Die Heilerin und der manipulierende Einfluss

spiegel

Wir hatten hier schon einen Verweis auf Noam Chomskys und Edward S. Hermans Theorie der Medien, die „den manipulativen Einfluss wirtschaftlicher und politischer Interessengruppen auf die Berichterstattung der Massenmedien in Demokratien beschreibt.“

Hier ein aktuelles Beispiel von Spiegel online: „Wie Neuseelands Regierungschefin ihr Land heilen will“.

1. Jacinda Ardern wird fast ausschließlich lachend dargestellt, also von den Medien sympathisch gemacht – ganz im Gegenteil zu Trump, den man nur in ungünstiger Position abgebildet sieht. (By the way: Wie man aussieht, sagt nichts darüber aus, was man macht. Oder?) Ich habe nur eine Ausnahme in einer indischen Zeitung gefunden. (Wie wäre es mit jenem Bild, Spiegle online? Machte das den Artikel kaputt?)

2. Was eine Vertreterin der herrschenden Klasse ankündigt zu tun, ist irrelevant. „…will zeigen, wie moderne Sozialdemokratie aussehen kann.“ (Ach ja? Es gibt keine herrschende Klasse, raunt man in den Mainstream-Medien, und wenn es sie gäbe, dürfte man sie nicht so nennen?) Meiner Meinung nach ist es mitnichten die Aufgabe von Journalisten, sich zum Sprachrohr der Politik zu machen. Dafür gibt es Pressesprecher und andere Lautsprecher des Kapitals.

„Nun hat sie es sich zum Ziel gemacht, das Land umzukrempeln“. Das steht vermutlich genau so vage im Parteiprogramm. Als Helmut Kohl Bundeskanzler wurde, hatte er es sich zum Ziel gemacht, das Land umzukrempeln etcetera. Ist das eine Information, die mir nützt, die mich aufklärt, die mich informiert, die Hintergründe erhellt? Nein. Es ist schlicht Bullshit und Gefasel. „Nun hat sie es sich zum Ziel gemacht, das Land nicht umzukrempeln.“ Wäre ja viel lustiger, mit so eine Aussage gewählt zu werden. Keine Experimente oder so.

3. „Für ihre erste Woche kündigte sie an, sie wolle sich in den kommenden Tagen um Themen kümmern, die ‚mir sehr viel bedeuten‘. Herrje. Wie langweilig ist das denn? Ist auch das Gegenteil möglich? Der Satz erinnert mich an Wolf Schneiders Deutsch für Profis und seine Tipps: Was selbstverständlich ist, sollte nicht erwähnt werden. „Bauernverband ist dagegen, die Subventionen für die Landwirtschaft zu streichen.“ Wer hätte das gedacht?! Ausserdem ist das Zitat „mir sehr viel bedeutet“ total unsinnig. Zitate sind dazu da, etwas authentisch zu machen (was diese vier Wörter nicht tun) oder die Ideen des Zitierten exakt zu erläutern, weil es besser nicht geht. (Ich vermute, dass man in Neuseeland Englisch redet; Ardern hat das eh nicht wörtlich gesagt.)

Was soll das also? Ich spüre den suggestiven Holzhammer: Die muss mir unbedingt sympathisch gemacht werden. Finde die Charaktermaske der neuseeländischen herrschenden Klassen nett, im Gegensatz zu Trump. Widerstand ist zwecklos.

4. „Der Kampf gegen Kinderarmut ist ein persönliches Anliegen der Premierministerin.“ Wäre ja noch schöner, wenn es ein unpersönliches Anliegen wäre oder die Dame sagte: Kinderarmut geht mir am Arsch vorbei! Ist das Journalismus? Nein, es ist wiederholtes Geschwurbel und langweilig zudem.

By the way: Spannend war für mich nur, darüber informiert zu werden, wie der Kapitalismus in Neuseeland funktioniert – Obdachlosigkeit, Armut: wie überall, nur mehr. Aber warum gibt es dort so viele Gewalt gegen Frauen? Das Land ist doch schön, wie man aus unzähligen Hochglanzbroschüren und den jubilierenden deutschen Medien weiß. Vielleicht sollte man Neuseeland einfach mal boykottieren, genauso wie die Türkei, bis sich die Männer gebessert haben?! Nein? Geht nicht? Oder liegt es an den Schafen?

