Am Elison oder: Plötzlich aus des Waldes Duster

seseke

Nein, ich sang das einschlägige Lied nicht vor mich hin, radelnd entlang der Seseke, die in römischer Zeit Elison hieß, auf dem verschlungenen Weg zum Römerlager Oberaden. ca. 15 Fahrradkilometer nordwestlich von Unna. An der Seseke ist auch das Foto entstanden.

Plötzlich aus des Waldes Duster Das Römerlager, erbaut ca. ein Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende (und zwei Jahrzehnte vor der Varusschlacht), ist heute fast völlig überbaut. Man folgt den spärlichen Wegweisern einen bewaldeten Hügel hinauf und ist dann irgendwann irgendwie irgendwo da. Ich musste bei den römischen Ziffern schmunzeln, vermutlich lernt man die heute nicht mehr nur ausnahmsweise in der Schule.

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Credits: Google/Stadt Berkamen/LWL-Archäologie für Westfalen/PANSA BV/Burks

Ich stellte mir insgeheim zwei Fragen: Was kann so ein „Freilichtmuseum“ den Nachgeborenen sagen? Was ist besonders an diesem Ausgrabungsort?

Was zuerst auffällt: Die Fläche ist riesig. In Oberaden war das größte römische Militärlager nördlich der Alpen. Die haben damals aus dem Nichts eine heutige Kleinstadt hingesetzt – Pionierarbeit vom Feinsten. Das wird auch nicht Wochen gedauert haben. Die Legionäre konnten sich ca. 14 Tage von den mitgebrachten Vorräten ernähren (Konserven gab es erst 800 Jahre später), danach mussten sie neue finden. Zwei Legionen sind 10.000 Mann und mehr, zuzüglich der Hilfstruppen und der Mütter Courage. Manche gehen von drei Legionen aus, die hier dauerhaft kampierten. Sogar Türken thrakische und/oder kleinasiatische Soldaten lebten in Oberaden.

56 Hektar sind, wenn ich nicht irre, fast 80 Fußballfelder – also mehr als ein halber Quadratkilometer. (Jeden Tag wird in Deutschland so eine Fläche zubetoniert.)

Die Holzmauer ist 2,7 Kilometer lang. Sie bestand aus einem vier bis fünf Meter breiten und zwei bis drei Meter riefen Spitzgraben. Nach innen bauten die Soldaten eine drei Meter breite Mauer aus Holz und Erde. Alle 25 Meter gab es einen Turm und in jeder Himmelrichtung ein Tor. Alles war standardisiert. Mitten im Lager war eine Senke mit Wasser – da hatten die Germanen offenbar ihr Vieh getränkt. Es marschierten also immer Experten mit, die das, was technisch nötig war, auswendig wussten.

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Zum Erinnern: die Armee des römischen Weltreiches war zur selben Zeit im heutigen Jemen, in Äthiopien und in der südlichen Sahara präsent – und ganz ohne Internet, Telefon und valide Karten. Nur Germania Magna blieb ein Problem; vermutlich war das Klima schuld (har har).

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Cassius Dio: Römische Geschichte, 54. Buch. D. Leonhard Tafel übersetzt 1838 Alison – die Seseke – falsch mit Alme. Damals war das Legionslager in Oberaden noch nicht bekannt.

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Beeindruckend – halb versteckt an einer Mauer: Das Modell einer Groma (vgl. Foto oben). (Ich musste suchen: heute nutzt man ein Doppelpentagonprisma.) Die Mauern und die Tore waren also praktisch, quadratisch und ziemlich gerade und stürzten auch nicht schnell ein, so ähnlich wie meine Hochbetten. So eine Groma braucht man eben, wenn man eine fast drei Kilometer lange Holzmauer errichten will – und zwar auf hügeligem Gelände und nicht in Schlangenlinien. Ich sag nur: Exegit monumentum aere perennius!

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Credits der Karte der Drusus-Feldzüge: Bernd Preiss/Wikipedia

Nicht weit entfernt, im heutigen Beckinghausen, war ein weiteres Lager direkt an der Lippe, wo der Nachschub über Fluss anlandete und wo man ohne Brücke auch übersetzen konnte.

