Eiszeit oder: Wir Jungdeutschen

winter

„Lederpreise verlassen ihre bisherige Lethargie.“
„Wahrscheinlich infolge des größeren Knutenbedarfs.“
Georg Weerth: Der Buchhalter (1845-48, zuerst veröffentlicht im Aufbau-Verlag (DDR), 1957/58)

Ja, wir leben wieder einmal in einer Reaktionsära, wie schon unsere Vorfahren nach der gescheiterten Revolution 1848. Ich hatte das Biedermeier-Zeitalter hier schon erwähnt, und die Grünen sind dessen typischen milieuspezifischen Vertreter. Man und frau zieht sich ins Private zurück, wird wieder „romantisch“ und pflegt die Primeln und die Datschen. Zeitflucht nennt man das. Die immer mehr um sich greifende ultrareaktionäre Sexualmoral à la Alice Schwarzer passt dazu wie der dämliche Gesichtsausdruck zu Pofalla und Konsorten. Lesen wir hier weiter:

Während so mancher Frühromantiker, etwa Tieck, in Sachen Zeitflucht den Spätromantikern in nichts nachstand, das Biedermeier auf Genauigkeit gerne den Stumpfsinn folgen ließ, versuchte eine Handvoll Schriftsteller in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts, mit Literatur etwas Sand ins Getriebe des Obrigkeitsstaats zu streuen. Man nannte sie die „Jungdeutschen„, und zu ihnen zählten neben Karl Gutzkow, Friedrich Freiligrath und Heinrich Laube eben auch Georg Weerth, dessen „Skizzen“ aus den Jahren 1845-48 in verschiedenen Zeitschriften erschienen, ein Drittel blieb aus politischen Gründen lange ungedruckt.“

Ja, den Weerth haben sie nach dem Krieg im Westen nicht gedruckt, das musste die DDR tun. Er gehörte auch dem Bund der Gerechten an, „ein Vorläufer und die Keimzelle der späteren sozialistischen und kommunistischen Parteien Europas und der Welt.“ (Nein, ich distanziere mich nicht vom Bund der Gerechten.)

Die DDR war unzweifelhaft nach dem Faschismus das bessere Deutschland, dummerweise voll mit Leuten, die vorher eben Nazis waren und nur die Fahne nach dem Wind drehten. Und dann diese so genannten Arbeiterführer, die aus Moskau eingeflogen wurden. Das musste schon von Anfang an schief gehen, was ja auch geschah.

Es wird einen neuen Versuch geben, vielleicht erst in 100 Jahren. Leider werden zur Zeit die kollektiven linken Traditionen, die bis zum Bauernkrieg im 16. Jahrhundert zurückreichen, verschüttet und verdrängt. Die Nachgeborenen werden wieder alles neu aufarbeiten müssen. Und vermutlich wird die Alternative zum Kapitalismus auch nicht zuerst in Europa ausprobiert werden, und mit den Deutschen zuallerletzt.

Der Autor dieser unmaßgeblichen Zeilen wird aber sein Leben lang „Jungdeutscher“ bleiben und mit Literatur, Kryptografie und Bloggen etwas Sand ins Getriebe des Obrigkeitsstaats streuen.

winter

image_pdfimage_print

Kommentare

14 Kommentare zu “Eiszeit oder: Wir Jungdeutschen”

  1. .... der Trittbrettschreiber am Dezember 4th, 2013 8:23 am

    Very short Comment: Res Publica est machina?

    Ist das nicht eine längst veraltete mechanistische Sichtweise unser „Welt“?

  2. Maxim am Dezember 4th, 2013 2:16 pm

    Ahjo, alleine biste net: http://www.stoersender.tv/

    Siehe Folge 14, da wird dazu augefordert hier und da „ein paar Schaufeln Sand ins Getriebe“ zu werfen.

  3. Sandmann am Dezember 4th, 2013 5:22 pm

    „Der Autor dieser unmaßgeblichen Zeilen wird aber sein Leben lang “Jungdeutscher” bleiben und mit Literatur, Kryptografie und Bloggen etwas Sand ins Getriebe des Obrigkeitsstaats streuen.“

    Danke Burks. Wenigstens einer, der etwas Sand ins Getriebe streut.

    Was kann man noch tun, um der repressiven Obrigkeit und der ignoranten Mehrheitsgesellschaft Sand ins Getriebe zu streuen?

    Gibt es einen Beruf, in dem man hauptberuflich Sand ins Getriebe streuen kann?

    Hast Du weitere Vorschläge?

