Tatort Internet: „Journalismus“ à la ZDF

Die lustige Nonsens-Meldung bei Heise: „Polizeigewerkschaft: Internet ist der ‚größte Tatort der Welt'“ habe ich mit Vergnügen und mit Vorfreude auf die Leser-Kommentare gelesen. Ärgerlich wurde ich aber dann, als klar wurde, dass die Mainstream-Medien diese inhaltlich völlig blödsinnige PR-Sprechblase der Polizei-Lobby kritik- und recherchelos übernommen haben. Besonders ekelhaft wird das in der ZDF heute-Sendung vom 14. August 2009:

„Wo es besonders gefährlich ist, sollte die Polizei eigentlich Präsenz zeigen. Doch am größten Tatort der Welt, dem Internet nämlich, kann davon keine Rede sein. Dabei betreiben dort immer mehr Betrüger, Kinderschänder und Rechtsradikale ihr Unwesen. Die Polizeigewerkschaften fordern deshalb jetzt mehr Internet-Fahnder.“

Im Heise-Forum las ich ein paar Kommentare, die durchaus journalistische Qualität besaßen. Auf den korrekten Hinweis: „ZDF – heute Sendung 19:00 – das ist Schmierenkomödie, ich sollte das nicht mehr ansehen – die haben doch tatsächlich diese Verlautbarung „Internet ist der größte Tatort der Welt“ so übernommen“ antworte jemand: „Klaus-Peter Siegloch vom ZDF ist Mitglied des Kuratoriums der Bertelsmann-Stiftung. Damit ist eigentlch alles erklärt.“ Ein weitere Leser gab den Hinweis, den man den Journalisten beim ZDF um die Ohren schlagen sollte: „Erst vorgestern die Diplomarbeit über den Einfluss der Bertelsmann Stiftung gelesen, worin auch erwähnt wurde wer da vom ZDF ebenfalls Mitglied bei der Stiftung ist.“

In dieser Diplomarbeit heisst es: „Die Stiftung hält ihren zielgerichteten ideologischen und praktischen Einfluss auf die Reformen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich weitestgehend bedeckt, um ihr Image als neutrale Vertreterin gesellschaftlicher Interessen nicht zu gefährden. So schafft sie es, sich ihrer Verantwortung für und einer Auseinandersetzung über die gesellschaftlichen Folgen der von ihr forcierten Reformen zu entziehen. Sie muss sich nicht demokratisch legitimieren lassen, ihre Aktivitäten sind nicht an Legislaturperioden gebunden und sie muss vor keinem Parlament oder Rechnungshof Rechenschaft über ihre Vorhaben und deren Finanzierung ablegen, nur vor ihrem Stifter. Wenn es für die Durchsetzung ihrer Konstruktion von Gesellschaft notwendig ist marginalisiert, ignoriert und hintergeht sie demokratische Entscheidungen und Entscheidungsprozesse sogar.“

Genauer in Anmerkung 77: „Auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind mit Bertelsmann verbandelt. So sitzt z.B. der stellvertretende ZDFChefredakteur Klaus-Peter Siegloch im Kuratorium der Bertelsmann Stiftung. So auch der frühere ZDF Intendant Dieter Stolte, der z.B. 1999 eine kritische Reportage über die Rolle Bertelsmanns im Dritten Reich verhinderte. Der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Peter Frey, ist ‚Fellow‘ des von Bertelsmann getragenen Centrums für angewandte Politikforschung (CAP). (Vgl. Lieb 2007: o. S.).“

Das ZDF hat somit alle Grundsätze des Journalismus mit Füßen getreten, weder recherchiert noch irgendetwas nachgeprüft, sondern sich von der Polizei-Lobby missbrauchen lassen. Es dient der Moraltheologie und dem typisch deutschen kulurpessimistischen Diskurs: Es wird immer alles schlimmer, besonders im Internet. Widerlich. Das ist Schmierenjournalismus vom Feinsten.

Nachtrag: Lesenswert auch das Posting Udo Vetters: „Ich habe gerade dem Hessischen Rundfunk in einem Interview gesagt, die Forderung nach 2.000 zusätzlichen Cybercops, die im Internet auf Streife gehen, erinnere mich an Ostberlin, Teheran und Peking.“

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Kommentare

2 Kommentare zu “Tatort Internet: „Journalismus“ à la ZDF”

  1. Mutantenstadl am August 15th, 2009 11:42 pm

    Kleine Medienkampagne, kurze Antwort…

    Bericht aus Berlin im Ersten, Sommerinterview mit Oskar Lafontaine, weniger als sechzig Sekunden vor dem Abspann:

    Ulrich Deppendorf: »Herr Lafontaine, zum Schluss die letzte User-Frage. Sie war die meist gestellte, äh, Frage und man kann fast…

  2. Der große Netzsperren-Bluff « The Internetausdrucker am Oktober 11th, 2009 2:19 pm

    […] die Sperrgegner ließen sich leicht als „schwer Pädokriminelle“ denunzieren und mit dem „Tatort Internet“ konnte man noch einen zweiten wichtigen Punkt des „gesunden Volksempfindens“ bedienen. […]

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