(Auf meiner To-Do-Liste für das nächste Mal: Museum Lünen. „Normalerweise nicht zu stark besucht“. Das Stadtmuseum Bergkamen war auch geschlossen. Ich werde mich zukünftig rechtzeitig erkundigen, obwohl die Website so schrottig ist, dass ich nichts dort glaube. Die Website des Römerlagers ist auch gut versteckt.)

Zum Glück begegnete ich auf dem Gelände dem Vorsitzenden des Fördervereins, der sich um die Anlage kümmert. So unter Vereinsvorsitzenden fachsimpelten wir herum, wie das Volk zu begeistern sei. Die tun dort etwas, und die Kleinen freut es. Und wie überall bei dem Thema ist nicht genug Geld da. Man weiß auch nicht, wo die Fundstücke aus Oberaden überall gelandet sind. Niemand hat jemals ein Verzeichnis angelegt. Wenn ein Museum etwas hat, rückt es das natürlich nicht heraus.

Ich habe mich auf dem Rückweg über Holzwickede kräftig verfahren, weil ich dachte, ich kennte mich in dem Gebiet aus, und irrte mit meinem E-Bike im Kurler Busch herum. Nur die freundliche Dame von Google rettete mich. Erstaunlich, dass sogar Waldwege indiziert worden sind…

kurler Busch

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Kommentare

5 Kommentare zu “Am Elison oder: Plötzlich aus des Waldes Duster”

  1. Wolf-Dieter Busch am Oktober 12th, 2021 2:22 pm

    Also die Römischen Ziffern konnte ich aus dem Effeff, spätestens seit Tafeldienst am Gymnasium. Die Jahreszahl MCMLXVIII weiß ich noch wie heute.

  2. flurdab am Oktober 13th, 2021 7:33 am

    Habibi Burks, du dauerst mich sehr.
    Wie willst du jemals wieder in den Moloch Neu- Beiruts zurück kehren können, jetzt wo du die frische Luft Unnas geatmet hast.
    Es ist keine Schande sich von der Vergangenheit zu lösen und einen Neuanfang im Herzen des Garten Edens der Neuzeit zu versuchen.

    Unna- schon der Name ist ein Versprechen.

  3. André Dreilich am Oktober 13th, 2021 11:53 am

    STRAßENSTRUKTUR … auweh, ein ß in den Kapitälchen … der typographische Niedergang schreitet fort. Man reiche mir ein schartiges Schwert, auf dass ich dem Gestalter die Pfoten abhaue.

  4. Wolf-Dieter Busch am Oktober 14th, 2021 9:46 am

    @André Dreilich

    … auweh, ein ß in den Kapitälchen …

    Die Perversion geht weiter. Jetzt haben sie sich für das „ß“ sogar schon eine Versalform ausgedacht. (Brr.)

  5. ... der Trittbrettschreiber am Oktober 14th, 2021 6:27 pm

    @W.D.B.
    Danke für das semiotische Update.
    Sehr modern, dieses große SZ. Es hat die Wirkung, die die Besuchenden eines Museums für optische Täuschungen spüren (Kopenhagen, Vilnius und New York), wenn sie auf Vasen schauen, die eigentlich als Gesichter getöpfert wurden. Welch ein Raunen, welch ein Aaah und welch ein Schwachsinn.
    Psychologen und ihre weiblichen und sächlichen Kollegiate können daraus sogar Neurotizismuswerte und ein Ranking auf den Persönlichkeitsskalen erkennen (Graf, Herzog, Mittelstands-SUV-Fahrer innen und außen, Burks-Rezipienten und andere).
    Dieses Ikon der deutschen Sprache hat einen freundlichen Kermit, den Frosch im Inneren und an der Außenseite einen rückwärts gewandten Griesgram, dem man auch noch ein erschlafftes Phallussymbol mit Stützfuß vor die Nase gebaut hat. Also ich werde es munter verwenden in all dieser Lingualtristesse in dieser unserer Zeit.

    https://www.youtube.com/watch?v=Zqi9VcloyDc

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