Unter Männern oder: Zu Besuch bei der Kleinbourgeoisie, Venezuela-style

San Fernando de AtabapoSan Fernando de Atabapo

Hier nun die voraussichtlich letzen Fotos aus San Fernando de Atabapo am Orinoco, Venezuela, fotografiert im März 1998

Typisch für Lateinamerika sind die winzigen Läden am Ortseingang oder in Seitenstraßen, bei denen man sich fragt, ob eine und welche Geschäftsidee dahintersteckt. In Russland würde diese Kleinbourgeoisie vermutlich auf der Straße sitzen und dreieinhalb Kartoffeln aus Eigenanbau verkaufen. Ich habe nicht gefragt, ob die Leute für die Bretterbuden Miete zahlen. Ich vermute, dass sie vom Ort unterhalten werden.

Hinter dem Foto unten steckt eine Geschichte. Der Mann ist ein US-amerikanischer Tourist, der ausgerechnet hier Urlaub machte. Ein Frau hatte er nicht. Finanziell gesehen war das damals vermutlich für ihn halb geschenkt – aber warum ausgerechnet in dem Kaff am Orinoco? Er sagte, es sei schön dort – ich konnte nur zustimmen. Abenteuerlich war es auch, an der Grenze zur grünen Hölle.

Es waren noch zwei Deutsche im Ort, zwei Künstler aus dem Beitrittgebiet, die gezielt keinen Fotoapparat dabei hatten, weil sie sich von den außergewöhnlich Farben inspirieren lassen wollen: Das satte Grün der Bäume, die merkwürdige Tönung des pisswarmen Rio Atabapo, in dem wir jeden Tag stundenlang saßen oder herumschwammen und über die Weltläufte plauderten, die exotische Landschaft. Auf dem Foto sieht man rechts und links die Hände der beiden.

Jeden Abend trafen wir uns an dem einzigen Stand, an dem es eine Art Abendessen gab, Reis mit Fleisch, und Bier. Und immer gesellte sich ein älterer Venezolaner (oder war es sogar ein US-Amerikaner? Ich habe es vergessen) zu uns, weil es nach Einbruch der Dunkelheit nichts gab, womit man sich hätte beschäftigen können. Für Männer ohne Frauen ist es immer kompliziert, weil Familien einen nicht einladen.

Es ist, als lebte man in einem Dorf: Man kann sich nicht, wie in der Stadt, die Freunde und Bekannten aussuchen, sondern muss das nehmen, was da ist, oder man bleibt allein. Vielleicht fördert das die Toleranz?

Natürlich redeten wir auch über Frauen. Wir waren uns einig, dass eine Dorfschönheit, der wir alle schon einmal begegnet waren, sehr attraktiv sein. Ich warf ein, dass ihre Mutter aber aussah wie ein Fass ohne jedwede Taille und dass ihre Tochter vielleicht, wenn sie älter geworden sei, auch so würde. Der Venezolaner nickte mir zu und sagte anerkennend: „Du hast ein gutes Auge.“ So sind sie, die Gespräche unter Männern, wenn keine Frau zuhört.

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Kommentare

One Kommentar zu “Unter Männern oder: Zu Besuch bei der Kleinbourgeoisie, Venezuela-style”

  1. Götz am Mai 17th, 2023 10:41 am

    „weil es nach Einbruch der Dunkelheit nichts gab, womit man sich hätte beschäftigen können.“
    Paradies.

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