Russian Affairs oder: Unter Sugar-Daddys

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Allerwärmste Empfehlung: Russian Affairs (Amazon Prime) – ein Thriller mit wenig Gewalt, aber viel Sex. Ich habe mich bei den Kommentaren auf Amazon amüsiert, vor allem einige Frauen meckern herum. Ich finde die Serie großartig, intelligent und zynisch. Der Regisseur Konstantin Bogolomov haut den Russen ihre Heuchelei – vor allem die der oberen Klassen – um die Ohren, dass es nur so scheppert.

Ich empfehle ein Interview mit ihm über russische Zensur und Selbstzensur zu lesen:
Das Problem in Russland ist gerade, dass sich viele aus Angst zu einer gewisse Selbstzensur verleiten lassen. Autoritäten sagen: Mach das nicht! Wir werden es dir nicht verbieten, aber wir raten dir, es nicht zu tun. Und viele sagen dann: Ok, ich werde es nicht machen. (…) Das wahre Gesicht der Gesellschaft wird versteckt, sagt Bogomolov. Das Problem ist, dass Russland sehr kindisch ist, wir benehmen uns nicht wie Erwachsene in all diesen Dingen. Wir sind sehr naiv, wenn es um die Homosexuellen-Thematik geht.

„Russian Affairs“ hat alles, was ein guter Thriller braucht, ist aber für „westliche“ Verhältnisse extrem politisch inkorrekt: Schwule und Lesben kommen nicht vor, obwohl irgendwie jeder mit jeder aus unterschiedlichen Gründen ins Bett geht.

Die meisten Kommentatorinnen bemängeln, dass die Frauen ziemlich schlecht wegkommen. „Alle Frauen sind Luder“, sagt der Familienpatriarch Igor (Sergeï Bourounov), der im Hintergrund die Fäden zieht und im Zweifelsfall allen zeigt, wo Gott wohnt -und vor dem alle Angst haben – zu Recht. („Warum hat mich Dein Vater überwacht?“ – „Ex-Geheimdienstler überwachen immer alle.“)

Das Thema – neben dem Whodunnit-Plot – sind Affären und vor allem die Sugar-Daddys. Der Regisseur bricht überzeugend die Ehen und Sex-Affären auf das herunter, was sie sind – Frauen wollen Geld und Sicherheit und nehmen Gefühle billigend in Kauf, Männer wollen Sex. Das hat nichts mit Moral zu tun, sondern eher mit „das Sein bestimmt das Bewusstsein“.

Das möchten MeToo-Aktivistinnen natürlich nicht hören. (Dazu sollte man einen klugen Artikel von Tanja Röckemann in der aktuellen Konkret lesen: „Auch im Fall Jeffrey Epstein werden die strukturellen Ursachen sexueller Übergriffe geleugnet“.)

Die Serie ist noch nirgendwo ernsthaft rezensiert worden. Das ist sie aber wert. (Ich habe sie auf Russisch mit deutschen Untertiteln angesehen – die deutschen Synchronstimmen sind, wie gewohnt, unerträglich und passen nicht.) Auch für eine Liste der Darsteller musste ich suchen.

„Russian Affairs“ lebt von den starken Frauenfiguren, obwohl deren Situation nicht „stark“ ist. Sofya Ernst (Darya Smirnova) ist die heimliche Hauptdarstellerin: Sie spielt ihre Rolle als „dumme“ Geliebte einerseits und Intrigantin, die genau weiß, was sie will, so überzeugend, dass man nie weiß, was sie wirklich im Schilde führt. Am Anfang erscheint sie wie ein Dorftrottel, der ins Getümmel der Metropole gerät, aber weit gefehlt!

Ihre schauspielerische Gegenspielerin ist die Kommissarin Elena Darya Moroz, die mit ihrer Attitude und dem Kurzhaarschnitt herüberkommt wie eine Kampflesbe, aber auch die Männer in die Tonne wirft, sobald sie ihren Zweck erfüllt haben. Vermutlich verlangt der Geschmack des Publikums, danach, dass eine toughe Komissarin, die die Kerle herumkommandiert, nicht wie ein feminines Model aussieht. Diese Kommissarin wäre in einem deutschen Film so undenkbar, vor allem am Ende der Serie (mehr verrate ich nicht).

Eine hübsche Nebenrolle hat auch Ekaterina Aleksandra Revenko als Youtube-affine Lolita, die sich in ihren Lehrer ranmacht (Sergey Chonishvili spielt ihren Vater). Leider habe ich den Namen ihrer bildhübschen filmischen und fast gleichaltrigen Stiefmutter, mit der sie sich nur herumzofft, nicht herausgekriegt). Auch hier ist der Ausgang unerwartet und zynisch.

Der Lehrer, der Gatte des Kommissarin, ist die einzige moralisch einigermaßen „positive“ Figur, aber ein Langweiler – neben Irina Starshenbaum als stille und betrogene Ehefrau, die immer noch ein paar Karten im Ärmel hat, wenn es darauf ankommt. Aber auch er sitzt am Schluss auf einem Scherbenhaufen und wird für seine Integrität nicht belohnt.

Aleksandr Kuznetsov (den ich schon aus der russischen SF-Serie Better than us kannte) gibt den Loverboy für zahlreiche Damen, sozusagen als männlichen Gegenpart zu den Geliebten, aber niemand kann mir erzählen, dass das eine erstrebenswerte Rolle ist.

In weiteren Rollen Olga Sutulova und Alexandr Zbruev und noch einige – ich habe nicht alle gefunden.

Ich warne hiermit: Man findet nicht wirklich heraus, wer der Mörder einer der Opfer ist. Am Schluss hat man – auch die Kommissarin – mehrere Optionen und muss selbst entscheiden, was wahr sein könnte. Höchst intelligent und unterhaltsam! (Ich habe für „Russian Affairs“ sogar die 4. Staffel von „The Expanse“ pausieren lassen.)

Das Ende suggeriert, dass es noch mehr Staffeln geben könnte. Ja, bitte und bald!

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Kommentare

6 Kommentare zu “Russian Affairs oder: Unter Sugar-Daddys”

  1. Serdar Günes am Januar 10th, 2020 11:17 am

    Das was du über Selbstzensur schreibst trifft in vielem auch auf die Türkei zu. Ich würde sogar sagen, das die Türkei repressiver ist. Serie kommt auf die Liste.

  2. flurdab am Januar 10th, 2020 9:13 pm

    Hast du in Erfahrung gebracht wer die Blonde im ersten Bild ist?
    Es gab da mal eine kanadische Selbstvermarktering, Silberblick, blond, tolle Figur. Ich war begeistert.
    Das ist eine nur reine informative Anfrage, ich lehne ja grundsätzlich deratig lüsterne Darstellungen ab.
    Ich würde mir solche Machwerke ja grundsätzlich einfach nicht anschauen.
    Also so expliziet auf Sex ausgerichtete, weil wir ja wissen das Menschen nicht so leicht motivierbar sind.
    Überhaupt und so…

  3. admin am Januar 10th, 2020 11:18 pm

    Das ist das erste Opfer.

  4. flurdab am Januar 11th, 2020 3:26 am

    OK, ich habe mich auch nie als etwas anderes gesehen!

  5. Birgit am Januar 11th, 2020 2:19 pm

    flurdab … ymmd :-)

  6. Friedhelm am Juli 3rd, 2020 6:12 pm

    Teile Deine Kritik zu 100 Prozent.

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