Netz mit und ohne Gesetz

„Netz ohne Gesetz! – allein die Überschrift der aktuellen Spiegel-Titelstory ist Unfug. Im „Netz“ gibt es so wenig oder so viel Gesetze wie in der Realität auch. Das Problem, über das die Internetausdrucker hierzulande räsonnieren (meistens ohne Raison) ist ein typisch deutscher: Zensur und paternalistisches Getue, aus der Idee des doitschen Obrigkeitsstaats gespeist, funtkionieren eben nicht, wenn es andere Länder gibt, in denen es dem Staat per definitionem verboten ist zu zensieren. Diese Idee ist so ungeheuerlich, dass die Mainstream-Medien – auch der Spiegel – noch nicht einmal die Courage haben zu fragen, ob dieser Weg gangbar wäre und mit welchen Folgen.

Natürlich beginnt der Artikel mit Kipo. Ein Kommissiar nutzt eine Software, die angeblich in der Lage ist, einschlägige Bilder aufzuspüren. Der erste Mythos – verifiziert wird uns das nicht. Es bleibt der Glaube daran, und ich bin ungläubig. Auch der dramatische Einstieg, die Software habe „Beweismittel für rund 9000 Ermittlungsverfahren geliefert – ich glaube kein Wort davon. Ich erinnere nur an die „Operation Himmel“ aka Operation heiße Luft, von der noch nicht einmal eine leichte Brise übrig blieb. Mit Journalismus hat das nichts zu tun. Das ist moraltheologische Propaganda.

„Kann der Staat das Netz sich selbst überlassen?“ Auch das ist eine lustige Frage. In meinen Seminaren über „Recherche im Internet“ (Nein, nicht im Word Wide Web) gebe ich immer wieder das schon etwas abgedroschene Bonmot zum besten: Wenn die Deutschen das Internet erfunden hätten, gäbe es einen behördlich verwalteten Zentralrechner. Zum Glück waren es die Amerikaner, die das Internet (nein, nicht das World Wide Web) geschaffen haben. „Der“ Staat – hinter dieser Formulierung steckt die Idee, dass das Internet am deutschen Wesen genesen möge. Man hätte ja auch „die Staaten“ schreiben können – aber das hätte die Absurdität des Gedankens gleich bloßgestellt: Deutschland, Saudi Arabien, Nordkorea und China ziehen an einem Zensurstrang – das kann man sich noch vorstellen. Aber ein kleinstes gemeinsames Vielfaches an Gesetzen der Staaten Kongo, Schweiz, Tadschikistan, USA und Burma?

Das Internet sei ein „Massenspeicher für alle Übel“, schreibt der Spiegel. Bisher waren das die Bücher. Gegenargumement von Zensurula, Stasi, Katholische Kirche und Konsorten: Zum Glück wurde nicht alles gedruckt. Auch das ist falsch: Wo eine Nachfrage ist, ist auch ein Angebot. Man nennt das auch Kapitalismus aka „freie Marktwirtschaft“, die Gesellschaftsform, die wir alle lieben, verehren und bewundern. Man kam an das Böse nur früher nicht so leicht heran. Und deshalb gab es immer wieder Versuche, das jeweils von den Herrschenden definierte Böse ganz ausschalten zu wollten – wie etwa in der Prohibition. Mit den bekannten Folgen, dass das Böse stärker war als je zuvor.

„So ist es technisch möglich, Europa vom Rest der Welt zu isolieren, Jugendliche jedes Alters von der Nutzung beliebiger Inhalte im Netz abzuklemmen, die Identifizierung jedes Nutzers mit Namen, Adresse, Hautfarbe und Einkommen sicherzustellen.“ Potztausend, Spiegel-Redakteure, seid Ihr jetzt von allen guten Geistern verlassen? Wer hat Euch denn diesen groben Unfug eingeflüstert? Das kann man vielleicht bei dümmsten anzunehmenden Nutzern, zu denen offenbar die Journaille großer Nachrichtenmagazine gehört, machen, aber doch nicht bei Leuten, die das nötige Grundlagenwissen für den Internet-Führerschein haben. „Wer in Deutschland (nein – Ihr meint: wer mit der deutschen Google-Suchmaske!) nach Pornos sucht, demn wird vieles vorenthalten, was anderswo zu sehen ist.“ Wer hätte das gedacht: wer in China mit Google etwas sucht, der sieht auch etwas anderes. Habt ihr denn, liebe KollegInnen beim SpOn, schon einmal versucht, google.com aufzurufen? Kriegt Ihr das hin, oder habt Ihr Euch damit abgefunden, immer nur mit google.de arbeiten zu müssen? Zuzutrauen wäre Euch das, wenn man das Geschreibsel über das Internet so liest.

