Was ist drin in Griechenland? (Teil 1)

spartiat und Helot

Vorsicht! Warnung! Das wird ein anspruchsvoller, dröger und langer Text, der zudem historisches Wissen und die Kenntnis einiger wissenschaftlicher Begriffe voraussetzt!

„Es ist eine grausame Form von Selbstbetrug zu glauben, dass Entscheidungen, die durch eine große Mehrheit erreicht wurden, automatisch ethisch und richtig wären.“ (John David Garcia, Psychologe)

„Die am weitesten verbreitete und dauerhafteste Quelle von Parteiungen ist jedoch immer die ungleiche Verteilung des Eigentums gewesen. Besitzende und Besitzlose haben immer verschiedene Interessengruppen innerhalb der Gesellschaft gebildet.“ (James Madison, Präsident der USA 1809–1817)

Was wird jetzt aus der griechischen Linken? Man kann das vorhersagen, wenn man nach historischen Parallelen sucht und analysiert, was denen gemeinsam ist. Leider besitzen die meisten Journalisten keinerlei Wissen über Geschichte; von denen kann man nichts erwarten. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die aktuelle Geschichtswissenschaft in Deutschland zu einem großen Teil pure Apologetik des Status quo ist, den Kapitalismus also ahistorisch als das Ende der Geschichte ansieht. (Wer hierzulande etwas anderes meint, bekommt an einer Universität keinen Fuß an die Erde.) Wenn in einem englischen Artikel „class struggle“ stünde, übersetzte das ein deutscher Wissenschaftler nicht korrekt mit „Klassenkampf“, weil jemand, der diesen Begriff benutzte, automatisch sozial geächtet würde. Das ist in Medien und Talkshows bekanntlich genau so.

Der Satz „die Geschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen“ aus dem Kommunistischen Manifest ist in Wahrheit banal, weil sogar bürgerliche Historiker das so sehen, es aber anders ausdrücken. (Vgl. Zitat Madison) „Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“ Das ist immer noch wahr und korrekt beschrieben.

Die „Koalition der radikalen Linken“ in Griechenland, die jetzt noch regiert (aber nicht mehr lange), hat nur zwei Optionen: Sie könnte erstens versuchen, den Kapitalismus zu reparieren. Das muss scheitern, weil dessen Eigendynamik – die Reichen reicher zu machen und die Armen ärmer – nur gebremst, aber nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Zweitens könnte sie genau das tun, was die sektiererische Kommunistische Partei Griechenlands fordert oder auch Mikis Theodorakis: Verstaatlichung der relevanten Industrien und der Banken usw.. Eine linke Regierung würde natürlich auch verhindern, dass das staatliche Tafelsilber wie etwa die Häfen an das internationale Kapital verscherbelt würde. Wer aber unter den gegegeben Umständen in Griechenland fordert, den Sozialismus sofort zu installieren (was nur durch eine Diktatur ginge), hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das Parteienbündnis Syriza ist aber nicht wirklich „links“, sondern höchstens linkspopulistisch.

Die Sache mit dem Klassenkampf und die Frage, wann wer warum gewonnen und verloren hat, wird sehr interessant und spannend, wenn man – was die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser mir verzeihen mögen! – einen Parforceritt durch die Geschichte unternimmt. (Wir sind bescheiden und nehmen nur die letzten 2000 Jahre.)

Was war mit Sparta und seinen Heloten? (Sorry, der deutsche Wikipedia-Eintrag zu „Sparta“ ist totaler Bullshit.) Die Heloten waren die unterdrückte Klasse: Sie stellten zwar die Mehrheit, galten aber als „öffentliche Sklaven“ und arbeiteten vorwiegend in der Landwirtschaft. Wenn man mehr über den Klassenkampf im antiken Griechenland wissen will, sollte man sich mit dem Terrorinstrument der Krypteia oder der „Herrschaft der Dreißig“ beschäftigen. (Griechenland hat eine 2000-jährige Tradition des Militärputsches.) Es ist schon witzig, dass sich unsere politische Klassen auf eine sogenannte „demokratische“ Tradition der Antike beruft, die auf einer Sklavenhaltergesellschaft fußt. Thukydides schreibt in seinem „Peloponnesische Krieg“, dass die Spartaner die Heloten oft sogar umbrachten „aus Furcht vor ihrer gärenden Masse“. Die Heloten erhoben sich 464 v. Chr., ähnlich wie beim Spartacus-Aufstand in Rom, scheiterten aber. Diese Furcht teilt unsere herrschende Klasse immer noch, geht aber zur Zeit anders damit um (als etwa im Faschismus).

Warum dieser Exkurs? Eine Revolution der unterdrückten Klassen kann zwar militärisch siegen, aber nicht das System an sich beseitigen, wenn die Zeit dafür nicht „reif“ ist (Marx würde sagen: Wenn die Pruduktivkräfte noch nicht im Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen stehen.) Spartakus zum Beispiel konnte nur für seine persönliche Freiheit kämpfen, nicht aber das römische Wirtschaftssystem als solches abschaffen, das eben aus der Kombination von Sklavenarbeit auf den Latifundien bestand und aus kleinbäuerlicher Produktion. Spartacus war kein Revolutionär.

