Kollektives Gedächnis

sachsen und bayern

Sollte Alexander Dobrindt Eribons Rückkehr nach Reims gelesen haben? Er wolle „die unterdrückte bürgerliche Mehrheit aus ihren Reihenhäusern in die Zukunft führen.“

„…in einem Land, in dem Rechtsradikale, die Anschläge verüben, gewohnheitsmäßig verharmlost werden und ihren eigenen politischen Arm im Parlament haben, einem Land, in dem unter den offenen Feinden der offenen Gesellschaft Richter, Polizisten, Militärs sind, denen aber aus ihrer Feindschaft kein beruflicher Nachteil erwächst, in so einem Land muss man endlich einmal mit offenem Visier sagen, wo der Feind steht, und dies tut Dobrindt, Alexander, in der Welt. Er haut mit der Faust auf den Tisch und ruft: Der Feind steht links.“

Daran ist doch gleich vieles falsch. Erstens: Die übergroße Mehrheit der hiesigen Journaille entstammt nicht der Arbeiterklasse, sondern dem neuen Kleinbürgertum, ist also nicht links, sondern höchstens gefühlt Lifestyle-links, also reaktionär bis auf die Knochen. Man kann sogar die Wissenschaft fragen: Uwe Krüger zum Beispiel behauptet in seinem Buch Meinungsmacht – Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten, dass die Mehrheit der Journalisten die Sicht der herrschenden Klasse übernehme. Ich gehe sogar weiter: Mehr als 95 Prozent aller deutscher Journalisten haben sich mit dem Kapitalismus nicht nur arrangiert, sondern halten ihn für das teleologische Ziel der Geschichte. Danach kommt nichts mehr, vielleicht nur noch das jüngste Gerücht Gericht.

Was also soll Dobrindts Schaumschlägerei und auch die seiner „liberalen“ Gegner? Die herrschende Klasse hat ein kollektives Gedächnis, das vermutlich bis weit hinter 1524 reicht. Es wirkt bis in die letzte Gehirnzelle eines Funktionärs der Jungen Union. Die fühlen automatisch, was für sie gefährlich werden könnte. Und wie die Nationalsozialisten werfen sie sich dann irgendlich links gestricktes Kleidungsstück um, um sich bei denen da unten anzubiedern.

Wenn Dobrindt klug wäre und kein Bayer, wäre er gefährlich. Die Linke spricht das Proletariat, dessen Elite eben auch in Reihenhäusern sitzt, nicht an. Sie spricht weder dessen Sprache noch trifft sie dessen Tonfall. Es kann durchaus sein, dass – wie in Frankreich – auch hier jemand hochkommt, der diese Lücke füllt, aber – wie Macron, der von den hiesigen Lohnschreibern des Kapitals zum „Reformer“ hochgejubelt wird -, die Herrschenden vertritt.

Ich werde es dem Stammpublikum rechtzeitig mitteilen. Har har.

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Kommentare

13 Kommentare zu “Kollektives Gedächnis”

  1. Die Anmerkung am Januar 5th, 2018 12:46 pm

    Im Titel fehlt noch ein „t“ beim Gedächtnis oder es ist berlinert, dann kann es so stehen bleiben. sollte am Ende aber ein zweites „s“ erhalten, damit das scharfe „S“ der Aussprache besser verschriftet ist.

    So ist es. Selbst die sogenannten linken Zeitungen wie ND oder jW versprühen den Charme einer linksbürgerlichen Reihenhaussiedlung mit streng genormten Vorgartenbewuchs.

  2. ... der Trittbrettschreiber am Januar 5th, 2018 1:10 pm

    „Elite des Proletariats“:
    Arbeiterschaft als Blaupause des Großbürgertums, nur etwas hungriger und rheumatischer wohnend?

  3. Troptard am Januar 5th, 2018 2:44 pm

    Dazu die Trotzkisten:

    Übernommen aus dem Beitrag
    „Union und SPD bereiten extrem rechte Regierung vor “

    „Dobrindt, der ein Soziologie-Studium absolviert hat, weiß, wovon er spricht. Er benutzt nicht zufällig den Begriff „Konservative Revolution“. Dieser steht für ideologische Strömungen der Weimarer Republik, die antiliberale, antidemokratische und antiegalitäre Ziele vertraten und dem Nationalsozialismus den Weg bereiteten. Nun sieht er die Zeit gekommen, sie zu rehabilitieren. Nach der „linken Revolution der 68er“ vor 50 Jahren, schreibt der CSU-Politiker, hätten sich „linke Aktivisten und Denker … Schlüsselpositionen gesichert in Kunst, Kultur, Medien und Politik“. Nun werde es „Zeit für eine bürgerlich konservative Wende“.

