Ab excessu divi Augusti

tacitus annales

Zu selbst gemachter Gemüsesuppe mit Würstchen passen am besten Wein von den Golanhöhen und Tacitus:
Igitur Germanicus quattuor legiones, quinque auxiliarium milia et tumultuarias catervas Germanorum cis Rhenum colentium Caecinae tradit; totidem legiones, duplicem sociorum numerum ipse ducit, positoque castello super vestigia paterni praesidii in monte Tauno expeditum exercitum in Chattos rapit, L. Apronio ad munitiones viarum et fluminum relicto. nam (rarum illi caelo) siccitate et amnibus modicis inoffensum iter properaverat, imbresque et fluminum auctus regredienti metuebantur. sed Chattis adeo inprovisus advenit, ut quod imbecillum aetate ac sexu statim captum aut trucidatum sit. iuventus flumen Adranam nando tramiserat, Romanosque pontem coeptantis arcebant. dein tormentis sagittisque pulsi, temptatis frustra condicionibus pacis, cum quidam ad Germanicum perfugissent, reliqui omissis pagis vicisque in silvas disperguntur. Caesar incenso Mattio (id genti caput) aperta populatus vertit ad Rhenum, non auso hoste terga abeuntium lacessere, quod illi moris, quotiens astu magis quam per formidinem cessit. fuerat animus Cheruscis iuvare Chattos, sed exterruit Caecina huc illuc ferens arma; et Marsos congredi ausos prospero proelio cohibuit.

Ich lese gerade zum ersten Mal – das muss ich verschämt zugeben, trotz des großen Latinums und eines abgeschlossenen Studiums der Geschichtswissenschaften – die Annalen des Tacitus (in deutscher Übersetzung, und vielen Dank an den Papst Leo X., der die gestohlene Abschrift für die Archive des Vatikans beschlagnahmte).

Das Werk, obzwar unstrittig Propaganda der damaligen herrschenden Klasse, ist interessanter, als ich zunächst dachte. (Jemand sollte die deutsche Übersetzung mal überarbeiten, die ist stilistisch schrecklich.) Einerseits kommt einem Tacitus sehr modern vor, sehr nah, man könnte sich vorstellen, mit ihm zu diskutieren. Andererseits liest man immer wieder Passagen mit Kopfschütteln: Glaubte so ein logisch argumentierender Mann an höhere Wesen? Teilte er den Aberglauben der einfachen Leute, den er genüsslich und verächtlich schildert? (Vermutlich nicht.) Viele Details des Geschilderten sind so fremd, irrational und unverständlich, dass man dann doch den Zeitunterschied von zwei Jahrtausenden ahnt und spürt.

Das macht alles aber spannender. Ich habe gerade die Passagen über die Revolte der Legionen am Rhein zur Zeit von Tiberius und Germanicus gelesen.

Er machte seine Worte durch Weinen und Zerschlagen der Brust und des Gesichtes zu zündenden Funken. Dann drängte er die, auf deren Schultern er gewesen war, auseinander, warf sich in höchster Leidenschaft dem, jenem zu Füßen und erregte eine solche Bestürzung und Erbitterung, dass ein Teil der Soldaten die Gladiatoren, die Sklaven des Blaesus waren, ein anderer Teil sein übriges Gesinde in Banden legte und wieder andere sich nach allen Seiten zerstreuten, um den Leichnam zu suchen. (…)

Der Legat tat keinen Einhalt. Er hatte über der Menge der Wahnsinnigen die Fassung ganz verloren. Auf einmal brechen sie in Tobsucht aus und gehen mit blanken Schwertern auf die Centurionen los. Sie waren der älteste Gegenstand des Soldatenhasses, sie die ersten Opfer der Wut. Sie reißen sie zu Boden, misshandeln sie mit Schlägen, je sechzig einen, um die Zahl der Centurionen abzudecken, werfen sie darauf – zerschlagen, zerfleischt, zum Teil schon entseelt – vor den Wall hinaus oder in den Rheinstrom. (…)

Diese forschten zuerst bei denen, die ihnen geeignet schienen, und bestimmten, nachdem sie sich überzeugt hatten, dass der größere Teil in den zwei Legionen treu gesinnt war, nach dem Rat des Legaten den Augenblick, wo sie die schlimmsten Aufrührer mit dem Schwert anfallen wollten: und jetzt stürmten sie, nachdem sie sich untereinander ein Zeichen gegeben hatten, in die Zelte, machten ihre nichtsahnenden Opfer nieder, und niemand, außer wer eingeweiht war, wusste, woher das Morden und wozu.

