Besuch beim Herrn der Unterwelt

mine san jose Oruro

Aus meinem Reisetagebuch vom 31.1.1980 Oruro, Bolivien:

Ein Microbus fährt zur Mine San José. Wir werden von einem Büro zum anderen geschickt. Der subgerente verweist uns zum gerente [Manager], der wieder zurück. Wir haben den Eindruck, dass sie Ausländer nicht gern da unten sehen.

Erst nach stundenlangem Palaver, als ich erkläre, dass mein Vater und meine Großväter auch Bergleute waren, bricht das Eis. Sie treiben einen ingeniero auf. Der rüstet uns mit Stiefeln, Lampe und Helm aus und begleitet uns in die Mine. Es arbeiten dort rund 700 Leute. Die Mine sei 400 Jahre alt. Gefördert werden Kupfer, Silber, Blei und Zinn.

Die Mine sieht teilweise aus wie eine Mischung aus Korallenriff und Tropfsteinhöhle. Das oxidierte Kupfer fühlt sich ganz weich an. Es gibt erstaunlich wenig Stempel. obwohl Flöze bis 80 cm abgebaut werden.

In einer Grotte sitzt el Tío, der „Heilige“ der mineros oder auch der Herr der Unterwelt. Ihm muss man etwas opfern, sagen sie.

Wir fahren mit zwei Aufzügen abwärts. Die Konstruktion ist recht wackelig, nur für fünf Personen, bis auf über 300 Meter Tiefe.

Die Bergleute sind bei somos Alemanes („wir sind Deutsche“) recht freundlich und schnorren erst einmal Zigaretten.

Man benutzt verschiedene Abbaumethoden, verbunden mit Sprengungen. Sie bauen die Erze meistens horizontal ab, teilweise maschinell, manchmal auch vertikal. Luftzirkulation fühlen wir, obwohl unser Ingenieur zwei Mal Gasalarm gibt.

Die Arbeitsbedingungen der mineros, die mit dem Presslufthammer arbeiten, sind schlecht. Es herrscht ein wahnsinniger Krach. Sie benutzen keinen Staubschutz, weil sie so schwitzen und auch noch Koka kauen. Ich werde aber trotzdem zum Fotografieren eingeladen.

Wir sind beeindruckt. Im Gästebuch sind wir die ersten überhaupt seit einem halben Jahr.

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Kommentare

4 Kommentare zu “Besuch beim Herrn der Unterwelt”

  1. ... der Trittbrettschreiber am April 1st, 2019 8:16 pm

    An solchen bemerkenswerten Artikeln merke ich, dass ich mit dem älter Werden immer ängstlicher werde. Dabei schiebe ich „professionelle Sicherheits-Argumente“ vor, um zu rechtfertigen, dass ich an den Grand Canions dieser Erde nicht zu nah am Abgrund Selfies mache oder aus Fitnessbründen lieber Treppen nehme statt Fahrstühle. Ich freue mich über jedes grüne Ampelmännchen, verschafft es mir doch das sichere Erreichen des gegenüberliegenden Gehwegs. Wenn ich aber daran denke, in dreihundert Metern Tiefe zerquescht und mit Geröll gefüllter Lunge nach letzter Hoffnung röcheln muss, vielleicht doch noch einmal in das klimaverseuchte Sonnenlicht blinzeln zu dürfen, dann, ja dann schleiche ich mich leise weinend zu dem Haken an der Wand, an dem mein seit langem resignierter Seidenhausrock allabendlich auf mich wartet. Dann aber erstmal ein [ … ]
    wo ist denn schon wieder diese Fernbedienung… ah unterm Flaschenöffner…

  2. flurdab am April 1st, 2019 11:28 pm

    Du warst nie bei mir zu Besuch.

  3. Martin Däniken am April 2nd, 2019 10:55 pm

    NEEEIIIN,bei mir…!
    Ich habe die angsteinflössendere
    (was Flösse damit zutun haben,
    deutsche Sprache,
    ick tu mir wundern?!)
    Guft/gruben-Kombination…
    Meine Heimstat fürchten sogar die schlimmsten Albträume und Dämonen!!!

  4. Lord of the underworld, revisited : Burks' Blog – in dubio pro contra am September 3rd, 2020 9:50 pm

    […] man uns nach stundenlangen Verhandlungen den Besuch erlaubte, war vermutlich: Ich kannte schon die Mine in Oruro und stamme aus eine Bergarbeiterfamilie – schon mein Ururgroßvater Wilhem Stöver war […]

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