Der Bauer im Klassenkampf, Version Hindukusch

Mazrak Zadran
Mazrak Zadran, Anführer eines bewaffneten Bauernaufstandes 1944 in Afghanistan

Als Service für das Publikum habe ich einige Thesen und Infos aus wissenschaftlichen Publikationen über Afghanistan zusammengefasst. Die Geschichte ist bekanntlich die Geschichte von usw.. und it’s the economy, stupid. Nur um das Interesse zu wecken, sich selbst mehr zu informieren.

Der Streit um Land ist der wesentliche Motor für den Klassenkampf in Afghanistan außerhalb der Städte. Je unklarer und strittiger die Besitzfrage ist, um so mehr bedarf es formaler und informeller Mechanismen, das Problem zu lösen. In der Vergangenheit hat das meistens die Dorfgemeinde geregelt. Das funktionierte nach dem sowjetischen Einmarsch 1979 und der Intervention der „westlichen“ kapitalistischen Staaten immer weniger.

Die Regierung versuchte seit den 60-er Jahren, die Landfrage zu lösen und zu klären, was wem gehörte, beschränkte sich aber auf die urbanen Gebiete. Die gegenwärtigen Gesetze schaffen die paradoxe Situation, dass jemand gültige Besitzdokumente schon haben muss, um zu beweisen, dass das Land ihm gehört. Mehr als die Hälfte aller Afghanen sind aber Analphabeten. Die Regierungen waren nicht in der Lage, die Unterlagen zu archivieren, vieles ist verschwunden. Nur rund 20 Prozent des Landes ist „rechtmäßig“ registriert und hat einen „legalen“ Eigentümer. Das Problem der Besitzrechte ist die Quelle unzähliger Streite zwischen dem Staat und den Bauern und Gemeinden als auch zwischen den „Stämmen„.

Ab 2012 kamen 5,7 Millionen Afghanen, die geflüchtet waren, aus dem Ausland zurück. Das erhöhte die Bevölkerungszahl um ein Viertel. Land und Besitz der Kriegsflüchtlinge waren oft von anderen okkupiert worden, was zusätzlich unlösbare Probleme schaffte. In den ländlichen Regionen wurde der Mohn-Anbau intensiviert, was auch dort die Landpreise explodieren ließ. Landraub durch korrupte Regierungsbeamte und ihrer Klientel ist allgegenwärtig – die afghanischen Behörden schätzten, dass es um mindestens 340.000 Hektar ging – das ist rund ein Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche von Rheinland-Pfalz.

Die Sura der Dorfgemeinden ist seit der ersten Herrschaft der Taliban immer weniger in der Lage, Konflikte zu lösen: Die Hälfte der Bevölkerung war vertrieben worden, mehr als eine Million waren umgekommen.

Viele der „Stämme“ reklamieren, dass ihnen das Land gehörte, also eine Art kollektiver Besitz von Flüssen, Wäldern und Äckern. Das ist aber nach offiziellem afghanischen Recht gar nicht vorgesehen. Oft hat die Regierung Probleme so „gelöst“, dass das strittige Land zu Staatseigentum erklärt wurde, für das dann Pacht oder Steuern zu zahlen waren.

Die Frage, ob Afghanistan Frühkapitalismus sei und in welchem Stadium, reiche ich an die hier mitlesenden Marxisten weiter.

Weitere Literatur:
Adam Pain: Land, power and conflict in Afghanistan: seeking to understand complexity, (Volltext, 57 S.) 2013
Ilia Murtazashvili & Jennifer Murtazashvili: Does the sequence of land reform and political reform matter? Evidence from state-building in Afghanistan (free abstract), 2016
Erica Gaston & Lillian Dang: Adressing Land Conflict in Afghanistan (Volltext, 16 S.), 2015
Wikipedia: Afghan tribal revolts of 1944–1947

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Kommentare

6 Kommentare zu “Der Bauer im Klassenkampf, Version Hindukusch”

  1. Christoph Kühn am August 17th, 2021 11:33 pm

    „Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
    Vernichtet ist das ganze Heer,
    Mit dreizehntausend der Zug begann,
    Einer kam heim aus Afghanistan.“

    Theodor Fontane

    http://www.balladen.de/web/sites/balladen_gedichte/autoren.php?b05=8&b16=709

  2. Godwin am August 18th, 2021 6:44 am

    „Wo der Brotgelehrte trennt, vereinigt der philosophische Geist.“
    Friedrich Schiller

    Soll angedeutet werden, dass die Tali-Bahner zu den Bewahrern der Allmende/Commons werden?
    Irgendwie bezweifle ich, dass Marx all zu glücklich wäre mit den Brüdern

  3. Mitleser am August 18th, 2021 8:30 am
  4. Godwin am August 18th, 2021 11:03 am

    Deutsche Politik und ihre Medien sagen so

    Taliban machen so

  5. Herbert Eisenbeiß am August 18th, 2021 9:55 pm

    Und während die Flugzeuge von den USA, UK, Indien überfüllt mit Flüchtlingen sind, hat eine Maschine der Luftwaffe gerade mal 7 (!) Afghanen mitgenommen. An möglichen Passagieren mangelte es jedenfalls, denn die Leute standen verzweifelt auf dem Rollfeld und behinderten teilweise Maschinen am Start, kletterten sogar in die Kästen für Räder oder hielten sich an den Tragflächen von Flugzeugen fest. Sind auch leider manche dann kurz nach dem Start nach unten gefallen, und so umgekommen.

    Warum hat die Luftwaffe also nur 7 Leute evakuiert? Na logisch: weil nur die aktuelle und negative COVID19-Tests dabei hatten. Kein negativer Test, keine Rettung!

    Dafür aber hat man den Sinn für’s wirklich Wichtige nicht verloren, denn eine weitere Meldung besagt, dass die Luftwaffe auch noch 22.500 Liter Bier, Champagner und Wein zurück nach Deutschland fliegen will. Weil, ist wichtig, wissen schon!

  6. flurdab am August 19th, 2021 12:57 pm

    Reitschuster hat einen interessanten Beitrag dazu.
    https://tinyurl.com/yeel3go6

    Die Verhandlungen in Doha hatte ich garnicht auf dem Schirm.
    Im WDR- TV wird gerade berichtet das die Taliban die „Sozialen Medien“ zensieren und Kritiker verfolgen.
    Da sollten die Staatsmedien mal lieber nicht mit Steinen werfen.

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