Geschrei, Wunden, Blut vor aller Augen: die Ursache in Dunkel gehüllt. Das Weitere lenkt der Zufall. Auch Gutgesinnte ließen hie und da ihr Leben. Denn als die Schlimmen zu merken anfingen, wem das Wüten galt, griffen auch sie hastig zu den Waffen; und kein Legat, kein Tribun erschien, um Einhalt zu gebieten. Volle Freiheit und Rache bis zur Sättigung war der Masse gelassen. Als darauf Germanicus in das Lager einzog, rief er unter vielen Tränen aus, das sei keine heilende Maßnahme, sondern eine Niederlage, und befahl, die Leichen zu verbrennen. Sie, die auch jetzt noch voller Mordlust waren, kam die Begierde an, zur Sühnung ihrer Raserei gegen den Feind zu ziehen. Nur so, meinten sie, könnten die Seelen ihrer Kameraden Ruhe finden, dass sie selbst ehrenvolle Wunden auf der verruchten Brust trügen.

Massen- und Völkermord war der Normalzustand römischer Kriegsführung. Tacitus missbilligt das mitnichten, er unterstellt sogar, dass die Soldaten verlangten, in Germanien östlich des Rheins einzufallen, damit „die Seelen ihrer Kameraden Ruhe finden“ – damit sind die gemeint, die umgebracht wurden, weil sie rebelliert hatten.

Natürlich hat Tacitus die Details erfunden. Er hatte zwar Quellen, die uns heute nicht mehr zur Verfügung stehen, verfasste aber seine Schriften mehr als ein halbes Jahrhundert, nachdem die Ereignisse stattgefunden hätte, so, als schilderte ich den Zweiten Weltkrieg, als wäre ich Augenzeuge gewesen. Trotzdem: Die Interaktion, Gruppendynamik und das Verhalten der römischen Soldaten und ihrer Vorgesetzten ist aus heutiger Sicht kaum erklärbar. Die Leser des Tacitus müssen das aber verstanden haben, obwohl er ihnen seine Sicht der Dinge a posteriori unterjubeln wollte.

Der Caesar verteilt die vor Gier brennenden Legionen, damit die Verheerung desto weiter gehe, in vier Heerhaufen und lässt über einen Raum von 50 Meilen hin Feuer und Schwert wüten. Kein Geschlecht, kein Alter flößt Erbarmen ein. Geweihtes wie Ungeweihtes, auch das Heiligtum Tanfanas, viel besucht von den dortigen Völkerschaften, wird dem Erdboden gleichgemacht. Verwundete gab es bei den Römern keine: sie hatten nur halb Schlafende, Unbewehrte und einzeln Umherirrende niederzumachen.

Wieder viel gelernt…

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Kommentare

7 Kommentare zu “Ab excessu divi Augusti”

  1. Fritz am Januar 14th, 2021 2:36 pm

    Früher gab es bei Kaufhof israelische Weine, ganz hervorragend. Heute schwer zu finden, zumindest für weniger als 15 €. hast du eine Quelle?

  2. admin am Januar 14th, 2021 2:55 pm

    Im Kadewe gibt es welche, da habe ich immer gekauft. Jetzt online.

  3. ratnesh am Januar 14th, 2021 4:56 pm
  4. admin am Januar 14th, 2021 8:00 pm

    Sehr schöne Linktipps! Ich wäre entzückt, würden meine Bücher im Jahr 3500 als gefährlich angesehen!

  5. hlawsa am Januar 15th, 2021 2:11 am

    @ admin „sehr schöne Linktips“
    Das ist eitel. Im Grunde bedeutet deine Aussage dazu, dass Du davon ausgehst, dass deine hochwürdigen Hirnblähungen 1,5 Jahrtausende ohne
    Einbussen an Gefährlichkeit (sofern diese denn gegeben währe) überleben und immer noch akktuell seien.

    Einwürfe vom Trittbrett bitte nur substantiell,
    nicht nur der Sprachgeschmeidigkeit zuliebe.

    Alles Gute

    hlawsa

  6. ... der Trittbrettschreiber am Januar 15th, 2021 1:09 pm

    Für die römischen Hausfrauen war „Das Germanencamp“ sicher auch ganz unterhaltsam, die Männer waren gemetzelt oder posttraumatisch deerotisiert – gabs da eigentlich schon Nudeln?

  7. Sine ira et studio : Burks' Blog – in dubio pro contra am Februar 4th, 2021 12:36 pm

    […] schon erwähnt, habe ich mir sowohl die Annalen als auch die Historien des Tacitus zugelegt, die nicht nur […]

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