In den antiken Gesellschaften gab es keine massenhafte Lohnarbeit – warum eigentlich nicht? Ganz einfach: Kleinbauern sind nicht dazu in der Lage, ausreichend Produkte für einen größeren Markt herzustellen. Das aber benötigten die römische Militärmaschinerie und die großen Städte. (Wer mir nicht glaubt, der lese das Original Marcus Terentius Varros: „De re rustica„). Menschen zu rechtlosen „Sachen“ zu machen, war temporär ein Fortschritt – , der die Produktivkräfte revolutionierte – bis zu einer Grenze, deren Überschreiten eine neue Gesellschaftform schuf – den Feudalismus.

Wie unterscheidet sich die Klassenstruktur Spartas (Spartiaten als elitäre Kriegerkaste, versklavte Heloten als bäuerliche Produzenten) vom Feudalismus (Samurai in Japan als Kriegerkaste, Ritter im so genannten „Hochmittelalter“, Bauern jeweils als unterdrückte Klasse)? Die Antwort können die Ciompi und Thomas Müntzer und seine Mansfelder Bergknappen geben. (Sehr schwierige Frage!) Ab wann erlaubt der Stand der Produktivkräfte, dass Menschen nur noch ihre Arbeitskraft besitzen, die sie auf dem Markt verkaufen an die, die über die Produktionsmittel verfügen – und genau das die vorherrschende Form gesellschaftlicher Arbeit wird? Oder: Warum arbeiten unfreie Bauern nicht im Bergwerk im 16. Jahrhundert, sondern freie Bergknappen?

Fortsetzung folgt übermorgen.

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Kommentare

12 Kommentare zu “Was ist drin in Griechenland? (Teil 1)”

  1. sabine am Juli 17th, 2015 4:23 pm

    oh ja, danke, bitte mehr davon!

  2. Ahmed am Juli 18th, 2015 1:19 am

    Das wabert alles ein wenig an der Frage vorbei, warum es vom hippen Finanzminister so direkt in den Faschismus geht. Der „Linkspopulismus“ ist ein feiges Argument, mit den Populisten kommen sie immer, die Deutschen, wenn sie keine rationale Erklärung für erschreckende Phänomene haben.
    Im 16. Jahrhundert herrschte z.B. in Salzburg eine ungeheure Produktivität. Bergbau, kollektive Landwirtschaft in großem Maßstab usw. und trotzdem war der Erzbischof an der Macht. Den Michel Gaismayr haben sie verraten und verbrannt.
    Dass ihr den Faschismus auch immer so vergröbert und vereinfacht.

  3. Messdiener am Juli 18th, 2015 8:24 am

    Tadellos;-)

  4. Wat. am Juli 18th, 2015 7:25 pm

    @Ahmed: „Faschismus vergröbern und vereinfachen“ nenne ich etwas dann, wenn alles und jedes, was jemals Menschen umbrachte, für Faschismus erklärt wird.
    Dabei wäre mE sogar wurscht, ob und wie Deutsch jemand ist…

  5. Wat. am Juli 18th, 2015 7:27 pm

    @burks: Auf Teil 2 bin ich gespannt – und wie Dein Vorschlag ‚zur Auflösung‘ ist noch mehr. ;)

  6. ... der Trittbrettschreiber am Juli 19th, 2015 9:04 am

    @Wat.

    Ich suche seit Äonen eine plausible und gültige Definition von „Faschismus“ – ich bin gespannt auf Deine:[…]

    PS … das mit 1933 – 1945 wird vorausgesetzt, hatten wir schön öfters mal(Grundschule?) – nur eben keine Definition.

    Bspl: Was ist Seife? Seife is‘, wenn ich keine hab‘, nehm‘ ich Bimsstein.

    …so in etwa.

  7. Wat. am Juli 19th, 2015 3:47 pm

    @Trittbrettschreiber

    Ich kann versuchen aufzuschreiben, was für mich Faschismus ist. Ob ich das Deinem Beispiel (Seife/ Bimsstein) entsprechend hinbekomme, weiß ich nicht, möchte es aber gern versuchen:

    Faschismus ist die terroristische Form der Kapitalherrschaft – also mit Gewalt nach Innen und Außen.

    Ein Stattdessen gibt es mE nicht so ohne weiteres.
    Denn ein Stattdessen müßte schon mit der Kapitalherrschaft brechen können wollen, was mehr wäre, als ein paar Kapitalisten in die Wüste zu jagen.

    Ein Stattdessen würde mit der Warenwirtschaft überhaupt brechen… das ‚geht‘ definitiv nicht von jetzt auf gleich und schon gar nicht (wenn was ‚besseres‘ herauskommen soll) per Dekret.

