Louis Jacoby und die Schule von Athen

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Jüdischer Friedhof Havelberg, links: bei meinem ersten Besuch 2021, rechts: heute – finde den Unterschied!

Manchmal bewirken sogar Gerüchte etwas. Irgendwer hatte irgendwem offenbar erzählt, dass irgendwer sich vor ein paar Jahren über die drei Kreuzchen vor dem Jüdischer Friedhof Havelberg echauffierte. Wir waren ganz überrascht, dass jemand das geändert hatte. So etwas wäre in Berlin nicht passiert.

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Oberes Foto: Der Grabstein Louis Jacobys

Wir wollten uns nur vergewissern, dass auf dem Friedhof irgendein Hinweis auf die Ausstellung über den berühmten Kupferstecher Louis Jacoby zu finden sei. Nein, war es nicht, und als wir das Museum im Dom betraten, war die Ausstellung auch schon geschlossen und abgebaut. Jetzt wurde es eine spannende und lehrreiche Schnitzeljagd Geschichte. Wir hatten Heinz dabei, der als Einheimischer natürlich alle kannte und glaubwürdig so tat, als brächen wir fast in Tränen aus. Ein jüdischer Maler, aus Chile – vielleicht sogar extra angereist?! Und jetzt ist alles geschlossen?

Und siehe, man winkte uns in die Privaträume des Museums! Dort hing das Bild, was uns interessierte. Und damit wurde es kompliziert.

Jacoby lebte von 1860 bis 1863 in Rom und fertigte dort eine Kopie von Raffaello Sanzio da UrbinosSchule von Athen“ an. Wait a minute: Das Original-Fresko in den Vatikanischen Museen ist fast acht Meter breit! Wie macht man und womit davon eine Kopie? Das bekäme man noch nicht einmal mit einem kommunistischen Smartphone hin!

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Jacoby war genial: Er malte zuerst ein Aquarell der „Schule von Athen“, also mit Wasserfarben. Bei den unzähligen Details muss das eine unglaubliche Arbeit gewesen sein. Danach malte er das schwarz-weiße Bild, das auf den Millimeter genau das Fresko Raffaels – und im richtigen Verhältnis! – zeigt. Allein für die Farbkopie brauchte er schon drei Jahre. Und dann erst begann er mit einem Kupferstich. Insgesamt benötigte er – so wurde mir das berichtet – ein Jahrzehnt.

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Wikipedia: Der Kupferstecher ist ein Künstler oder Handwerker, der mit der Technik des Kupferstichs arbeitet. Durch spanabhebende Verfahren überträgt er Abbildungen auf Platten aus Kupfer, die als Druckplatten dienen. Zur Vervielfältigung der Abbildung werden die in die Kupferplatte eingearbeiteten Linien eingefärbt. Kupferstiche werden heute nur noch von wenigen Künstlern hergestellt.

Weil der Kupferstich höhere Auflagen als die Radierung zulässt und detailgenauere Darstellungen als der Holzschnitt erlaubt, waren Kupferstecher als Künstler und Kunsthandwerker bzw. Druckstockhersteller bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts gefragt, bis die Lithografie den Kupferstich und den Holzstich als Illustrationsmittel ablöste.

juden

Jetzt beginnt jedoch eine Odysee. Jacoby schenkte das Werk seiner Heimatstadt Havelberg. Dort wurde es im Rathaus aufgehängt. 1935, nach der Machtergreifung des Nationalsozialisten, ließen diese das Gemälde entfernen – es sei „jüdischer Kitsch“. Bilder jüdischer Künstler durften nicht mehr gezeigt werden, wie heute in vielen arabischen Staaten. Die Havelberger Bürgerin Christel Block versteckte das Werk bis Kriegsende in ihrer Wohnung.

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Die Nachfahren der mutigen Frau lebten in Kappeln der Bundesrepublik. Erst 2007 kam das Werk zurück nach Havelberg. Aber mit einer Auflage: Nicht die Stadt sollte es bekommen, sondern das – unpolitische! – Museum am Dom. Vielleicht in weiser Voraussicht? Vielleicht würde es wieder abgehängt, wenn Muslime in nicht allzu ferner Zeit die Mehrheit in deutschen Rathäusern hätten, falls die Nazis noch einmal in einem anderen Kostüm wiederkämen?

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Am Markt ist an einem Privathaus eine Gedenktafel für die ehemalige Synagoge. Die Tür war ausnahmsweise offen, aber im Hof gibt es keine weiteren Überbleibsel. Wir hatten an dem Tag noch mehr Glück und trafen auf eine geradezu unglaubliche Geschichte.

Juden Havelberg

Ein Neuanfang in Palästina – das war die Hoffnung der jungen Jüdinnen und Juden, die von 1934 bis 1941 in einem Waldgehöft bei Havelberg ausgebildet wurden. Die 15- bis 18-jährigen lebten dort wie im Kibbuz und erlernten alles, was sie für ihr späteres Leben in der Gemeinschaft brauchen würden. Mit Abenteuerlust oder Selbstverwirklichung hatten ihre Auswanderungspläne nichts zu tun. Diese jungen Menschen versuchten, dem nationalsozialistischen Terror zu entkommen.

