Anatomie einer Affäre [Update]

Anatomy of a Scandal

Nein, der Film heißt Anatomy of a Scandal („Anatomie eines Skandals“ auf Netflix). Ich empfehle ihn hiermit wärmstens, obwohl ich alles, was auch nur von weitem nach MeToo riecht, weiträumig umfahre.

Sophies privilegiertes Leben als Ehefrau des Politikers James wird durch skandalöse Geheimnisse ruiniert, als diesem ein schockierendes Verbrechen vorgeworfen wird.

Na ja, das hört sich nicht spannend an. „Skandal“ und „schockierend“ lassen mich nur gähnen. Aber jetzt die guten Nachricht: Der (Gerichts-)Film ist britisch, das heißt: Allein schon das sophisticated elitäre Englisch ist ein wahrhafter akustischer Genuss. Es geht auch nicht so radau- und showmäßig zu wie in ähnlichen Hollywood-Produktionen. Jeder akzeptiert peinlich genau die gewohnten rules, inklusive der lustigen Perücken. „I love the Pomp“ sagt eine der Anwältinnen.

Anatomy of a Scandal

Die heimliche Heldin ist Sophie Whitehouse (Sienna Miller), die auch im realen Leben mit einem Silberlöffel im Mund geboren wurde. Model, Modelabel, Schauspiel, elitäre Sportart, nur Gesang fehlt. Sie ist mir bisher nicht aufgefallen, obwohl ich bestimmt schon enen Film angesehen habe, in dem sie mitspielt. Sie spielte die Ehefrau des American Sniper. Auf jeden Fall ist sie großartig – britische Filme stehen ihr besser. Sie schafft es auch, die Tränendrüsigkeit zu vermeiden, die das Thema – hat mein Ehemann eine Frau vergewaltigt? – mit sich bringt. Mit einem Gesichtsausdruck sagt sie mehr als mit Rumgeheule. Man ist in jeder Lage beherrscht, also British und upper class. Die Miller würde mich noch nicht mal mit ihrer linken Arschbacke angucken.

Anatomy of a Scandal

Die Affäre ist Olivia Lytton, gespielt von Naomi Scott. Mit der habe ich ähnliche Probleme wie mit Andy Allo: Sie sieht so scharf umwerfend aus, dass man von den Dialogen abgelenkt wird. Ich könnte als Boss mit einer solchen Angestellten nicht arbeiten, weil ich immer nur an das Eine dächte, vorausgesetzt, meine Ehefrau würde den Charme und das Lächeln nicht toppen. Vermutlich haben die Scott genommen, um beim Publikum genau den Eindruck zu erwecken, dass kein Mann, auch nicht der Held, ihr auf Dauer widerstehen könnte, wenn sie es darauf anlegte (was hier der Fall ist). Aber auch die kann richtig schauspielern: Wenn sie aussagt, denkt man als alter Mann nicht „was ist die süß“, sondern achtet auf das, was sie sagt und welche Miene sie zieht. Sie macht erheblich mehr mit ihrem Gesicht als Clint Eastwood.

Anatomy of a Scandal

Überzeugend auch James Whitehouse (Rupert Friend) sowie die Staatsanwältin (Kronanwältin) Kate Woodcroft (Michelle Dockery,) die den klassischen Blaustrumpf gibt (kennt jemand das Wort?). Friend verkörpert den klassischen britischen Schnösel („Arroganz ist sexy“), auch seine Eskapaden zur Studentenzeit entsprechen genau dem Klischee, das man von der britischen Oberschicht kennt. Die Dockery hingegen ist unglaublich wandlungsfähig: Sitzt sie in „Zivil“ mit einem Kerl in einer Bar, erkennt man auf den ersten Blick gar nicht die gestrenge und intellektuell brillante Anwältin.