5. „Bis 2021 soll der Mindestlohn auf 20 Dollar steigen.“ Das kennen wir von der hiesigen SPD. Ich wüsste aber gern, wie viele Ausnahmen es gibt? Was ist mit Teilzeitarbeit? Der Mindestlohn wird hier bekanntlich von vielen Firmen umgangen. Man müsste auch den Lebensstandard in Neuseeland kennen: Sind 20 Dollar wie 10 Euro hier oder nur fünf oder 20? Ich fühle mich wieder nicht hinreichend informiert.

6. „Im neuen Haushaltsplan kommen vor allem Gesundheit und Bildung gut weg.“ Schon klar, aber viel zu vage. (Ein Link wäre hilfreich gewesen: Was ein „Wānanga“ ist, wusste ich bis eben nicht.) „Gut wegkommen“ ist ohne Details (was vorher war und jetzt besser oder schlechter werden soll) keine journalistische Aussage.

7. „Dann hätte sie insgesamt sechs Jahre Zeit, um den Sozialstaat nach ihren Vorstellungen umzugestalten.“ Große Frauen machen die Geschichte. Wer baute das siebentorige Wellington? Hat sie nicht wenigstens eine Köchin bei sich?

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Kommentare

7 Kommentare zu “Die Heilerin und der manipulierende Einfluss”

  1. ... der Trittbrettschreiber am August 5th, 2018 7:42 pm

    Was also, was können wir Leserinnen* tun?

    Ich als Leser weiß natürlich, welche Coping-Strategie bei diesem Konflikt die beste(aus dem Eisfach) ist.

  2. blu_frisbee am August 5th, 2018 8:59 pm

    Das schrägste neulich: Trump will Putin gegen die Chinesen stellen.
    Could Henry Kissinger Possess the Pee Tape?
    https://jacobinmag.com/2018/07/henry-kissinger-putin-trump-pee-tape
    Find ich schon schräg daß selbst Jacobin die russia collusion glaubt.

    Der Jacobin nennt sich selbst „sozialistisch“, feiert Ocasio-Cortez, hat NULL Peilung
    https://jacobinmag.com/2018/07/alexandria-ocasio-cortez-interview-democratic-primary
    https://kritischeperspektive.com/kp/2018-21-alexandria-ocasio-cortez-buhne-frei-fur-die-nachste-sozialistische-stimmenfangerin/
    Sozialdemokraten halt.
    https://www.youtube.com/watch?v=1ozLBTURXUM

  3. Roland B. am August 6th, 2018 12:02 am

    Helmut K. wurde bereits 1982 Bundeskanzler.

  4. Andreas Kuhlmann am August 6th, 2018 5:14 am

    Moin,

    muss gerade mal klugscheissern: Kohl ist sieben Jahre vorher Kanzler geworden. Sieben lange Jahre mehr das Gelaber von der „geistig-moralischen Wende“ indula (in diesem unserem Land)…

  5. Martin Däniken am August 6th, 2018 8:59 am

    „Es ist doch nur zu unserem Besten!“
    „Die wissen schon was sie tun!“
    Neuseeland kann ja keinen Krieg mit den Nachbarn anfangen… das ist ja sonst das Allheilmittel gegen Probleme!

  6. Roman Bardet am August 6th, 2018 10:02 am

    DAS in einem Kommentar zu einem Artikel über Frau Merkel in taz, ZEIT, SPON oder Süddeutsche geschrieben und der Verfasser würde als Troll bezeichnet oder der Kommentar erst gar nicht veröffentlicht. Jetzt fehlt nur noch jemand der DIESEN Post als hate speech nach irgendwo meldet.

  7. Walter am August 7th, 2018 4:09 pm

    „Als Helmut Kohl 1989 Bundeskanzler wurde, hatte er es sich zum Ziel gemacht, das Land umzukrempeln etcetera.“

    Tja – Geschichtsfälschung nennt man das. Fehlt bloß noch der Hinweis, daß die Ossis ihn gewählt haben.
    Könnte ja sein.

    Ein feines Westblog. Hier lernt man watt.

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