Die Piratenpartei

Henning Bartels: Die Piratenpartei. Entstehung, Forderungen und Perspektiven der Bewegung. ISBN 978-3-86199-001-7, ca. 300 Seiten, Preis: 19,90 € als Buch – kostenlos als PDF

PiratenparteiIch bin nicht die Zielgruppe dieses Buches: „Wenn Sie dieses Buch in seiner traditionellen Form in der Hand halten, dann sind Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Mitglied der Zielgruppe, für die dieses Buch geschrieben wurde. Sie sind ein Digital Immigrant, jemand, der nicht in die digitale Welt hineingeboren wurde. Diejenigen, die Computer und Internet quasi schon mit der Muttermilch aufgesogen haben, die Digital Natives, verspotten Sie als Mitglied der Generation Kugelschreiber, als Offliner oder Internetausdrucker.“ Ich halte es nicht in der Hand, sondern sehe es als pdf auf dem Monitor meines Laptops vor mir.

Laut ARD (das Buch gibt alle Quellen/Links an, ist also mehr „online“ als etwa Spiegel „online“!) gehöre ich jedoch zur Zielgruppe der Wähler: „Sie wird eher von Männern gewählt, eher von Hochgebildeten und eher in Großstädten. Unter den männlichen Erstwählern bekommt sie 13 Prozent der Stimmen, unter den 18- bis 24-Jährigen 9 Prozent.“

Erster Eindruck: Der Autor sympathisiert sehr mit dem Objekt. Formulierungen wie „Das Problem der Altparteien ist schlicht..“ sind mir zu suggestiv, zudem ist „Altpartei“ ein Wort, dass früher die Nazis für die demokratischen Parteien benutzt haben. Ich sympathisiere auch mit den Piraten, haben sie sogar gewählt, trotzdem würde ich sie gnadenlos in die Pfanne hauen, wenn es geboten wäre.

Ich habe das Buch trotzdem mit Vergnügen gelesen. Es tauchen eine Reihe von Leuten auf, die ich kenne, die wie ich eine vermutlich nur vierstellige „Mitgliedsnummer“ deutscher Internet-Nutzer haben. „Als erste Quelle in diesem Buch soll daher der Blogeintrag von Kristian Köhntopp vorgestellt werden, weil er zwei Dinge fassbar macht: Erstens steht der Autor exemplarisch für die Hauptzielgruppe der Piraten, jung, männlich, internetaffin, und zweitens erklärt der Text sehr anschaulich die Problematik des Kopierens in einer digitalisierten Welt: Ich bin in etwa seit dem Jahresende 1987 online, mit Modem an Mailboxen. Morgen feiere ich mein 21-jähriges Unix-Jubiläum […] Google datiert mein ältestes auffindbares Posting im Netz auf 1989 – ich bin also seit mindestens 20 Jahren online. […] Ich lebe online. (…) (By the way: Ich habe dieses Posting gesucht und nicht gefunden…Eine Aufgabe für wie wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser!) Das Wesen aller Kommunikation und der darauf aufbauenden Kultur ist es auch. […] Dieses Blog ist auch voll von Links und von Zitaten. Ohne diese Links und Zitate wäre dieses Blog sinnlos. Und dieses Sharing von Inhalten, das Weitergeben von URLs und Texten ist wichtig, denn es macht das Wesen von Nachrichten und Diskussionen aus.“

Dem stimme ich natürlich „vollinhaltlich“ (wie es in grauenhaftem Juristendeutsch heißt) zu. Das Buch ist in weiten Teilen eher eine gut zusammengestellte Quellensammlung aus dem Internet. Die Fakten und Zitate würde der gewöhnliche DAU ohnehin nie finden. (Das Inhaltsverzeichnis könnt ihr selbst lesen.) Interessant ist der Abschnitt über die unterschiedliche Kultur der Nordeuropäer im Vergleich zu den Deutschen; letztere leben imme noch hinter dem Mond, was das Internet angeht. Das musste mal gesagt und beschrieben (Kapitel: „Warum die Filesharing-Debatte nicht zum Gründungsmythos der deutschen PIRATEN taugte“) werden. „Die Schweden sind sehr aufgeschlossen gegenüber den neuen Medien; das Internet spielt in ihrem Alltag eine viel größere Rolle als in Deutschland“.