  4. Martin am Dezember 4th, 2013 6:57 pm

    Off topic:

    Hab gerade eine journalistische Glanzleistung aus der Schweiz entdeckt:
    http://www.woz.ch/1349/gegenspionage/der-ueberwachte-ueberwacher
    Dazu gehört:
    http://www.markusseiler.ch
    Ich kann mir gut vorstellen, dass Dir das gefällt…

  5. lepus am Dezember 5th, 2013 11:10 am

    „Die DDR war unzweifelhaft nach dem Faschismus das bessere Deutschland“

    Ach – und warum? Vermutlich weil sie eine „Alternative zum Kapitalismus“ darstellte.
    Wer wird da noch zweifeln?

    @Trittbrettschreiber „Res Publica est machina?
    Ist das nicht eine längst veraltete mechanistische Sichtweise unser “Welt”?“

    Genau so ist es. Und der wahre Sozialismus (DDR 2?) ist „Deus ex machina“, kommt aber vielleicht erst in 100 Jahren als Retter unserer Welt.
    Wer weiß, bis dahin haben möglicherweise sogar alle Ökonomen das Gesetz der tendenziell fallenden Profitrate verstanden. Nur die Ökonomie selbst schert sich auch in 100 Jahren wenig drum.

    Längst veraltete mechanistische Thesen sehen dann noch älter aus. Aber zum Glück gibt es auch die „Norminative Kraft des Faktischen“.
    Die zerpflückt auch in 100 Jahren noch mechanistische Kopfgeburten.

  6. admin am Dezember 5th, 2013 12:53 pm

    lepus: Kein Nazi-Richter ist je verurteilt worden im Westen. Nazis bauten die Geheimdienste im Westen wieder auf und wurden sogar Ministerpräsidenten.

    Guckst du auch hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Maunz

    In der DDR war das nicht so. Ausserdem hatte der Kapitalismus schon damit zu tun, dass Hitler an die Macht kam, denn das Großkapital hat ihn ja bezahlt.

    Und hier, was die SPD angeht:
    „Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl von 1953 intensivierte die Parteiführung um den neuen Vorsitzenden Erich Ollenhauer die Bemühungen, ein neues Parteiprogramm zu formulieren. Zunächst erarbeitete eine Studienkommission bis April 1954 die so genannten Mehlemer Thesen.Diese wurden anschließend durch eine Kommission aus 60 Personen, wiederum unter Vorsitz von Willi Eichler, genutzt, um für den Berliner Parteitag von Juli 1954 das Dortmunder Aktionsprogramm zu überarbeiten und ihm eine Präambel mitzugeben. Der Parteitag verabschiedete diese Aktualisierung und Ergänzung. Der Sozialismus wurde dabei als „Menschheitsziel“ bezeichnet. Er sei allerdings kein Endziel, sondern eine Daueraufgabe. Sozialistische Ideen seien ferner keine „Ersatzreligion“. Christentum, klassische Philosophie und Humanismus galten als Wurzeln der sozialistischen Gedankenwelt. Die Abkehr der SPD von der reinen Arbeiterpartei hin zur Volkspartei wurde bereits in diesem Parteitagsbeschluss von 1954 ausgeführt: „Die Sozialdemokratie ist aus einer Partei der Arbeiterklasse, als die sie erstand, zur Partei des Volkes geworden. Die Arbeiterschaft bildet dabei den Kern ihrer Mitglieder und Wähler.“ Den wirtschaftspolitischen Abschnitt des Programms hatte Karl Schiller maßgeblich beeinflusst. Seine bereits ein Jahr zuvor geprägte griffige Formel „Soviel Markt wie möglich, soviel Planung wie nötig“ leitete den Unterabschnitt über „Planung und Wettbewerb“ ein. Die SPD kehrte damit ihre Wertschätzung von plan- und marktwirtschaftlichen Prinzipien um; von nun an genoss der Markt die Priorität vor der Planung. Über Sozialisierungen wurde im Aktionsprogramm nicht mehr gesprochen. Es forderte allein die Überführung der Grundstoffindustrie in Gemeineigentum mit dem Ziel der Vollbeschäftigung.“
    http://de.wikipedia.org/wiki/Godesberger_Programm

    Es war sogar sozialdemokratisch, über Planung in der Wirtschaft zu reden, über demokratischen Sozialismus und Vergesellschaftung. Haben sie aber ALLES verraten, die Sozialdemokraten.

  7. lepus am Dezember 5th, 2013 3:15 pm

    Burks: „In der DDR war das nicht so“.

    Doch, das war in der DDR genauso. Dort hat man es nur besser vertuscht: http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-18178/sed-ex-nazis-an-fuehrenden-stellen_aid_505958.html
    Ansonsten – seit wann ist die politische Vergangenheit der Akteure für die Güte eines neuen Staatswesens ausschlaggebend? Die Wandlung vom Salus zum Paulus hat es schon immer (auch mit Erfolg) gegeben. “An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen” (Matth. 7,16) Die DDR-Früchte waren oberfaul.

