Landesverrat, yeah! Oder: Erweiterte Fachunterstützung

mainstream

Jetzt nur nichts Falsches sagen. Wer gegen den gefühlten Mainstream ist, wird sozial geächtet, nicht mehr verlinkt rezipiert, der Gemeinschaftsentzug der Netzgemeinde ist der soziale Tod. Ich muss jetzt ganz stark sein.

Die medienkompententen Leserinnen und wohl informierten Leser werden zur Affäre um das Ermittlungsverfahren gegen netzpolitik.org schon alles wissen und gelesen haben. Ich musste gestern zwölf Stunden arbeiten und hatte mit dem ganz normalen Proletariat zu: Die Leute interessiert das nicht die Bohne. Ich mag das, immer wieder „geerdet“ zu werden. „Das Internet“ und was dort geschieht, ist kein Maßstab für das, was wirklich zählt.

Der mediale Sturm im Wasserglas, die – ach! – so wichtige Pressefreiheit werde jetzt angegriffen, wiederholt nur die Textbausteine, die wir schon aus der Cicero-Affäre kennen oder von der Durchsuchung der Redaktionsräume der Berliner Morgenpost (2012) oder von den Ermittlungen gegen 17 Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat (2007) oder von LabourNet Germany (2006).

Man weiß also vorher, wie das ausgeht. Die Wellen der Empörung in deutschen Blogs, die jetzt schon abebben, wiederholen doch nur das unpolitische Erregungsverhalten, das wir auch aus den Mainstream-Medien kennen. Selbst wenn Beckedahl in der „Tagesschau“ gezeigt wurde, wird sich kaum jemand, der nicht in der kleinen Netzgeneinde zuhause ist, in ein paar Wochen erinnern. Was war da noch?

Soll da jemand eingeschüchtern werden? Das glaube ich nicht. Ich vermute eher, dass es um etwas anderes geht. Erstens werden die Bundesanwaltschaft und Maaßen vom Verfassungsschutz genau gewusst und vorhergesehen haben, welches Shitstörmchen sie auslösen würden. Gegen die NSA wird nicht ermittelt, aber gegen ein Blog? Da haben wir doch alles, was wir für die öffentlichen Gefühle brauchen, um diese überkochen zu lassen – David gegen Goliath, usw., verratene geheime Staatsgeheimnisse, Blogger sind auch Journalisten, die eindeutig Guten gegen die eindeuitig Bösen usw. Zweitens kann es den Behörden ziemlich egal sein, was die Öffentlichkeit denkt. Lächerlicher als der Verfassungsschutz sich in der Vergangenheit gemacht hat, geht es gar nicht mehr. So what?

Ich habe drei Verschwörungstheorien in petto, warum es dieses Verfahren gibt, und diese schließen sich nicht gegenseitig aus. Erstens: Der SPD-Justizminister Heiko Maas möchte sich wichtig tun und als Retter der Pressefreiheit darstellen.

Zweitens lesen wir in der FAZ: „Die ursprüngliche Strafanzeige sei nicht gegen konkrete Personen gerichtet, sondern gegen ‚unbekannt‘, heißt es im Umfeld der Bundesanwaltschaft. Ziel des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen sei nicht gewesen, dass gegen Journalisten ermittelt werde, sondern dass die Weitergabe von Geheimdokumenten vereitelt werde. Nur dieses Vorhaben hatte die Billigung der Führung des Bundesinnenministeriums gefunden.“ Das genau ist Usus und auch schon vorher das Motiv gewesen. Maaßen macht also nur „Innenpolitik“: Er will seine eigenen Leute einschüchtern.

Drittens: Es ist doch juristisch spannend, die durch das Verfahren gestellten Fragen juristisch beantworten zu lassen. Was ist ein Staatsgeheimnis? Thomas Stadler hat dazu Interessantes geschrieben. Nur kennt der sich mehr mit der Juristerei als ein Verfassungsschützer.

Ich teile Stadlers Fazit nicht: Die sind nicht zurückgerudert, weil es eine „unglaubliche Welle von Solidarität“ gegeben habe. Ach Quatsch. Es war eher ein Sturm im Wasserglas: Gesichter und Flaggen wurden von den üblichen Verdächtigen digital gezeigt und Lichterketten geschwenkt. Man wusste exakt und a priori, was jeder sagen würde – rein werbetechnisch eine extrem langweilige Angelegenheit. Allerdings hätte der Generalbundesanwalt den Verfassungsschützern wegen deren anzeige auch (zu Recht!) einfach einen Vogel zeigen können. So sind Beamte aber nicht mental gestrickt.

Drittens: Es könnte aber auch das zutreffen, was ich „Pofalla-Syndrom“ nennen möchte: Alle Beteiligten sind einfach abgrundtief dämlich. Das kann man in der Politik nicht ausschließen, und schon gar nicht bei Verfassungsschützern.

By the way: Kann mir mal jemand erklären, warum im Impressum von netzpolitik.org die newthinking communications GmbH (HRB 102015) steht, also eine Firma, deren Bilanzen man schnell über das unternehmensregister im Bundesanzeiger Verlag einsehen kann, die Zeitungen aber schreiben, Beckedahl finanziere sein Blog „über Spenden“?