Anatomy of a Scandal

Angela Regan (Josette Simon – „Royal Shakespeare Company, and Royal National Theatre“!) entspricht zwar nicht dem vorherrschenden Schönheitsideal (IMHO – kurze Haare stehen nur Andy Allo und der jungen Wynona Ryder), die Anwältin des Angeklagten, ist zum Glück auch eine überzeugende Schauspielerin, die mit der Dockery mithalten kann. Sie ist nicht nur Quotennegerin da, weil man sonst „zu weiß“ wäre. Ich glaube auch nicht, dass es soviel crown prosecutors und andere attorneys mit afrikanischen Vorfahren gibt, aber in „Anatomie eines Skandals“ spielt die Hautfarbe nicht wirklich eine Rolle – wie es sein sollte!

Ich muss zugeben, dass ich erst einige Folgen gesehen habe, aber garantiert fällt der Plot nicht ab. Man kann sich, wenn man eine Recherche vermieden hat, gar nicht vorstellen, dass eine der Parteien „gewinnt“ -alles ist eine Frage der Perspektive. Das macht die Sache spannend und kompliziert. Redet und vernimmt die Kronanwältin, hält man den Angeklagten für ein Arschloch schuldig; plädiert die Anwältin, glaubt man der Klägerin kein Wort mehr. Wenn ich einer der Geschworenen wäre, wüsste ich nicht mehr, was ich denken sollte.

Sehenswert! (Aber bitte OmU, sonst ist das Quatsch!)

[Update] Das Publikum sehe sich die Infos auf über Sienna Miller gala.de an (jaja). „Monogramie wird überschätzt.“ Offenbar spielt sie sowohl in American Sniper als auch in „Anatomy of a Scandal“ ein bisschen sich selbst: Eine Frau, die den Richtigen einfach nicht findet oder sich über den Mann definiert und das später als falsch erkennt. Auf jeden Fall ist der obige Film das Klügste, was ich bisher zum Thema #MeToo gesehen habe.

image_pdfimage_print

Kommentare

5 Kommentare zu “Anatomie einer Affäre [Update]”

  1. Uwe am Mai 30th, 2022 9:13 am

    Rechtschreibhinweis: brillant nicht brilliant.

  2. admin am Mai 30th, 2022 10:15 am

    @Uwe: Ich schäme mich.

  3. tom am Mai 30th, 2022 11:20 am

    Schämen finde ich übertrieben. Wer aber viel Englisch liest, hat bei vielen Wörtern eine Verwechslungungungsgefahr.

  4. Mitleser am Mai 30th, 2022 1:02 pm

    Danke für den Hinweis auf die Serie.

    Britische Serien sind so oft deutlichst unterschätzt. Auch werden die Untertöne nicht verstanden (Klassengesellschaft etc.).

    Was schwarze Staatsanwältinnen angeht, so gab es sogar bei „Inspector Barnaby“ eine solche und zwar 2006, während der „weißen Periode“ der Serie (Am 15. März 2011 wurde Produzent Brian True-May von der Produktionsfirma All3Media seines Postens enthoben, nachdem einige seiner Äußerungen in einem Interview als rassistisch aufgenommen wurden. True-May hatte auf die Tatsache hingewiesen, dass in der im ländlichen England angesiedelten Serie keine der heute in England lebenden ethnischen Minderheiten vorkomme und dass das seiner Meinung nach einer der Gründe für den Erfolg der Serie sei.[17] Nach einer offiziellen Entschuldigung wurde True-May wieder in seinen Posten eingesetzt, gab aber gleichzeitig bekannt, dass er nach dem Ende der 14. Staffel als Produzent abtreten werde. wiki).
    Die Staatsanwältin war jung und sehr ehrgeizig….

  5. ... der Trittbrettschreiber am Mai 31st, 2022 9:16 am

    @tom

    „…bei vielen Wörtern eine Verwechslungungungsgefahr.“

    Nicht nur, wer viel Englisch liest:

    https://youtu.be/UStLrl621EA

Schreibe einen Kommentar