Untermitteloberschicht aka Klassengesellschaft

Ein lehrreicher Artikel über die Tendenzen des Kapitalismus findet sich bei Zeit online sueddeutsche.de, obwohl der Begriff „Kapitalismus“ dort wegen der Schere im Kopf der Journaille nicht genannt wird. Lehrreich auch deswegen, weil man dort die suggestiven und unwissenschaftlichen Termini „Unterschicht“, „Mittelschicht“ und „Oberschicht“ benutzt, die Realität aber dennoch nicht leugnen kann.

Nur damit das klar ist: „Schicht“ ein ein säkularreligiöses Wort der Glaubensgemeinschaft Freier MarktTM.

„Die Annahme, dass Gesellschaften (grundsätzlich oder in ihren heutigen typischen Ausformungen) stufenförmig (hierarchisch) aufgebaut sind, geht davon aus, dass sich auf diesen Stufen (in den ’sozialen Schichten‘) jeweils viele als gleichartig analysierbare soziale Akteure befinden, und dass die Schichten selbst sich nach bestimmten Kriterien deutlich einteilen lassen,“ heisst es bei Wikipedia. Die angebliche soziale Schicht wurde von denjenigen Pfaffen und Propagandisten des Kapitals erfunden, die wussten, dass sie Ökonomie nicht wirklich erklären konnten. Deshalb schufen sie die „Betriebswirtschaftslehre“, weil die „Volks“wirtschaftslehre sich, seitdem die Marxsche Theorie des kapitalistichen Systems in deutschen Universitäten systematisch totgeschwiegen wird, permanent unsäglich blamiert und noch noch auf dem Niveau der Astrologie vor sich hin dümpelt.

Quod erat demonstrandum. Diese „viele als gleichartig analysierbare soziale Akteure“ gibt es natürlich nicht, weil es darauf ankommt, in welcher Position die so genannten „Akteure“ zu den Produktionsmitteln stehen. Wer keine hat, kann auch nicht „gleichartig“ agieren. Das Schicht-Modell ist eine propagandistische Kampfansage gegen wissenschaftliche Theorien der Gesellschaft, die sich mit Themen wie „Ausbeutung“ befassen. Wer etwa die Sklaven im alten Rom als Unterschicht bezeichnet, hat ja wohl nicht alle Tassen im Schrank.

„Vom wachsenden Wohlstand profitiert nur eine Elite. Forscher des Berliner DIW und der Universität Bremen widerlegen die These von der Stabilität der Mittelschicht“, schreibt Zeit online sueddeutsche.de. Welcher Dödel hat eigentlich behauptet, die so genannte Mittelschicht sei „stabil“ – mal abgesehen von der FDP oder Ludwig Erhard? Doch wohl nur die Pappnasen, die behaupten, der so genannte frei Markt garantiere Freiheit, Wohlstand und Glück für alle.

Die Bertelsmann-Studie suggeriert das auch, weil die Autoren sich wundern. “ Sozialer Aufstieg gelingt immer seltener“. Ach. Und wann gelang er zuletzt?

Demgegenüber ist der Anteil unterer und unterster Einkommen (weniger als 70 Prozent des Medians) seit 1997 um fünf Prozent bzw. knapp vier Millionen Personen gestiegen. Am oberen Ende der Einkommensschichtung zeigt sich ein heterogenes Bild: Dort ist die Zahl der Spitzenverdiener (mehr als 200 Prozent des Medians) leicht angestiegen, während sich die Einkommensoberschicht kaum verändert hat.

Das steht bekanntlich auch schon bei Marx so. Das darf aber in deutschen Medien wegen der freiwilligen Selbstzensur nicht gesagt werden.

Nur ein kleiner Hinweis: Nicht die so genannte Unterschicht hat in der Weimarer Republik mehrheitlich Hitler gewählt, sondern die „Mittelschicht“. Das kann man nachlesen:
Die auffälligen und dramatischen Veränderungen bei den Wahlergebnissen schienen darauf hinzudeuten, daß sich die Wähler innerhalb der jeweiligen politischen Lager neu orientierten, daß also auf der Linken allmählich immer mehr Wähler von der SPD zur KPD wechselten und daß die NSDAP ihren Zuwachs dem Wählerreservoir der bürgerlich-protestantischen Parteien verdankte.

Kommt also alles irgendwie bekannt vor.

image_pdfimage_print

Kommentare

12 Kommentare zu “Untermitteloberschicht aka Klassengesellschaft”

  1. flatter am Dezember 17th, 2012 6:29 pm

    Wie kann eine nicht existierende Schicht etwas wählen?
    Ich halte hierarchische Modelle nicht für grundsätzlich falsch. Mal abgesehen davon, dass man Einkommens-„Schichten“ etwa beliebig definieren kann, um zum Beispiel die Entwicklung der Verteilung zu studieren, halte ich eine funktionale Mittelschicht für exsitenziell, die so etwas die Rolle der Kapos innehat. Die höheren Sklaven mit Aufseherfunktion eben. Das Phänomen hat m.E. eine soziologische Dimenison.

