Kompensatorische Gratifikation oder die Funktion spärlich bekleideter Frauen während einer Revolution

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Die deutsche Linke hat noch ihre Probleme mit der Revolution In Tunesien. Außer dem Lautsprech einiger anarchistischer Sekten liest man nicht viel. Eine Revolution in einem islamischen Land ist einfach nicht sexy genug.

Die Bildersprache, die zu einer Pseudo-Solidarität der Kinder der Mittelschichten in Deutschland führen könnte (wie noch während der Revolution in Nicaragua 1990, vgl. 3. Foto), gibt das einfach nicht her. Es muss ja nicht gleich ein nackter Busen sein wie auf dem klassischen Revolutionsgemälde von Eugène Delacroix; aber erst „schöne“ und sexuell attraktive Frauen turnen den voyeuristischen Betrachter an. Danach suchen Fotografen, wenn sie einem Aufstand ein „Gesicht“ geben wollen.

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Männer sind out – Revolutionen funktionieren ikonografisch wie Rock-Gruppen. Das war auch früher schon so – nur dass die Pop-Kultur politische Inhalte nicht sexuell kostümierte (vgl. das Foto aus dem spanischen Bürgerkrieg.) Man kann das noch mehr reduzieren: Frauen mit Waffen sind immer sexy; nur müssen sie heute zusätzlich ihrer Titten zeigen wie in den feuchten Männerfantasien der Fantasie-Trash-Romane und -movies à la „Xena – die Kriegerprinzessin“ oder wie bei Lara Croft.

Eine trotzkistische Politsekte hat auf Indymedia erstaunlich korrekt beschrieben, wer die Basis der Revolution in Tunesien ist: „Es sind arbeitlose [sic] junge Akademiker, Rechtsanwälte, und Arbeiter in den Industrie- und Bergbauzentren, die einen Generalstreik von zwei Stunden am 14.01 ausübten und den Aufstand tragen.“ Interessant ist natürlich, dass dieselbe soziale Schicht die islamistische Heilsfront in Algerien unterstützte.

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Das Phänomen ist in der Soziologie als „kompensatorische Gratifikation“ bekannt: Wer den sozialen Aufstieg plant, durch Ausbildung und das dazu passende internalisierte Verhalten (vgl. die protestantische Arbeitsethik Max Webers), aber durch die starre Hierarchie einer Gesellschaft daran gehindert wird, also scheitert, wird versuchen, diesen „Aufstieg“ dennoch zu erreichen, indem er sich einer Gruppe anschließt, die vielleicht sozial geächtet ist (ob eine religiöse oder eine politische Sekte macht keinen Unterschied), aber innerhalb der Gruppe oder des Kleinst-Milieus einen „Aufstieg“ ermöglicht oder zumindest verspricht. Eine Revolution wird er dann zu einer solchen, wenn sie zu einer Jugendbewegung wird – wie in China während des „Langen Marsches“ oder in Nicaragua beim Sturz Somozas.

Die aktiven Kader einer religiösen Sekte oder auch einen Guerilla gehören fast ausnahmslos den aufstrebenden Mittelschichten der jeweiligen Gesellschaft an, denen man aber just diesen Aufstieg verwehrt. Die Führungselite der ehemaligen kolumbianischen Guerilla M-19 bestand fast ausschließlich aus arbeitslosen Lehrern und Ingenieuren; das galt auch für den peruanischen Sendero Luminoso.

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Im aktuellen Spiegel (vgl. Ausriss unten) hat man versucht, das zu beherzigen: Wo zum Teufel, laufen sie denn, die schönen Frauen, oder sitzen auf den Schultern ihrer Männer?

Es ist angesagt, die Revolution in Tunesien sympathisch zu finden, auch wenn unsere eigene Junta natürlich die Zähne zusammenbeisst: Es kann doch nicht angehen, dass die Untertanen die Obrigkeit davonjagen? „Keine Gewalt!“ rufen alle Pfaffen im Chor. Wo kämen wir denn da hin?! Hierzulande bereichert man sich anders, eleganter, wenigern auffällig (wieso muss ich schon wieder an Maschmeyer denken?) Das Prinzip ist natürlich identisch. Die Reichen sollen reicher werden und die Armen ärmer.

Die hysterische Reaktion der deutschen Öffentlichkeit, wirft man ihr den eher nichtssagenden Wortfetzen „Kommunismus“ hin, beweist, dass die herrschende Klasse auch hierzulande Angst bekommen hat. Und das ist auch gut so.

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Kommentare

One Kommentar zu “Kompensatorische Gratifikation oder die Funktion spärlich bekleideter Frauen während einer Revolution”

  1. Verschwörologie oder: Schatten des Papageis : Burks' Blog – in dubio pro contra am September 1st, 2020 11:33 am

    […] zweite These bezieht sich auf die hier schon erwähnte kompensatorische Gratifikation: Wer den sozialen Aufstieg plant, durch Ausbildung und das dazu passende internalisierte Verhalten, […]

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