Investorenfreundliche Höschen aus Kambodscha und die Charaktermasken

adidas

Gestern habe ich mir zwei Sporthosen gekauft, kurz und lang. Ich hatte einen Gutschein für sportscheck.com bekommen. SportScheck gehört der Otto Group.

Löblich, dass in der SportScheck-Filiale in Berlin-Steglitz Verkäufer herumlaufen, die einen beraten, die nicht nur auf Zuruf herbeigeeilt kommen, sondern die den ziellos umherirrenden Kunden (Turnhosen? Wo gibt es Turnhosen?) sogar fragen, ob sie dienstbar sein können.

Ich ahnte allerdings schon, dass mein Kauf nicht reibungslos ablaufen würde. Ich hatte einen Gutschein. Was aber, wenn die Summe der gekauften Artikel kleiner war als die Summe, die ich geschenkt bekommen hatte? Und siehe, als ich den Gutschein abgab, begann die Verkäuferin eilig einen neuen auszufüllen.

Meine zeitliche Hemmschwelle, Ärger anzufangen oder – wie man im Englischen sagt „to stir the soup up“ – beträgt ungefähr eine Millisekunde (merkwürdigerweise gilt das auch für meinen Avatar in virtuellen Welten). Ich verkündete, dass ich den Differenzbetrag ausgezahlt haben wolle. Das ginge nicht, war die Antwort, die ich auch erwartet hatte. Ich fing an, laut und deutlich zu reden und sagte, entweder es ginge doch oder ich würde auf den Kauf ganz verzichten und den Schenkenden den Gutschein zurückbringen. Ob es einen Geschäftsführer gebe? Der kam auch und sagte, man dürfe mir das Geld auszahlen. Geht doch.

Beide Höschen sind von Reebok bzw. Adidas, was Rebook gekauft hat. Adidas ist bei der Kampagne für saubere Kleidung bestens bekannt.
Adidas verfügt über einen Verhaltenskodex, der auf der Homepage des Unternehmens einsehbar ist. Auch werden hier die weltweiten Zuliefererbetriebe sowie der Lizenznehmer veröffentlicht. Adidas ist seit 1999 Mitglied der Multi-Steakholder- Initiative Fair Labor Association (FLA). Immer wieder berichten NäherInnen von Arbeitsrechtsverletzungen in Fabriken, die für adidas fertigen.

Auf der Liste der Zuliefererbetriebe kann man nachlesen, welche Firmen in China und Kambodscha für Adidas produzieren. Guckst du hier:
Die Bekleidungsindustrie gehört in Kambodscha zu den Schlüsselindustrien für Exporteinnahmen und beschäftigt durchschnittlich 350.000 bis 400.000 Personen. Die große Abhängigkeit von diesem Exportstandbein führt dazu, dass Kambodscha aus Wettbewerbsgründen ein Interesse hat, die nationalen Mindestlöhne tief und somit investorenfreundlich zu halten. Mit den steigenden Lohnkosten in China wurde Kambodscha umso mehr zu einem begehrten Produktionsland, um billig Massenware zu produzieren. (…) In Kambodscha beträgt der gesetzliche Mindestlohn 61 US-Dollar (ca. 47 Euro) pro Monat. Dazu kommen 10 US-Dollar Anwesenheitsbonus und 7 US-Dollar als Beitrag für Transport- und Mietkosten. Der gesetzliche Mindestlohn wurde nach einem sektorweiten Streik im Jahr 2010 von 56 US-Dollar auf 61 US-Dollar angehoben.

Nur damit das klar ist: Ich kümmere mich nicht darum, wer das produziert hat, was ich am Leib trage. Die Trägerorganisationen der „Kampagne für saubere Kleidung“ bestehen mehrheitlich aus deutschen Gewerkschaftlern sowie Verehrern höherer Wesen und anderen Lichterkettenträgern aus der Abteilung „faier Lohn und Preis“. Letztere haben vom Kapitalismus so viel Ahnung wie ein „Volks“wirtschaftler vom Krabbenfischen. Man kritisiert aus moralischen Gründen, nicht aus Prinzip, fällt also intellektuell noch hinter die Befreiungstheologie zurück. Löblich ist es jedoch, dass die öffentlich machen, wie das Proletariat arbeiten muss, damit Firmen die Adidas billige Kleidung anbieten können.

Ich finde es interessant, dass man heute in Deutschland Hosen kaufen kann, die zum Beispiel in Kambodscha hergestellt werden. Vor fünfzig Jahren wäre das undenkbar gewesen. Man könnte diese Hosen als pädagogisch wertvolles Beispiel im Unterricht nutzen, um zu demonstrieren, wie der Fall der Profitrate funktioniert und warum Firmen die Produktion in Billiglohnländer verlagern und warum man das nicht verhindern kann. Man kann diesen Trend eben nicht einfach umkehren.