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Kommentare

9 Kommentare zu “Landesverrat, yeah! Oder: Erweiterte Fachunterstützung”

  1. thogo am August 1st, 2015 2:00 pm

    noch eine VT die ich aktuell für sehr wahrscheinlich halte:

    Man hat die letzten 6 Monate aus den bekannten Gründen (Leckage finden) netzpolitik.org abgeschnorchelt und will nun verlängern, muß dazu aber die Verjährung aussetzen (Verwaltungsvorschriten werden von den beteiligten Technokraten dann doch befolgt im Gegensatz zu hinderlichen Gesetzen)

    Ist nicht auf meinen juristischen Laien-Mist gewachsen sondern der Kompa schreibt auf TP was dazu:

    http://www.heise.de/tp/news/A-Most-Wanted-Man-oder-doch-nicht-2766909.html?view=print

  2. ... der Trittbrettschreiber am August 1st, 2015 2:33 pm

    welcher gemeinschaftsentzug? ich bezweifle, dass durchblick (burks, du hast da noch so ein reliktes erwachsenen-gen aus den achzigern) Vernunft erzeugt. ist doch der mainstream-gegner bereits selbst mainstream?

    jau:

    http://www.zitate.eu/de/zitat/214699/peter-sloterdijk

  3. multiplikato am August 1st, 2015 4:27 pm

    gut, sehr gut, macht wie immer viel spass dich zu lesen

  4. Ahmed am August 1st, 2015 8:51 pm

    Das ist Kindertheater, um eine butterweiche Opposition aufzubauen. Die Netzpolitiker sind Systemlinge; es graust einen, ihren Hintergrund auszubreiten. Am 5.8. kommt der Gauck persönlich zum Ehren, das steht seit Monaten fest.
    Wer ernsthaft leakt, der hat ganz andere Sachen am Arsch, ist pleite, vorbestraft, die linksliberale Mehrheit scheißt auf einen. Zufällig weiß ich, wovon ich rede.
    Metternich Style, würde ich sagen.

  5. Michael am August 1st, 2015 9:56 pm

    Ich halte die These, daß es ein Einschüchterungsversuch gegen kritische Journalisten war, nach wie vor für plausibel. Stadler und auch andere Fachleute scheinen sich ja gut begründet darin einig zu sein, daß der Vorwurf #Landesverrat unsinnig ist und begründen das (u.a.) ganz formal mit der relativ niedrigen Geheimhaltungsstufe der veröffentlichten Dokumente (VS-vertraulich). Das sollte den Volljuristen der Bundesanwaltschaft auch bekannt sein und dazu braucht man auch kein großartiges Gutachten. Wenn die also dennoch ermitteln, dann liegt nahe, daß andere Gründe vorliegen. Ferner hat Range zwar gezeigt, daß er nicht unbedingt der Hellste ist, aber so blöd um nicht zu erkennen, wie brisant ein solches Ermittlingsverfahren gegen Journalisten ist, ist der mE dann doch nicht. Auf diesem Grund halte ich es auch für unwahrscheinlich, daß er das eigenmächtig gemacht hat, ohne sich zumindest politischer Rückendeckung zu versichern. Zur Erinnerung: Generalbundesanwälte sind keine unabhängigen Richter sondern politische Beamte.

    Aber eine weitere Erklärung wäre, daß man mittelfristig ein paar schicke neue Ermittlungsmethoden ausprobieren will, z.B. die Vorratsdatenspeicherung, welche ja auch bei mutmasslichem Landessverrat angewandt werden darf. Dann wäre der §94 STGB jetzt gewissermassen der Bruder vom 129x, wegen dem ja auch oft nicht ermittelt wird um eine entsprechende Verurteilung zu erreichen, sondern um die netten Ermittlungswerkzeuge verfügbar zu haben, die bei 129er-Ermittlungen möglich sind. Dehalb nennt man den 129er auch gern „Ausforschungsparagraf“.

    Ich möchte übrigens darauf hinweisen, daß es da im StGB auch noch den §344 (Verfolgung Unschuldiger) gibt. Den sollte sich der ehrenwerte Herr Bundesanwalt evtl. als nächstes näher ansehen – nunja, zumindest in einem Rechtsstaat sollte er das.

  6. ODK am August 1st, 2015 11:42 pm

    Auch „Spenden“ sind in der Regel Einnahmen, die zu versteuern sind. Eine GmbH macht Sinn, schon wenn auf Grund gerichtlicher Auseinandersetzungen die Kosten so hoch werden, dass man sie nicht mehr schultern kann. Dann lässt man die Gesellschaft Insolvenz anmelden und vermeidet so den Zugriff aufs Privatvermögen.

  7. “against” burks | Kritik und Kunst am August 2nd, 2015 5:37 pm

    […] burks warnt davor, in Schnappatmung zu verfallen – zunächst einmal eine sehr sympathische und angenehme Haltung. Es ist auch völlig richtig – ich erlebe es in meinem Job so gut wie er in seinem -, dass die so to speak ‘normalen’ Leutz diese Sache nicht die Bohne interessiert. Schon Assange und Snowden war ihnen egal. Dennoch verfehlt burks mE die Wahrheit dieses mal um eine halbe Seemeile. […]

  8. Horst Schulte am August 3rd, 2015 5:23 pm

    Alle Beteiligten sind einfach abgrundtief dämlich.

    Diese Verschwörungstheorie ist fundiert. Es sind Geheimnisträger dabei. Ja, aber dürfen die denn dämlich sein?

    Eine mögliche Antwort: In Deutschland müssen sie sogar.

  9. Also doch: Eine Verschwörung : Burks' Blog am August 4th, 2015 7:35 pm

    […] meine erste Verschwörungstheorie zum Thema Netzpolitik.org bewahrheitet sich: “ Der SPD-Justizminister Heiko Maas möchte sich […]

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