    Dobrindt ist nicht der einzige, der für eine Rückkehr zu den reaktionärsten deutschen Traditionen eintritt. “

    https://www.wsws.org/de/articles/2018/01/05/regi-j05.html

  4. Trebon am Januar 5th, 2018 9:47 pm

    Proletariat? In Deutschland? Warst du schon mal in einem „normalen“ Restaurant und hast dir angeschaut wie sich die Arbeiterklasse gegenüber ihren Genossen Servicemitarbeitern aufführt?

    Es gibt kein Proletariat in Germany, zumindest keines das Wählen geht. Das wissen auch und gerade die Linken die den Bogen zwischen ihrer Ideologie und einem Menschenschlag spannen müssen der gern alles und jeden ausbeutet.

    Sei es den Paketboten der das ganze Zeugs nicht billig genug an die Haustür schleppen kann, der „Eisenbahner“ dessen Streik zu teureren Fahrkarten führt oder der GEZ Verweigerer dessen Legalisierung den eigenen TV-Obolus erhöhen würde.

    Die „anders-denkenden“ sind in diesem Land bedauerliche Einzelfälle und das Solidarität Geld kostet wird man hier keinem beibringen können der es nicht schon drauf hat.

    Und Wahlergebnisse? Das ist wie beim Schlachter, einer muss die Drecksarbeit machen die man anschließend „kritisch“ hinterfragt.

  5. tom am Januar 6th, 2018 8:49 am

    TS, ist es nicht umgekehrt: Bürgerliche Lebensart als Vorlage für Arbeiter?

  6. Andreas Herz am Januar 7th, 2018 11:49 am

    Dobrindt: Die dümmste Kartoffel im Keller hat die größte Klappe, die trübste Funzel gibt den grellsten Scheinwerfer. Er war als Bundesverkehrsminister in jeder hinsicht ein Totalausfall, fordert aber von der SPD eine Politik der „Modernisierung“. Würde er eine Bilanz seiner Arbeit ziehen, müsste er zu der Erkenntnis kommen, von ihm selbst echte gesellschaftliche Modernisierung zu erwarten, hieße die Sonne suchen um Mitternacht und vom Ochsen verlangen, dass er Milch gibt.

  7. ... der Trittbrettschreiber am Januar 7th, 2018 1:40 pm

    @tom

    guter Vorschlag – bitte mal alle Spindfotos austauschen …

  8. blu_frisbee am Januar 8th, 2018 9:46 am

    @Burks, was soll das „neue Kleinbürgertum“ sein dem angeblich die Journaille entstammt?
    AFAIK sinds Kinder von Obere Mittel- bis untere Oberschicht.

  9. Serdar am Januar 9th, 2018 3:03 pm

    Wie ist die Sprache des Proletariat? Führ das doch mal aus.

  10. admin am Januar 9th, 2018 3:55 pm

    https://de.wikipedia.org/wiki/Bernstein-Hypothese, immerhin berufen sich die Gendersprecher auch auf die Sapir-Whorf-Hypothese, die dürfen also nicht widersprechen. „Bernsteins grundlegende Aussage: Die Angehörigen der sozialen Mittel- und Oberschicht einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft verwenden eine Variante der gemeinsamen Einheitssprache, die sich sehr von der Variante der sozialen Unterschicht (Arbeiterklasse) unterscheidet.“

  11. ... der Trittbrettschreiber am Januar 10th, 2018 2:36 pm

    „..die sich sehr von der Variante der sozialen Unterschicht (Arbeiterklasse) unterscheidet.““

    hömma – dat stimmt so aber nich.

  12. admin am Januar 10th, 2018 5:42 pm

    Wattse nich sachst…

  13. Im Auftrag oder: Bürgerliche und andere Presse : Burks' Blog am November 3rd, 2019 10:59 pm

    […] schrieb am 03.01.2019: „Uwe Krüger zum Beispiel behauptet in seinem Buch Meinungsmacht – Der […]

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