Unter Ruchlosen

verdächtige

Fahndungsfoto der Berliner Polizei: Die jungen Männer, die verdächtig sind, einen Obdachlosen angezündet zu haben.

„Denn eine Arbeiterkindheit auf der Straße oder in Armenvierteln blieb für das Reformbürgertum ein Schreckbild, die anarchische Brutstätte ruchloser Jungen und sittenloser Mädchen.“ (Eribon: Rückkehr nach Reims, S. 33)

„Kleine und mittelschwere Straftaten waren im Viertel die Regel, sie waren eine Art Volkssport, ein unbeugsamer Widerstand gegen die Gesetze eines Staates, den man im Alltag nur als das allgegenwärtige Machtmittel des Klassenfeindes erlebte.“ (ebd., S. 36)

Argumente gegen irgendetwas sind bekanntlich nutzlos. Auch das Aufrechnen von Straften, etwa derer von Nazis an Obdachlosen gegenüber denen von Einwanderern. Mich ärgert nur das hilflose Herumgeiere vieler Medien zum Thema.

Zum Beispiel schreibt Eberhard Seidel: „War es richtig, die Herkunft der Täter, die einen Obdachlosen anzünden wollten, zu nennen? Ich denke, ja. Für mich war es sehr wichtig, zu erfahren, dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern um jugendliche Geflüchtete handelt. Berlin tut gut daran, sich intensiv mit der psychischen Verfassung und ideologischen Orientierung dieser aus einem Bürgerkriegsgebiet geflohenen Jugendlichen zu beschäftigen, um die geeigneten präventiven Maßnahmen zu entwickeln, die notwendig sind, Prozesse der Verrohung erst gar nicht zuzulassen. Egal ob wir über Präventionskonzepte gegen Rechtsextremismus, Salafismus oder einfach nur jugendliche Gewalt sprechen – sie können nur dann erfolgreich sein, wenn wir offen über individuelle Hintergründe und gesellschaftliche Zusammenhänge sprechen.“

Die Sprache ist verräterisch, Deutsch des Grauens vom Feinsten und kein Zufall: „Für mich ist es wichtig“ VerfassUNG OrientierUNG präventiven Maßnahmen Prozesse VerrohUNG Präventionskonzepte […]ismus […]ismus Hintergründe gesellschaftliche Zusammenhänge. Das ist einfach alles Gefasel. Ich lehne übrigens das affirmative Schaumsprech „Geflüchtete“ in allen seinen Varianten sowieso ab: Der Begriff „Einwanderer“ beschreibt die Realität treffend und heuchelt erst gar nicht, die Motive der Befreffenden zu beurteilen, was Unfug ist und sinnlos.

Einige junge und männliche Einwanderer aus einem Bürgerkriegsgebiet sind offenbar „verroht“. Das Kriterium ist aber keins, sonder ein jeweils klassenspezifisches Verdikt (ja, ich kann auch so schreiben, dass mich niemand versteht). Das meint: Die Bösen sind immer die anderen: „Die Experten in hochkomplexen Systemen sind dafür da, einem Milieu einleuchtend zu erklären, daß das Böse aus dem jeweils anderen Milieu stammt. Die Experten weisen Schuld zu und aktivieren und entlasten das Milieu, das jeweils bezahlt.“