Piratenpartei

Im Gegensatz zu den Piraten in Schweden ist in Deutschland die Ursache für den kleinen Erfolg der Piratenpartei die Politik: „Das zentrale Thema dieses Wahlkampfsommers, das der Piratenpartei die exorbitanten Mitgliederzuwächse und eine bis dato unbekannte mediale Aufmerksamkeit bescherte, trägt den etwas sperrigen Namen Zugangserschwerungsgesetz, eigentlich: Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen. (..) Zudem hat die Piratenpartei sich im Laufe der Diskussion so etwas wie die politische Meinungsführerschaft unter den Gegnern der Sperren erobert.“ Der Autor zeichnet die gesamte Diskussion um die so genannten „Netzsperren“ nach und zitiert ausführlich, wie zum Beispiel das law blog: „Die Legende von der Kinderpornoindustrie“. Das bekommt man nicht so einfach irgendwo – allein deshalb ist das Buch wertvoll.

„Was auch immer das Bundesfamilienministerium und Ministerin von der Leyen bewirken wollten – sei es der ehrliche Wille, einen unerträglichen Missstand zu beheben, populistische Wahltaktik oder gar der Versuch, heimlich still und leise eine Infrastruktur zur besseren staatlichen Kontrolle des Internets zumindest vorzubereiten – der Versuch muss, obgleich das Gesetz beschlossen ist und möglicherweise schon im Oktober 2009 in Kraft treten wird – als gescheitert gewertet werden.“ (S. 88)

Der Autor referiert auch ausführlich die politischen Ziele der Piratenpartei, wie etwa: „Die derzeitigen Bestrebungen einiger politischer Kräfte eine Inhaltsfilterung im Internet zu etablieren, lehnen wir kategorisch ab. Staatliche Kontrolle des Informationsflusses, also Zensur, ist ein Instrument von totalitären Regimen und hat in einer Demokratie nichts verloren. Der Kampf gegen rechtswidrige Angebote im Internet muss jederzeit mit rechtsstaatlichen Mitteln geführt werden. Allein die Etablierung einer Zensurinfrastruktur ist bereits inakzeptabel. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit muss gemäß der in Deutschland geltenden Gewaltenteilung und Zuständigkeit getroffen werden.“

Piratenpartei

Besonders interessiert habe ich im letzten Teil des Buches das Kapitel gelesen, in dem es um das Verhältnis Partei „Die Linke“ und der Piraten geht. Zum Teil wird der Ton des Autors subjektiv: „Sapperlott, wer hat denn da von den PIRATEN abgeschrieben?“

Zitat: „…wird in vielen Äußerungen der PIRATEN deutlich, dass die Linken eher als Überbleibsel aus einer Zeit angesehen werden, als es noch zwei Deutschlands gab, dafür aber kein Internet. In diesem Zusammenhang werden die Forderungen der Linken einfach nicht ernst genommen, ihnen wird keine Netzkompetenz zugetraut und auch in der Frage der Bürgerrechte gehen die PIRATEN davon aus, dass deren Forderungen nicht ehrlich sondern nur wahltaktischer Natur seien.“ (S. 198)

Ein wichtiger Aspekt: Wenn es der Linken nicht gelingt, diese Meinung in der Praxis zu widerlegen, wird sie die potenziellen WählerInnen der Piratenpartei nicht mehr erreichen können. „Piratenquote: gefühlte 5%, reale 33%, im thematischen Kernbereich viele Überschneidungen, nur wollen die PIRATEN davon überhaupt nichts wissen.“

