Klassenjustiz, revisited

„Wer nicht selbst dem grotesken Schauspiel in Saal A 2.133 des Amtsgerichts Dresden beiwohnt, würde es nicht für möglich halten“, schreibt Spiegel online über die Prozess-Farce gegen Lother König.

Doch. Man muss nur Tucholsky lesen und sich daran erinnern, dass kein Nazi-Richter in der „freiheitlich-demokratischen“ Bundesrepublik je wegen seiner Schandtaten verurteilt wurde. Es geht weder um Wahrheit noch um Recht. Es geht darum, jemanden, der gegen die Obrigkeit aufmuckt, einzuschüchtern.

Wer weniger bekannt ist als Lother König, kann sich eben auch nicht einen guten Anwalt leisten. Deshalb haben die Anklägerin des sächsischen Gerichts ihr Ziel schon erreicht: Sie wollen andere Linke einschüchtern. König kriegen sie eh nicht klein, das wussten sie vorher. Aber allen anderen soll bedeutet werden, dass selbst dann noch angeklagt und verfolgt wird und dass Prozessakten unterschlagen werden verschwinden, wenn der Tatvorwurf vollends kafkaesk ist.

Ich wiederhole es, weil es immer noch zutrifft. Kurt Tucholsky schrieb 1927 zeitlos richtig:

Tatsächlich ist bei den Richtern die Auslese, die der Stand erbarmungslos vornimmt, gefährlicher und schlimmer als bei der ihnen gesinnungsverwandten Reichswehr. Es liegt bei beiden der Fall einer klaren Kooption vor: die Gruppe wählt sich hinzu, wer sich dem Gruppengeist anpaßt – immer adäquate, niemals heterogene Elemente. (…) Das Resultat ist dieser Richterstand.

Der deutsche Richter schaut durch die Brillengläser seiner Klasse: des mittleren und gehobenen Bürgertums. Was sich darüber und darunter bewegt, findet kaum Platz im Richterstand und hat als Opfer und Objekt wenig Aussicht, vor Gericht verstanden zu werden – von Außenseitern sehe ich ab. Und innerhalb dieses mittleren Bürgertums ist es wiederum der starre, der hölzerne, der eingeengte Typus, jener, der von Hunderten von Tabu-Gebräuchen umgeben ist und in Schranken liegt, die er sich zu seiner Sicherung selbst aufgerichtet hat (…).

Kollektivurteile sind immer ungerecht, und sie sollen und dürfen ungerecht sein. Denn wir haben das Recht, bei einer Gesellschaftskritik den niedersten Typus einer Gruppe als deren Vertreter anzusehen, den, den die Gruppe grade noch duldet, den sie nicht ausstößt, den sie also im Gruppengeist bejahend umfaßt.

image_pdfimage_print

Kommentare

8 Kommentare zu “Klassenjustiz, revisited”

  1. Herr Lehmann am Mai 30th, 2013 10:11 am

    Mit „wir sind das Volk“Sprüchen lässt sich eben nicht alles rechtfertigen.
    Wenn die „Nazi“-Demonstration genehmigt war verstehe ich diese sog. Gegendemonstrationen nicht.
    Leute wie König und sein politisches Umfeld sollten nicht darüber bestimmen dürfen wer demonstrieren darf oder nicht!
    Wenn dann noch zu Gewalttaten aufgerufen wird, ja dann darf er sich doch nicht wundern.
    Für die Anklage ist in der BRD immer noch der Staatsanwalt zuständig.
    Über richterliche Entscheidungen muss man sich in der BRD täglich wundern, z.B. in Solingen…

  2. elvis am Mai 30th, 2013 11:06 am

    Toll!

    Aber das gilt doch erst recht für Euch Journalisten bzw. für fast alle die sich Journalist nennen. Besonders gilt das für Journalisten!

  3. ben_ am Mai 30th, 2013 11:24 am

    Nicht, dass ich mich mit dem Fall oder dem Richterstand gut auskennen würde, aber … die Farce, die bei Spon beschrieben wird, scheint sich mir eher zu Lasten der Staatanwaltschaft zu gehen, als zu Lasten des Richters. Klar, man fragt sich schon, warum der Prozess nicht längst vom Richter abgebrochen wurde. Aber viel mehr fragt man sich, wer das da eigentlich ist, der an König so unbedingt ein Exemple statuieren möchte, was (oder wer) treibt eine Staatanwaltschaft dazu, sich so zu blamieren?

  4. admin am Mai 30th, 2013 3:13 pm

    Wie bei solchen Anlässen schon oft vorgekommen, könnten die Steinewerfer Spitzel vom Verfassungsschutz sein. Vgl. Urbach ff.

  5. piet am Mai 31st, 2013 8:00 am

    @Lehmann – „Wenn die “Nazi”-Demonstration genehmigt war verstehe ich diese sog. Gegendemonstrationen nicht.“ Und wenn das Haus brennt, verstehen sie nicht, warum die Feuerwehr kommt.Aber wenn der Nazi das mit Amt und Siegel hat, daß er befugter Demonstrant ist, ja dann… was erlauben Strunz. Und die Königs holen wir dann nach der Übernahme eh heim ins Reich.
    Ins Reich der Gerechten und Gesalbten, Richter und Henkern.

  6. Granado am Juni 2nd, 2013 1:37 pm

    @Lehmann
    Hier kann man sehen, wie Nazis ihre „Meinung“ kundtun und wie sich die Polizei dazu verhält.
    (Gegendemonstrationen sind übrigens kein Verstoß gegen Versammlungsrecht, stellen auch keinen Genehmigungsanspruch dar)
    http://www.youtube.com/watch?v=t59F0ZWu-Ik
    19.02.2011 dresden löbtau wernerstraße ca 1400 uhr angriff vermummter neonazis

  7. elvis am Juni 3rd, 2013 2:44 pm

    Naja, Granado, ich hätte da auch ein Beispiel für die Antifaschisten wie die Selektieren und zwar an der gleichen Stelle wie das 1935 die SA gemacht hat.

  8. “against” burks | Kritik und Kunst am August 2nd, 2015 5:39 pm

    […] geht es zumindest auch, lieber burks! Und im Fall des Pfarrers König und der Dresdener Justizposse hast Du das auch so gesehen und hattest völlig recht […]

Schreibe einen Kommentar