Chinesen greifen das Pentagon an, revisited

Diesen Artikel schrieb ich hier am 04.09.2007. Untertitel: „Offenbarung statt Recherche.“ Das Niveau der Berichterstattung hat sich nicht geändert: Einer schreibt vom Anderen ab, ohne die Fakten zu überprüfen. Irgendwann ist die Zahnpasta aus der Tube und keiner will es gewesen sein. Die pöhsen Chinesen waren es so lange nicht, bis mir jemand Beweise zeigt, die nicht von Geheimdiensten oder anderen Pressure Groups mit einschlägigen Motiven stammen.

china-HackerDie Financial Times hat es behauptet und alle plappern es natürlich nach: „Chinese military hacked into Pentagon“. Jetzt stelle mer uns ganz dumm. Ist das wahr? Gibt es Beweise? Ist das möglich? Kann man das überprüfen?

Die Zeit ersetzt die Recherche durch Offenbarung: „Hacker des chinesischen Militärs sind offenbar ins EDV-Netzwerk des Pentagon vorgedrungen.“ Anschließend beruft man sich auf die FTD. „Wie die britische Zeitung am Dienstag unter Berufung auf amerikanische Regierungsstellen berichtete, wurden bei dem Hacker-Angriff auch Teile des EDV-Systems im Büro von US-Verteidigungsminister Robert Gates zum Absturz gebracht. Falls das so stimmt, bedeutet es, dass die Computerexperten Chinas inzwischen in der Lage sind, zentrale Systeme andere Länder stillzulegen.“

„Falls das so stimmt“ – ein journalistisches Armutszeugnis. Wenn man etwas nicht weiß, muss man es eben nachprüfen und nicht irgendwelche Gerüchte in die Welt hinausposaunen, nur weil es andere auch tun. Und was ist, wenn es nicht stimmt? Nimmt die Zeit dann alles zurück und behauptet, es sei in Wahrheit Osama bin Laden gewesen? Und der Heise-Newsticker? „Chinesische Angreifer stecken offenbar hinter Cyber-Attacke auf das Pentagon“ Offenbar. Oder auch nicht.

Nach der Attacke Mitte Juni hatte das Pentagon 1500 Rechner für mehr als eine Woche offline genommen. Nun heißt es, auf dem erfolgreich angegriffenen Mail-Server hätten „größtenteils“ keine vertraulichen Daten gelegen. Momentan laufen noch Untersuchungen darüber, wie viele Daten entwendet wurden. Vor Kurzem gab es auch Berichte…“ Es gab Berichte. china-HackerUnd was sagt uns das jetzt? Es gab auch Berichte, dass Hänsel und Gretel in den Wald gegangen seien. Man muss zugunsten des Heise-Newtickers anmerken, dass der nicht vorgaukelt, eigene Quellen zu besitzen oder selbst recherchiert zu haben. Nein, alles ist abgeschrieben. Was sagt also das Original?

„The Chinese military hacked into a Pentagon computer network in June in the most successful cyber attack on the US defence department, say American ­officials.

The Pentagon acknowledged shutting down part of a computer system serving the office of Robert Gates, defence secretary, but declined to say who it believed was behind the attack.

Current and former officials have told the Financial Times an internal investigation has revealed that the incursion came from the People’s Liberation Army.

One senior US official said the Pentagon had pinpointed the exact origins of the attack. Another person familiar with the event said there was a ‚very high level of confidence…trending towards total certainty‘ that the PLA was responsible.“

Es ist also alles supergeheim, so supergeheim, dass eine Person, die mit dem Ereignis vertraut ist, es gleich ausplaudert. Der Rest nicht nur diesen Artikels, sondern auch aller, die von ihm abschreiben, ist gefüllt mit Textbausteinen über Merkels Besuch in China undsofort. hat also nichts damit zu tun. Der Kern ist ein Gerücht aus „gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen.“ Um die Pointe gleich vorwegzunehmen: Die China-Hacker kommen nicht. Vielleicht bin ich ein notorischer Zweifler, Nörgler, Querulant, Besserwisser – aber ich glaube kein Wort. Das klingt so nach der Sprechblase: „Verfassungsschutz: Immer mehr Nazis nutzen das Internet.“

Ganz einfach. Oder offenbar auch nicht: Wer einen Server angreift, sollte und könnte vielleicht vorher auf die Idee kommen, seine Spuren zu verbergen – etwa mit schlichten Mitteln wie mit einem Tor-Server. Sollte die Volksbefreiungsarmee Rechner des Pentagon angreifen, ohne dafür zu sorgen,china-Hacker dass ihre IP-Adressen vorher geschreddert werden? Wikipedia wäre nicht auf dem neuesten Stand, dort ist von „veralteter Kommunikationstechnik“ in Chinas Streitkräften die Rede. Aber: „Allerdings wurden in der Miliz Einheiten geschaffen, die sich auf moderne Kommunikationstechnik spezialisieren und aus Bewohnern der urbanen Zentren des Landes rekrutieren. Diese Fachleute sollen ihr zivil erworbenes Wissen um die Computertechnik in die VBA einbringen.“ Da haben wir’s: Die Miliz war es. Und die hat „zehn Millionen Angehörige“. Dann kann Schäuble bald damit rechnen, selbst ständig online durchsucht zu werden.

Bilder: Hacker der Zhōnggúo Rénmín Jiěfàng Jūn bei einer Parade (oben). Der chinesische Hacker-Minister 中国人民解放军/中國人民解放軍 (Mitte). Hacker der Volksbefreiungsarmee bereiten sich auf der Online-Durchsuchung von Second Life vor.

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Kommentare

2 Kommentare zu “Chinesen greifen das Pentagon an, revisited”

  1. Messdiener am Juni 20th, 2011 6:54 am

    Ich vermute der Schäuble kommt ohne fremde Hilfe nicht ins Internet.

  2. Qualitätshackjournalismus, reloaded : Burks' Blog am Januar 4th, 2019 3:09 pm

    […] „…wenn sich herausstellen sollte, dass eine ausländische Macht hinter den Vorgängen stecken könnte.“ Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Putin oder die Chinesen. […]

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