Am Göring-Kahn, nachdenklich

Nieder-Neuendorfer SeeMolenkähneburksMolenkähne

Selbst bei Paddeln, wenn man den Kopf freikriegen will und den alternden Körper ertüchtigt, um die Fleischmarktchancen zu erhöhen, holt einen die Geschichte ein.

Die Arme gleichmäßig bewegend, den Kopf durch ein neutrales Käppi vor der gleißenden Sonne geschützt, die Kühle des Wassers fühlend, das Weichbild der Altstadt Spandau hinter mir lassend, vor mich hinsinnierend, (ist das jetzt das im Deutschen nicht vorhandene MolenkähneGerundium?), was der Sinn der Weltläufte sei, wenn nicht, wie eine typische Vertreterin der „linken“ Arbeiterklasse behauptet, die Zahl 42, gelangte ich – nach Ansicht des auch virtuellen Kartenmaterials war das wahrscheinlich, ja sogar unvermeidbar – ins Beitrittsgebiet aka Brandenburg, obzwar Berlin immer noch auf meiner Steuerbord-Seite, genauer: den Nieder-Neuendorfer See, den, da er mir langweilig erschien, weil die Gestade von Bootsanlegeplätzen wie gewohnt umsäumt, ich eilig durchquerte, wohl wissend, dass alsbald Hennigsdorf am Horizont erscheinen müsste, das mir bis jetzt völlig unbekannt war – ein zusätzliches Motiv, dieses paddelnd aufzusuchen, eingedenk der Tatsache, dass der Satzbau des Heinrich von Kleist, der die deutsche Sprache zur Höchstform trieb, was ihn aber zum Feind aller Blogger und der tl;dr-Fans machte, vermutlich einen großen Teil der hiesigen Leserschaft vergrätzen würde (Futur II und Konditional – aus der Perspektive von vorgestern – vermag das Deutsche hier nicht exakt auszudrücken).

In Deutschland hat alles einen Namen, sogar die Bäume sind nummeriert – ein Relikt magischen Denkens, das in uns schlummert: Wir meinen offenbar, das Unbekannte bannen zu können, indem wir es benennen, sogar Tiere, denen es herzlich egal ist, wie der Homo Sapiens sie ruft (mein leider verstorbener Hund Ajax von Teufelslauch hörte auch genau so gut und gehorsam auf „Tölchen“). Vor mir erschien also ein Eiland, offenbar unbewohnt, schmal und lang und voller Gestrüpp, zum Anlanden nicht wirklich geeignet – was mich dazu trieb, es dennoch zu versuchen. Mit Mühe gelang es mir, mein Boot zu vertäuen. Der Untergrund war durchzogen von verrosteten Eisenstangen und anderem Material, was zu dubios war, als das ich ihm meine 84 Kilo anvertraut hätte. Es war eine künstliche Struktur, die mich an Stanislaw Lems „Der Unbesiegbare“ erinnerte, nur welche, erschloss sich mir nicht. Noch Geheimnisvoller war, dass die Insel keinen Namen hatte, was undeutsch ist.

Nach der Recherche stellt sich heraus, dass ich auf einem Göring-Kahn gerastet hatte.

Im nördlichen Bereich des Gewässers befindet sich eine künstlich angelegte Mole in Nord-Südrichtung, ein Ergebnis der deutschen Teilung. Im Zuge der Absicherung der Sektorengrenzen sowie des DDR-Staatsgebietes wurde bereits vor 1961 ein Kontrollpunkt in Hennigsdorf für die sektoren- und grenzüberschreitende Binnenschifffahrt geschaffen. Diese entstand etwa am Kilometer 10,35 im Verlauf des Oder-Havel-Kanals. Unmittelbar nach dieser künstlichen Engstelle zweigt der Mitte der 1950er Jahre unter Umgehung von Westberliner Stadtgebiet entstandene Havelkanal in Richtung Paretz nach Westen ab. Um eine Zwangskanalisierung und Einengung der Wasserstraße zu erreichen, wurden durch das damalige Wasserstraßenhauptamt mehrere Arbeitsschuten, die aus den Beständen alter Schleppkähne stammten im angrenzenden Seengebiet in Fahrtrichtung Berlin-West im Nieder Neuendorfer See versenkt und mittels Bauschutt und Erdauffüllung zu einer künstlichen Mole verbaut.

HenningsdorfHafen Henningsdorf

Weiter nach Norden kommt noch mehr Pampa. Ich hatte befürchtet, die Ufer würden durch das hässliche Gewerbegebiet von Henningsdorf-Papenberge verunstaltet – aber da ist nichts von zu sehen, nur Grün und Bäume. Man könnte fast Urwald-Feeling bekommen. Das wurde unvermittelt unterbrochen, als der Wind mir eine gelbsandige Wolke ins Gesicht trieb, so, als paddelte ich durch den Suez-Kanal, die wohl aus einem Schornstein stammte, den ich aus der Ferne sah.