Lesenswert sind auch die Abschnitte des Buches über das Verhältnis Grüne-Piraten und das der „Bürgerrechtspartei“ FDP: „Inhaltlich sind die Gemeinsamkeiten zwischen PIRATEN und FDP nicht so groß wie zwischen PIRATEN und der Linken.“

Im letzten Abschnitt geht es um die Zukunft der Piratenpartei (Die Links stammen aus dem Buch!) . „Karl-Rudolf Korte bestätigte, dass Ein-Themen-Parteien durchaus erfolgreich sein könnten, da sie Wähler mit einem Aufreger-Thema leichter mobilisieren könnten ‚als die Großtanker der großen Volksparteien‘. Viele Parteienforscher wie z. B. Prof. Wichard Woyke hingegen sehen die Überlebensfähigkeit solcher Bewegungen kritisch: ‚Die Piraten haben ein eindimensionales Programm. Wenn es sich weiter nur auf Informationsgesellschaft stützt, lässt sich damit keine Gesamtpolitik machen.‘ Im Gegensatz zu den schwedischen Piraten hegen die deutschen aber bereits Ambitionen, sich einem Vollprogramm zu nähern.“

Das spannenste Thema wird im Kapitel „5.2.1 Backbord oder Steuerbord“ (ab S. 239) behandelt. Das Selbstverständnis vieler Mitglieder der Piratenpartei, weder rechts noch links zu sein, ist natürlich Unsinn. Auch hier kann Schweden als Beispiel dienen: „Interessant wird es in dieser Frage erstmals im Mai 2007, als bekannt wurde, dass der schwedische Rechtspopulist Carl Lundström, der auch im Pirate Bay-Prozess als Unterstützer der Plattform verurteilt wurde, erheblich zum Erfolg von The Pirate Bay beigetragen hatte.“ Der Autor beschäftigt sich ausführlich mit der Situation in Deutschland und mit den Wahlempfehlungen dubioser kackbrauner Kameraden für die Piraten. Allein schon deshalb sollte dieses Buch (ja, das pdf auch!) zur Pflichtlektüre jedes Sympathisanten der Piratenpartei werden.

„‚Drei Jahre nach ihrer Gründung beweisen die jungen Bürgerrechtler, dass man die sinkende Wahlbeteiligung nicht nur mit Politikverdrossenheit erklären kann. Sondern eher mit einer weit verbreiteten Ablehnung der etablierten politischen Kräfte. Die unetablierten Piraten gewinnen
jedenfalls im Vorfeld der Wahlen täglich Dutzende neue Mitglieder hinzu.‘ In diesem Moment funktionierte die Piratenpartei nicht mehr als Partei, sondern als Sammlungsbewegung.“ Mit den Risiken und Nebenwirkungen, mit denen auch die Grünen in ihrer Entstehungsphase zu kämpfen hatten: Zahlreiche obskure Idioten wollten auf den Zug aufspringen. Die basisdemokratische Struktur der Piraten wird es ihnen sehr schwer machen, diese Leute wieder loszuwerden.

Letzter Satz des Buches: „Es bleibt spannend.“ Wer hätte das gedacht.

Ich höre gerade passend zum Thema Bob Marley: „Running away“ – „Chase those crazy baldheads out of the town.“ Chase those crazy censors out of the internet. Yeah. Und dazu gibt es noch Lyrics von den guten Glatzköpfen:
Stay rude against facist regimes
Stay rebel against politicians dreams
Stay rude and fight back injustice
Stay rebel against racial prejudice
STAY RUDE STAY REBEL STAY S.H.A.R.P.

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Kommentare

3 Kommentare zu “Die Piratenpartei”

  1. Serdar Günes am Oktober 3rd, 2009 5:10 pm

    Ich liebe dich Burks :-)

  2. admin am Oktober 3rd, 2009 5:32 pm

    Wieso? Ich steh doch auf Frauen!

  3. Serdar Günes am Oktober 4th, 2009 11:04 am

    Rein platonisch versteht sich ;-)

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