Das spontane Distanzierungs-Syndrom (SDS) oder: Soll der Besitz von Kinderpornografie straffrei bleiben?

Falkvinge

Rick Falkvinge, der Gründer der schwedischen Piratenpartei, hat einige Thesen formuliert, wie der Besitz von Kinderpornografie im nächsten Jahrzehnt juristisch gewürdigt werden sollte. Fazit: Um den sexuellen Missbrauch von Kindern besser zu bekämpfen, sollte der Besitz von Kinderpornografie nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.

This article argues that our current laws on the topic are counterproductive, because they protect child molesters instead of bringing them to justice, they criminalize a generation of normally-behaving teenagers which diverts valuable police resources from the criminals we should be going after, and they lead to censorship and electronic book burning as well as unacceptable collateral damage to innocent families. Child abuse as such is not condoned by anybody, and this article argues that current laws are counterproductive in preventing and prosecuting it.

Falkvinge schreibt zu Recht, dass es sich um ein „toxisches“ Thema handele. In Deutschland ist die öffentliche und mediale Hysterie gesetzt: Schaum vor dme Mund per default. Quod erat demonstrandum: Die deutschen Medien sind noch nicht einmal in der Lage, sein Anliegen korrekt wiederzuheben. (erfreulich unaufgeregte Ausnahme ist die Süddeutsche). Nur Udo Vetter hat sich aus juristischer Sicht nüchtern mit dem Thema auseinandergesetzt.

Ich stimme Udo Vetter in einigen Punkten nicht zu. Falkvinge hat jedoch in fast allen Punkten recht. Ich habe jedoch keine Lust, dieses schmierige Thema hier lang und breit abzuhandeln. Es ist auch unwichtig. wie Udo Vetter richtig sagt: Es gibt keinen relevanten Markt für Kinderpornografie, mit dem jemand Gewinne machen könnte, obwohl alle Hysteriker das immer behauptet haben.

Udo Vetter: „Dazu muss einleitend gesagt werden: Was gemeinhin als Kinderpornografie umschrieben wird, sollte auch dokumentierter Kindesmissbrauch genannt werden.“ Das ist korrekt. Man muss aber hinzufügen, dass die Definition dessen, was „Kind“ ist, nach deutscher Gesetzeslage in das subjektive Empfinden verlagert wird. Es gibt keine Normenklarheit.

Rechtsanwalt Dr. Helmut Graupner (Wien) schreibt auf pornoanwalt.de dazu:
Eine neue EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Kinderpornografie sieht nicht nur Internetsperren vor, sondern verpflichtet die 27 Mitgliedstaaten auch zur Kriminalisierung von Erotika mit Erwachsenen. Verboten wird nicht nur Pornografie, sondern jede Darstellung sexueller Vorgänge.
Vielfacher Kritik begegnete der EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Kinderpornografie und der sexuellen Ausbeutung von Kindern (2004/68/JI), den die damals noch 15 Mitgliedstaaten 2004 verabschiedet haben. Denn die Altersgrenze für absolut verbotene ‚Kinder’pornografie wurde mit diesem Rahmenbeschluss auf 18 Jahre festgesetzt, ohne zwischen Kindern und Jugendlichen zu unterscheiden. Mündige und heiratsfähige 17jährige Jugendliche wurden gleich behandelt wie 5jährige Kinder. In das Verbot einbezogen wurde auch Pornografie mit DarstellerInnen, die wie unter 18 Jahre aussehen.

Wer sieht warum wie „unter 18 Jahre“ aus? Das soll „Normenklarheit“ bei einem Gesetz sein?

Man muss sich zum Beispiel nur die Argumentation des Oberlandesgerichts Hamburg durchlesen:
Das Amtsgericht geht – rechtlich zutreffend – davon aus, die automatische Abspeicherung und Aufrufbarkeit der Dateien im Internet-Cache begründe objektiv Besitz im Sinne des § 184 b Abs. 4 StGB; es sieht jedoch den Nachweis eines diesbezüglichen Besitz(begründungs)-willens für nicht geführt.
Das Amtsgericht folgt dem Sachverständigen darin, dass „durchschnittlich erfahrene Internetnutzer“ (Hervorhebung durch Senat) die Existenz und Funktion des Internet-Cache kennen, verkennt allerdings, dass bei einem Internetnutzer, der sich jahrelang gezielt der Internet- und Computertechnologie zum Aufsuchen und Speichern von kinderpornographischen Dateien bedient hat und dem die Totallöschung früher gespeicherter Dateien gelungen ist, die Existenz und Funktion des Internet-Caches bekannt sein dürfte. Die vom Angeklagten mit dem Aufruf zum Betrachten kurzfristig in den Arbeitsspeicher geladenen Dateien enthalten (ebenso wie deren automatisch gespeicherte Version im Internet-Cache auf der Festplatte des Computers) Darstellungen, die auf einem Datenspeicher festgehalten sind, und sind damit Schriften im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB.
Nach der Rechtsprechung sind Dateien, die auf Datenspeichern – wozu auch Arbeitsspeicher gehören – festgehalten sind, selbst Datenspeicher und stehen somit Schriften gleich. (…)
Schon wer bewusst und gewollt Seiten mit kinderpornografischem Inhalt aus dem Internet aufruft und auf dem Bildschirm seines Computers betrachtet, unternimmt es, sich den Besitz von kinderpornografischen Schriften (hier: Daten) zu verschaffen. Nicht erforderlich zur objektiven und subjektiven Tatbestandserfüllung sind ein Plan, die Datei manuell abzuspeichern, oder ein Wissen um die automatische Abspeicherung der Datei im so genannten Internet-Cache.

Jemand, der versehentlich auf eine japanische Hentai-Anime gesurft ist, weil er gar nicht wusste, was das ist, macht sich strafbar, obwohl er vielleicht schockiert weggezappt ist, weil es nach Ansicht des Gerichts nicht darauf ankommt, dass „durchschnittlich erfahrene Internetnutzer“ von einem Cache (Zwischenspeicher) des Browsers gar nichts wissen. Und woher will ein Gericht wissen, ob jemand „bewusst“ und „gewollt“ auf eine Website gelangt?

Und mit dieser Rechtsauffassung sind die Piraten zufrieden?

Es gibt auch in der deutschen Piratenpartei das spontane Distanzierungs-Syndrom (SDS, also known as Exorzismus auf der Basis protestantischer Gewissenserforschung).

Hiermit distanziere ich mich ausdrücklich von der StVO | von Falkvinge und allen unter dem Scheibenwischer | im Internet angebrachten Gegenständen | Texten. Wenn Sie sich diesem Fahrzeug | meinem Rechner nähern, stimmen sie damit diesem Haftungsausschluss automatisch zu.

Schlömer und die anderen Distanzierungs-Groupies kann man nur mit Tucholsky korrekt beschreiben: Deutsch bleibt deutsch, da helfen keine Pillen.

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