Da ich mich selbstredend zu einem Experten erkläre, weise ich hiermit der Kleinbourgeoisie Mittelschicht die Schuld zu. Der Kerle auf dem Fahndungsfoto sehen so aus: Gut gekleidet, eine bescheuerte Frisuren (Verzeihung, bei „Undercut“ denke ich immer an Uppercut, den ich demjenigen versetzen möchte), und sie lachen, vermutlich weil sie jemanden sehen, der nicht den Normen ihrer sozialen Schicht entspricht, eben ein besoffener Obachlose zum Beispiel. Bei diesem „hierarchischen Lachen“ fällt mir natürlich immer Elias Canetti ein – Lachen ist eine Agression, die man sich versagt:
Das Lachen ist als vulgär beanstandet worden, weil man dabei den Mund weit öffnet und die Zähne entblößt. Gewiß enthält das Lachen in seinem Ursprung die Freude an einer Beute oder Speise, die einem als sicher erscheint. Ein Mensch, der fällt, erinnert an ein Tier, auf das man aus war und das man selber zu Fall gebracht hat. Jeder Sturz, der Lachen erregt, erinnert an die Hilflosigkeit des Gestürzten; man könnte es, wenn man wollte, als Beute behandeln. Man würde nicht lachen, wenn man in der Reihe der geschilderten Vorgänge weitergehen und sich’s wirklich einverleiben würde. Man lacht, anstatt es zu essen. Die entgangene Speise ist es, die zum Lachen reizt; das plötzliche Gefühl der Überlegenheit, wie schon Hobbes gesagt hat … Es scheint, daß die Bewegungen, die vom Zwerchfell ausgehen und fürs Lachen charakteristisch sind, eine Reihe von inneren Schlingbewegungen des Leibes zusammenfassend ersetzen.

Ich wette, dass es in der Gruppe der oben Gezeigten einen oder zwei Meinungsführer gibt und die anderen das tun und meinen, was die machen und laut denken. Der Homo sapiens ist ein Opportunist, der auf die Peer group hört – und nicht auf die Medien. Die Herren kommen auch garantiert nicht aus den unteren und armen Schichten Syriens und Libyens („in Libyen geboren“ als „Herkunft“ erzeugt bei mir die reflexhafte Frage: Ach so, also vermutlich ein Berber?).

Die (leider verstorbene) Birgit Rommelspacher hat Gewalt gegen die da unten, wenn die von „Rechtsextremisten“ (pdf) verübt wird, genau beschrieben (und gegen den Mainstream): Gewalt als subkulturelle Lebensform, der man mit Moral nicht beikommt, Gewalt gegen Schwächere, die gefahrlos ist (- mein Kampfsportlehrer sagte über die Bösen: Die legen sich nie mit jemandem an, der ein Gegner sein könnte). Im Gegensatz zu einigen Thesen Rommelspachers glaube ich aber, dass die Mittelklassen empfänglicher für den „Hass“ nach unten („Klassismus„) sind. Das lehren schon die Wahlergebnisse der Weimarer Republik.

Meine These, die ich durch nichts begründen kann: Arme Einwanderer begehen vielleicht eher kleinkriminelle Handlungen, wie sie Eribon als typisch für das traditionelle Arbeitermilieu schildert. Das unterscheidet sie gar nicht so sehr von „eingeborenen“ Deutschen. Obdachlosigkeit wird aber besonders in den Gesellschaften und von den Klassen geächtet, die „Leistung“ als Lebenssinn propagieren.
Protestantische Nützlichkeitsethik und Merkantilismus als Wirtschaftssystem begründeten eine gesellschaftliche Moral, in der sich die menschliche Ehre vor allem auf Leistung, materiellen Verdienst, den eigenen Beitrag zur Finanzierung des Staates bezog. Die hierarchisch geprägte Gesellschaft mit unterschiedlichen Klassen sah Arme ohne Erwerbstätigkeit als Plage und zunehmend auch als Asoziale, die umerzogen werden müssten. Zuchthäuser wurden eingeführt, in denen Vagabunden Zwangsarbeit zur Besserung leisten mussten.

Die jungen Männer auf dem Fahndungsfoto verhalten sich also schon systemkonform, nur dass sie die ekelhafte, heuchelnde und nur punktuelle Empathie der deutschen Mittelschichten noch nicht imitieren.

