyris die Barbarin”

  1. ... der Trittbrettschreiber am Mai 23rd, 2021 2:04 pm

    Welchen Zweck hatte das Schlauchfüllen mit Blut und Kopf – hört sich fast nach einer Tuppersitzung light an. Hatten die denn damals schon Backöfen, die Widerlichen?

  2. flurdab am Mai 23rd, 2021 3:39 pm

    Um mal deinen Geschichtslehrer in Schutz zu nehmen, ihr hattet nur einen begrenzten Zeitrahmen.

  3. Thorsten Gorch am Mai 23rd, 2021 5:48 pm
  4. André Dreilich am Mai 25th, 2021 7:42 am

    Herodot ist immer eine empfehlenswerte Lektüre … Flüsse umleiten, Hanfsamen auf Saunasteine, … , und natürlich die Beschreibung des Botenlaufes von Athen nach Sparta im Vorfeld der Schlacht bei Marathon – die historische Quelle für den 246km langen Spartathlon, meinen Lieblingslauf in Griechenland.

  5. Rano64 am Mai 25th, 2021 10:42 am

    Interessant, was man so alles nicht weiß. Klar, von Skythen, Parthern und Sassaniden habe ich gehört und weiß auch ungefähr, welches Reich wo lag. Aber der Rest….völlig unbekannt.

  6. ... der Trittbrettschreiber am Mai 25th, 2021 11:06 am

    @Thorsten Gorch

    Eine spannende, ja absurde Rache, denn sie ist die Königin aller Egozentrismen. Ich bin kein erfahrener Rächer und solange mein JEVER Pegel hoch genug ist, soll das auch so bleiben; dennoch, rächte ich mich, so sollte der Berächte(?)x/d/w/m das auch wissen und wahrnehmen (z.B. ohne Erfrischungsgetränk im Keller meines Vertrauens siechen). Tomyris hingegen hat keinen Adressaten als sich selbst, denn die blutströpfelnde Birne des Kyros war ja mit der postmortalen Innenschau beschäftigt und ohne sonderliches Interesse (lat: inter esse = dazwischen sein, also teilhaben) an dem antiphallischen, ja uterinalen Ritus einer Rückgeburt sozusagen, nur eben mit dem Kopf dessen, der ihren Sohn in den Hades geschickt hatte. Ich jedoch brauche jetzt erstmal einen Wacholder, damit mein Hund wieder Vertrauen schöpft, das ihm während meiner Lektüre dieses Grauens abhandengekommen war. Mensch sein heißt auch ‚Durst haben’…

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