    „Ausserdem hatte der Kapitalismus schon damit zu tun, dass Hitler an die Macht kam, denn das Großkapital hat ihn ja bezahlt.“

    Ja – aber nicht etwa weil ihm die nationale Variante des Sozialismus so gut gefallen hätte. Die Kapitalisten bezahlen nämlich alle, mit denen sie später kungeln wollen.
    Etwas abgewandelt hat das schon Lenin erkannt: „Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen.“

    „Es war sogar sozialdemokratisch, über Planung in der Wirtschaft zu reden, über demokratischen Sozialismus und Vergesellschaftung. Haben sie aber ALLES verraten, die Sozialdemokraten.“

    Warum wohl? Schlicht und ergreifend weil sie eingesehen haben, dass das nicht funktioniert. Warum sonst?

  8. Ossiblock am Dezember 5th, 2013 9:18 pm

    @lepus

    Ein Magazin der Gosse als Quelle zu zitieren, welches selbst keine Quellen angeben kann. ist sehr klug.

    Der Focus auf dem Lokus.

    Als Ossi lasse ich euch mal reden… ich hab keine Ahnung, Forum handelt es sich?*

    *Forum waren Schecks, die gegen DM eingetauscht werden mußten. Daher die Redewendung.

    Gut Holz! ;-)

  9. lepus am Dezember 6th, 2013 12:28 pm

    @Ossiblock
    „ich hab keine Ahnung“
    Schon klar – bis auf die Anwendung von Rhetoriktricks, das klappt nämlich prima:
    Die Intelligenz des Diskussionspartners anzweifeln. („sehr klug“)
    Die Quelle pauschal niedermachen (in die Gosse und auf dem Lokus)
    Bei der einzigen konkreten Behauptung frech lügen (angeblich fehlende Quellenangaben):
    Das ist deshalb eine freche Lüge, weil jeder, der den Focus-Artikel liest, über die Quellenangaben stolpert – ein Buch und eine Studie der Uni Jena. Darüber hinaus ist der Artikel mit zahlreichen Verweisen auf konkrete Beispiele gespickt.

    Sind die alle aus der Luft gegriffen oder gefälscht, Pudelkönig? ;-)

  10. Ossiblog am Dezember 6th, 2013 4:15 pm

    Lepsus

    In dem von dir verlinktem Artikel beim LocusFocus finde ich leider keine Quelle. Der Artikel selbst enthält nämlich keinen Link. Du träumst etwas zu viel. Wo genau stehen denn die Quellen, über die jeder stolpert?

    Bitte mal einen richtigen Link liefern.

  11. Ossiblog am Dezember 6th, 2013 4:24 pm

    P.S.

    Lepsus, du gebärdest dich wie ein Chinese, der einen belgischen Heimatroman schreibt.

    Aber die Chinesen haben es nie versucht. ;-)

  12. Granado am Dezember 7th, 2013 9:54 pm

    Günter Eich: Wacht auf (1950)
    Wacht auf, – denn eure Träume sind schlecht!
    Bleibt wach, – weil das Entsetzliche näher kommt.

    Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
    Seid misstrauisch gegen ihre Macht,
    die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!
    Wacht darüber, dass eure Herzen nicht leer sind,
    wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
    Tut das Unnütze, singt die Lieder,
    die man aus eurem Mund nicht erwartet!
    Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!

  13. lepus am Dezember 8th, 2013 3:24 pm

    Ossiblock

    „In dem von dir verlinktem Artikel beim LocusFocus finde ich leider keine Quelle.“

    Schade. Es wäre so einfach, wenn Du wüßtest, was eine Quelle ist. Nein – nicht die mit sprudelndem Wasser; Quellenangaben sind auch Synonym für Hinweise auf Primärliteratur.
    Wem dabei nur der Internet-Link einfällt, ist dann dummerweise etwas beschränkt in seinem Urteilsvermögen. Wirklich schade – es gibt tatsächlich noch ein Leben jenseits des Netzes, mit Büchern und Schriften und so.

    Aber was soll eigentlich das ganze Gemotze?
    Ob die Quellen sprudeln oder versiegt sind, ist Dir wahrscheinlich eh Wurst. Sag doch einfach „In der SED gab es keine Nazis – und wer was Anderes behauptet, kommt entweder aus der Gosse oder ist bekloppt“.
    Dann wüßten alle, woran sie mit Dir sind.

  14. Nullzeit : Burks' Blog am Januar 8th, 2014 5:18 pm

    […] mit linkem oder kommunistischem Gedankengut unverdächtig ist, zum schon diskutierten Thema “Eiszeit oder: Wir Jungdeutschen” (04.12.2013): Jede Zeit hat ihr Thema, und jetzt haben wir so…von Beust (CDU, ehemaliger Bürgermeister Hamburgs)in der aktuellen […]

Schreibe einen Kommentar