Gilgamesch unter den Nephilim oder: Zu Weibern nehmen, welche sie wollen

genesis

Sonntag. Als Kind hätte ich um die Mittagszeit schon zwei Stunden bei Gebet, Predigt und Bibelstudium verbracht, und zwei Stunden am Nachmittag stünden mir noch bevor. Schadet vielleicht gar nicht, weil es das Gedächtnis schult und die Fähigkeit, auf ein Trampeltier so lange einzureden, dass es endlich denkt, es sei ein Dromedar. Bringe mir jemand ein Bibelzitat und ich erkläre es ihm! Oder auch, dass das Gegenteil wahr ist. Oder, wie Paul Lafargue schrieb: „Engels, der doch die Genauigkeit bis zum äußersten trieb, konnte dennoch manchmal über die Skrupulosität von Marx ungeduldig werden, der keinen Satz aufstellen wollte, den er nicht auf zehn verschiedene Arten beweisen konnte.“

Die Bibel also? Herrje, muss das sein? Das werden wir gleich sehen! Ich war schon immer dagegen, alte Literatur aufzuhübschen. Wenn die Bibel, dann die Luther-Version von 1534 und meinetwegen mit drei Fantastilliarden wissenschaftlichen Kommentaren. Aber: Die Bibel der Christen ist wie eine Schichttorte: Zunächst nur mündlich überlieferte Mythen und Geschichten, die später in zahllosen Versionen und Sprachen niedergeschrieben wurden. Und Luther hat auch noch falsch übersetzt, starke Frauen, die ihm nicht gefielen, hat er einfach unter den Tiasch fallen lassen, und der erste war er auch nicht. Aber die uralten „Legenden“, die überall zusammengeklaubt wurden, haben einen wahren Kern, auch wenn die historischen Fakten manchmal zusammengepuzzelt wurden wie die Scherben einer kaputten Vase, und das auch noch von mehreren verschiedenen Vasen, die gar nicht zusammengehörten.

Bei Parzinger: Die Kinder des Prometheus, den ich immer noch lese, wird diskutiert, warum die ersten seßhaften Bauern und deren Ansiedlungen, ja die ersten Städte überhaupt, im so genannten fruchtbaren Halbmond auftauchten, also auf dem Gebiet des heutigen Irak bzw. weiter gefasst in der Levante und nicht etwa irgendwo anders. Zufall oder Notwendigkeit? (Die Stammleser erkennen die Fragestellung wieder.) Ich sage nur: Jericho! Zehn Jahrtausende (!) vor unserer Zeitrechnung, und ganz prominent in der Bibel beim Thema einstürzende Altbauten. Oder Ur, die Stadt, aus der Abraham stammte, ein legendärer Sagenheld aller monotheistischen Religionen.

Das Thema Sintflut hatten wir hier schon (nicht auf das obere Bild schauen!): … confirmed that 7,600 years ago the mounting seas had burst through the narrow Bosporus valley, and the salt water of the Mediterranean had poured into the lake with unimaginable force, racing over beaches and up rivers, destroying or chasing all life before it. The rim of the lake, which had served as an oasis, a Garden of Eden for farms and villages in a vast region of semi-desert, became a sea of death. The people fled, dispersing their languages, genes, and memories.

gilgamesch epos

Das Ereignis taucht in der Vorlage für die biblische Erzählung des Noah auf – im Gilgamesch-Epos. Die oral history der Sumerer in Mesopotamien überliefert also etwas, was rund fünf Jahrtausende vorher geschah. Die Bibel enthält den historischen Kern wie ein Bernstein Fliegen, aber macht daraus eine moralische Parabel, die mit Gilgamesch nichts mehr zu tun hat.

Aber ich schweife ab. Ich wollte das Paradies ansprechen, den Garten Eden und die vier Flüsse, die erwähnt werden. Nur der Euphrat (Perat) ist eindeutig, um alle anderen streiten sich die Gelehrten. (Altorientalische Philologie wäre auch ein hübsches Studienfach: Beim Anbaggern in einer Kneipe auf die Frage „was machst du denn so?)“ zu antworten: „Ich lerne gerade Akkadisch in Keilschrift zu schreiben“.)

Beim Gihon tippen manche auf den hier schon bekannten Oxus, sicher ist das nicht. Beim Garten neige ich zu den Tempelgärten von Eridu als Vorlage, ohne das näher begründen zu können. Sechstes Jahrtausend – damit sind wir schon „nahe“ an der historischen Sintflut, ungefähr so nahe wie wir am Essener Domschatz.

genesis

Dann haben wir heute noch die Sache mit den Weibern. Das hat mir als Kind schon Rätsel aufgegeben, die die Laienpfaffen, die mich umgaben, nicht beantworten konnten: Wenn Adam und Eva und ihre Nachkommen die ersten Menschen gewesen sein sollen und die „Kinder Gottes“, wer sind dann die anderen, mit denen jene herumhurten, weil sie so schön waren? Und wo sind die Nephilim geblieben? Die Neandertaler waren schon mindestens 30.000 Jahre vorher ausgestorben. Und schön sahen die auch nicht aus. Fragen über Fragen. Aber das Stammpublikum kann sich die Antwort sicher selbst geben.

