Auch Rassismus ist eine Meinung

Und wieder ein schönes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit (via Verfassungsblog): Ein Gericht hatte einem Neonazi eine „Weisung“, also eine Auflage zur „Führungsaufsicht“ aka Bewährungsauflage gegeben, die so typisch deutsch ist, dass es vor Leitkultur nur so trieft:

„Dem Verurteilten wird verboten, rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut publizistisch zu verbreiten, insbesondere durch Veröffentlichungen im Verlag ‚Deutsche Stimme‘, in den ‚Nachrichten‘ der ‚Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG)‘ oder über den ‚Freundeskreis UN e.V‘.“

Einem Verurteilten wird verboten, seine politische Meinung zu äußern. Man sollte erwarten, dass Demokraten sich entrüsten. Nicht so in Deutschland. Meinungsfreiheit gilt nur für die, die eine richtige Meinung haben – so ist hierzulande der Standard. Das Bundesverfassungsgericht denkt etwas anders darüber:

„Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. (…) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Hierunter fällt auch die Weisungsbefugnis im Rahmen der Führungsaufsicht gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 4 StGB, da dieser keine inhaltsbezogene Meinungsbeschränkung zum Gegenstand hat, die sich von vornherein nur gegen bestimmte Überzeugungen, Haltungen oder Ideologien richtet (…). Auch im Übrigen bestehen an der Verfassungsmäßigkeit des Instituts der Führungsaufsicht keine grundsätzlichen Zweifel.“

Das ist zwar ärgerlich – aber damit kann man eventuell noch leben.

„Die angegriffene Weisung ist unbestimmt und schon deswegen unverhältnismäßig. (…) Das dem Beschwerdeführer auferlegte Publikationsverbot erstreckt sich allgemein auf die Verbreitung von nationalsozialistischem oder rechtsextremistischem Gedankengut. Mit dieser Umschreibung ist weder für den Rechtsanwender noch für den Rechtsunterworfenen das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten abgrenzbar und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch nicht hinreichend beschränkt. Schon bezüglich des Verbots der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts lässt sich dem Beschluss des Oberlandesgerichts nichts dazu entnehmen, ob damit jedes Gedankengut, das unter dem nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürregime propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der nationalsozialistischen Ideologie, und falls letzteres der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können. Erst Recht fehlt es dem Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts an bestimmbaren Konturen. Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu ‚rechtsradikal‘ oder ‚rechtsreaktionär‘ – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung“.

Eben – das Wort der Woche für Lichterkettenträger. Niemand kann eindeutig und all gemein gültig bestimmen, was „rechtsextremistisch“ ist. Deswegen kann man auch nichts verbieten – unter Juristen nennt man das „fehlende Normenklarheit„. Der Gesetzgeber darf nur Gesetze machen, aus denen klar hervorgeht, was erlaubt und was verboten ist.

„…ist die angegriffene Entscheidung verfassungsrechtlich nicht tragfähig. Indem sie dem Beschwerdeführer für fünf Jahre uneingeschränkt jede publizistische Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts verbietet, hindert sie ihn unabhängig von besonderen Situationen, in denen eine erhöhte Gefährdung zur Begehung von Straftaten besteht, generell an einer elementaren Form der Meinungsverbreitung zu vielen oder potentiell auch allen den Beschwerdeführer interessierenden politischen Problemen. Im Ergebnis macht sie es damit dem Beschwerdeführer – abhängig von seinen Ansichten – in weitem Umfang unmöglich, überhaupt mit seinen politischen Überzeugungen am öffentlichen Willensbildungsprozess teilzunehmen. Dies ist mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar.“

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Kommentare

2 Kommentare zu “Auch Rassismus ist eine Meinung”

  1. Entitaet am Januar 6th, 2011 2:49 pm

    Weil 1. der Link zum Verfasungsblog nicht funktioniert, habe ich 2. für alle näher Interessierten einmal einen Link zum betr. Urteil des BVerfG beigefügt:
    http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20101208_1bvr110608.html

    E.

  2. admin am Januar 6th, 2011 4:57 pm

    Jetzt funktioniert er.

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