Ja, dann ab und zu schöne Zitate, damit man nicht ganz aufhört, das kulturpessimistische Gejammere des Artikels zu konsumieren: „Manchmal..entsteht Fortschritt durch zivilen Ungehorsam. “ Sehr wahr. „Diese rechtlose (sic!) Gesellschaft ist zuerst in den vereinigten Staaten aufgeblüht. Die neue Welt, in deren Verfassungsordnung die ‚freedom of speech‚ einen noch höheren (sic!) Rang genießt als in Deutschland, war von Beginn an der ideale Nährboden für eine Gegenwelt unter der Flagge der Meinungsfreiheit.“ Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Meinungsfreiheit scheint das gesunde deutsche Volksempfinden, wie es sich im Spiegel-Artikel zeigt, gleichzusetzen mit „rechtlose Gesellschaft“. Ich sagte es bereits: Meinungsfreiheit ist für Spiegel-Redakteure eine so fern liegende Ideen, dass es ihnen die Sprache verschlägt.

Mit welcher Idee sympathisiert der Spiegel? Mit dem starken Staat. „Einem Staat, der die Kontrolle über die Parallelwelt des Internets (sic) zurückgewinnen (sic!) will, bleibt ein letzten Mittel: Ausweiskontrolle. (In Großbritannien gibt es keine Ausweise – auch das ist eine typisch deutsche Idee. Burks) Bevor die Staatsbürger in den Cyberspace abschweben, müssen sie sich mit Name und Adresse identifizieren. Die deutsche Justizministerin, die solche Modell prüfen lässt,…“ Ich kann nicht glauben, dass das Zitierte geschrieben worden ist, ohne das bewusstseinsveränderende Drogen im Spiel waren. Wie soll man sich das technisch vorstellen? So ein Quatsch kommt zustande, wenn man nicht recherchiert, sondern das Getratsche in der Kantine wiederkäut. Nicht die Vorratssdatenspeicherung macht es möglich, „IP-Nummern bis zum Anschlussinhaber zurückzuverfolgen.“ Blödsinn, das war schon immer möglich. „Auch ließen sich Surfprotokolle der Web-Besucher anfertigen – Gesetze sind hierfür in Arbeit.“ Auch das ist der reine Nonsens. Weder ist das möglich noch sind derartige Gesetze in Arbeit.

Die Verschwörungstheorien habe ich dann nur noch flüchtig überlesen. „Das Bundeskriminalamt darf mit Hacker-Technik (mit welcher, bitteschön? Ich hätte es gern ein wenig genauer!) in die Privatrechner Verdächtiger eindringen, dort heimlich Spitzelprogramme installieren, die jeden Tastendruck mitprotokollieren – etwa um Passwörter und andere Geheiminformationen auszuspionieren.“ Ach ja: Ich habe hier einen Keylogger, von dem ich nichts weiß? Und der ist mir „online“ aufgespielt worden? Ist bei Euch noch alles ganz richtig im Oberstübchen?

Ein Satz ist nett und zeigt die Geisteshaltung des Spiegel: „Es geht nicht. Es muss aber.“ Nein. Es muss nicht. Der Spiegel-Artikel ist gerade gut genug für die Klientel der Von-der-Leyen-Wählerinnen: alt, weiblich, reaktionär und Internet-abstinent. Und die jungen Leute, die den Blödsinn verfasst haben? Die erinnern mich an den Berliner Rabbiner Stein, mit dem ich vor rund 20 Jahren als junger Journalist über das Thema Beschneidung diskutierte. Er riet mir, gar nichts zu schreiben: „Halbwissen ist schlimmer als gar keins.“ Er hatte Recht. Neben der Generation der Internetausdrucker wie Schäuble gibt es noch eine weitere Generation, die für das Internet verloren scheint – die Jungen, die glauben, sie wüssten, was das Internet sei, aber weder den Charakter noch die Zivilcourage haben, kritisch zu fragen, wie man Zensur umgehen könnte und die das ihre KollegInnen lehren könnten.