  2. Andreas am Dezember 17th, 2012 7:57 pm

    Komische DIE ZEIT haste da aber verlinkt ;o)

  3. horst am Dezember 17th, 2012 9:08 pm

    Was soll denn „säkularreligiös“ bedeuten?

  4. admin am Dezember 17th, 2012 9:42 pm

    Ein Aberglaube, der ohne höhere Wesen auskommt, also etwa die Staatsreligion Nordkoreas oder die Glaubensgemeinchaft Freier Markt.

  5. elvis am Dezember 18th, 2012 10:15 am

    Ach. Und wann gelang er zuletzt?

    Wer der letzte war weiß ich nicht. Aber ein gewisser Burks gehört definitiv zu den Aufsteigern.

  6. FDominicus am Dezember 18th, 2012 1:30 pm

    „Nur damit das klar ist: “Schicht” ein ein säkularreligiöses Wort der Glaubensgemeinschaft Freier MarktTM. “

    Meilenweit daneben, für Märkte gibt es Kunden und Anbieter. Aber gut ich sehe schon, meine Vorschlag mal etwas anderes zu lesen ist bei Ihnen nicht angekommen….

  7. admin am Dezember 18th, 2012 2:02 pm

    „für Märkte gibt es Kunden und Anbieter“. Na und? Und was ist der Wert der Waren? Wie bemisst sich der? Mein Vorschlag, sich mal mit den ersten 100 Seiten des „Kapital“ zu beschäftigen, fruchtet offenbar nichts.

  8. Dominic am Dezember 18th, 2012 9:04 pm

    Es gibt keine festen Schichten, sondern immer ein „oben“ und ein „unten“. Das Geld fungiert als soziales Trennmittel: Kannst du den Preis bezahlen, gehörst du dazu (wenn auch nur mal für einen Abend). Das System ist hoch dynamisch und skaliert stufenlos. Sich zu irgendeiner statischen Schicht zu zählen, kommt IMHO einer Illusion gleich.

  9. Julius Turm am Dezember 19th, 2012 8:12 pm

    Interessieren würde ich mich eher für das dritte Band (Jup, genau das ding, indem sich Engels sich an der vollkommenen Mathematisierung der Märkte macht).

  10. Dead Wall Reveries am Dezember 20th, 2012 10:38 pm

    Das Gerede von Schichten hat doch immer das semantische Zentrum „Mittelschicht“: nur damit man von der reden kann, redet man überhaupt so oft von „Schichten“.
    Dass man nun überhaupt von „Mittelschicht“ spricht, zeigt schon den ganzen Irrtum auf. Legt man nämlich die Stellung zu den Produktionsmitteln in einer bürgerlichen Gesellschaft als Maßstab an, kommt man bald zu dem Schluss, dass es eine „Mittelschicht“ zwischen Kapitaleignern und Lohnarbeitern auf Dauer nicht geben kann. Kapital wird nun einmal auf Kosten derjenigen akkumuliert, die kein Kapital haben – um es einmal simpel auszudrücken. Das hat noch keine VWL oder Soziologie widerlegt. Und die Statistiken, wonach seltsamerweise das Kapital stetig wächst, während zugleich die Armut zunimmt – o seltsame Rätsel der ‚freien Marktwirtschaft‘! – belegen genau diesen Zusammenhang.

    Die in der bürgerlichen Gesellschaft so beliebte Betonung der „Mittelschicht“ oder des „Mittelstandes“ ist nichts als ein rhetorischer Trick, der das Verschwinden dieser „Schicht“ gerade vor ihren eigenen Mitgliedern verschleiern soll.

  11. Tom am Dezember 20th, 2012 10:41 pm

    http://stateofworkingamerica.org/who-gains/#/?start=1994&end=2008
    Nette Seite zum Thema „sozialer Aufstieg“; Unmöglichkeit für mehr als eine Handvoll anhand der Einkommensverteilung über die Jahre (USA).
    Falls jemand an hohe Dynamik in mehrere Richtungen glaubt, kann er sich dort in Minuten-Schnelle tiefstschürfend informieren; Zeiträume frei wählbar, interaktive Grafik.

  12. Waldorfschulen, Klasse, Schicht « Kritik und Kunst am Dezember 29th, 2012 12:08 am

    […] übrigens völlig zutreffend von “Erziehung zum Klassenkampf”. An dieser Stelle, auch, weil burks es kürzlich thematisiert hat, doch noch ein paar Takte zum Thema “Mittelstand”, “Schichten statt […]

Schreibe einen Kommentar