Faszination des Vormodernen

armageddon

„Inzwischen kann man sich die Frage stellen, ob die gegenwärtige Gesellschaft überhaupt noch eine bürgerliche ist oder ob nicht vielmehr der Verfall soweit fortgeschritten ist, dass sie sich schon gar nicht mehr als solche begreifen lässt. Zumindest die Produktivkräfte sind inzwischen so weit entwickelt, dass sie über die bürgerliche Gesellschaft hinausgewachsen sind, und wenn man einen Zusammenhang zwischen diesen Kräften und der Gesellschaftsordnung voraussetzt, dann nimmt es nicht wunder, dass bürgerliche Verkehrsformen nur noch rudimentär vorhanden sind. Aber da alles, was verschwindet, plötzlich interessant wird, so wie alte Menschen die Erinnerung an früher am Leben hält, steigt auch die Faszination des vormodernen Lebens und der untergegangenen Kulturen und Städte.“ (Klaus Bittermann: Der Intellektuelle als Unruhestifter: Wolfgang Pohrt)

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Kommentare

2 Kommentare zu “Faszination des Vormodernen”

  1. Godwin am Mai 4th, 2022 10:33 pm

    Verfall – da denk ich an die „Buddenbrooks: Verfall einer Familie“
    Und irgendwie so wird es wohl auch immer gemeint.

    Damit stellt sich die Frage, ob es überhaupt Verfall oder doch nur Wandel ist.
    „Weder verschwinden momentan der Bürger, das Bürgertum, das Bürgerliche, noch erfahren sie gerade eine Renaissance. Sie existieren einfach, seit dem 19. Jahrhundert bis heute, und in durchaus ähnlicher Weise. Das Auf und Ab der Diskurse und Diagnosen berührt einen Menschentyp nicht, der unter den Bedingungen der modernen Welt ein selbst gestaltetes und frei geordnetes Leben führen will.“
    https://www.humanistische-union.de/publikationen/vorgaenge/170-vorgaenge/publikation/jenseits-von-verfallsklage-und-renaissancejubel-buergerliches-leben-in-der-gegenwart/

    Wie bitte können denn Produktivkräfte über die bürgerliche Gesellschaft hinauswachsen??

    Und schwingt in Aussagen dieser Art nicht so etwas nekrophiles mit – insofern als Dingen, die man von Herzen verachtet hat, nun, da sie in der gewohnten Form verschwinden, anfängt nachzutrauern – so von wegen der „guten alten Zeiten“.

    Nee. Am Arsch!

  2. ... der Trittbrettschreiber am Mai 5th, 2022 7:27 am

    Es scheint, als sei das neue (oder alte) Synonym für Bürger(tum) „Egozentrismus“. Dann kann jegliche Veränderung nur als Verfall angesehen werden, wobei immer zu bedenken sei, dass der Gestank der „äußeren“ Dekadenz auch der eigene Mundgeruch* sein kann.

    * Eine Version dessen wird auch „Fahne“ genannt.

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