Der Hafen von Hennigsdorf wird von Lokaljournalismus selbstredend unkritisch bejubelt, wenn auch nur ein „Unternehmer“ sich dort umtreibt. Ich sah dort nichts, aber auch nichts über Gebühr Hässliches, und machte kehrt.

havelkanalFöhre Hakenfelde - Tegelortwasserpolo

By the way: die Fähre zwischen Tegelort und Hakenfelde hatte ich zum letzten Mal in den 70-er Jahren gesehen, als ich mit meiner Taxe übersetzen ließ. Lustig ist das.

Und wer kennt die neue Sportart Wasserpolo? Wieder in Klein-Venedig angelangt, beobachtete ich die Herren, die mit Händen und einer Art Paddel versuchten, einen Ball in ein hoch gelegenes Netz zu befördern – und dabei vom Feinsten mit ihren winzigen Kajaks herumplantschten.

Wenn man beim Paddeln durchschittlich fünf Stundenkilometer macht, dann bin ich vorgestern rund 40 Kilometer gepaddelt.

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Kommentare

6 Kommentare zu “Am Göring-Kahn, nachdenklich”

  1. Stefan R. am Juli 27th, 2019 3:36 pm

    Nein, kein Gerundium. Partizip I oder Partizip Präsens.

  2. flurdab am Juli 28th, 2019 11:19 am

    Gerundium.
    Macht mich das zu einem besseren Liebhaber oder hilft es mir bei einer Diät?
    Ohne deine sportliche Leistung schmälern zu wollen, 8 Stunden paddeln sind sehr respektabel, halte ich die 5 Km/h für sehr hoch gegriffen.
    Man kann ja mal 20Km zu Fuss in 4 Stunden gehen, nur um einen Vergleich zu haben.
    Aber 8 Stunden paddeln in unserem gesegneten Alter ist eine echte Leistung!
    Du hast einfach ein sehr gutes Leben und ich gönne es Dir.

  3. admin am Juli 28th, 2019 12:52 pm

    http://kanu.stkramer.de/zeit_und_strecke.php

    Trainierte Paddler 8-9 km/h, ich bin aber nicht trainiert, und mein Boot ist schwer und ein Zweisitzer.

  4. flurdab am Juli 28th, 2019 2:13 pm

    Ja ja, schwere Knochen, kennt man.
    Ein Zweisitzer, quasi das Sportcabrio unter den Booten. Wenn es denn wirkt ;-)

  5. André Dreilich am Juli 29th, 2019 7:50 am

    Was die nummerierten Bäume angeht, so ist das weniger ein Relikt magischen Denkens als Vielmehr ein Auswuchs politischer Weltfremdheit. Die Einführung der Doppik als Allheilmittel kommunaler Finanzverwaltung wurde politisch dekretiert vollzogen und wird beibehalten, obwohl sie sich längst als Unfug erwiesen hat. Im Zuge dieser Doppikeinführung muss(te) jeglicher Wert im kommunalen Besitz erfasst und in die Eröffnungsbilanz eingebracht werden, also auch Bäume, Laternenmasten usw. Zeichen dieser Erfassung sind die angebrachten Nummern, dank welcher ein Baum eindeutig identifiziert und sein Pflegeaufwand verbucht werden kann … und stirbt das Gehölz eines Tages ab, wird das Gewüchs ausgebucht. Je nach Fortschrittsgläubigkeit der zuständigen Kämmerei geschah das bei Bäumen und Masten per Pinselstrich, angeschraubter „Garderobenmarke“ oder Chip. Letzteres ist eine besonders schöne Kapriole menschlichen Geistes … der Anblick, wenn Gemeindemitarbeiter am Lichtmast Nummer 12 per Lesegerät prüfen, ob dieser auch tatsächlich am richtigen Ort steht oder mal wieder mit der 23 getauscht hat, ist unbezahlbar.

    PS.: Meine in der Nähe von Korinth, genauer: zwischen Megara und Kineta aufgeklaubte und nach Deutschland gerettete Katze hat in ihrem „Europäischen Haustierpass“ zwar den Namen „Nike“ stehen, hört aber ausschließlich auf den Ruf „Mistkatze“, besonders dann, wenn dieser mit dem Stichwort „Futtttäääärrr“ kombiniert wird.

  6. ...der Trittbrettschreiber am August 1st, 2019 10:15 pm

    :-) … das Gerundium hinter mir lassend. Danke Burks – wieder mal eine Leseweide für einen gebückt gebeutelten Neigungs-Lesenden.

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