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Kommentare

4 Kommentare zu “Netz mit und ohne Gesetz”

  1. Sven am August 10th, 2009 11:43 pm

    Ja so ist es, die Software die einschlägige Bilder findet möchte ich auch mal sehen. Soweit ich weiß findet man nur im Web was auch gefunden werden will oder soll. Man findet bestenfalls Bilder mit viel Haut so wie das Bild vom Bundespräsidenten. Bei dunkler Hautfarbe gibt es aber schon Probleme.
    Ab und zu sieht man ja Beamte vor Bildschirmen die das Web absuchen. Sollte man ihnen sagen das Google.de filtert? Sollte man ihnen sagen das nur ein kleiner Teil des Webs zu finden ist weil der verlinkt ist und der Rest nicht?
    Nein, man sollte nicht, weil sie sonst enttäuscht wären und sie sich neu formatieren müsste. Vielleicht Parksünder suchen?
    Heute nickte Tom Burow seinen Kommentator zu als er gesprochen hatte. Es ging um die „Sauerland Gruppe“. Ich hatte den Eindruck sie wollten sich selber übertreffen und wussten mehr als der Geständige. Das sind richtige Terroristen, mit zwei Zündern und kein Sprengstoff.

    Es werden immer mehr die von rechtlosen Räumen sprechen, schade das ich kein PDF vom Internetrecht habe ich hätte es zugemailt. Es werden bestimmt andere machen. Aber wer Merkbefreit ist und über den Dingen steht liest es sowieso nicht.

    Manchmal hat man den Eindruck einer gibt die Meinung vor und der Rest der Presse brüllt nach. Herr Tauss hat bei der Verfasserin von SPON Artikel nachgefragt und die wusste nichts von ihren Artikel. Sonderbar? Dann wurde geändert und das war sie denn wohl? Vermute ich mal. Könnte doch sein oder?

    Übrigens ich suche Software, sie darf nichts kosten und sehr gut sein um Internetrecherche zu betreiben. Sie sollte Themen, Kategorien und Personen verlinken können.
    Theo Waigel (CSU) sagte im März bei Beckmann, „nur der ist Frei der tut was man ihm sagt“.
    Auch wenn der Herr schon 70 ist sollte so etwas nicht vergessen werden. Ich dachte gleich daran das Sklaven dann ja besonders frei sind. Es zeigt doch aber wie diese Herren ticken.

  2. bombjack am August 11th, 2009 9:21 am

    So langsam glaube ich daß es Absicht und nicht Voraussicht war, die dafür gesorgt hat, daß der Art. 1 Abs. GG so abgefasst worden ist. Auf den ersten Blick klingt er ja recht gut, nur liegt da der Hacken meines erachtens im Detail:
    […](1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
    […]
    Denn spätestens mit dem Begriff schützen wird die Sache problematisch: Kann und darf aus dem Begriff „zu schützen“ eine Handlungsaufforderung des Staates abgleitet werden?
    Wenn ja, darf z.B. der Schutz auch zwangsweise entgegen dem freien Willen des Betroffenen passieren? Stichworte: Peepshow, Zwergenweitwurf oder jetzt aktuell Flat-Rate-Bordell?
    Wie schaut es mit abstrakten Delikten aus? Diverse Paragraphen die die Verbreitung von Schriften und gleichgestellten Medien verbieten werden auf diesen Schutzanspruch zurückgeführt und die Sache geht noch weiter, denn statt des konkreten Falles z.B. x hat das geschrieben und y geht dagegen vor, nimmt sich der Staat mit seinen Strafverfolgern das Recht heraus von sich aus gegen diese Medien (Meinung) vorzugehen ohne daß jemand konkret Klage erhebt.
    Dazu kommt noch daß der Begriff der Menschenwürde ein sehr unbestimmter ist, ähnlich wie bei Pronographie die bekanntlich im Kpf des Betrachters stattfindet, hat jeder einen anderen Begriff, eine andere Schwelle was die Menschenwürde überhaupt ist und wann sie tangiert wird.
    Wie oben angedeutet komme ich langsam zu der Einsicht, daß mit Absicht die Menschenwürde und deren Schutz im Art. 1 gewählt worden ist, allerdings nicht als Schutzparagraph des Bürgers gegenüber dem allmächtigen Staat, sondern im Gegenteil um indirekt ein Instrument zu haben, was dazu dienen kann diverse „Schutz“-paragraphen ohne Gegenwehr zu etablieren, da die Auslegung des Begriffes eine sehr schwammige ist….

    bombjack

  3. Internet: Spiegel fordert mehr Kontrolle » Von Richard Schnabl » Beitrag » Redaktionsblog am August 11th, 2009 11:52 am

    […] dafür, wie staatstragend das Magazin immer wieder daherkommt “. Für Burkhard Schröder (Burks´Blog) ist ” der Spiegel-Artikel … gerade gut genug für die Klientel der […]

  4. TV ohne Nutz – Warum niemand das Fernsehen braucht « Zivilschein am August 18th, 2009 6:04 am

    […] war mir meine Mittagspause zu schade. Offenbar ist der Artikel selbst fast so dumm wie sein Name vermuten lässt und damit ein weiteres Stopschild auf dem Weg internetferner Bürger zu einem Verständnis […]

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