Glitter

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Ich empfehle die polnische Netflix-Serie Glitter. (Polnisch brokat bedeutet funkeln.) Das Publikum sollte sich durch den Teaser nicht abschrecken lassen: Im polnischen Sopot des Jahres 1976 suchen drei entschlossene Frauen inmitten gesellschaftlicher und politischer Veränderungen nach Liebe und (finanzieller) Unabhängigkeit. Der Text hört sich eher wie eine Seifenoper an, und die bla bla „Veränderungen“ sind bloßes Geschwurbel. Unter uns Altgriechen: Die meinen Pantha rhei.

Polnische Filme? Ich kann mich an keinen erinnern, den ich je gesehen hätte, und wenn ich Das Grab im Wald kenne, dann habe ich es vergessen. Steht aber auf meiner To-watch-Liste. Unsere Nachbarn sind bekanntlich nicht woke und beim Thema, wie Hans seine Grete bekäme und das filmisch umzusetzen wäre, ein wenig altbacken. (Ich wollte nur das Wort einmal benutzen.) Will sagen: Im ehemaligen Ostblock bezahlt die Frau nie die Restaurant-Rechnung selbst, und ihr werden die Türen aufgehalten, auch in der feuilletonistischen Version.

Da die filmkritische Leserschaft jetzt missbilligend die Stirne runzelt (wegen fehlender Normenklarheit): Die Emanzipation der Frau würde vermutlich „die Emanzipation des schönen Geschlechts“ genannt und noch ein Handkuss dazu angeboten. Ich kann mich daran erinnern, als ich 1982 in Malbork im Kino war, zeigte man irgendeinen Hollywood-Film, (dessen Titel ich vergessen habe) bei dem es um eine frustrierte Ehefrau ging, die aus ihrem langweiligen Alltag und den erdrückenden Normen, was von einer Frau erwartet wurde, nur so entfliehen könnte, dass sie „verrückt“ wurde. Also ungefähr die Rolle der Laura Brown im grandiosen Filmdrama „Hours“. Die Pointe: Die ohnehin nur wenigen Zuschauer im Nach-Solidarność-Polen fanden das langweilig und verließen nach und nach vorzeitig den Kinosaal, bis ich zum Schluss fast alleine da saß.

Übrigens steht auf meiner To-Do-Liste noch: Schmuggeln der Werke Karl Marxens nach Polen.

Warum ausgerechnet die 70-er Jahre in Polen? Weil damals, zehn Jahre nach Deutschland und Frankreich, auch in Polen zaghaft ausprobiert wurde, anders zu leben als der Mainstream es vorsah. Also nicht #meetoo moralingeschwängert und durchgeheuchelt, sondern ganz real: Wie soll eine Frau unabhängig sein, wenn sie kein Geld verdienen kann, ausser sie zöge es vor, sich mit miesen schlecht bezahlten Jobs knapp über Wasser zu halten? Man ahnt es schon: Wer Sex-Szenen im Film mag, kommt auf seine Kosten.

Allerdings ist das Niveau besser als man denkt: „Glitter“ ist kein Voyeur-Film oder ein Krimi, der meistens im Bordell spielt. Man [sic] muss sich immer fragen: Was wäre die Alternative? Man sieht es den Heldinnen an, dass sie an sich und der Welt zweifeln und dass irgendwo immer ein Haken ist.

Die Schauspielerinnen dominieren die Story: Magdalena Popławska gibt die MILF mit dem wissenden Lächeln und der zynischen Attitüde (und hat auch ein nicht ganz knitterfreies Privatleben). Matylda Giegżno, oft in kurzen Hosen, soll die Instagram- und TikTok-Mädels ansprechen und ist auf Jede-Menge-Spaß-und-Saufen aus. Wiktoria Filus ist die Schöne, die jeder haben will, aber nicht wirklich kriegt, weil sie das Spiel durchschaut. Die Kerle spielen alle Nebenrollen – das ist für Filme aus Osteuropäer eher die Ausnahme.

But what the three of them struggle against is that not only are men blocking their path, but they’re not taken seriously because they’re using sex work to help them earn enough to achieve their dreams. In den 70-ern! Im erzkatholischen Polen! Die bis jetzt nur spärlichen Rezensionen sind ganz angetan.

Angenehm auch, dass die Figuren nicht durch „diverse“ Zwänge aus Wokistan ruiniert werden. Es tauchen nicht überall Maximalpigmentierte auf, obwohl sie in der (historischen) Realität gar nicht vorkommen. Es muss auch nicht unbedingt schwuler Sex gezeigt werden, wenn das nicht Thema ist. Man ist froh, dass der interessante Plot nicht von Hollywood aufgegriffen wurde, sondern von einem Eingeborenen. Ich musste erst mühsam googeln, weil ich dachte, dass der Regisseur weiblich sein müsse, weil Frauen mehr auf die Details achten.

Ich bin noch nicht bis zum Schluss gekommen, aber wenn ich nicht ständig herumzappe, sondern am Ball Film bleibe, ist das die Ausnahme und ein Gütesiegel.

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Kommentare

3 Kommentare zu “Glitter”

  1. Keinkölner am Dezember 16th, 2022 12:27 pm

    Lieber Herr Schröder,

    ich bin kein Cineast, aber zwei polnische Filme möchte ich empfehlen:

    Das Messer im Wasser von R. Polanski und den kurzen
    Film über das Töten, von K. Kieslowski.

    Wobei ich die Tötungsszene im letzteren verstörend
    Brutal empfand.
    Warum sieht man so etwas nicht im GEZ-TV?

  2. admin am Dezember 16th, 2022 1:24 pm

    „Das Messer im Wasser“ habe ich gesehen. :-)

  3. nh am Dezember 16th, 2022 4:15 pm

    Der Polanskistreifen hat mich damals ganz schön verwirrt.Aber da war ich noch jung plus doof.

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