    Was aber mE ginge und mE nötig wäre, wäre alles zu unterstützen, was demokratische Elemente ‚enthält‘.
    Also sogar die Bürgerliche Demokratie, somit auch die Kapitalisten, die an ‚demokratische Prinzipien‘ festhalten.

    Darüberhinaus bleibt mE zu versuchen, die s.g. ‚Verlierer‘ dieser Gesellschaft mit denen, die noch nicht ‚verloren‘ haben, in so etwas wie Solidarität zueinander zu bringen.
    (Hier meine ich nun nicht die Kapitalisten, die im Konkurrenzkampf verlieren sondern die s.g. ‚unteren Schichten‘, zu denen nicht nur Lohnabhängige und Besitzlose gehören; auch Klein- und Kleinstkapitalisten also Kleinbürger)

    Denn wer ist denn anfällig für „faschistische Lösungen“ ;)

    Nicht jeder Terror ist Faschismus, aber jeder Faschismus ist zugleich auch Terror.

    Nationalsozialismus ist ’nur‘ eine besondere Form davon – die bisher schlimmste, wie ich zu wissen meine.

  8. Wat. am Juli 20th, 2015 4:36 pm

    @Trittbrettschreiber

    Oder meintest Du mit Deinem Beispiel, was Herrschaft statt dessen machen könnte?

    Kann sie nicht, sonst würde sie es.
    Faschismus geht von in der Konkurrenz unterlegenem, ‚zu kurz gekommenem‘ Kapital aus. Wäre da tatsächlich eine Wahlmöglichkeit, ich bin mir sicher, die terroristische würde nicht gewählt – das ist die s.g. ‚Notbremse‘.

    Aber was mache ich mir einen Kopf darum, was Kapitalisten tun sollten, könnten, müßten.

    Ich bin keiner, ich bin lohnabhängig, also mache ich mir einen Kopf wie wir weiter kommen.
    Nee, nicht nur ich selbst.
    Denn daß ich alleine nichts ‚vernünftiges‘ (nicht mal für mich) gebacken kriege, habe ich schon herausbekommen.
    Meine ich.

  9. ... der Trittbrettschreiber am Juli 21st, 2015 4:23 pm

    @wat.

    ‚tschuldigung, ich habe es mir angewöhnt wortkarg zu sein.
    Das hat Gründe:
    1. Wenn das Leben sich dem Horizont zuneigt, komprimiert Zeit. Lange Sätze, aufmerksam belauschenswürdige Epen und sorgfältig durchgeführte ethymologische Forschungen verursachen dann schon mal Atemnot, weil zukünftig fehlende Weilen auch die noch verbleibenden Atemzüge reziprok mindern.
    2. Wenn das Hirn knackt und die Synapsen verkleben, ist Denken wie Treppensteigen mit zwei Aldi-Tüten in den Händen.
    3. Stille, dieses unwägbare Phänomen zwischen den Momenten wird Labsal für die Seele, wenn sie, die uns vormals, ehedem, nun und auch fürder zur Seite war, ist und sein wird, wirklich wahrgenommen wird.

    Deshalb beschränkt sich meine Neugier auf Primärliteratur und Wortbedeutungen.
    Läse ich Marx im Original, was gäben mir all die Interpretationen, deren tiefer Sinn sich mir absichtlich nicht entschließen soll, wäre doch andernfalls die Manipulation meiner bescheidenen Einfalt zum Scheitern verurteilt.
    Entzückte mich die Lektür der biblischen Urtexte, was könnte das Wort zum Sonntag meiner gelangweilten Kontemplation förderlich sein?
    So könnte ich weiter fortfahren und aufzählen, was selbst ich nicht lesen möchte.
    Wie erfrischend aber ist die schnelle Erkenntnis, die sich allein durch die phonetische Darbietung zum Beispiel des Wortes ‚Kommunismus‘ einstellt?
    Das Phonem Kommune, was Anhänger unseres Zeitgeistes in etwa mich Gemein[schaft] übersetzen würden, sagt sofort, um was es gehen könnte. Das Wort ‚Schreibtisch‘ lässt mich vor Jubel eine ganze ‚Mahl-Zeit‘ vertrödeln und vergessen. Nur das Wort ‚Faschismus‘, das lässt mein noch verbliebenes Resthirn tillen wie einen Flipperautomaten aus den 50ern. Fehlte das ‚c‘ in der Mitte, käme ich klar mit der Deutung des Anglizismus‘, der wohl die Mode abstrahieren möchte. Doch leider ist es da und bleibt und klemmt genau zwischen dem ’s‘ und dem ‚h‘ und martert mich und meine Neugier auf Wissen. Genau dat, so dachte ich, weiß Wat. Und juste deshalb, weil’s immer noch nagt, habe ich gefragt… ;-)

    https://www.youtube.com/watch?v=WcBnJw-H2wQ

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