Offenbar eine Demonstration für Datenschutz

Demo

Der Diskussion im Heise-Forum entnehme ich, dass die gestrige Demonstration gegen Vorratsdatenspeicherung und Überwachungswahn in den Mainstream-Medien nur marginal erwähnt wurde. Heute habe ich mir einige Presseberichte angesehen. Sehr interessant ist der Bericht der Berliner Morgenpost, bei dem aus jeder Zeile hervorquillt, dass der Autor die Demo offenbar politisch ablehnt: Nicht nur, dass sogar die offizielle Zahlenangabe der Polizei (15.000) noch unterboten wird („mehr als 10.000 Menschen“). Es wird sogar schlicht falsch informiert: „Nach dem umstrittenen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung soll die Telekom seit Anfang des Jahres technische Daten von Gesprächen sechs Monate lang speichern.“ Nur im Prinzip richtig. Aber soll nur die Telekom speichern? Wer in den letzten sechs Monaten auch nur eine Zeitung zum Thema gelesen hat, müsste wissen, dass alle Kommunikations-Daten gespeichert werden und nicht nur die, die bei der Telekom anfallen. Vermutlich hat ein Praktikant den Beitrag geschrieben; anders kann man sich den Blödsinn nicht erklären.

Auch die Bildunterschriften haben es in sich: „Das schöne Oktoberwetter hat der Besucherbilanz sicher nicht geschadet.“ Was will uns der Künstler damit sagen? Es waren nur so viele, weil man bei Sonnenschein leider nichts Besseres tun kann als zu demonstrieren? „Die Aggression der Demonstranten fokussierte sich auf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble.“ – „Auch vor Geschmacklosigkeiten wurde nicht zurück geschreckt.“ – „Einige Poster zielten auch auf den US-Präsidenten George W. Bush, der offenbar auch für den ‚deutschen Überwachungsstaat‘ verantwortlich sein soll.“ Soll er das? Das hat niemand behauptet. Das suggestive „offenbar“ versucht die Ziele der Demonstranten lächerlich zu machen; kein Wunder, dass „Überwachungsstaat“ in Anführungszeichen geschrieben wird, als sei das strittig. „Offenbar fühlen sich viele Menschen vom Staat überwacht.“ Offenbar fällt dass der Berliner Morgenpost erst jetzt auf. „Freiheit ist für die Demonstranten wichtiger als Sicherheit.“ Nein, nicht nur für die Demonstranten, sondern auch für das Bundesverfassungsgericht – deren Präsident Hans-Jürgen Papier feststellte: „Der Zweck des Staates ist die Wahrung der Freiheit”. Der Autor der Morgenpost ist offenbar ein CDU-Wähler, denn für die ist Sicherheit wichtiger als Freiheit (das habe ich mit eigenen Ohren und wörtlich so gehört).

Man vergleiche die „Mottenpost“, die ihrem Spitznamen alle Ehre macht, mit dem Artikel Kai Biermanns in Zeit online: „Die von der Polizei geschätzten 20.000 Teilnehmer, die Organisatoren sprachen von zum Schluss 100.000, sind auch ein Ausdruck dafür, dass immer breitere Schichten der Bevölkerung dem Staat und der Wirtschaft nicht mehr trauen. Und dass sie das Gefühl haben, dass auch ihnen nicht mehr getraut wird.“

An Spiegel online ist – bis auf die gewohnt fehlenden Links – nichts auszusetzen. Auch der positive Titel „für Datenschutz ist besser als das von den Veranstaltern selbst gewählte „gegen„. Als neutral empfinde ich auch den Bericht in Focus online. Dort kommt jedoch unvermittelt Gisela Piltz, die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, lange zu Wort, offenbar die einzige Politikerin, die am Wochenende das Telefon abgenommen hat. Der Tagesspiegel bemüht sich, die teilnehmenden Politiker aufzulisten: „Von den Grünen nahmen unter anderem Wolfgang Wieland, Franziska Eichstädt-Bohlig und Volker Ratzmann teil.“ Warum muss ich das jetzt wissen, und warum vergisst der Tagesspiegel Ströbele – oder wird es bei dem als selbstverständlich vorausgesetzt, dass er bei jeder Demo dabei ist?

Gulli verweist auf Bilderstrecken, hat aber nicht den Anspruch journalistischer Qualität. („Dabei fand er deutliche, kämpferische Worte“. Blablabla.)

Heise ist mit drei Berichten natürlich nicht zu toppen: vorher, während und danach. Es war schon immer etwas Besonderes, ein Heise-Leser zu sein. Aber man ist damit Teil einer Minderheit, das sollte man nicht vergessen.

Bilanz: Bis jetzt sind die Medienberichte enttäuschend, wenn man die Relevanz des Themas betrachtet. Insofern war die Demo keineswegs erfolgreich, auch wenn die Guten jetzt versucht sind, sich besoffen zu reden vor Glück.

Nachtrag: Pressepiegel bei Twitter

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Kommentare

One Kommentar zu “Offenbar eine Demonstration für Datenschutz”

  1. Dampfmaschine » Blog Archive » Erinnerung: Heute “Freiheit statt Angst” Aktionstag in Berlin und anderen Städten am Oktober 12th, 2008 12:24 pm

    […] Demo: netzpolitik.org: “Größte Demonstration für Datenschutz in Deutschland” burks.de: “OFFENBAR EINE DEMONSTRATION FÜR DATENSCHUTZ” gulli.com: “Zehntausende protestieren in Berlin gegen Überwachungswahn und für […]

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