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Kommentare

7 Kommentare zu “Unter Ruchlosen”

  1. Crazy Eddie am Dezember 30th, 2016 4:03 am

    “I told you that ‚juvenile delinquent‘ is a contradiction in terms. ‚Delinquent‘ means ‚failing in duty.‘ But duty is an adult virtue—indeed a juvenile becomes an adult when, and only when, he acquires a knowledge of duty and embraces it as dearer than the self-love he was born with. There never was, there cannot be a ‚juvenile delinquent.‘ But for every juvenile criminal there are always one or more adult delinquents—people of mature years who either do not know their duty, or who, knowing it, fail.”

    ― Robert A. Heinlein, Starship Troopers

  2. Martin Däniken am Dezember 30th, 2016 10:55 am

    „Ich kenne die Gesetze aber sie interessieren mich nicht…“
    Aber wie wird jemand so,das es ihn nicht (mehr)
    interessiert,welche Regeln unserer Zusammenleben strukturieren…
    Wenn weder positiv vorgelebt wird,noch sein Handeln sanktioniert wird-mehr noch ein scchice-Verhalten belohnt wird…
    Solche Leute sind
    Ausnahmeerscheinungen-wir sollten deren Hunger nach Aufmerksamkeit aber nicht füttern!
    Andere Baustelle,selbes Prinzip
    Ich mache darauf Aufmerksam das es in Berlin mehrere Tausend Treppenhäuser gibt,die nicht videoüberwacht sind!
    Aber es gibt immer Leute,die gestürzt sind und
    solche die es behaupten und angsterfüllt in die Notaufnahme kommen…

    Der Lack der Zivilisation ist verdammt dünn,
    wir können uns aber gut einreden
    das es eine undurchdringliche Schutzschicht ist!

  3. andreas am Dezember 30th, 2016 11:28 am

    Ich finde die Erklärungen und Zitate hochinteressant. Trotzdem entzieht sich mir jegliches Verständnis für die Tat, egal ob die spezielle oder andere irgendwelcher Nazi-Spakken. Es ist mir unerklärlich wie man auf die Idee kommt wen auch immer anzustecken und das erheiternd zu finden. Den im Vid oder Fotos abgebildeten, verwöhnten, gelangweilten Kindern gehört der Arsch versohlt bis sie nicht mehr sitzen können, meinetwegen zusätzlich wegen der Frisuren. Die eventuell besuchten Imame könnten den Burschis verschärft erklären, dass die Almosengabe Zakat https://de.wikipedia.org/wiki/Zak%C4%81t mit Feuer nur dann zu tun hat, wenn man vorher um selbiges gebeten wurde (weswegen ihnen entsprechend daher Feuer unter dem Arsch gemacht würde). Bestraft gehören sie jedenfalls, die alten wie die jungen Deppen…https://youtu.be/DZQkU6aBSL4?t=62

  4. Rainer am Dezember 30th, 2016 4:47 pm

    ….das ist Pack…und nicht mehr…

  5. admin am Dezember 31st, 2016 2:38 pm

    Update: der Anführer war der Libyer, die anderen kamen zB aus Lehrer-Familien.

  6. flurdab am Januar 3rd, 2017 3:01 am

    Ich habe vor einigen Jahren eine Doku über pubertierende Elephantenbullen in Afrika gesehen.
    Es wurde berichtet das diese dazu neigten Nashörner zu bespringen. Diese Jungbullen marodierten erheblich zu Lasten der Nashörner, so ein Nashornrücken ist eben nicht für die Belastung von 3 Tonnen gemacht.
    Die Erklärung für dieses artfremde Verhalten fand sich in der Ausrottung der Altbullen durch Wilderer.
    Die „leitende“ Sozialfunktion der Altbullen fiel aus, so das die Jungtiere ohne „Grenzen“ aufwuchsen. Es gab niemand der sie erzog.

  7. flurdab am Januar 3rd, 2017 3:08 am

    Ich reiche nochmal eine Quelle nach, ansonsten klingt meine Story einfach zu absurd.

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8649959.html

    Grüße

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