Die Kapitalisten machen das ja nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie als Charaktermasken agieren, es also tun müssen, weil die Gesetze des Marktes im Kapitalismus sie dazu zwingen. Kann man hier weiterlesen:
Charaktermaske bedeutet, dass im Kapitalismus die Menschen, weil sie über Warentausch miteinander in Beziehung treten, nicht einfach ausgehend von ihren individuellen, unmittelbaren und spontanen Bedürfnissen und Interessen handeln, sondern sich immer schon in vorgegebenen Rollen befinden, die ein bestimmtes Handeln als besonders rational belohnen. (…) Die gesellschaftlichen Prozesse sind nicht das Ergebnis von individuellen Willensentscheidungen. Aber sie sind auch nicht nur passive Opfer. (…) …die Individuen werden in und durch die Verhältnisse, unter denen sie leben, zu bestimmten Personen gemacht. Auf diese Weise werden sie zu Träger von Verhältnissen, aber nicht von irgendwelchen Verhältnissen, sondern von Klassenverhältnissen. Die Personen tragen aktiv die Verhältnisse und reproduzieren sie durch ihr Handeln.

Nur mal so unter uns Tarifpartnern: Die Höhe der Löhne sind nicht objektiv, sondern eine Machtfrage. Was würde geschehen, wenn das Proletariat weltweit ein Lohnniveau erkämpft hätte, das dem in den industrialisierten Staaten aka „Erste Welt“ ähnelt? Wo würde Adidas dann seine Hosen herstellen lassen? Ist das nicht eine ausgezeichnete Frage, um die von uns hier schon öfter erwähnte Glaubensgemeinschaft Freier Markt(TM) noch bescheuerter aussehen zulassen als sie eh schon ist?

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Kommentare

7 Kommentare zu “Investorenfreundliche Höschen aus Kambodscha und die Charaktermasken”

  1. andreas am Januar 3rd, 2013 1:46 pm

    Was ich nicht gedacht hätte ist, daß ein Fussballtrikot der Firma Addidas für € 7,50 hergestellt und nach Germoney geliefert wird. Hier kann man es dann für € 89,- kaufen. Brutal.

    p.s. Gutes neues Jahr!

  2. Entitaet am Januar 3rd, 2013 2:16 pm

    Na ja, zwar interessant, was du geschrieben hast, aber wo ist die (tiefere oder eigentliche) Erkenntnis (für den aufmerksamen Leser resp. die betr. Leserin)?
    Zitat:
    „Nur damit das klar ist: Ich kümmere mich nicht darum, wer das produziert hat, was ich am Leib trage.“
    Das kann ich auch allgemein formulieren:
    „Ich kümmere mich grundsätzlich nicht darum, wer was unter welchen Bedingungen produziert hat, was ich kaufe.“
    Wenn alle oder viele Konsumenten in der so genannten Ersten Welt so denken _und_ handeln, wird sich der Prozess hin zu dieser Vision nur sehr, sehr langsam ändern:
    Zitat:
    „Die Höhe der Löhne sind nicht objektiv, sondern eine Machtfrage. Was würde geschehen, wenn das Proletariat weltweit ein Lohnniveau erkämpft hätte, das dem in den industrialisierten Staaten aka ‚Erste Welt‘ ähnelt?“

    Darauf zu warten, dass das von dir so genannte Proletariat weltweit ein Lohnnivea wie hier™ erkämpft hat, ist auf die lange Sicht mutmaßlich nicht die schnellere Variante.

  3. admin am Januar 3rd, 2013 3:07 pm

    wer das Kapital nur zwingen will, bessere Löhne zu zahlen, also seinen Profit zu schmälern, stellt nicht das System der Ausbeutung in Frage. Das ist ungefähr so, als hätte man einen Sklavenhalter im alten Rom aufgefordert, doch bitte die Sklaven netter zu behandeln, aber die Sklaverei an sich nicht angetastet. Wie schon gesagt: Ausbeutung ist keine moralische Kategorie.

  4. sramXX am Januar 4th, 2013 10:39 am

    Politisch korrektes bzw. strategisches Konsumieren hat bereits Oliver Geden in einem Aufsatz kritisiert. Ich habe vor kurzen erst das Buch von Kathrin Hartmann „Ende der Märchenstunde“ zu Ende gelesen, in dem es den LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability)nur darum geht, durch alternatives Konsumverhalten das eigene Lebensgefühl zu steigern, aber nicht darum, die Strukturen durch politisches Engagement zu verändern. Auf den Nenner gebracht: Bionade und Krombacher zur Rettung der Welt trinken statt Schottern mit Nike-Bereifung an den Füßen.

  5. elvis am Januar 4th, 2013 12:32 pm

    andreas am Januar 3rd, 2013 1:46 pm

    Was ich nicht gedacht hätte ist, daß ein Fussballtrikot der Firma Addidas für € 7,50 hergestellt und nach Germoney geliefert wird. Hier kann man es dann für € 89,- kaufen. Brutal.

    p.s. Gutes neues Jahr!

    Wer sagt das?
    Wo steht das?
    Bitte Link wenn möglich.
    Danke!

  6. phese am Januar 5th, 2013 11:32 am

    ich fänds auch besser, wenn man den verdammten kambodianer ihr kuchenstück vom reichtum der welt gefälligst wegnehmen soll. die sollen besser in tourismus machen oder so.

  7. wiewarnochmalmeinnick am Januar 10th, 2013 12:36 am

    @elvis

    google ist dein freund:

    „herstellungskosten adidas fussballtrikot“

    z.B.:

    http://www.stayfair.de/Magazin_7296_obg/06—2012-Olympia_8207_obg/Der-grosse-Reibach-_107357_obj

    :) gerne

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