In der der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde das Gelände verwüstet, die Jugendlichen wurden im Polizeigefängnis eingesperrt. »Die Frau unseres Leiters war auf der Farm geblieben und stand vor der Entbindung. Das Kind blieb im Bauch, sie hat furchtbar gelitten und ist daran gestorben«, hielt die Zeitzeugin Annette Eick fest.

Aber: Auch hier gab es einen Gerechten, dessen Name aber nicht bekannt ist. Er öffnete eine Tür, – so die oral history – und einige der Gefangenen konnten fliehen. Wie viele, weiß man nicht. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

synagoge Havelbergsynagoge Havelberg

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Kommentare

3 Kommentare zu “Louis Jacoby und die Schule von Athen”

  1. Godwin am Oktober 27th, 2024 5:20 pm

    ich zäume mal von hinten auf:

    „am 9. November 1938 wurde das Gelände verwüstet“
    „die von 1934 bis 1941 in einem Waldgehöft bei Havelberg ausgebildet wurden.“

    1938 liegt m.E. ziemlich mittig zwischen 1934 und 1941
    wie konnten die eingesperrten und ins unbekannte geflohenen Mitbürger*innen denn NACH 911 in einem verwüsteten Kibbuz ausgebildet werden?
    bzw – es gab Kibbuzim in Nazi-Schland?
    wusste ich noch gar nicht.

    „bot 50 Ausbildungsplätze“
    „wollte eines der begehrten Einreisezertifikate der englischen Regierung für Palästina erhalten“

    Ich vermute mal, das gab es alles nicht umsonst und war eher besser situierten Kreisen vorbehalten.
    Bereicherten sich da etwa Personen am Leid der Mitmenschen?
    Das wäre aber schofelig…

    „wenn Muslime in nicht allzu ferner Zeit die Mehrheit in deutschen Rathäusern hätten, falls die Nazis noch einmal in einem anderen Kostüm wiederkämen?“
    letzteres ist gar nicht so unrealistisch

    Trotzdem muss man nun fragen, warum in Zeiten, in denen – wie du selber bemerktest – die Erinnerung an die Helden der Arbeiterklasse, an „das Volk“ usw. ausgelöscht werden, warum ausgerechnet in den Zeiten die Erinnerungskultur an das jüdische Hochkonjunktur hat?
    Welche Rolle spielt das im Klassenkampf?

  2. admin am Oktober 27th, 2024 5:34 pm

    Das war mir auch aufgefallen, aber es soll wohl heißen, dass das Lager zwar 1939 verwüstet wurde, aber noch bis 1941 bestand.

  3. ... der Trittbrettschreiber am Oktober 27th, 2024 7:47 pm

    Den hohen Wert von Friedhöfen, die der Zeit in Obhut gegeben wurden, habe ich zuerst in meiner Jugend und nun auch wieder als geneigter, teleskopwanderbestockter, Rollator allergischer, das Alter durch Fakejugendleggings kompensierender und wie eh und JEVERzweifelnder Hopfenliftinggreis schätzen gelernt.
    Gerade die Moderaura, all das sonst nur Bäume würgende Efeu, das sich gern auch an verwitternden Grabsteinen und Friedhofsskulpturen versucht, der Duft der Ewigkeit zwischen oft hochbetagten Oversize-Bäumen hat auf mich eine tiefe, beruhigende Wirkung, ja fast schon hebt es mich hinweg, durch all das CO2 und den von Löchern durchfetzten Ozonmantel dieser Erde hin zum Busbahnhof dort droben, von wo aus die Reise in der von Blacky und Whity gezogenen platonischen Kutsche in Richtung des Schönen an sich beginnen kann.
    Rabenvögel singen ihr heiseres Lied im Takte meines beschwipsten Herzens und manchmal erwache ich nach einem erholsamen, unserem Zeitgeist angepassten Sekundenschlaf und verlasse den Acker der Historien in Richtung Haupstraße der Jeztzeit.
    Solche Friedhöfe sind rar und wertvoll.
    Anders der städtische, gleich neben McDonalds, Lidl und Backwerk mit Coffee2Go. Nichts von Ewigkeit, keine vom Winde der Zeiten abgeschmirgelten Grabsteine. Wer heute seine Großeltern auf dem Fun- und Erlebnisfriedhof besuchen möchte, wird meist enttäuscht – Gräber werden meist nach 20 Jahren einfach eingeebnet und die Namen der Vorfahren sind kompostiert und im Glücksfall nur noch online buchstabierbar.
    Welch eine Gesellschaft, welch eine Ignoranz, welch eine Demenz in den Hirnen der Bürokraten.
    Aber es hat auch etwas gutes: Man soll sich nicht festklammern an der Vergangenheit. Den Blick nach vorn, die Treppe runter, zwischen all dem Bildungleergut hindurch in Richtung des aktivierenden Ohrensessels die Freude genießen, die ein leises bescheidenes Zischen auslösen kann…hx.

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