Wachstum oder: Notgemeinschaft alleinerziehender Tretbootfahrer

Zugegeben: Ich habe die Notgemeinschaft des Titels aus Gremlizas Kolumne „Dumm wählt gut“ in der aktuellen konkret geklaut. Gremliza beschreibt eine „Ordnung“ (meinetwegen eine freiheitlichdemogradischeTM), die auf dem Glauben gründe(t), wenn alle nur ihren eigenen Vorteil der ökonomischen Art suchten und niemand sie daran hindere, würden sich die Welt zum Guten, Schönen und Wahren wendet und alle wären reich und glücklich.

Wer glaubt, es handele sich jetzt um eine Satire, der irrt gründlich. Die Volksverdummungsindustrie, zu der auch ein großer Teil der deutschen Medien gehört, „argumentiert“ genau so. Die Wirtschaft müsse nur wachsen, wachsen, wachsen und immer den Konsumenten denken. Das ist doch, wenn man sich einen zweiten Blick gönnt, nicht nur gequirlte Scheisse, sondern auch noch quasi-religiöse und affirmative Propaganda.

Das bedeutet Wachstum, die Ökonomie betreffend und wieso halten alle diesen Fetisch hoch? Die Zahl der Menschen, die sich auf dem kapitalistischen Markt der Güter tummeln, und die Menge der Güter auch. Meint „Wachstum“ etwas, es würde immer mehr von allem produziert, und die Menschen würden immer mehr kaufen – und zwar weltweit? Wie soll das gehen? Und wenn nicht, was bedeutet der Fetisch Wachstum dann?

Ganz was anderes: „Wachstum“ als Teil des suggestiven Neusprechs heißt in Wahrheit „Profit“. Es geht nicht darum, dass „die Wirtschaft“ wachse, sondern darum, dass das Kapital mehr Rendite abwirft. Das funktioniert aber nicht auf Dauer wegen des tendenziellen Falls der Profitrate. Wer etwa anderes sagt, soll mir hier erst eimal eine neue Arbeitswerttheorie unterbreiten mitsamt der Sekundärliteratur seit Aristoteles.

1. Der Wert der Produkte wird nicht durch die wirklich für sie aufgewandte Arbeit bestimmt, sondern durch das Maß „abstrakter Arbeit“, als deren Vergegenständlichung sie gelten. Abstrakte Arbeit kann gedanklich als Teil der gesellschaftlich erforderlichen Gesamtarbeit aller Individuen betrachtet werden.

2. Da „abstrakte Arbeit“ nur eine theoretische Kategorie ist, aber kein Produzent tatsächlich abstrakte Arbeit leistet, ist der darauf gegründete (Arbeits-)Wert auch selbst ein bloßes Gedankending. Im Gegensatz zu den Vertretern der klassischen Arbeitswertlehre ist der Wert nach Marx deshalb keine den Produkten tatsächlich zukommende Eigenschaft, sondern lediglich der Ausdruck eines Verhältnisses.

„Wachstum“ ist also ein ideologischer Begriff – wie „friedenserzwingende Maßnahme“, „Entsorgungspark“ oder „grundrechtsschonend“. Und genau deshalb ist er zwingend notwenig in der „Tagesschau“, in allen Zeitungen aka volksverdummende Industrie. Das Ministerium für ewige Wahrheiten im Kapitalismus informiert.

image_pdfimage_print

Kommentare

9 Kommentare zu “Wachstum oder: Notgemeinschaft alleinerziehender Tretbootfahrer”

  1. flatter am Juli 2nd, 2012 6:26 pm

    Ich lebe hervorragend ohne eine Arbeitswerttheorie. Ich halte schon Werttheorien generell für krumme Krücken, da Äquivalenz in der Realität ein Phantasma ist. Jeder Wertbegriff involviert den Betrug, der mit ihm betrieben wird. Bei einem so komplexen und im Grunde nicht definierbaren Phänomen wie „Arbeit“ endet das in Konstrukten, die nicht zufällig der Steuergesetzgebung ähneln.
    Dass Wachstum „Profit“ bedeutet, ist völlig richtig. Ebenso richtig ist, dass kein Hahn danach kräht, in welchem Zusammenhang das überhaupt noch mit „Arbeit“ steht bzw. gilt hier die H.W.-Sinn-Formel: „Eine Lohnerhöhung ist eine Gewinnsenkung“.

  2. Andreas S am Juli 2nd, 2012 6:27 pm

    Und so sieht dann die schöne neue Welt aus:

    Many men of course became extremely rich, but this was perfectly
    natural and nothing to be ashamed of because no one was really
    poor – at least no one worth speaking of.
    — Douglas Adams

  3. admin am Juli 2nd, 2012 6:36 pm

    Profit und Gewinn sind keine Synonyme.

  4. flatter am Juli 2nd, 2012 7:04 pm

    „Profit und Gewinn sind keine Synonyme.“
    Von ersterem darf HWS nicht sprechen, wie du sicher weißt. In der neoliberalen Glückseligkeit gibt es keine Profite, sondern nur Gewinne, die sogleich wieder in Investitionen verzaubert werden. Ich kann ja nicht „Profite“ schreiben, wenn er „Gewinne“ gesagt hat, obwohl er „Profite“ meinte.

  5. Kapitalistenschwein am Juli 2nd, 2012 11:08 pm

    Vielleicht sollten sie es mal mit der Grenznutzenschule probieren bevor sie weiterhin kompletten Unfug ala „Ministerium für ewige Wahrheiten im Kapitalismus“ verbreiten.

    Trotzdem würde ich gern noch von Ihnnen wissen wollen was genau an der Tagesschau kapitalistisch sein soll. Ich weiß ja nicht in welchem Universum sie leben, aber in meinem muß ich die Arschgeigen aus dem GEZ-Zirkus zwangsfinanzieren. Ist das ihre Definition von „freiem Markt“ ?

  6. admin am Juli 3rd, 2012 12:03 am

    http://de.wikipedia.org/wiki/Grenznutzenschule
    „auch in der modernen Volkswirtschaftslehre sind die weiterentwickelten Überlegungen von wesentlicher Bedeutung“ – schon klar…

  7. FDominicus am Juli 3rd, 2012 8:03 am

    Ihr Blog zeigt einen typischen Nichtwissen für das was einen Markt aufmacht. Nun ja, damit sind Sie ja in schlechter Gesellschaft…

    Ihr Kanon lautet: Der Markt, der Markt ist schlecht.

  8. totschka am Juli 4th, 2012 5:41 pm

    Der Markt ist gut! Nur eben nicht für alle… ;-)

    Ansonsten zeigt dieses Blog mehr Wissen über den „Markt“ (heißt es nicht „die Märkte“? Wir sollen doch „die Märkte“ nicht verunsichern…), als ich in den „seriösen“ Medien präsentiert bekomme. FDP-Geseier brauche ich hier nicht, da schaue ich WillPlasbergJauche, wenn ich Bock drauf hab.

  9. Kritik der Politischen Ökonomie, revisited : Burks' Blog am Mai 11th, 2014 2:56 pm

    […] “Wachstum oder: Notgemeinschaft alleinerziehender Tretbootfahrer” (02.07.2012): Über den ideologischen und quasi-religiösen Begiff […]

Schreibe einen Kommentar