Noch mehr „Online-Durchsuchungen“

Ich kann mir nicht helfen: Beim Lesen mancher Artikel, in denen das Reizwort „Online-Durchsuchungen“ auftaucht, muss ich an Horst Ehmke denken: „Der sozialdemokratische Kanzleramtsminister Horst Ehmke hatte damals den BND aufgefordert, eine Übersicht der Journalisten anzufertigen, die mit dem Dienst kooperieren. Ausgenommen bleiben sollten operativ eingesetzte Medienvertreter, also an Geheimdienstoperationen beteiligte Agenten.“ So eine Liste hätte ich heute auch gern, aber natürlich aktualisiert.

Nehmen wir einen Bericht aus Focus, der sich vom Heise auf den ersten Blick untgerscheidet, weil Fcous den fragwürdigen und vor allem irreführenden Begriff „Online-Durchsuchungen“nicht in Anführungszeichen schreibt. Bei Heise heißt es: „Über die konkrete technische Durchführung dieser „Online-Durchsuchung“ ist noch nichts Weiteres bekannt, allerdings sollen auch „private Laufwerke“ überprüft worden sein.“ Sollen. Es ist also ein Gerücht oder man weiß es vom Hörensagen. Deutscher Journalismus at it’s best. Und was ist mit den öffentlichen Laufwerken? Bei Focus Online: „Zudem durchsuchte der Bundesnachrichtendienst nach FOCUS-Informationen in einer heimlichen Online-Durchsuchung die Computer von 49 Mitarbeitern des Fachreferats zur Aufklärung der Organisierten Kriminalität.“

Frage: Wer hat Focus die „Internen Protokolle“ gesteckt – und mit welchem Motiv? Focus Online publizierte schon April 2007 die faktenfreie Falschmeldung: „Deutsche Geheimdienste spähen schon seit 2005 heimlich über das Internet Computer von Verdächtigen aus.“ Und Focus ist das einzige großere Medium Deutschlands, das den Bundesnachrichtendienst vehement und permanent in diesem Zusammenhang lobhudelt und ihm magische Fähigkeiten zuspricht: „Technische Unterstützung holte sich der Inlandsgeheimdienst bei den Kollegen des Bundesnachrichtendienstes (BND) – Spezialisten auf dem Gebiet der Hacker-Angriffe.“ Honi soit qui mal y pense. Wer wollte Focus instrumentalisieren – offensichtlich mit Erfolg?

Im aktuellen Fall ist die Sache ausgesprochen banal: Entweder hatten die EDV-Verantwortlichen beim BND einen Remote-Zugriff auf die Rechner alle Angestellten, wovon auszugehen ist (wäre komisch und unprofessionell, wenn nicht) oder sie hatten Usernamen und Passworte für die E-Mail-Accounts (bei beim afghanischen Handelsminister – oder beides. BND-Angestellte schreiben nur elektronischen Postkarten und kümmern sich nicht um die Sicherheit ihrer Rechner. Das ist klar wie Kloßbrühe. Wie wollen die nur im Ausland so spionieren? Beides wäre aber nicht das, was der Sprachgebrauch unter „Online-Durchschung“ meint – dass staatliche Hacker von außen auf private Rechner zugreifen könnten. Aber Focus tut alles daran, wiederholt den Eindruck zu erwecken, der BND sei dazu in der Lage. Das stimmt mich nachdenklich. Ich denke schon wieder an Horst Ehmke.

Christian Rath, der „Rechtsexperte“ der taz (Computerexperten haben die gar nicht), macht sich ebenfalls zum PR-Sprachrohr der Schlapphüte. Zur Erinnerung aus der Journalistenschule; Journalisten sind nicht dazu da, die Sprechblasen irgendwelcher Politiker und Apparatschiks zu publizieren. Dafür gibt es Pressesprecher und ganze Abteilungen in den jeweiligen Behörden. (Nicht viel besser ist Stefan Krempl bei Heise.) Auch zur Erinnerung: sogar Schäuble hat zugegeben, dass Heinz Fromm, der Chef des Verfassungsschutzes, von Technik und Computern keine Ahnung hat. Und wenn der laut taz fordert, auch die Dauer-Skandalbehörde Verfassungsschutz müsse immer öfter „Online-Durchsuchungen“ vornehmen dürfen, darf man das nicht einfach unkritisch verbreiten – zumal der Verfassungsschutz bisher bei offiziellen Anfragen immer geleugnet hat, dass er das jemals hingekriegt bzw. praktiziert hätte. Die „Online-Durchsuchung“ bleibt ein frommer Wunsch ahnungloser Politiker.

Übrigens, Kollege Rath: „Einzelne Online-Durchsuchungen hat der Bundesverfassungschutz früher schon durchgeführt, unter anderem gegen den Islamisten Reda S.“ Welche Quellen? Welche Fakten? Ja, es gibt eine Quelle – und nur eine: Focus. Mit der Quellenlage des besagten Artikels habe ich mich in unserem Buch ausführlich beschäftigt. „Einzelne“? Nein, Auch das ist gelogen. Wenn man schon woanders abschreibt, Kollege Rath, ohne zu prüfen, ob es mehrere unabhängige Quellen gegeben hat, dann bitte richtig. Focus schrieb in Ausgabe 2/2008: „Mit einem einzigen Klick hatte der von Terrorfahndern als Gefährder eingestufte Islamist Seyam die Schleuse geöffnet für die erste und bislang einzige Online-Razzia in Deutschland.“ In dem Fall waren die Ermittler schon beim Computerkauf indirekt dabei. Und gefunden hat man auch nichts.

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