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Kommentare

9 Kommentare zu “Gilgamesch unter den Nephilim oder: Zu Weibern nehmen, welche sie wollen”

  1. Godwin am Januar 16th, 2022 2:59 pm

    Warum muss ich bei Bibelstudium und Gedächtnis automatisch an Folter und Unterwerfung denken?

    Bei Gilgamesch wird bereits die Exklusion der „Wilden“, die Trennung zwischen Kultur in der Stadt und barbarischer, gefährlicher Natur außerhalb deutlich.
    Enkidu wird erst durch Bier und Hure zum (echten) Menschen.
    Was trieb nur spätere „Religionen“ dazu, diese Grundpfeiler der Zivilisation zu verdammen?

    Die Frage nach dem Warum fing man an seßhaft zu werden, wird wohl für immer im Reich der Spekulation und Interpretation bleiben.
    Selbst wenn Bier der Beginn der Landwirtschaft wäre, bliebe die Frage, woher man um die Gährung und Verarbeitung wusste… usw usf…

    Interessant wäre aber die Frage, warum so Geschichten vir Oral-History über Jahrtausende überleben konnten, während man heute ja bereits vergisst, was vor 2 Wochen war….

  2. Die Anmerkung am Januar 16th, 2022 7:40 pm

    Ich kann ja mal in der Cueva del Santo Hermano Pedro nachschauen, was die Popen meinen. Der Papst war auch schon hier und frug um Rat.

    Die viel wichtigere Frage ist doch die, welche Aussage korrekt ist.

    – Die Sonne scheint mir auf den Arsch.

    oder

    – Die Sonne scheint mir aus dem Arsch.

  3. Wolf-Dieter Busch am Januar 16th, 2022 11:19 pm

    Die abgebildete Schrift ist altertümelnd. Die handschriftliche Textur zu Luthers Zeit war gradliniger und zwo Nummern weniger fisselig.

    Übrigens, nach Hörensagen ist es so, dass einige der besten Schreibmönche beim Kopieren der Bibel Strich für Strich und Buchstabe für Buchstabe abmalten. Analphabeten.

    Irgendwo las ich den Text auf der letzten Seite: hier ist das buch zu end / des freun sich meine hend. Eindeutig ein Schriftgelehrter.

    Den als Fraktur gemeinten Font oben im Bild ordne ich aus dem Bauch heraus dem 19. Jahrhundert zu (Aufkommen der Lithografie).

  4. blu_frisbee am Januar 17th, 2022 2:56 am
  5. Jens am Januar 17th, 2022 8:28 am

    „auch wenn die historischen Fakten manchmal zusammengepuzzelt wurden wie die Scherben einer kaputten Vase, und das auch noch von mehreren verschiedenen Vasen, die gar nicht zusammengehörten.“

    Diesen Satz werde ich mir merken — eine schöne Formulierung!

  6. ... der Trittbrettschreiber am Januar 17th, 2022 8:47 am

    Bierkellerweisheit: WIR SIND FLUT.
    Menschen haben ueber die paar Jahrtausende ihrer lauten Existenz immer wieder die Langeweile ihres Da- und Soseins damit verbracht, ihre Zeitgenossen m/w/d/x zunaechst phonetisch, spaeter durch Kritzeleien auf leider zukunftsorientert konservierenden Steintafeln, CDs und Servern zuzulabern, um damit den derzeitigen Status Quo in diesem Jammertal herbeizufuehren.
    Wo aber Gefahr ist, waechst das Rettende auch* – es entstand der Anbau des Hopfens.

    * Wachoelderlin, mutmasslich jedenfalls

  7. flurdab am Januar 17th, 2022 2:33 pm

    Immer diese Zweifel.
    So wird das nüscht.

    Man muss doch auch mal anerkennen wie viel die eigene Biographie den Bibelstunden der Kindheit zu verdanken hat.

    „Wo kommen die Weiber her und wie kommt man an sie ran“ scheint die dominierende Frage in der menschlichen Geschichte zu sein.

    Damit ist auch das Geschlecht Gottes eindeutig geklärt. Er kann nur herrlich sein. ;-)

  8. blu_frisbee am Januar 17th, 2022 3:19 pm
  9. Corsin am Januar 18th, 2022 11:22 pm

    Auch wenn es nur ein Bibel-Faksimile ist — aber der Begriff ‚Mohrenland‘ — das geht doch gar nicht!

    Es sollten sich nebenbei auch alle schämen, die Moritz, Maurice oder so ähnlich heißen. Ganz zu schweigen von jenen, die in diesen trüben Tage nach St. Moritz oder gar nach Mauritius reisen.

    Zum Glück gibt es jetzt aber eine fortschrittliche Regierung, die rassistischen Ländern wie Mauretanien sowie natürlich Niger und Nigeria die Entwicklungshilfe kürzen wird — wenn mich mein Nachbar richtig informiert hat.

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